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Müns­ter, 21. Sep­tem­ber 2021

Guten Tag,

mit­ten auf der Wol­be­cker Stra­ße befin­det sich seit dem Wochen­en­de eine mit gel­ben Lini­en umran­de­te Ver­kehrs­in­sel. Vor der Bar Levin ein paar Meter wei­ter ste­hen Sitz­ge­le­gen­hei­ten aus Holz­pa­let­ten und Pal­men in den Park­buch­ten am Stra­ßen­rand, unter der Eisen­bahn­brü­cke hän­gen auf bei­den Stra­ßen­sei­ten Pla­ka­te an der Mau­er, auf der einen Sei­te säu­men Zah­len den Weg, auf der ande­ren Fra­gen. Und was an sol­chen Orten nor­ma­ler­wei­se mög­lichst nicht pas­sie­ren soll­te, aber dann doch immer pas­siert, ist hier gewollt und sogar erwünscht: Die Leu­te sol­len die Pla­ka­te voll­krit­zeln, mit Ver­bin­dungs­li­ni­en, Ideen und Ant­wor­ten, zum Bei­spiel auf die Fra­ge: „Wie fin­dest du das Real­la­bor?“ Real­la­bor, das wis­sen Sie viel­leicht schon, ist der Name des Expe­ri­ments, das die Stadt hier bis zum Wochen­en­de wagt, und von dem sie sich Erkennt­nis­se dar­über erhofft, wie eine Stra­ße in der Innen­stadt in Zukunft aus­se­hen könn­te. Die bei­den Ant­wor­ten, die auf dem Pla­kat an zwei­ter und drit­ter Stel­le ste­hen, geben einen Ein­druck davon, wie groß das Spek­trum der Mei­nun­gen zu die­sem Expe­ri­ment ist. An zwei­ter Stel­le steht: „Mega Idee!“ An drit­ter: „Beklopp­te Idee!“

Das gro­ße Spek­trum zeigt sich auch in den Reak­tio­nen der Par­tei­en auf die Ver­kehrs­ver­su­che gene­rell. Die Grü­nen sehen „gro­ße Zustim­mung“, so steht es in einer Pres­se­mit­tei­lung. Und damit mei­nen sie das Ergeb­nis einer Umfra­ge an ihrem Stand beim Par­king Day auf der Waren­dor­fer Stra­ße am Frei­tag. Dort soll­ten die Men­schen mit­hil­fe von roten, gel­ben oder grü­nen Kle­be­punk­ten bewer­ten, was sie von den Ver­kehrs­ver­su­chen hal­ten. Das hät­te die gel­be FDP vor eine schwe­re Ent­schei­dung gestellt. Sie hät­ten womög­lich die roten Punk­te wäh­len müs­sen, denn in ihrer Pres­se­mit­tei­lung steht unter ande­rem: „Die Zwi­schen­bi­lanz (…) ist eher durch­wach­sen.“ Das liegt in die­sem Fall unter ande­rem dar­an, dass die Par­tei es für unver­hält­nis­mä­ßig hält, zwei Bus­li­ni­en an der Hörs­t­erstra­ße umzu­lei­ten. Dazu fah­ren die Autos auf den letz­ten Metern doch über die eigent­lich auto­freie Hörs­t­erstra­ße, weil die Abzwei­gung zur Stifts­her­ren­stra­ße wei­ter offen ist. Auch das kri­ti­siert die Par­tei. Außer­dem müs­se man auch an die Men­schen den­ken, die zur Arbeit pen­deln und für die das Fahr­rad kei­ne Alter­na­ti­ve sei. Und das ist noch nicht alles. Die FDP hat Zwei­fel dar­an, ob sich die Pro­me­na­den­vor­fahrt auf der Kanal­stra­ße auf die übri­gen Pro­me­na­den­kreu­zun­gen über­tra­gen lässt. Dort habe man gro­ßen Auf­wand betrie­ben, um alles abzu­si­chern, und dann sei doch ein Unfall passiert.

Zeigen, wie es sein könnte

Es ist alles nicht ganz ein­deu­tig. Der Unfall an der Kanal­stra­ße etwa pas­sier­te, weil eine Auto­fah­re­rin nicht auf­pass­te. Lag das wirk­lich an dem Ver­kehrs­ver­such? Oder war die Frau ein­fach unauf­merk­sam? Hät­te sich der Zusam­men­stoß durch bes­se­re Mar­kie­run­gen ver­hin­dern las­sen? Geht es hier ledig­lich um ein Pro­blem in einer Über­gangs­pha­se? Oder darf man die Ver­kehrs­re­geln an so mar­kan­ten Stel­len gene­rell nicht ver­än­dern, weil die Men­schen sich an sie gewöhnt haben? Und wie könn­te eine Lösung aus­se­hen, die nicht lau­tet: Wir machen alles wie­der so wie bisher? 

An der Wol­be­cker Stra­ße sol­len Fra­gen in die­ser Woche nicht per Pres­se­mit­tei­lung, son­dern gleich vor Ort dis­ku­tiert wer­den – mög­lichst bevor etwas pas­siert. Neu ist, dass die Fach­leu­te der Stadt die Men­schen hier nicht nur betei­li­gen, indem sie bei einer zwei­stün­di­gen Ver­samm­lung am Abend Fra­gen zulas­sen und anschlie­ßend wie­der im Stadt­haus ver­schwin­den. Sie suchen Gesprä­che, den Aus­tausch. Bis Frei­tag ste­hen sie täg­lich zwi­schen 12 und 14 Uhr auf dem Stand neben dem Rewe-Super­markt, um zu erklä­ren und zuzu­hö­ren. Und sie zei­gen hier eine Woche lang, wie es sein könnte.

Am Mon­tag­nach­mit­tag krie­chen die Autos im Schritt­tem­po vor­bei an dem Park­platz. Auf der Stra­ße kle­ben Mar­kie­run­gen, die sich nicht auf den ers­ten Blick erschlie­ßen. Es ist ruhi­ger, lei­ser, lang­sa­mer, es könn­te fast ein Sonn­tag sein. Aber fin­den das auch wirk­lich alle besser?

In die­ser Fra­ge gehen die Mei­nun­gen weit aus­ein­an­der. Auf der Face­book­sei­te der West­fä­li­schen Nach­rich­ten schreibt jemand unter einem Bei­trag zum The­ma: „Als Anwoh­ner lade ich alle ein, sich die Wol­be­cker Stra­ße ein­mal anzu­se­hen. Das Maß an Cha­os ist nicht mehr zu überbieten.“

Neue Ideen und alte Ängste

Fragt man den Archi­tek­ten Jan Kamp­s­hoff, der mit sei­nem Büro an dem Pro­jekt Real­la­bor mit­ar­bei­tet und der hier am Sonn­tag auf dem Park­platz eine Dis­kus­si­on mode­riert hat, dann klingt das natür­lich etwas anders. „Die meis­ten sind schon begeis­tert“, sagt er. Aber auch ihm sei auf­ge­fal­len, dass die­ser Ver­such bei den Men­schen ganz unter­schied­li­che Impul­se aus­löst. Am Sonn­tag saß in der Run­de ein Mann, der bei einem Hand­werks­be­trieb an der Wol­be­cker Stra­ße arbei­tet, er mach­te sich Sor­gen um Park­plät­ze. Ande­re machen sich Gedan­ken über den Pen­del­ver­kehr, über logis­ti­sche Fra­gen, neue Mög­lich­kei­ten, gefähr­li­che Stel­len, Ver­bes­se­rungs­vor­schlä­ge, die Unfall­ge­fahr oder dar­über, was die Ver­än­de­run­gen für alte Men­schen bedeu­ten. Das Spek­trum ist auch hier so groß wie auf dem Pla­kat unter der Brücke.

Und wahr­schein­lich ist das etwas, das in die­ser Woche eben­so wich­tig wird wie die Begeis­te­rung und die neu­en Ideen: die Wider­stän­de, die Ängs­te, die Pro­ble­me. Man wird Fra­gen stel­len, und viel­leicht kann man auch manch­mal Ant­wor­ten geben. Jan Kamp­s­hoff erzählt, wie sie am Sonn­tag­nach­mit­tag über die älte­ren Men­schen spra­chen, für die sich vie­les ver­än­dert und die man mit hip­pen Foren auch nur sehr schwer erreicht. In der Run­de habe jemand von einem Ver­ein aus dem Vier­tel geses­sen, der sich mit der Situa­ti­on die­ser Men­schen schon beschäf­tigt hat­te. Oft mache man sich Gedan­ken dar­über, was das für die­se Men­schen bedeu­te, wenn sie ihr Auto nicht mehr direkt vor dem Haus par­ken kön­nen. Eine über­ra­schen­de Erkennt­nis sei gewe­sen: Vie­le von ihnen haben gar kei­ne Auto. 

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Wie Bayern Münster bei der Wahl helfen könnten 

Am Mon­tag­mor­gen ging ein Wort durch die Nach­rich­ten, das man in den ver­gan­ge­nen Jah­ren öfter gehört hat, das dann aber immer wie­der schnell ver­schwand. Es lau­tet: Wahl­rechts­re­form. Der Bun­des­tag könn­te bei der Wahl am Sonn­tag so groß wer­den wie noch nie, und das hät­te unter Umstän­den auch Fol­gen für Münster.

Aktu­ell sit­zen 709 Abge­ord­ne­te im Par­la­ment. Im äußers­ten Fall wären es nach der Wahl knapp tau­send, obwohl eigent­lich nur 598 Sit­ze vor­ge­se­hen sind. Der Wahl­rechts­exper­te Robert Vehr­kamp von der Ber­tels­mann-Stif­tung hat einen Simu­la­tor ent­wi­ckelt, der die Zahl der Sit­ze in unter­schied­li­chen Sze­na­ri­en berech­net. Nach den Ergeb­nis­sen der Umfra­gen von ges­tern hät­te das Par­la­ment im Maxi­mal­fall eine Grö­ße von 906 Sitzen.

Mög­lich wäre das, weil das deut­sche Wahl­recht Prin­zi­pi­en ver­ei­nigt, die sich nur schwer mit­ein­an­der ver­bin­den las­sen: das Mehr­heits­wahl­recht und das Ver­hält­nis­wahl­recht. Aus die­sem Grund gibt es bei der Bun­des­tags­wahl eine Erst­stim­me und eine Zweit­stim­me. Und jetzt machen wir einen klei­nen Exkurs ins Wahl­recht. Aber kei­ne Sor­ge, so schlimm wird es nicht.

Es ist näm­lich so: Nach dem Mehr­heits­wahl­recht gewinnt die Per­son eine Wahl, die am meis­ten Stim­men auf sich ver­eint. Nach dem Ver­hält­nis­wahl­recht ent­schei­det der Anteil der Stim­men dar­über, wie vie­le Sit­ze eine Par­tei im Par­la­ment bekommt.

Hät­ten wir nur die Erst­stim­me, also wür­den wir nur nach dem Mehr­heits­wahl­recht eine Per­son wäh­len, könn­te es pas­sie­ren, dass eine Par­tei in Deutsch­land 49 Pro­zent aller Stim­men bekommt, aber kei­nen ein­zi­gen Sitz im Par­la­ment. Denn in jedem ein­zel­nen Wahl­kreis gilt das Prin­zip: The win­ner takes it all.

Hät­ten wir dage­gen nur die Zweit­stim­me, also wür­den wir nur Par­tei­en wäh­len, könn­te es pas­sie­ren, dass gan­ze Regio­nen im Par­la­ment nicht ver­tre­ten wären, ande­re dage­gen mit über­pro­por­tio­nal vie­len Abge­ord­ne­ten. Die räum­li­che Ver­tei­lung der Man­da­te lässt sich auf die­se Wei­se schlecht steuern. 

Die Erst­stim­me stellt also sicher, dass für jede Regi­on min­des­tens eine Per­son im Par­la­ment sitzt. Die Zweit­stim­me garan­tiert, dass die Stim­men für die unter­le­ge­nen Par­tei­en nicht unter den Tisch fallen.

Ein großes Parlament muss nicht schlecht sein

Die Hälf­te der 598 Sit­ze im Bun­des­tag wer­den nach dem Mehr­heits­wahl­recht (Erst­stim­me) ver­ge­ben, die ande­re Hälf­te nach dem Ver­hält­nis­wahl­recht (Zweit­stim­me). Aber auch so kann es immer noch pas­sie­ren, dass eine Par­tei so gut wie alle Wahl­krei­se abräumt und die übri­gen Par­tei­en gar nicht zum Zuge kom­men. Wie löst man das? Man sorgt für einen Ausgleich.

Ein Extrem­bei­spiel: Eine Par­tei gewinnt alle 299 Wahl­krei­se mit der Erst­stim­me, bekommt aber nur 20 Pro­zent der Zweit­stim­men. Dann ist die Zweit­stim­me maß­geb­lich. „Eine Par­tei, die ein Fünf­tel der Zweit­stim­men bekommt, wird am Ende auch nur ein Fünf­tel der Sit­ze haben“, sagt Nor­bert Kers­t­ing, Pro­fes­sor für Poli­tik­wis­sen­schaft an der Uni Müns­ter. Alle Man­da­te, die die­se Par­tei über ihr pro­zen­tua­les Ergeb­nis hin­aus gewinnt, nennt man Über­hang­man­da­te. Für die­se Sit­ze bekom­men die übri­gen Par­tei­en einen Aus­gleich, damit die Zweit­stim­men-Ergeb­nis­se im rich­ti­gen Ver­hält­nis blei­ben. Und wenn alle Par­tei­en mehr Sit­ze bekom­men als vor­ge­se­hen, wird das Par­la­ment größer.

Nor­bert Kers­t­ing hält das zunächst für unpro­ble­ma­tisch. „So reprä­sen­tie­ren ein­zel­ne Abge­ord­ne­te eine klei­ne­re Bevöl­ke­rungs­grup­pe, und es kön­nen aus einem Wahl­kreis eher meh­re­re Per­so­nen ins Par­la­ment kom­men“, sagt er. Damit wären die Regio­nen bes­ser ver­tre­ten. Aber ein gro­ßes Par­la­ment ist auch schwer zu orga­ni­sie­ren und teu­er.“ Außer­dem wird es in Ber­lin lang­sam eng. Es bräuch­te neue Büros, auch die Kapa­zi­tä­ten im Ple­nar­saal und den Sit­zungs­räu­men sind begrenzt. Und nun noch ein klei­ner Schlen­ker, dann sind wir gleich in Münster.

Union verhindert Wahlrechtsreform

Der Schlen­ker führt über Bay­ern. Die CSU hat dort bei der letz­ten Bun­des­tags­wahl im Jahr 2017 alle 46 Wahl­krei­se gewon­nen. Das ist zum einen kom­for­ta­bel, weil die Par­tei auf die­se Wei­se sehr vie­le Abge­ord­ne­te nach Ber­lin schi­cken kann. Außer­dem bekom­men die übri­gen Par­tei­en für die ers­ten drei Über­hang­man­da­te kei­nen Aus­gleich. Die­se Vor­tei­le möch­te die CSU unter kei­nen Umstän­den ver­lie­ren. Der Wider­stand aus Bay­ern ist einer der ent­schei­den­den Grün­de dafür, dass es seit Jah­ren nicht zu einer kon­se­quen­ten Wahl­rechts­re­form kommt, die nötig wäre, um das Par­la­ment zu verkleinern.

Für Müns­ter könn­te die­se Situa­ti­on von Vor­teil sein, denn der Aus­gleich fin­det nicht nur zwi­schen den Par­tei­en statt, son­dern auch zwi­schen den Bun­des­län­dern. Der Anteil der Sit­ze eines Lan­des im Bun­des­tag ent­spricht dem Anteil sei­ner Bevöl­ke­rung. Und wenn Bay­ern durch Aus­gleichs­man­da­te mehr Gewicht im Bun­des­tag bekommt, dann bekommt auch Nord­rhein-West­fa­len mehr.

Die­se Regel könn­te Ste­fan Nacke, den CDU-Kan­di­da­ten für Müns­ter, am Ende in den Bun­des­tag hie­ven, falls er den Wahl­kreis ver­lie­ren soll­te. Und das ist durch­aus mög­lich. Die West­fä­li­schen Nach­rich­ten haben am Sams­tag das Ergeb­nis des Müns­ter-Baro­me­ters ver­öf­fent­licht, einer reprä­sen­ta­ti­ven Umfra­ge der Zei­tung in Zusam­men­ar­beit mit dem Insti­tut für Sozio­lo­gie der Uni Müns­ter. Danach ergibt sich eine Situa­ti­on, die sehr viel span­nen­der nicht sein könn­te: Sven­ja Schul­ze (SPD), Maria Klein-Schmeink (Grü­ne) und Ste­fan Nacke haben dem Ergeb­nis nach in etwa die glei­che Chan­ce, am Sonn­tag zu gewin­nen. In der Umfra­ge errei­chen sie alle genau 30 Prozent.

Für Nacke kann es knapp werden

Sven­ja Schul­ze und Maria Klein-Schmeink müss­ten sich auch im Fal­le einer Nie­der­la­ge kei­ne Sor­gen um ihr Man­dat machen. Schul­ze steht auf Platz 2 der Lan­des­lis­te ihrer Par­tei, Klein-Schmeink auf Platz 7. Ste­fan Nacke dage­gen könn­te unter nor­ma­len Umstän­den nicht auf die Lis­te hof­fen. Er hat nur Platz 18 bekom­men. Und nach einer Pro­gno­se aus dem August könn­te es pas­sie­ren, dass nicht ein­mal Armin Laschet auf Platz 1 der CDU-Lan­des­lis­te ins Par­la­ment ein­zieht. Ande­rer­seits: Wür­de der Bun­des­tag auf 900 Sit­ze wach­sen, stün­den Nord­rhein-West­fa­len davon etwa 180 zu. Wenn die CDU es in NRW auf den letz­ten Metern doch noch auf 30 Pro­zent schafft, wären das 54 Sit­ze. Und dann hängt alles noch davon ab, wie vie­le Direkt­man­da­te die CDU holt – im Land und auch im Bund, es ist alles sehr kom­pli­ziert. Beim letz­ten Mal gewann die CDU in Nord­rhein-West­fa­len 38 von 64 Wahl­krei­sen, dies­mal müss­ten es weni­ger sein, damit Nackes Chan­cen steigen.

Das sind hypo­the­ti­sche Berech­nun­gen, und es kann alles auch ganz anders kom­men. Nach den aktu­el­len Umfra­gen sehr unwahr­schein­lich ist aber, dass Klaus Kret­zer von der FDP (Lis­ten­platz 36), Kira Sawil­la von der Lin­ken (kein Lis­ten­platz) oder Hel­mut Bir­ke von der AfD (kein Lis­ten­platz) den Sprung ins Par­la­ment schaf­fen wer­den. Die übri­gen Par­tei­en haben schlech­te Chan­cen, es über die Fünf-Pro­zent-Hür­de zu schaf­fen. Und in dem Fall stel­len sie nur dann Abge­ord­ne­te, wenn die­se einen Wahl­kreis gewinnen. 

Zu all­dem kom­men Fak­to­ren, die das Ergeb­nis auch für die grö­ße­ren Par­tei­en schwer abschätz­bar machen. Eine klei­ne Ände­rung im Wahl­recht hat es zum Bei­spiel doch gege­ben.

Über­hang­man­da­te in einem Bun­des­land wer­den in die­sem Jahr zum ers­ten Mal mit den Lis­ten der ande­ren Län­der ver­rech­net. Das bedeu­tet: Wenn eine Par­tei in einem Bun­des­land mehr Direkt­man­da­te gewinnt, als ihr nach dem Zweit­stim­men­er­geb­nis zuste­hen (Über­hang­man­da­te), kann es pas­sie­ren, dass in einem ande­ren Land weni­ger über die Lis­te hin­ein­kom­men. Was genau das im Ergeb­nis bedeu­tet, ist heu­te noch nicht zu sagen. Was sich aber sagen lässt: Wenn es irgend­wen trifft, dann wohl am här­tes­ten die Union.

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Der Wahlkompass

Haben Sie sich schon ent­schie­den, wen Sie am Sonn­tag wäh­len wer­den? Nein? Dann pro­bie­ren Sie doch den Wahl­kom­pass aus, den RUMS zusam­men mit der Uni Müns­ter anbie­tet. Falls Sie noch nicht wis­sen, wie es funk­tio­niert: Mit dem Wahl­kom­pass für Müns­ter kön­nen Sie her­aus­fin­den, wel­che Kan­di­da­tin oder wel­cher Kan­di­dat Ihrem poli­ti­schen Stand­punkt am nächs­ten steht. Hier geht es um die Erst­stim­me. Mit wel­cher Par­tei die Über­ein­stim­mun­gen am größ­ten sind, das fin­den Sie mit dem bun­des­wei­ten Wahl­kom­pass heraus.

In aller Kürze

+++ Eine trau­ri­ge Nach­richt. Der Stra­ßen­mu­si­ker Onkel Wil­li ist tot. Er hat­te über Jah­re einen fes­ten Platz vor dem Rat­haus am Prin­zi­pal­markt, links neben dem Ein­gang. Dort spiel­te er vor sechs Jah­ren sein letz­tes Kon­zert. Im glei­chen Jahr nahm er sein ers­tes pro­fes­sio­nel­les Video auf. Vor drei Jah­ren erschien ein 20-minü­ti­ges Por­trät von Simon Jöcker, an dem Onkel Wil­li noch ein­mal an den Ort zurück­kehrt, an dem er über 20 Jah­re lang Musik gemacht hat­te. Zuletzt litt er unter einer Lun­gen­krank­heit und leb­te in einem Pfle­ge­heim. Mach’s gut, Onkel Wil­li. Du wirst uns fehlen.

+++ Müns­ter hat eine neue Part­ner­stadt. Der Name ist nicht ganz so über­ra­schend, es ist Ensche­de. Man kennt sich schon län­ger. Und beschlos­sen ist die Part­ner­schaft auch schon seit dem ver­gan­ge­nen Jahr. Heu­te Mor­gen hat Ensche­des Bür­ger­meis­ter Onno van Veld­hui­zen in Müns­ter die Part­ner­schafts­ur­kun­de unter­zeich­net, sich ins Gol­de­ne Buch der Stadt ein­ge­tra­gen und aus dem Gol­de­nen Hahn getrun­ken. In der Pres­se­mit­tei­lung der Stadt Müns­ter steht der Satz: „Ensche­de gilt als die deut­sches­te Stadt der Nie­der­lan­de.“ Das wirft die Fra­ge auf: Sind die Rad­we­ge in Ensche­de wirk­lich so schlecht? Die Nie­der­län­der haben bis­lang noch per Pres­se­mit­tei­lung zurück­ge­schos­sen. For­mu­lie­rungs­vor­schlag von uns: „Unse­re neue Part­ner­stadt Müns­ter, nach Osna­brück und Bie­le­feld die schöns­te Stadt im Groß­raum Westfalen.“

+++ Das Rat­haus­bünd­nis aus Grü­nen, SPD und Volt will beim Kli­ma­schutz in Müns­ter etwas mehr Tem­po machen. In einem drei­sei­ti­gen Antrag schla­gen die Par­tei­en eine gan­ze Lis­te von Ergän­zun­gen zu den Vor­schlä­gen vor, die die Stadt­ver­wal­tung zur Kli­ma­stu­die gemacht hat, mit der wir uns im RUMS-Brief am Frei­tag beschäf­tigt haben. Unter ande­rem pla­nen die Par­tei­en einen soge­nann­ten Kli­ma­re­le­vanz-Indi­ka­tor für alle poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen sowie eine Kli­ma­schutz-Leit­li­nie für Bau­pro­jek­te. Sie wol­len etwas unter­neh­men, um den Auto­ver­kehr in der Innen­stadt und den Orts­ker­nen der Stadt­tei­le zu redu­zie­ren. Bis zum nächs­ten Jahr sol­len Dom­platz, Pfer­de­gas­se und Königs­stra­ße wie geplant auto­frei wer­den. Park­ti­ckets sol­len eine Kli­ma­pau­scha­le ent­hal­ten, mit der die Stadt Pro­jek­te zur Ver­kehrs­wen­de finan­zie­ren will. Vie­le steht schon im Koali­ti­ons­ver­trag. Bus­ti­ckets sol­len güns­ti­ger wer­den, Bus­se sol­len eige­ne Spu­ren auf den Aus­fall­stra­ßen bekom­men, sie sol­len in einem höhe­ren Takt fah­ren. Und der Aus­bau der Velo­rou­ten und des Fahr­rad­stra­ßen­net­zes soll etwas schnel­ler gesche­hen. Dazu gibt es noch eine gan­ze Rei­he an Vor­schlä­gen, die nun erst mal auf die Abla­ge Prü­fung kom­men. In der Begrün­dung des Rat­haus­bünd­nis­ses heißt es, die Kür­ze der ver­blei­ben­den Zeit ver­pflich­te dazu, schnel­ler zu han­deln. Dabei sol­len genaue Zeit- und Finanz­plä­ne. Und die Stadt soll sich über­le­gen, wie es gelin­gen kann, die Men­schen dazu zu bewe­gen, sich mehr zu betei­li­gen. Das soll in einem Kom­mu­ni­ka­ti­ons­kon­zept ste­hen. Das Bünd­nis hat den Antrag heu­te Abend im Umwelt­aus­schuss ein­ge­bracht. Ent­schie­den wor­den ist aber heu­te noch nichts. 

Post von Leser:innen

Georg Hün­ne­kens hat uns zum RUMS-Brief vom 10. Sep­tem­ber geschrie­ben. Genau­er gesagt zu unse­rer Kri­tik an den West­fä­li­schen Nach­rich­ten, weil die Zei­tung nicht über das Urteil des Köl­ner Ver­wal­tungs­ge­richts zum Ham­ba­cher Forst berich­tet hat­te. Das Gericht hat­te ent­schie­den, dass die Räu­mung des Pro­test­camps vor drei Jah­ren rechts­wid­rig war. Georg Hün­ne­kens weist dar­auf hin, dass vor­her unter ande­rem das Ver­wal­tungs­ge­richt Aachen anders ent­schie­den hat­te und dass die frü­he­ren Urtei­le in der über­re­gio­na­len Bericht­erstat­tung nicht erwähnt wur­den. Hier geht es zu sei­nem Leser­brief.

Kor­rek­tur­hin­weis:

Der Link zum Leser­brief führ­te ursprüng­lich lei­der zum fal­schen Leser­brief. Wir haben das korrigiert. 

Corona-Update

Eine gute Nach­richt für alle Fami­li­en mit jün­ge­ren Kin­dern: Es sieht danach aus, dass es bald einen Coro­na-Impf­stoff für Fünf- bis Elf­jäh­ri­ge geben wird. Die Her­stel­ler Biontech und Pfi­zer mel­den, dass sie ihren Impf­stoff an die jün­ge­re Alters­grup­pe ange­passt haben und er sich als gut ver­träg­lich erwie­sen hat. Und das Wich­tigs­te: Auch bei Kin­dern soll der Impf­stoff gut wir­ken. Schon Anfang 2022 könn­te er zuge­las­sen wer­den. Und noch schnell der Blick auf die Wer­te in Müns­ter: Die Wochen­in­zi­denz wird heu­te mit 49,3 ange­ge­ben. 325 Men­schen in der Stadt gel­ten als infi­ziert. In den Kran­ken­häu­sern wer­den 15 Corona-Patient:innen behan­delt, sie­ben von ihnen auf der Inten­siv­sta­ti­on. Sechs Men­schen müs­sen beatmet werden.

Unbezahlte Werbung

Vor ein paar Wochen habe ich Ihnen den Hof­la­den des Auen­hofs emp­foh­len, wo Sie unter ande­rem lokal her­ge­stell­ten Käse kau­fen kön­nen. Und genau den könn­ten Sie mor­gen Abend im Restau­rant 1648 pro­bie­ren, dazu gibt es ein Glas Wein und einen schö­nen Aus­blick über die Stadt. Hier kön­nen Sie Plät­ze für „Alles Käse“ reser­vie­ren. Und falls Sie mor­gen schon etwas vor­ha­ben: Es gibt im 1648 noch mehr schö­ne Ver­an­stal­tun­gen.

Drinnen und Draußen

+++ Wo wir nun heu­te so viel über Poli­tik gespro­chen haben, möch­te ich Ihnen auch noch eine Doku­men­ta­ti­on emp­feh­len, die ges­tern Abend im Fern­se­hen lief und die jetzt in der ARD-Media­thek zu fin­den ist. Sie heißt: „Wege zur Macht. Deutsch­lands Ent­schei­dungs­jahr“. Und damit ist der Inhalt schon sehr gut beschrie­ben. Der Autor des 75-minü­ti­gen Films ist Ste­phan Lam­by, des­sen Doku­men­ta­tio­nen unter ande­rem des­halb so her­vor­ra­gend sind, weil er ganz aus­ge­zeich­ne­te Inter­views führt, in denen nicht aggres­siv nach­fragt, son­dern immer sehr freund­lich bleibt, und so Ant­wor­ten bekommt, die deut­li­cher kaum sein könn­ten, indem er die Situa­ti­on wir­ken lässt. In die­ser Sze­ne sehr schön zu sehen. Und wenn Ihnen der Name bekannt vor­kommt, aber im Moment nichts sagt: Ste­phan Lam­by hat zusam­men mit Klaus Brink­bäu­mer ein Buch über den Zustand der Demo­kra­tie in den USA geschrie­ben und einen Film gemacht.

+++ Wahr­schein­lich haben Sie noch nie das jüdi­sche Laub­hüt­ten­fest gefei­ert. In die­ser Woche hät­ten Sie die Gele­gen­heit dazu, und zwar im Innen­hof des Lan­des­hau­ses. Die jüdi­sche Gemein­de Müns­ter und die LWL-Kul­tur­stif­tung laden dort zu Ver­an­stal­tun­gen ein, zum Bei­spiel zu einem inter­kul­tu­rel­len Poet­ry Slam. Hier fin­den Sie das Pro­gramm und einen Link, über den Sie direkt Ihre Kar­te reser­vie­ren können.

+++ Am Frei­tag hat­ten wir Sie hier auf das Afri­ka-Film­fes­ti­val im Schloss­thea­ter hin­ge­wie­sen. Hier dazu noch eine Ergän­zung, gleich­zei­tig gibt es näm­lich auch noch das Schau­fens­ter­ki­no. Zehn Fil­me kön­nen Sie sich in ver­schie­de­nen Schau­fens­tern in der Stadt anschau­en, den Ton emp­fan­gen Sie über ein trag­ba­res Radio oder Ihr Smart­phone. Was es wo zu sehen gibt, lesen Sie hier.

+++ Die Fri­days-for-Future-Bewe­gung plant an die­sem Frei­tag etwas Gro­ßes: Kund­ge­bun­gen in über 400 Städ­ten, auch in Müns­ter. Wenn Sie dabei sein möch­ten: Die Demo beginnt um 15 Uhr vor dem Haupt­bahn­hof und endet dann spä­ter nach einem ver­schlun­ge­nen Weg durch die Stadt vor dem Schloss.

Am Frei­tag schreibt Ihnen wie­der Con­stan­ze Busch. Haben Sie bis dahin eine gute Woche.

Herz­li­che Grü­ße
Ralf Heimann

Mit­ar­beit: Con­stan­ze Busch, Eva Strehlke


PS

Hen­ning Stoff­ers, der auf sei­ner Web­site ganz wun­der­ba­re Tex­te über Müns­ters Geschich­te schreibt, hat wie­der einen ganz wun­der­ba­ren Text über Müns­ters Geschich­te geschrie­ben. Dies­mal geht es um Urlaub und Frei­zeit, ein Phä­no­men, das so lan­ge noch gar nicht für alle ver­füg­bar ist. Im Jahr 1903 hat­te man, wenn man in einer Braue­rei arbei­te­te, drei Tage Jah­res­ur­laub, schreibt Stoff­ers. Das änder­te sich dann eini­ge Jah­re spä­ter und damit auch das Frei­zeit­an­ge­bot. Hen­ning Stoff­ers erzählt das alles auf eine sehr leicht zugäng­li­che Wei­se. Und ganz fan­tas­tisch sind auch die Fotos in dem Bei­trag, vor allem die Post­kar­te vom Aus­flugs­lo­kal im Boni­bur­ger Wald und das Bild vom jun­gen Stef­fi Ste­phan neben dem jun­gen Udo Lin­den­berg. Ach, schau­en Sie es sich ein­fach an.

PPS

Vor einem Jahr haben wir mit RUMS den Netz­wen­de-Award gewon­nen. Es war unser ers­ter Preis, und es war nach einem schwie­ri­gen Start unter schlech­ten Bedin­gun­gen mit vie­len Unsi­cher­hei­ten mit­ten in der Pan­de­mie eine sehr schö­ne Aner­ken­nung. In die­sem Jahr sitzt unser Mit­grün­der Marc-Ste­fan And­res in der Jury des Prei­ses. Und wenn Sie ein Medi­en­pro­jekt ken­nen, das Ihrer Mei­nung nach einen Preis für nach­hal­ti­ge Inno­va­ti­on im Jour­na­lis­mus ver­dient hat, dann schla­gen Sie es auf die­ser Sei­te sehr ger­ne vor.