Community-Beitrag
Johanne Burkhardt hat mit Sigrid Pehle vom Weißen Ring gesprochen

RUMS stellt vor: Weißer Ring e. V. (#8)

Johanne Burkhardt hat in der Reihe „Engagement in Münster“ mit Sigrid Pehle vom Weißen Ring darüber gesprochen, wie Opfern von Gewalttaten geholfen werden kann. Das Gespräch wurde im Rahmen unserer Marketingaktion auf dem Weihnachtsmarkt 2021 geführt.

von Johanne Burkhardt
Sigrid Pehle, Weißer Ring e. V. Münster

Interview mit Sigrid Pehle

Frau Pehle, der Weiße Ring unterstützt seit 45 Jahren Menschen, die Opfer von Straftaten geworden sind. Wie sieht diese Hilfe aus?

Die ist sehr individuell ausgerichtet, weil es stark von der Art der Straftat abhängt, die sie erlebt haben. Das fängt bei den klassischen Taten wie Überfällen und Diebstählen an. Dann gibt es den großen Themenbereich der häuslichen Gewalt und des sexuellen Missbrauchs. Und wir helfen Opfern von Internetkriminalität oder Cybermobbing. In einer akuten Gefahrensituation sind wir erst einmal die falsche Anlaufstelle, da verweisen wir immer an die Polizei. Wir helfen vor allem dann, wenn es um die Verarbeitung der Straftat geht.

Wie gehen Sie dabei vor?

Der Erstkontakt läuft immer über die Außenstellenleitung ab. In Münster also über mich. Ich kläre mit den Menschen dann erst einmal die Rahmenbedingungen ab. Also, was ist passiert? Was für eine Hilfe braucht die Person? Und von wem möchte sie die Hilfe überhaupt? Wenn ich beispielsweise weibliche Betroffene habe, die sexuellen Missbrauch erfahren haben, dann ist für mich selbstverständlich, dass eine Frau diesen Fall weiter begleitet. Manchmal geht es aber auch ganz konkret um die Fachexpertise der Mitarbeitenden. Wir haben ehemalige Polizeibeamt:innen, die zum Beispiel Opfer von Wohnungseinbrüchen besser beraten können als die ehrenamtlichen Psycholog:innen, die bei uns tätig sind. Ich entscheide in so einem Fall, wer aus meiner Runde am besten passt. Die Mitarbeitenden machen dann einen Termin für ein persönliches Gespräch mit den Betroffenen aus.

Wie geht es danach weiter? Kann den Menschen schon nach einem Erstgespräch geholfen werden? Oder werden sie längerfristig betreut?

Das ist sehr unterschiedlich. Manchmal reicht ein einziges Gespräch, weil für manche Betroffene auch schon der Austausch mit einer unabhängigen Person helfen kann. Manchmal sind es auch ganz konkrete Fragen, die wir direkt beantworten können. Zum Beispiel, ob es eine Traumaambulanz in Münster gibt oder Fragen zum Antrag auf Entschädigung für Gewaltopfer (OEG). Manchmal stellen wir auch gleich im Erstgespräch fest, dass wir nicht zuständig sind. Das ist zum Beispiel in zivilrechtlichen Fällen so. Wir bewegen uns mit unserer Arbeit aber im Strafrecht. Ich würde schätzen, dass wir dieses Jahr schon etwa 200 Menschen mit einem Erstgespräch weiterhelfen konnten.

Wie viele Menschen haben Sie im vergangenen Jahr intensiver betreut?

Das waren etwa 150 Betroffene. In der Beratung kann dann natürlich über die Tat gesprochen werden. Wir klären auch über die Möglichkeit auf, Anzeige zu erstatten. Wir können aber auch an andere Stellen vermitteln oder sogenannte anwaltliche Erstberatungschecks ausgeben. Damit können sich Menschen mit keinem oder geringem Einkommen anwaltlich beraten lassen. Unsere Betreuung dauert zwischen zwei und maximal drei Monaten. Durch unsere Arbeit stehen wir ja in Verbindung mit der Straftat. Das ist zwar eine positive Verbindung, doch auch sie löst Erinnerungen an die Tat aus. Deswegen ist uns wichtig, dass die Betreuung sich nicht über einen zu langen Zeitraum hinzieht.

Können die persönlichen Treffen mit den Betroffenen denn auch in der Pandemie stattfinden?

Wir versuchen, so viel wie möglich auf persönlicher Ebene zu machen, weil es ja auch um intime Erlebnisse geht. Deswegen ist es wichtig, dass sich alle wohlfühlen und die Betroffenen Vertrauen aufbauen können. Das geht persönlich einfach viel besser als am Telefon oder in Videokonferenzen. Wegen Corona lassen wir aber die Betroffenen und die Mitarbeitenden entscheiden. Manche fühlen sich aktuell ohne ein persönliches Treffen wohler.

Eine Besonderheit bei unserer Arbeit ist, dass wir keine Räumlichkeiten haben. Das heißt: In ganz Münster gibt es kein Büro des Weißen Rings. Wir besuchen die Betroffenen zu Hause im gewohnten Umfeld, wo sie sich wohl und sicher fühlen. Wenn das nicht geht, weil die Person, die die Tat verübt hat, in der Wohnung lebt, dann treffen wir uns an einem neutralen Ort. Das kann in einem Café sein. Oder wir machen einen Spaziergang. Das war während der Hochphase der Pandemie zum Glück noch erlaubt.

Sie haben schon erzählt, dass ehemalige Polizeibeamt:innen Teil Ihres Teams sind. Wer arbeitet in Münster noch für den Weißen Ring?

Unsere Gruppe ist wirklich sehr heterogen. Das fängt schon beim Alter an. Unser ältester Mitarbeiter ist Mitte 70 und unsere jüngste Kollegin 23. Bei den Jüngeren sind es häufig Studierende der Sozialen Arbeit, der Psychologie oder angehende Jurist:innen. Die Älteren sind vor allem ehemalige Polizeibeamt:innen. Wir haben aber auch beispielsweise einen Mitarbeiter, der früher in der Führungsriege einer großen Versicherung war, also einen wirtschaftlichen Hintergrund hat. Wir sind also für jeglichen Qualifikationshintergrund offen und es können sich auch Menschen ohne Vorwissen bei uns melden. Wir bringen ihnen dann das Handwerkszeug in einer Schulung bei. Denn am Wichtigsten ist uns das Einfühlungsvermögen unserer Mitarbeitenden.

Wie sieht diese Schulung aus?

Das Grundseminar besteht aus einer dreitägigen Veranstaltung, die der Verein auf Bundesebene organisiert. Es ist wichtig, dass das Qualifikationsniveau einheitlich bleibt. Da kann dann jede und jeder das eigene Steckenpferd finden. Das kann neben der konkreten Fallarbeit auch Präventions- oder Öffentlichkeitsarbeit sein. Neben der Ausbildung betreuen wir auch die Mitarbeitenden bei ihren Fällen. Wir haben regelmäßige Außenstellen-Sitzungen, bei denen auch Fälle durchgesprochen werden. Darüber hinaus bietet der Landesverband Supervisionen an. Die waren beispielsweise nach der Amokfahrt hier in Münster auch für unsere Mitarbeitenden sehr wichtig, um die Schicksale zu verarbeiten.

Wir haben Anfang 2021 bei RUMS darüber berichtet, dass die häusliche Gewalt auch in Münster in der Pandemie zugenommen hat. Haben Sie das bei Ihrer Arbeit gemerkt?

Ja, aber tatsächlich sind die Anfragen von Opfern häuslicher Gewalt bei uns nur minimal angestiegen. Grundsätzlich sind Delikte aus dem öffentlichen Raum zurückgegangen, etwa Diebstähle. Wir vermuten, dass das an den Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen lag. Mir ist vermehrt aufgefallen, dass die Art der Anfragen sich verändert hat. Betroffene konnten seltener telefonieren, weil die Person, die die Tat begangen hat, wegen des Lockdowns zu Hause war. Da lief dann viel über SMS ab. Auch der Austausch mit den Frauenhäusern war intensiver als sonst.

Gibt es, unabhängig von Corona, Straftaten, mit denen Sie bei Ihrer Arbeit vermehrt in Berührung kommen?

Die ganze Thematik der Internetkriminalität ist ganz klar auf dem Vormarsch. Da geht es um Themen wie Cybermobbing oder Kinderpornografie. Das spiegelt sich auch im Alter der Betroffenen wider, die jünger werden. Andererseits bekommen wir auch immer öfter Anfragen von Eltern, Schulsozialarbeiter:innen und Lehrer:innen, die uns fragen, wie man mit bestimmten Situationen umgehen soll. Das sind oft noch Graubereiche. Es ist nicht klar, ob es sich um eine Straftat handelt, da geht es vor allem um das, was in den Sozialen Medien passiert.

Was wünschen Sie sich von diesen Menschen und allen anderen Menschen in Münster im Hinblick auf Ihre Arbeit?

Wir sind als Weißer Ring tatsächlich in der Stadt recht bekannt. Trotzdem kann es nicht schaden, uns hin und wieder zu erwähnen. Denn es kommt trotzdem vor, dass sich Betroffene melden, die nicht wissen, dass es uns auch in Münster gibt.

Was wünschen Sie sich von der Stadtverwaltung und der Politik in Münster?

Wir sind auch in den Arbeitskreisen der Stadt gut vernetzt. Ich wünsche mir, dass wir uns weiterhin regelmäßig in den Arbeitskreissitzungen austauschen können, und dass die Stadt die Thematik weiterhin öffentlich behandelt. So wie am Tag gegen Gewalt an Frauen im November, an dem die Stadt viel auf die Beine gestellt hat.

So können Sie Opfern von Gewalt helfen

Achten Sie auf eine sensible Ansprache. Manchmal reicht schon ein niedrigschwelliger Kontakt. Sie können zum Beispiel die Kontaktdaten des Weißen Rings in Münster weiterleiten:

Telefon: 0151 55164853
E-Mail: muenster@mail.weisser-ring.de
Website: https://muenster-nrw-westfalen-lippe.weisser-ring.de

Das Handzeichen für Hilfe kann auch in Situationen, in denen nicht gesprochen werden kann, diskret gezeigt werden. Dabei zeigen sie Ihre Hand mit der Handfläche nach vorn und klappen Ihren Daumen ein. Dann schließen Sie Ihre Hand zur Faust. Hier finden Sie eine Darstellung dazu.

Wir haben Anfang 2021 bei RUMS darüber berichtet, dass die häusliche Gewalt auch in Münster in der Pandemie zugenommen hat. Den Beitrag zu diesem Thema finden Sie hier.

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