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Zwei Personen in einem Flur

„Wenn unser Telefon klingelt, ist es schon ein Erfolg“

Münster hat seit Kurzem eine Nachbürgermeisterin und einen Nachtbürgermeister. Wir haben mit den beiden über das Nachtleben, Konflikte und K.o.-Tropfen gesprochen – und über das, was in der Stadt fehlt.

von Florian Bayer • Lektorat: Antonia Strotmann • Fotos: Kim Oppermann

Interview mit Lisa Maria Tubies und Manuel Rojano Marin

„Wenn unser Telefon klingelt, ist es schon ein Erfolg“

Münster hat seit Kurzem eine Nachtbürgermeisterin und einen Nachtbürgermeister. Wir haben mit den beiden über das Nachtleben, Konflikte und K.o.-Tropfen gesprochen – und über das, was in der Stadt fehlt.

Im Nachtleben duzt man sich, deswegen haben wir das auch gleich gemacht. Lisa und Manuel, ihr seid jetzt seit Oktober im Amt. Warum hat die Stadt euch eingestellt?

Lisa Maria Tubies: Mannheim war die erste deutsche Stadt mit einem Nachtbürgermeister, 2018 war das. Danach sind immer mehr Städte nachgezogen, weil sie begriffen haben, dass das eine gute Idee ist. Es ist gut, wenn es noch keine so krassen Konfliktfelder gibt, wo jemand den Karren wieder aus dem Dreck fahren muss.

Manuel Rojano Marin: Wir sehen uns als Wegbereiter und Helfer von Leuten, die nachts einfach was organisieren wollen – oder die sich schützen wollen. Wir hatten eben erst einen Schlichtungsfall mit einem Lokal, wo es Lärmbeschwerden gab. Wir bringen erstmal alle an einen Tisch und versuchen dann zu vermitteln oder mit unserem Wissen weiterzuhelfen.

Spielte auch die Pandemie eine Rolle?

Marin: Wir wurden auch zu Corona befragt im Bewerbungsgespräch, und da sagten wir: Unsere Gastronomen kriegen das schon von alleine hin. Man muss ja nur aus dem Fenster gucken: Die Lokale sind voll, die Leute gehen raus und haben Spaß.

Feiern die Menschen anders seit Corona?

Tubies: Wir merken, dass die Gäste im vollen Ausmaß wieder kommen. Bei manchen ist die Euphorie besonders groß und die Leute haben einfach das Bedürfnis, sehr viel rauszulassen, was sich angestaut hat, was ja auch irgendwie verständlich ist. Aber natürlich gibt es dann Unmut bei den Anwohnern, die sich denken: So schlimm war es noch nie.

Und dann gibt es auch den anderen Fall, dass sich manche mehr Ausgehmöglichkeiten wünschen.

Marin: Ja, manche sagen uns: Ist halt schon traurig, dass man in Münster fast nirgendwo an einem Samstagabend im Sommer länger draußen sein Bier trinken kann. Die Wünsche sind da,  und da werden wir uns auch definitiv mit beschäftigen.

Habt ihr dabei einen gewissen Handlungsspielraum? Von Veranstaltungsanmeldungen bis hin zu Fluchtwegen gibt es ja Vorschriften für fast alles.

Marin: Es gibt sicher einen Handlungsspielraum, den wir uns aber noch erarbeiten müssen. Innerhalb der Stadtverwaltung sind viele Dinge möglich, das wissen wir von Kollegen in anderen Städten.

Tubies: Natürlich gibt es Sicherheitskonzepte mit festen Vorgaben, da sind auch uns die Hände gebunden. Für manche Fragen kann man aber auch etwas aushandeln, da kommen dann wir ins Spiel. Wir haben zu offiziellen Stellen den kürzeren Draht und können Zwischeninstanz sein.

Ihr sitzt ja zwischen allen Stühlen, bekommt wahrscheinlich von allen Seiten Kritik ab. Sieht man euch als Verbündete?

Marin: Es gab zumindest keinen erkennbaren Bruch. Wir haben die Wahrnehmung, dass uns alle soweit sehr positiv gesonnen sind. Wir wissen allerdings, dass anderswo Gastronomen ihre eigene Ansprechperson bezahlen, damit die neutral ist und eben nicht bei der Stadt sitzt.

Tubies: Manchmal ist es sicher eine Herausforderung. Wenn einer schlafen will und der andere laut feiern, dann gibt es manchmal keinen Mittelweg, mit dem beide zufrieden sind. Das kann man halbgar nennen, aber so funktioniert das eben. Wir sind aber beide sehr optimistisch, noch.

Marin: … mal gucken, wie es in einem Jahr dann aussieht (beide lachen).

Wie schauen der Oberbürgermeister und Stadtrat auf euch? Münster gilt ja als eher konservativ.

Tubies: Der Vorschlag für unser Amt kam von der Ratskoalition, also SPD, Grünen und Volt. Unterstützung haben wir aber von allen Parteien. Wir haben auch den Oberbürgermeister schon kennengelernt, er ist uns sehr freundlich gesonnen. Generell erfahren wir viel Wohlwollen von allen Seiten.

Warum seid ihr eigentlich zu zweit?

Marin: Ausgeschrieben war es als eine 40-Stunden-Stelle – allerdings mit dem Zusatz, dass die Arbeit auch als Tandem möglich wäre. Und da habe ich mir dann gedacht, das wäre was für uns. Am Ende haben wir uns gegen 13 Mitbewerber durchgesetzt.

Tubies: Nicht zuletzt hat der Osnabrücker Nachtbürgermeister explizit zu Tandems geraten. Bei euch in RUMS war das! Es ist eigentlich eine Win-Win-Situation: Man hat zwei unterschiedliche Charaktere, unterschiedliche Kompetenzfelder. Wenn der eine mal krank ist, kann der andere einspringen. Und das Brainstorming gemeinsam ist echt viel wert.

Marin: Es ist auch praktisch, wenn man andere Rollen einnehmen kann. Wenn der eine mehr Verständnis zeigt, der andere die Gesetzesseite einnehmen kann.

War euer Alter je Thema? Ihr seid ja beide erst Mitte 20.

Marin: Wir waren schon nervös, als wir alle Entscheidungsträger zum ersten Mal kennenlernten Sie haben uns aber von Anfang an ihr Vertrauen geschenkt. Wir haben vielleicht nicht so viel Erfahrung wie Ältere, aber dafür bringen wir die studentische Seite mit ein.

Hat sich schon rumgesprochen, dass es euer Amt gibt?

Tubies: Also wer es jetzt nicht zufällig in der Zeitung gelesen hat, der weiß es wahrscheinlich nicht. Wir wollen unbedingt noch mehr für uns werben. Nur wenn uns die Leute kennen, können sie auf uns zugehen. Aktuell bauen wir etwa noch unsere Social Media-Kanäle aus. Wir wollen auch Präsenz bei Festen oder Veranstaltungen zeigen.

Marin: Wir sind ja auch noch weiterhin Teil des Nachtlebens, legen weiterhin auf, haben unser Netzwerk. Auch so können wir hineinhorchen in die Probleme, die es gibt.

Welche Probleme sind das, abseits von Müll und Lärm?

Marin: Wir hatten im Sommer mehrere Fälle von K.-o.-Tropfen in der Stadt. Das wird ein Thema für uns. Ein weiteres ist die Verkehrssicherheit in der Nacht. Wir sind eine Fahrradstadt, haben auch Tausende E-Scooter. Und wir haben viele Studenten, die gerne mal trinken. Dies führt natürlich zu alkoholisierten Fahrten. Die Suche nach Alternativen wird uns beschäftigen.

Was charakterisiert eigentlich das Nachtleben in Münster?

Tubies: Wir haben eine gute Mischung aus alteingesessenen Kneipen und dem Cornern, wo man vor dem Kiosk steht. Es ist eigentlich für jeden etwas dabei.

Marin: Vieles passiert direkt nebeneinander. Der Hansaring ist eher alternativ. Und einen Häuserblock weiter, am Hafen, ein ganz anderes Bild: Die eher teuren Lokale mit guten Cocktails, Hafenblick und Burger. Auch der Techno ist groß in Münster: Am Wochenende kann man die besten Acts Europas sehen, was an der Stadtgröße bemessen schon besonders ist.

Was fehlt euch?

Tubies: Indie war unterrepräsentiert, aber ist im Kommen. Um Deutschrap und Hip-Hop kümmere ich mich (lacht). Was fehlt ist eine Metalparty für junge Leute. Ich bin auf Stimmenfang gegangen und mir haben viele Leute gesagt: Ja, ich würde sofort kommen.

Marin: Münster hat auch eine große Lücke im Bereich zwischen 35 und 50 Jahren. Da haben wir auch Stimmen gehört: Wo sollen wir feiern gehen? Es gibt die Rote Lola, das ist schon ein Anfang. Aber die Mehrheit sind auch eher in ihren Zwanzigern dort.

Ihr seid ja erst mal auf zwei Jahre befristet: Gibt es irgendein Ziel oder etwas, das ihr bis dahin erreichen wollt?

Marin: Wenn unser Telefon klingelt, wenn wir Mails reinkriegen von Bewohnern, dann ist es schon ein Erfolg. Weil die Leute dann verstanden haben: Hey, ihr könnt uns anschreiben, wir sind für euch da.

Tubies: Genau, und das würde ja auch zeigen, dass es diese Stelle braucht. Wenn man sieht, es haben wirklich Menschen Interesse daran und sie vertrauen uns, dass wir sie unterstützen.

Euer Vertrag läuft über zwei Jahre. Lässt sich schon sagen, ob die Stadt im Anschluss verlängern will?

Marin: Ich glaube, das hängt von zu vielen Faktoren ab, die wir nicht beeinflussen oder einsehen können. Würde aber schon sagen: Wenn wir einen guten Job machen und die Stadt das auch so sieht, hoffen wir, dass das fortgesetzt wird. Wir hoffen auf jeden Fall, dass wir zeigen können, dass die Stelle Sinn macht und sie mit oder ohne uns danach noch weitergeht.

Es gibt ja wohl auch keinen Masterplan, wie sich jetzt alle Konflikte im Nachtleben lösen lassen.

Tubies: Ja genau, es wird nie so sein, dass wir sagen: Jetzt sind wir fertig. Diese Möglichkeit zu haben, selber aktiv mitzugestalten und zu gucken wie und in welche Richtung geht es weiter? Was können wir bewegen? Für die Leute hier da zu sein: Das macht echt Spaß.

Marin: Es ist wirklich sehr aufregend. Ich glaube, da werden wir noch viel Freude daran haben.

Haben Sie ein Anliegen? Nehmen Sie Kontakt zu den Nachtbürgermeistern auf:

Mail: nacht@stadt-muenster.de
Instagram: @nachtmuenster

Lisa Maria Tubies (28) kommt aus Vlotho und ist seit 2013 in Münster. Sie hat unter anderem Deutsch und Französisch auf Lehramt studiert und neben dem Unterrichten auch Erfahrung im Gastronomie- und Kulturbereich gesammelt. Als DJ bringt sie mehrere Münsteraner Clubs zum Tanzen.

Manuel Rojano Marin (27) stammt aus Dortmund und lebt seit 2014 in Münster. Er hat Grundschullehramt studiert und Orientierungswochen sowie Partys in mehreren Münsteraner Clubs organisiert. Aktuell macht er eine Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann auf der MS Günther.

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