Die Kolumne von Juliane Ritter | Das letzte Mittel, wieder mal

Müns­ter, 19. Novem­ber 2023

Guten Tag,

seit dem 23. Okto­ber wird nun wie­der über die Gehäl­ter der Lan­des­be­schäf­tig­ten ver­han­delt. Als Uni­kli­nik-Beschäf­tig­te, wird also mein Lohn ver­han­delt. Ich erin­ne­re mich an ein ent­täu­schend nied­ri­ges Ergeb­nis im Herbst 2021. Wir hat­ten gestreikt, waren stär­ker gewor­den denn je, und den­noch war die Gehalts­er­hö­hung kaum merk­lich. Vie­le mei­ner Kol­le­gin­nen waren frus­triert und sind es weiterhin.

Wie­der ein­mal sind wir in die­sem Jahr gezwun­gen, zu strei­ken. Wie in einem ein­stu­dier­ten Thea­ter­stück hat­te unse­re Gewerk­schaft, wie jedes Mal nach Ablauf des Tarif­ver­trags, zu Ver­hand­lun­gen auf­ge­for­dert. Wie­der ein­mal hat­ten Finanz­mi­nis­ter sich am 23. Okto­ber in Ber­lin gegen­über Gewerk­schaft und Lan­des­be­schäf­tig­ten gesetzt und ihnen erklärt, dass doch kein Geld da sei. Und wie­der ein­mal fol­gen Streiks. Finanz­mi­nis­ter ken­nen die­ses Thea­ter­stück, wel­ches in ihrer Erfah­rung meist wenig beein­dru­ckend ver­lief. Statt also die nöti­gen Lohn­er­hö­hun­gen zu ver­an­las­sen, hiel­ten sie uns hin.

Sie sag­ten Krieg und Kri­se tref­fe alle glei­cher­ma­ßen – mei­ner Ansicht nach ist das falsch. Auch in Ver­hand­lungs­run­de zwei blieb ein Ange­bot aus. Nicht ein Euro mehr wur­de gebo­ten. Wem der Lohn nicht rei­che, sag­ten sie, kön­ne Wohn­geld beantragen. 

So geht’s nicht mehr weiter

Damit spre­chen sie bei­spiels­wei­se über uns Pfle­gen­de, die wir hoch­ge­lobt in aller Mun­de das Sys­tem auf­recht erhal­ten. Das Lob ist so alt, hohl und frei von Kon­se­quen­zen, dass ich es nicht mehr hören kann. Fach­kran­ken­pfle­ge­rin­nen mit fünf Jah­ren Aus­bil­dun­gen und vie­len Jah­ren Berufs­er­fah­rung wird also Wohn­geld emp­foh­len, wäh­rend man im glei­chem Atem­zug den Fach­kräf­te­not­stand betrau­ert und so tut, als gäbe es kei­ne Verbindung.

Wie­der mal grei­fen wir also zum letz­ten Mit­tel: Streik.

Seit die­sem Jahr zeich­net sich jedoch eine Ver­än­de­rung zum alten Thea­ter­stück ab. Zu Beginn des Jah­res einig­ten sich Arbeit­ge­ber und die Kolleg:innen auf Lohn­er­hö­hun­gen, die den Infla­ti­ons­ver­lust zu gro­ßen Tei­len aus­glei­chen. Sie hat­ten dafür hart gekämpft und es hat sich gelohnt. Streiks in nie da gewe­se­nen Aus­ma­ßen hat­ten Rei­hen­wei­se kom­mu­na­le Kli­ni­ken lahm gelegt, um zu signa­li­sie­ren: So geht’s nicht mehr weiter.

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Ich gra­tu­lie­re den Kolleg:innen umlie­gen­der Kli­ni­ken Müns­ters, wel­che den Tarif­ver­trag des öffent­li­chen Diens­tes anwen­den, zu ihrer Lohn­er­hö­hung. Eine Beschäf­tig­te ver­dient dort nun zwi­schen 300 bis 500 Euro mehr als die ver­gleich­ba­re Berufs­grup­pe an der Maxi­mal­ver­sor­ge­rin, unse­rer Uni­kli­nik. Das ver­schärf­te Gefäl­le wird sich ohne Gleich­stel­lung durch die lau­fen­de Tarif­run­de verschärfen.

Real­lohn­ver­lus­te tref­fen uns alle. Seit Jahr­zehn­ten war unser Geld nicht mehr so wenig wert wie heu­te. Im Super­markt über­kommt uns ein Schau­er, unse­re Gas­prei­se und Mie­ten stei­gen unver­hält­nis­mä­ßig, und vie­le von uns haben in Zei­ten die­ses mas­si­ven Fach­kräf­te­man­gels noch Neben­jobs. Ich ken­ne meh­re­re Pfle­ge­kräf­te, die sogar zwei Neben­jobs haben, wäh­rend ihre Teams der Rei­he nach an Per­so­nal verlieren.

Gemeinsam sind wir stärker

Ich glau­be nicht dar­an, dass in Zei­ten der Kri­se alle den Gür­tel enger schnal­len. Ich sehe, dass mei­ne Kolleg:innen das machen – anders als die, die uns emp­feh­len, Wohn­geld zu bean­tra­gen, oder die, die mei­ne Gas­rech­nung um 200 Pro­zent erhöhen.

Es gibt nicht zu wenig Geld – wir haben ein Ver­tei­lungs­pro­blem. Seit Jah­ren stei­gen unse­re Steu­er­ein­nah­men, wäh­rend die Löh­ne im öffent­li­chen Sek­tor an Wert verlieren. 

Wir, die Beschäf­tig­ten der Uni­kli­nik Müns­ter, haben gemein­sam mit vie­len Uni­kli­ni­ken des Lan­des gelernt, wie man sich durch­setzt. Wie man erfolg­reich kämp­fen kann, wenn man zusam­men steht. 2022 ging es um mehr Per­so­nal und Ent­las­tung, und das haben wir erreicht. Letz­te­res wird noch etwas dau­ern, das war jedoch allen bewusst. Ich genie­ße zusätz­li­che fünf freie Tage, die ich vor­her nicht hat­te und freue mich über jede neue Kolleg:in, die sich dadurch für unser Haus ent­schei­det, trotz der Gehaltskluft.

Wir haben gelernt, wie es geht, und in der aktu­el­len Tarif­run­de kämp­fen wir nun gemein­sam mit Beschäf­tig­ten der Hoch­schu­len und Ver­wal­tun­gen sowie stu­den­ti­schen Hilfskräften.

Doch wir müs­sen dar­über hin­aus ler­nen, gemein­sam als Gesell­schaft für das ein­zu­ste­hen, was wir brau­chen. Gemein­sam sind wir stär­ker. Orga­ni­siert euch in Gewerk­schaf­ten, sprecht über eure Anlie­gen, denn mit die­sen sind wir zu häu­fig nicht allein. Ver­netzt euch und kämpft gemein­sam für die Din­ge, die uns einen: ange­fan­gen mit fai­ren Löhnen.

Herz­li­che Grü­ße
Ihre Julia­ne Ritter

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Über die Autorin

Unse­re Kolum­nis­tin arbei­tet als Pfle­ge­kraft in einem Kran­ken­haus in Müns­ter. Sie schreibt in die­ser Kolum­ne dar­über, war­um sie ihren Beruf liebt. Und dar­über, wo es hakt und was in der Pfle­ge bes­ser lau­fen müss­te – grund­sätz­lich und in Müns­ter. Julia­ne Rit­ter ist nicht ihr rich­ti­ger Name. Sie schreibt unter einem Pseud­onym, damit sie frei über Schwie­rig­kei­ten und Miss­stän­de erzäh­len kann.

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