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Der stehende Typ steht wieder
Während der Skulptur-Projekte 2017 beschmierten Unbekannte den Eisenman-Brunnen an der Kreuzschanze mit einem Hakenkreuz. Das war der Ausgangspunkt. Nach der Ausstellung sammelten Bürger:innen viel Geld, um das längst abgebaute Kunstwerk wieder nach Münster zu holen. Es war ein Engagement auf zwei Ebenen: eines für kunstbegeisterte Menschen in Münster, aber auch eines gegen Homophobie und Rechtspopulismus. Jetzt ist der Brunnen zurück.
Ende September an der Kreuzschanze: Hinter einem hohen Bauzaun kippen drei Bauarbeiter Fugensand in die Ritzen eines Naturstein-Beckens. Auf ihren schwarzen Pullovern steht in weißer Schrift: „Neue Wege gehen. Mit Kusser“. Neben ihnen liegt eine Bronzefigur namens „Standing Guy“ auf der Erde. Sie gehört zu einem Kunstwerk von Nicole Eisenman, einem Brunnen mit fünf Figuren, der die Gemüter erregte, seitdem er im Jahr 2017 Teil der Skulptur-Projekte war.
Nun, ab Anfang Oktober, wird das Werk wieder in Münster zu sehen sein, nachdem es nach den Skulptur-Projekten abgebaut worden war. Verantwortlich dafür sind vor allem Sandra Silbernagel, Maria Galen, Soetkin Stiegemeier-Oehlen, Manfred Petermann und Uta Ramme, die vom Zaun aus die Bauarbeiten beobachten. Die Mitglieder der Initiative „Dein Brunnen für Münster“ haben sich in den letzten Jahren dafür eingesetzt, dass der Brunnen für rund 630.000 Euro angekauft und gebaut werden konnte, mit viel Engagement aus der Stadtgesellschaft, mit Hilfe von 10.000 Spender:innen und 150 Firmen. Geld zu sammeln war aber nur ein Teil der Arbeit. Die Initiative musste auch die Künstlerin und die Stadt davon überzeugen, dass der Brunnen zurückkehren kann.
Überredungskünste und Spendenaktionen
Das ist umso bemerkenswerter, weil der Brunnen eigentlich nie nach Münster kommen sollte. 2017 überredete Kasper König, Künstlerischer Leiter der Skulptur-Projekte, die US-amerikanische Künstlerin Nicole Eisenman nach anfänglichen Zweifeln doch noch dazu, in einem Land auszustellen, aus dem ihre jüdischen Vorfahren vor 80 Jahren fliehen mussten. Sie willigte ein und beteiligte sich mit „Sketch for a Fountain“ (Entwurf für einen Brunnen) an der Ausstellung.
Dreimal beschmierten und beschädigten im Laufe der Skulptur-Projekte Unbekannte die Skulpturen. Die fünf Figuren ohne Brüste und Penis, die an einem Wasserbecken standen, waren ihnen offenbar ein Dorn im Auge. Am Vorabend der Bundestagswahl 2017 malte jemand der zentralen Bronzefigur „Standing Guy“ ein Hakenkreuz auf den Rücken. Die Schmiererei fanden viele unerträglich, sie wurden später zu einem der Impulse, warum der Brunnen heute wieder in Münster steht.
An der Kreuzschanze beobachtet Soetkin Stiegemeier-Oehlen von der Bürgerinitiative, wie rund fünf Meter über ihr eine weiße Aluminiumfigur an Stahlseilen durch die Luft schwebt. Zentimetergenau platziert der Kranführer sie auf einer Holzpalette neben dem Naturstein-Becken. Am Zaun zücken die Zuschauer:innen die Handys und Kameras, mittlerweile sind es mehr als 40. Ein junger Mann klatscht und jubelt, als wäre er auf einem Rockkonzert.
Die meisten hier kennen sich. Stiegemeier-Oehlen und die Bürgerinitiative haben es geschafft, einen großen Kreis an Unterstützer:innen um sich zu versammeln. Seit Februar 2018 luden sie einmal im Monat zum Brunnentreffen in die Trafo-Station am Buddenturm ein. Auf Straßenfesten, bei Kunstausstellungen, bei der „Langen Nacht der Museen“ warben sie für den Brunnen und sammelten Spenden. Die Pinkus-Brauerei, die Bäckerei Cibaria, das Alte Gasthaus Leve und die Fischbrathalle unterstützten sie mit Brunnenbier, Brunnenbrötchen und Brunnenpesto. Durch die privaten Spenden kamen rund 280.000 Euro zusammen.
Zu den Brunnentreffen wurden auch die Kritiker in die Trafo-Station eingeladen. „Kunst muss nicht schön sein, aber doch ansprechenden Gefälligkeitskriterien entsprechen“, schrieb ein Leser den Westfälischen Nachrichten, ein anderer, dass die Mehrheit der Münsteraner:innen den Brunnen nicht wolle: „Münster hat schon eine hohe Anzahl qualitätsvoller Außenskulpturen. Ein Defizit an Kunst im öffentlichen Raum vermag ich nicht zu erkennen.“
Diskussionen von Beginn an
Die ausgestellten Skulpturen haben in Münster seit Gründung der Skulptur-Projekte im Jahr 1977 häufig für Ärger gesorgt. Der Kurator Kasper König und das Gründerteam entschieden sich damals bewusst dafür, auf eher konventionelle Kunstwerke zu verzichten. Sie wollten von Beginn an Avantgarde-Künstler:innen einladen, deren Darstellungen zum Nachdenken anregen, aber eben auch aufregen. 1987 stellte die Künstlerin Katharina Fritsch eine gelbe Gottesmutterfigur zwischen Dominikanerkirche und Karstadt auf, um auf die Kommerzialisierung religiöser Symbole hinzuweisen. Einige Bürger:innen baten daraufhin die Kirchenleitung, „das Gebilde“ zu entfernen. Dreimal wurde die Figur zerstört und wieder repariert.
Das Konzept setzte sich jedoch durch: Allein 2017 kamen 650.000 Besucher aus 72 Nationen zu der Kunstausstellung. Alle zehn Jahre wird Münster so zu einem internationalen Begegnungsort moderner Kunst. Das bringt neben Geld und Renommee auch viel mediale Aufmerksamkeit.
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Als 2017 der Eisenman-Brunnen aufgestellt wurde, war er eine Attraktion. Er fiel auf. Drei Monate lang regte er die Münsteraner:innen zu Diskussionen an, viele verweilten und bewunderten die Figuren. Der Ort des Eisenman-Brunnens hat Geschichte: Auf dem sogenannten „Liebeshügel“ hinter dem Brunnen trafen sich schon in den 1960ern und 70ern heimlich schwule Paare. Direkt daneben steht eine Büste von Annette von Droste-Hülshoff, die schon im 19. Jahrhundert als Feministin galt.
Nicole Eisenman verzichtet aufs Honorar
Die Künstlerin Nicole Eisenman lebt in New York. Sie ist international bekannt für ihre Malereien und Zeichnungen, die ein neues Bild von Körper und Sexualität zeigen und Rollenklischees brechen. Erst seit 2012 fertigt sie auch Skulpturen an. Ihr Interesse wurde geweckt, weil sie anfassbarer und sinnlich greifbarer sind. Mit der Initiative „Dein Brunnen für Münster“ steht sie seit 2017 in engem Kontakt. Sandra Silbernagel besuchte sie in ihrem Atelier in New York. 600.000 Euro betrug das Honorar für ihren Brunnen – eigentlich. Denn Mitte 2018 erklärte sich Eisenman bereit, auf ihr Honorar zu verzichten. Sie war schockiert über den Einzug der AfD in den Bundestag. Einem US-Kunstmagazin sagte sie: „Das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg sitzen wieder Nazis im deutschen Reichstag.“
Nicole Eisenman ging sogar noch weiter. Im Jahr 2019 schickte sie der Initiative als Unterstützung eine Serie von 70 Radierungen mit dem Titel „The Münsterians“, die diese innerhalb weniger Tage allesamt verkaufte. In den folgenden Jahren kamen für die Finanzierung des Brunnens 295.000 Euro hinzu, die die Stadt Münster und das Land NRW, das Bistum, die Volksbank, die Sparkassenstiftung und die Stiftung Westfälische Landschaft beisteuerten.
Am 24. Juni 2020 stimmte der Rat der Stadt Münster schließlich einer dauerhaften Rückkehr des Brunnens zu. In der Beschlussvorlage hieß es: „Der Rat begrüßt das starke Engagement des Vereins.“ Der Brunnen sollte zunächst mit einer Festlaufzeit von zehn Jahren aufgestellt werden. Für den Aufbau und den Unterhalt ist die Bürgerinitiative zuständig. Soetkin Stiegemeier-Oehlen rechnet mit 15.000 Euro, die nun jährlich für den Unterhalt zusammenkommen müssen. Die Initiative plant Lesungen und Rundgänge an der Kreuzschanze, unter anderem gemeinsam mit der Annette von Droste zu Hülshoff-Stiftung
An der Kreuzschanze bohren die Bauarbeiter Metallstifte in die Bronzefiguren und befestigen sie am Naturstein-Becken. Der Brunnen soll später begehbar und anfassbar sein. Sein Becken wird nur acht Zentimeter tief, das ist die gesetzliche Vorgabe, um ihn auch Kindern zugänglich zu machen. Aus den beiden Bronzefiguren – den Originalen von 2017 – wird Wasser rinnen, aus einer Dose, aus der Schulter, aus dem Bein. Die drei Aluminiumfiguren sind weiß patiniert und angeschliffen, sie sollen sich mit der Witterung verändern.
Soetkin Stiegemeier-Oehlen setzt ihren Helm ab, sie schaut durch den Zaun. Aber der steht nicht mehr lange, sagt sie: „Bis zur Eröffnung wird der Brunnen bewacht. Danach gehört er den Bürgerinnen und Bürgern.“ Jeder soll daran teilhaben, sich damit beschäftigen. Bei der Eröffnung will die Initiative darauf anstoßen, mit dem Projekt Menschen zusammengebracht zu haben. Die alten Damen, die sich für Kunst begeistern, die Studierenden mit Fahrrad, die an der Promenade stehen und schauen. Und den Mann mit Zigarillo, der am Zaun lehnt und pafft.
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