Post von Leser:innen

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von Fabian Schatz

Übertrifft der Inzidenzwert in einer Kommune drei Tage lang den Wert 100, greift die Bundesnotbremse. Aber auch bei geringeren Werten können Kommunen eingreifen. Der Rechtsanwalt Holger Krehl schreibt uns zu den Corona-Regeln.

Die Kommunen können nach § 16 Abs. 1 u. 2 CoronaSchVO NRW auch über die bis dahin geltenden Regeln sogar bei einer Inzidenz unter 100 weitere Maßnahmen im Einvernehmen mit dem Ministerium für Arbeit und Gesundheit ergreifen. Das wäre aber allenfalls eine kommunale Notbremse, nicht die Bundesnotbremse. Theoretisch möglich, wenn beispielsweise absehbar ist, dass durch ein besonderes Ereignis (illegale Großparty etwa, die sich als Superspreaderevent herausstellt) die Zahlen an nur einem Tag explodieren, und zu erwarten ist, dass bei Nichteingreifen (beispielsweise durch Ausgangssperren am bevorstehenden Wochenende) die Sache völlig außer Kontrolle geriete.

Das hat aber mit dem Geschehen vom vorletzten Freitag nichts zu tun, denn offenbar dachte man nicht über weitere Maßnahmen nach CoronaSchVO nach, sondern darüber, das Infektionschutzgesetz (IfSG) bewusst zu umgehen, indem einfach die Zahlen der Landeszentrale Gesundheit (LZG) “hineingelesen” werden, statt die im IfSG als Grundlage für eine Bundesnotbremse ausdrücklich und ausschließlich genannten Zahlen des Robert-Koch-Institutes (RKI) zu verwenden.

Das ist äußerst interessant, denn die Zahlen der LZG weisen schon länger aufgrund der Art ihrer Erhebung nicht allein in Münster eine höhere Inzidenz aus. Solange also die Bundesregierung die Bundesnotbremse nicht auf den Weg gebracht hatte, hat sich im Land niemand darum geschert, dass eigentlich nach der CoronaSchVO zusätzliche Maßnahmen notwendig sein könnten. § 16 Abs. 2 CoronaSchV reduziert sogar das Ermessen dahingehend, dass bei Inzidenz deutlich über 100 verpflichtend weitere Schutzmaßnahmen geprüft werden müssen. Nein, stattdessen wurde lieber über Modellregionen geredet und wertvolle Zeit verschwendet. Die Intensivmediziner haben schon viele Wochen vorher eindringlich gewarnt. Und ihre Prognosen zur Belegung der Stationen traten ein. Langsam, aber stetig.

Gestatten Sie mir noch ein Wort zu den Ausgangssperren: Die Gesundheitsämter und Ordnungsbehörden wissen sehr wohl, an welchen Stellen die Pandemie ständig weiter befeuert wird. Dass es zuletzt deutlich höhere Zahlen in Kitas und Schulen gibt, ist kein Geheimnis und deckt sich mit der statistischen Erkenntnis des RKI, dass die Zahlen im Prinzip nur noch in den jüngeren Altersgruppen deutlich steigen, während sie in der darüber liegenden leider auf hohem Niveau stagnieren, und erst in den höheren Altersgruppen sinken.

Damit das so bleibt, hat das Land in der neuen CoronaSchVO in § 16 Abs. 2 sogar extra eingefügt, dass selbst wenn Kommunen weitere Maßnahmen nach Landesrecht ergreifen wollen, auf keinen Fall Kitas und Schulen davon betroffen sein dürfen. Gesundheitsminister Laumann grüßt den schlimmen Dortmunder OB Westphal, der es wagte, Schulen schließen zu wollen, weil er diese bereits viel früher als Verbreitungsort und als Gefahr erkannt hatte, und untersagte ihm Schulschließungen nach Landesrecht. Wer versteht schon die Inzidenz 165? Wäre 163,5 nicht vielleicht der korrekte Wert, oder 72,75? Statt die Pandemie an den bekannten Stellen zu bekämpfen, darf sie dort sogar mit staatlicher Ausnahmegenehmigung weiter ihr Unwesen treiben.

Dass Großfamilien und beengte Wohnverhältnisse sowie ausufernde Familienfeiern Probleme darstellen, ist auch kein Geheimnis. Aber dort anzusetzen, mit mehr Kontrollen, gezielter Aufklärung und auf den betroffenen Ortsteil bezogene gezielte Maßnahmen, kommt keinem in den Sinn. Ach ja, das wäre dann ja oft eine Benachteiligung sozial ohnehin Schwächerer. Ja, aber das ist die Realität.

Stattdessen macht es sich der Staat nun ganz einfach: Alle sollen Zuhause bleiben. Das hat mit Verhältnismäßigkeit nichts mehr zu tun: Geringere Mittel, wie die oben genannten gezielten Kontrollen, wären möglich. In der Gesetzesbegründung steht allerdings, dass es keine Alternativen gäbe. Diese Alternativen wären halt deutlich aufwändiger. Und es ist doch so schön einfach zu kontrollieren. Nach 22 Uhr draußen – Generalverdacht, Kontrolle. Ein Tritt in den Allerwertesten all derer, die wie ich diese Pandemie ernst nehmen und sich zum Wohle Aller äußerst zurückhalten.

Nun werden wir alle gleich gemacht, nachdem monatelang schon vor der zweiten Welle nichts Vernünftiges vorbereitet wurde. Kostenlose, unlimitierte Schnelltests bereits im Herbst? Sofortiges Einreiseverbot aus Großbritannien beziehungsweise für deutsche Staatsbürger mit zwingender Quarantäne? Nein, man schaute wiederum weitere Wochen tatenlos zu, mit der Folge, dass die britische Mutante nun in kürzester Zeit allein bestimmt.

Da fällt es schwer, sich dem Diktat der versagenden Politik unterzuordnen. Aber, und das ist es schließlich, die Politik hat uns dort hineingeritten, so lange, dass nun eigentlich gar nichts mehr bleibt, als die selbst verschuldeten und bei beherztem Eingreifen eigentlich nicht notwendigen Maßnahmen irgendwie durchzuboxen. Das hat aus meiner Sicht mit einem nach Augenmaß handelnden Staat nichts mehr zu tun, ist als Prävention getarnte Repression, das Eingeständnis des Versagens. Aber glücklicherweise trägt dafür ja nun der Bund die Verantwortung, die man in den Ländern dafür gerne abgegeben hat. Und dann will man sogar auch noch diejenigen gleich machen, die gar nicht betroffen sein müssten. Anders kann ich die am Freitag erwartete “Entscheidung des Landes” seitens der Stadt Münster leider nicht deuten. Jetzt hat der Bund ja den Schwarzen Peter, jetzt machen wir es endlich richtig!

Was haben all diese Erwägungen mit Verhältnismäßigkeit zu tun? Richtig, nichts.

Am Ende dieser Pandemie werden zwei Fragen bleiben:

1. Wen kann ich noch wählen?, und

2. Werden wir Lehren aus diesem Geschehen ziehen, die das teils stümperhafte Handeln der Verantwortlichen in der Zukunft verhindern?

In einer weiteren Nachricht schreibt Holger Krehl:

Das RKI veröffentlicht nun auch eine Rückwirkende Betrachtung der 7-Tage-Fallzahlen und -Inzidenzen nach Kreisen inklusive nachübermittelter Fälle:

Danach lag Münster vom 14. April bis 28. April immer deutlich über 100. Nun könnte man sagen, dass die Bundesnotbremse gerechtfertigt gewesen wäre. Aber das wäre zu einfach. Die Bundesregierung hat mit der Bezugnahme auf die Zahlen des RKI ganz bewusst die Länder, Städte und Kreise ausgeschlossen. Dass die Zahlen des RKI nicht den genauen Stand wiedergeben und eher niedriger liegen, ist dabei bewusst in Kauf genommen worden, denn es war lange bekannt. Eine Bundesnotbremse braucht eine zentrale Stelle, nicht über 400 Städte und Landkreise.

Man kann sich natürlich noch die Frage stellen, warum das RKI nicht einfach nachgemeldete Zahlen am Folgetag mit einfließen lässt? So weit ich weiß, werden die aktuellen Zahlen immer mittags gemeldet. Durch eine Berücksichtigung am Folgetag hinkte man zwar einen Tag hinterher. Angesichts einer Pandemie wäre das aber eine völlig zu vernachlässigende Verschiebung, da grundsätzlich die hohe Inzidenz sowie der über die Zahlenreihe abzulesende Trend entscheidend sein müsste. Tatsächlich haben die Kommunen also durch eine frühe tägliche Meldung der (noch niedrigen) Fallzahlen die Möglichkeit, die maßgebliche Inzidenz für das IfSG niedrig zu halten. So lange das in einem gewissen Rahmen bleibt, dürfte es toleriert werden. Es dürfte aber nicht unbeobachtet bleiben, wenn eine Kommune kurz vor drohender oder nach Inkrafttreten der Bundesnotbremse plötzlich und unvermittelt ihr bisheriges Meldeverhalten ändern würde. Dahinter stünde Absicht, aber wofür? Um Geschäfte zwei Tage früher oder später öffnen oder schließen zu können/müssen?

Ambivalenz in einer Pandemie ist kein guter Berater. Wir dürfen nicht vergessen, dass nach derzeitigem Stand knapp 2,5 Prozent der Betroffenen sterben. Jeder Verantwortliche sollte längst erkannt haben, dass jegliche Verschleppung nichts als die Inkaufnahme des Todes jedes 40. offiziell Betroffenen bedeutet. Natürlich bin ich erleichtert gewesen, dass die Notbremse in Münster nicht kam. Als freiheitsliebender Mensch, der sich mit unverhältnismäßigen und ungerechten Regeln schwertut. Mit dem Wissen, dass dies unter Umständen für einige Menschen gravierende Konsequenzen haben könnte, fühlt sich dieses kleine Plus an Freiheit aber nicht mehr ganz so gut an. Und nun, da die Zahlen rückläufig sind, wird kritischen Zeitgenossen ohnehin ein scharfer Wind entgegenwehen, da dafür natürlich ausschließlich die Bundesnotbremse verantwortlich zeichnet. Dass bis heute keine verlässlichen Daten existieren, die die Wirksamkeit einzelner Maßnahmen auch nur annähernd belegen könnten, wird dabei gerne übersehen. Wir wissen nicht, und wir werden nicht wissen, ob die Bundesnotbremse tatsächlich den Ausschlag gibt. Die Zahlen stagnierten bereits davor. Der Datenmangel hat Programm. Prof. Gerd Antes, Medizinstatistiker aus Freiburg, hat dies gestern in einem Interview ebenso kritisiert.

Nur ohne konkrete Daten lassen sich umfassende Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen verkaufen, die für den Staat einfach zu kontrollieren, für den Gesundheitsschutz aber nicht wirklich erforderlich sind. Aerosolforscher haben schon im letzten Jahr die äußerst geringe Gefahr einer Ansteckung im Freien hervorgehoben, solange man nicht die Köpfe direkt zusammensteckt. Das gilt nicht nur für nächtliche Aufenthalte im Freien, sondern auch für den Besuch im Straßencafe, und auch im Biergarten, mit Hygienekonzept natürlich. Bis heute wird dies vollständig ignoriert. Forschung wird nur berücksichtigt, wenn sie den Zielen hilfreich sein kann. Daten werden erst gar nicht erhoben. Halbwissen bestimmt das Handeln. Man könnte das noch lange fortführen. Wir wissen bis heute – teils wegen des beliebten deutschen Datenschutz-Arguments – noch nicht einmal, ob Friseur*innen, Verkäufer*innen oder Busfahrer*innen einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind. Aber Hauptsache wir gendern richtig.

Das Schlimmste ist, dass bis zur Bundestagswahl vermutlich alles vergessen ist. Und wir werden in die nächste Pandemie gehen, ohne das bestehende Konzept der Planlosigkeit auch nur im Ansatz wissenschaftlich und ethisch vertretbar verarbeitet zu haben.

Wolfgang Wiemers, Vorstandsmitglied im Umweltforum Münster und VCD Münsterland, bis 2020 Sachkundiger Bürger für die Grünen in Umwelt- und Planungsausschuss, schreibt zur Kolumne von Ruprecht Polenz vom 25. April:

Dass Herr Polenz den chaotischen Vorgang der Findung eines Kanzlerkandidaten, mit ein paar Seitenhieben auf die Konkurrenz, schönzureden versucht – geschenkt. Dass er dann aber noch die aus seiner Sicht “richtigen Zukunftsfragen” auflistet, das ist schon Schleichwerbung vom Feinsten. Es suggeriert doch, dass sich seine Partei darum jetzt besonders kümmern wird.

Wenn ich dann auch noch lese oder höre, dass CDU-Größen von Altmeier bis Benning (1. Mai in den Westfälischen Nachrichten) das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das ihrer Partei eine schallende Ohrfeige versetzt hat, loben und feststellen, dass sie doch schon so viel geleistet hätten, dann platzt mir der Kragen und ich fühle mich in Orwells 1984, wo die Begriffe ihr genaues Gegenteil bedeuten.

Welche Bundesregierung ist denn gerade verurteilt worden, dass sie der jungen Generation die Klimakrise mit eingebrockt hat und ihr Klimaschutzgesetz völlig unzureichend ist? Welche Landesregierung hat gerade Regeln für die Windkraft in den Landtag eingebracht, die nach Ansicht von Experten den weiteren Ausbau der regenerativen Energien ausbremsen? Welche Parteien klagten gegen die Mietpreisbremse in Berlin und verhindern damit sozialen Ausgleich? Welche kämpfte auch in Münster jahrzehntelang gegen eine städtische Gesamtschule und damit gegen mehr Bildungsgerechtigkeit?

RUMS ist ein junges Unternehmen, darum unterstütze ich es, auch weil viele aus der Umwelt- und Nachhaltigkeitsbewegung sich eine Alternative zum faktischen Pressemonopol in Münster wünschen. Ich bin mir auch klar darüber, dass Sie nicht jedes Thema gründlich recherchiert darstellen können. Dann kann und darf es aber auch nicht sein, dass wichtige Themen, wie vor einiger Zeit auch in Jungs Kolumne zu den Stadtwerken, nur aus der notwendig einseitigen und interessengeleiteten Perspektive von Parteipolitikern dargestellt werden. Dieses allgemeine journalistische Prinzip gilt in besonderem Maße vor wichtigen Wahlen. Wenn Herrn Jung und Herrn Polenz an fairem Wahlkampf gelegen wäre, würden sie bis mindestens zu den Bundestagswahlen auf Kolumnen verzichten.

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