Weihnachtsmarkt: Was machen die ganzen Niederländer:innen in Münster? | Geburtshilfe: Wie viel ist eine Hebamme wert? | Frühstücken im ExKaffee

Porträt von Sebastian Fobbe
Mit Sebastian Fobbe

Münster, 2. Dezember 2022

in den Niederlanden erzählt man sich gerne Witze über Deutsche. Einer davon geht so: „Welches Geräusch hört man am meisten im Sommer am Strand?“ – „Die deutsche Sprache.“

Wer in den vergangenen Tagen in der Innenstadt von Münster unterwegs war, kann den Spieß problemlos umdrehen. Das ginge dann so: „Welches Geräusch hört man am meisten am Weihnachtsmarkt in Münster?“ – „Die niederländische Sprache.“

Jedes Jahr kommen unzählige Niederländer:innen nach Münster, im Vor-Corona-Jahr 2019 machten sie im Advent knapp die Hälfte aller ausländischen Hotelgäste aus. Denn unsere Nachbar:innen lieben den Weihnachtsmarkt in Münster, in einer Rangliste der beliebtesten Weihnachtsmärkte belegt er den vierten von zehn Plätzen.

Schaut man sich diese Top 10 etwas genauer an, fällt auf, dass sieben der zehn Lieblingsweihnachtsmärkte der Niederländer:innen im Ausland liegen. Und die drei niederländischen Weihnachtsmärkte liegen nicht etwa in den großen Städten wie Rotterdam, Amsterdam oder Den Haag, sondern in Maastricht, der Kleinstadt Valkenburg und im 500-Seelen-Dorf Haarzuilens.

Acht von zehn Niederländer:innen besuchen laut Umfrage mindestens einmal im Jahr einen Weihnachtsmarkt, aber einen eigenen richten sie nicht aus. Auch in Enschede findet keiner statt, sondern bis zum 8. Januar ein Winter Wonderland mit Schlittschuhbahn in der Innenstadt. Offensichtlich führen die Menschen in den Niederlanden eine sonderbare Beziehung zum Kerstmarkt. Woran liegt das?

Ich frage nach bei einer befreundeten Niederländerin, die schon einige Jahre in Münster lebt. Sie erklärt mir, Weihnachten habe in ihrer Heimat einen anderen Stellenwert als in Deutschland. Zum Beispiel habe sie als Kind nie Geschenke an Heiligabend bekommen. Das sei vielerorts üblich, denn die Bescherung findet in den Niederlanden schon am 5. Dezember, dem Sinterklaasabend, statt. Immerhin habe jedes Jahr ein Tannenbaum im Wohnzimmer gestanden, sagt sie. Und man habe die Verwandtschaft an den Feiertagen besucht, um gemeinsam zu essen, meistens Raclette.

Einen Weihnachtsmarkt, so wie wir ihn in Münster kennen, habe meine Freundin aus den Niederlanden aber in ihrer Kindheit nie besucht. Das sei eine Tradition, die es dort in dieser Form nicht gibt. Falls Sie sich also demnächst fragen, warum so viele Niederländer:innen gerade in der Innenstadt Glühwein trinken und Poffertjes essen, kennen Sie jetzt die Antwort: Sie haben einfach keine andere Wahl. (sfo)

Kurz und Klein

+++ Die Kinderkliniken und Kinderarztpraxen in Münster sind weiter überfüllt, vor allem weil eine Atemwegserkrankung sich weiter ausbreitet: das RS-Virus. Fachleute, unter anderem die Leiter der drei Kinderkliniken in Münster, haben am Donnerstag in einer Pressekonferenz auf die schwierige Situation aufmerksam gemacht. Die Kliniken seien so überfüllt, dass Kinder aus Münster bis ins Ruhrgebiet verlegt werden müssten, sagte Heymut Omran, Chefarzt der Kinder- und Jugendmedizin an der Uniklinik. Die Uniklinik nimmt schwer kranke Kinder von anderen Krankenhäusern auf, muss dafür aber momentan täglich weniger schwer kranke Kinder in andere Häuser verlegen. Die Kapazitätsgrenzen in Münster seien erreicht, wie auch in ganz Deutschland, hieß es. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sprach gestern von weniger als hundert freien Intensivbetten im ganzen Land. Das Problem ist offenbar nicht nur das Virus, sondern wie so oft das Geld. JörgDötsch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, sagte, der andauernde betriebswirtschaftliche Druck habe unter anderem dazu geführt, dass viele Pflegekräfte gegangen seien. Die Kinderkrankenpflege wurde als spezielle Ausbildung sogar ganz abgeschafft. Das beurteilten die Fachleute am Donnerstag einhellig als Fehler. Die Uniklinik will ab August in diesem Beruf wieder ausbilden. Zu dem knappen Personal kommen knappe Medikamente. Fiebermittel für Kinder etwa sind zurzeit kaum zu bekommen. Die Fachleute baten um Verständnis, Geduld und darum, auf nicht ganz so dringende Untersuchungen zu verzichten, sowohl in den Kliniken als auch in den Praxen. Zu Impfungen, die ja verhindern können, dass Kinder krank werden, raten sie dennoch. (rhe)

+++ Korrekturen stehen eigentlich etwas weiter unten, jedenfalls unsere eigenen, aber hier geht es um eine Meldung der Bezirksregierung, zu der die Stadtwerke eine Korrektur schreiben. Um es kurz zu machen: Richtig ist, es gibt einen Ölfilm auf dem Kanal. Aber das hat laut den Stadtwerken anders als berichtet keine Folgen für Münsters Trinkwasser. (rhe)

+++ Die Bahnstrecke zwischen Köln und Hamburg ist für die Wirtschaft eine wichtige Verbindung. Daher wünschen sich sechs Industrie- und Handelskammern, dass die Strecke ausgebaut wird. Die sogenannte Nord-West-Schienenmagistrale verbindet die Regionen, die zusammen ein Viertel der deutschen Wirtschaftsleistung erbringen, doch seit den 1970er-Jahren sei die Infrastruktur nicht wesentlich verbessert worden, sagte Ralf Mittelstädt, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Nordrhein-Westfalen, bei einem Treffen der sechs Kammern mit der Staatssekretärin Susanne Henckel aus dem Bundesverkehrsministerium gestern in Münster. Henckel sagte ihre Unterstützung zu, allerdings wenig konkret. Wir haben das jetzt in einem Jahr in den Kalender geschrieben. Und mal schauen, gegebenenfalls machen wir das dann noch mal. (rhe)

+++ Freie Wohnungen sind nur in einer deutschen Stadt noch knapper als in Münster, in München. Das berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung in dieser Woche. Danach standen Ende des vergangenen Jahres in Münster nur 0,3 Prozent der Wohnungen leer, wie auch in Frankfurt. In München waren es 0,2 Prozent. Nur um das zu verdeutlichen: Von eintausend Wohnungen sind das zwei. (rhe)

+++ In Deutschland gibt es ungefähr 300 digitale Radiosender. Einer davon ist „Brillux Radio“, ein Sender des gleichnamigen Farbenherstellers aus Münster. Dass ein Unternehmen sich ein eigenes Radioprogramm leistet, ist relativ neu, und es strapaziert die vorhandenen Rundfunkregeln. Der Sender hat eine Lizenz für ein redaktionelles Vollprogramm, macht aber – der Name lässt es erahnen – ein Programm auf der Grenze zum Marketing. Das Deutschlandfunk-Medienmagazin „@mediasres“ hat sich damit beschäftigt. (rhe)

+++ Im Stadthaus 1 ist in dieser Woche der Strom ausgefallen, und das vermittelte schon ein Gefühl dafür, wie es sein könnte, wenn das großflächig passiert. Damit der Strom sicher fließt, lassen die Stadtwerke ihre Windräder ab sofort bis Mitte April länger laufen, wie das Unternehmen in einer Pressemitteilung schreibt. Möglich wird das, weil die Bundesregierung ein Gesetz geändert hat, das in normalen Zeiten verhindern soll, dass die Anlagen rund um die Uhr Geräusche und Schatten produzieren. (rhe)

+++ Der als Müllsammler bekannte Mann aus Kinderhaus ist laut den Westfälischen Nachrichten in letzter Zeit immer aggressiver geworden. Das könnte ein Grund dafür sein, dass die Staatsanwaltschaft angeordnet hat, den Mann in Untersuchungshaft zu nehmen (RUMS-Brief). Das war erst passiert, nachdem das Amtsgericht es abgelehnt hatte, den Mann in die Psychiatrie zu stecken. Die Zeitung hat zu dem Fall eine Chronik zusammengestellt. (rhe)

+++ Noch vor ein paar Wochen waren die Tarife der Grundversorgung in Deutschland die günstigsten. Laut einer Preisstudie der Internetseite Stromauskunft.de kann es sich jetzt aber wieder lohnen, den Anbieter zu wechseln. Wie viel Verbraucher:innen dabei wirklich sparen können, hängt vom Wohnort ab. Im Schnitt könnten Wechselwillige aber rund 75 Euro weniger bezahlen. Das liegt laut Energieexperte Jörg Heidjann daran, dass in den vergangenen zwei Wochen viele Grundversorger ihre Tarife erhöht haben. Nun biete sich ein kurzer Vergleich des eigenen Tarifs an. In Münster lohnt sich ein Wechsel noch nicht, die Grundversorgung der Stadtwerke Münster ist günstiger als die Tarife anderer Versorger. Das kann sich aber ändern, wenn die Stadtwerke im Februar die Preise erhöhen. (ast)

+++ Der Verkehrsausschuss hat in dieser Woche beschlossen, das Geld für das 29-Euro-Ticket zur Verfügung zu stellen, das die Rathauskoalition angekündigt hat. Das Bündnis aus Grünen, SPD und Volt will das Ticket unter anderem durch höhere Parkgebühren querfinanzieren. Anwohnerparkausweise etwa sollen teurer werden. Sie sind mit 17 Euro im Jahr recht günstig. Das sind knapp fünf Cent pro Tag. Die Idee dahinter ist: Autofahren verursacht Kosten, für die bislang niemand Geld verlangt hat – etwa dadurch, dass Abgase das Klima belasten und geparkte Fahrzeuge öffentlichen Raum in Anspruch nehmen. Zum Beispiel durch höhere Parkkosten sollen Kosten entstehen, die tatsächlich auch abgerechnet werden – zu Gunsten von klimafreundlichen Arten, sich fortzubewegen, zum Beispiel Busfahren. Um den Druck auf die Stadtverwaltung zu erhöhen, so schreiben die Grünen in einer Pressemitteilung, hat das Bündnis das Geld für den Unterhalt von Straßen gekürzt. „Stadtbaurat Denstorff kann diese Mittel zügig wieder auf den alten Stand bringen, indem er der lächerlichen 17-Euro-Jahresgebühr für Anwohnerparkplätze ein Ende bereitet und einige Flächen zusätzlich bewirtschaftet“, sagt die Verkehrsausschussvorsitzende Andrea Blome laut der Pressemitteilung. Die CDU sieht in dem 29-Euro-Ticket weder die Lösung der Verkehrsprobleme, etwa die große Zahl der zur Arbeit pendelnden Menschen, noch hält sie die Idee für vernünftig, an der Sanierung von Straßen zu sparen. „Man hat offensichtlich übersehen, dass dies nicht nur Straßen für Autos und Stadtbusse, sondern auch Rad- und Fußwege betrifft“, sagt Ratsherr Ulrich Möllenhoff laut der Mitteilung. (rhe)



Geburtshilfe in Münster: Wie viel ist eine Hebamme wert?

Wenn sich Julia Arnst mit ihren Kolleginnen unterhält, dann hört sie von manchen traurige Geschichten. Es geht in den Gesprächen oft um Stress am Arbeitsplatz, um fehlende Freizeit und Überlastung. Aber eigentlich hat Arnst einen sehr schönen Beruf. Sie ist Hebamme und Vorsitzende des Hebammennetzwerks Münsterland. Sie und ihre Kolleginnen begleitet Frauen und Familien durch die Schwangerschaft, die Geburt und das Wochenbett. Eine erfüllende und sinnstiftende Aufgabe.

Von dieser Idealvorstellung ist die Wirklichkeit aber leider weit entfernt, vor allem in den Geburtskliniken. In manchen Einrichtungen laufe es in Münster zwar besser als in anderen, sagt Arnst. Aber unterm Strich sei die Arbeitsbelastung in der Geburtshilfe hoch. Einige Hebammen hätten auch schon ihren Job in der Klinik gekündigt, sagt Arnst. Die Dienste seien zum Teil schlecht besetzt, die Räume knapp, außerdem bleibe kaum Zeit, Familien zu betreuen, das Überstundenkonto fülle sich und für all das gebe es noch nicht einmal einen gescheiten Freizeitausgleich. „Überlastete Hebammen sollten aber lieber nicht im Kreißsaal arbeiten“, sagt Arnst.

Die Politik hat dieses Problem erkannt. Der Bundestag hat heute Vormittag ein Gesetz verabschiedet, das die Kliniken entlasten soll und Teil einer großen Krankenhausreform ist, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach auf den Weg gebracht hat. Die Reform soll unter anderem mehr ambulante Behandlungen ermöglichen und die Finanzierung der Krankenhäuser sichern. Das wirkt sich auch auf die Geburtshilfe aus.

Was sich gut anhört, hat aber für viel Protest gesorgt. Der Deutsche Hebammenverband spricht in einer Pressemitteilung sogar davon, die geplante Reform könnte das Aus für die klinische Geburtshilfe in Deutschland bedeuten. Was war los?

Ein Systemfehler

Um zu verstehen, was das Bundesgesundheitsministerium vorhatte, müssen wir uns kurz ansehen, wie sich Krankenhäuser finanzieren. Grob gesagt, bekommen die Einrichtungen ihr Geld aus zwei Töpfen: den Fallpauschalen und dem Pflegebudget. Die Fallpauschalen legen fest, wie viel Geld ein Krankenhaus bei der Krankenkasse für eine Leistung abrechnen darf. Dieses System funktioniert aber in der Geburtshilfe nicht, denn es handelt sich um Standardbeträge, die für eine bestimmte Leistung immer gleich hoch ausfallen. Es ist also egal, ob die Mutter stundenlang Wehen hatte oder nach der Geburt mit dem Kind noch in der Klinik bleiben muss. Die Fallpauschale ist immer dieselbe.

Weil das ungerecht ist, verhandeln die Krankenhäuser individuelle Pflegebudgets mit den Krankenkassen. Das neue Gesetz sah vor, Hebammen künftig nicht mehr in diesen Budgets zu berücksichtigen, sondern nur noch Fach- und Hilfskräfte in der Pflege. Schließlich ist Geburtshilfe keine Pflege: Hebammen kümmern sich nicht um kranke Patient:innen, sondern – im Regelfall – um gesunde Frauen und Babys.

Die Folgen dieses Finanzierungsgesetzes hätten sich dramatisch auf die Geburtshilfe ausgewirkt, denn die Krankenhäuser hätten sich schlicht keine Hebammen mehr leisten können. Hinzu wäre eine Personaluntergrenzenverordnung gekommen, die vorschreibt, dass Hebammen nur noch maximal zehn Prozent des Personals auf den Geburtsstationen ausmachen dürfen. Den Großteil der Arbeit auf den Stationen hätten Pflegekräfte übernehmen müssen, die aber für den Umgang mit Schwangeren und Müttern nicht ausgebildet sind und andernorts gebraucht werden. Wer mehr Hebammen engagiert, hätte eine Strafe zahlen müssen.

Diese Änderungen sind zum Glück vom Tisch. Der Bundestag entschied heute, dass die Hebammen bis 2025 weiterhin aus dem Pflegebudget bezahlt werden können. Das ist nicht zuletzt dem Protest der Hebammen zu verdanken: Innerhalb kürzester Zeit hatten über 1,5 Millionen Menschen eine Onlinepetition gezeichnet, die gefordert hatte, Hebammen weiterhin aus dem Pflegebudget zu finanzieren. Bundesminister Lauterbach ruderte kurze Zeit später öffentlich zurück und knickte schließlich ein.

Es fehlen Hebammen

Das alles ändert aber nichts an den grundsätzlichen Problemen in den Geburtskliniken. Die größte Herausforderung: Es fehlen Hebammen. Barbara Blomeier vom Hebammenverband Nordrhein-Westfalen sagt, eine Geburtsklinik in Paderborn sei Ende Februar wegen Personalknappheit geschlossen worden. Damit es erst gar nicht so weit kommt, würden sich einige Kliniken bereits mit Leihhebammen aushelfen. „Es kann nicht sein, dass eine Hebamme alles wuppen soll“, sagt Blomeier. Neben der Betreuung auch noch den Kreißsaal zu putzen oder werdende Mütter anzumelden, sei einfach zu viel des Guten.

Auch in Münster ist der Hebammenmangel zu spüren. Anja Wengenroth, Pressesprecherin der Uniklinik, schreibt auf Anfrage, alle Bereiche der Uniklinik müssten wegen der angespannten Personallage ihre Kapazitäten zurückschrauben. „Dies ist aber etwas, das mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch andere Häuser betrifft“, schreibt sie. Die Uniklinik beschäftige im Moment 18 Hebammen, die aber nur 14 Vollzeitstellen ausfüllen. Zwei Teilzeitkräfte würden Anfang 2023 aus dem Dienst ausscheiden, danach stelle die Uniklinik stattdessen zwei weitere Vollzeitkräfte ein.

Die Uniklinik sei „erfreulicherweise“ auf keine Leihhebammen angewiesen, schreibt Wengenroth. Dennoch könne niemand ausschließen, dass es zu Engpässen in der Geburtshilfe kommen könne, wenn weiterhin Fachkräfte fehlen. Aber: „Das UKM würde und darf Schwangere in Notfällen nicht abweisen“, schreibt Wengenroth. Als Maximalversorger könne sich die Uniklinik nicht vom Notdienst abmelden.

Im Franziskus-Hospital sieht das ähnlich aus. Notfälle und Frauen mit Wehen werden dort in jedem Fall aufgenommen, schreibt uns Sprecherin Friederike Lohmeier. Allerdings können Schwangere bei hoher Nachfrage abgewiesen werden, wenn kein Platz in den sechs Kreißsälen ist oder Personal corona- oder grippebedingt ausfällt. Das Franziskus-Hospital beschäftigt 46 Hebammen, die sich 25 Vollzeitstellen teilen. Leihhebammen braucht das Krankenhaus nicht, schreibt Lohmeier.

Laut offiziellen Zahlen praktizieren 27.000 Hebammen in Deutschland, so viele wie noch nie. Kann da überhaupt die Rede von einem Hebammenmangel sein? Bernhard Marschall, Studiendekan der Medizinischen Fakultät der Uni Münster, sagt, der Mangel bemesse sich auch an dem Anspruch, den die Gesellschaft an die Hebammenversorgung stellt. Seit 2020 müssten Hebammen in Deutschland studieren, damit sich die Versorgung am neuesten Stand der Forschung ausrichte. Das Studium werte den Beruf außerdem auf. Eine Antwort auf den Hebammenmangel sei die Akademisierung aber nicht, sagt Marschall, schon gar nicht in den Krankenhäusern. Die Klinik sei ein unbeliebter Arbeitsplatz, das sei bei den Ärzt:innen auch nicht anders.

Kein Geld, keine Kreißsäle

Um die Missstände in den Geburtskliniken anzugehen, will das Bundesgesundheitsministerium in den kommenden zwei Jahren 240 Millionen Euro investieren. Aber auch hier bahnte sich im Vorfeld eine Scheinlösung an, denn diese Förderung ist an Bedingungen geknüpft. Zunächst hieß es, das Geld hätten nur Krankenhäuser mit angeschlossener Kinderklinik oder Intensivstation für Neugeborene bekommen sollen. „Das hätte vor allem die großen Zentren begünstigt“, sagt Barbara Blomeier. Kleinere Kliniken auf dem Land wären leer ausgegangen. Jetzt sollen aber auch Kliniken Geld bekommen, die Praxisplätze für Hebammenstudentinnen anbieten.

Diese Investitionen sind bitternötig, denn die Geburtshilfe in Deutschland ist chronisch unterfinanziert. Die Zahl der Geburtsstationen hat sich seit den 1990er-Jahren laut einer Studie halbiert. Das klingt drastisch, muss aber nichts Schlechtes sein. In Skandinavien überleben mehr Frühchen als in Deutschland, obwohl es dort weniger Geburtskliniken gibt. Der Grund: Frühchen zu versorgen, ist komplex, sie brauchen Fachleute, die die Eingriffe ständig wiederholen. Das deutsche Fallpauschalensystem hält die hohe Zahl an Frühchenstationen allerdings künstlich am Leben – ganz einfach, weil die Krankenhäuser an den Frühchen viel Geld verdienen.

Freiberuflerinnen auf der Geburtsstation

Auch in Münster wurden Kreißsäle geschlossen: 2006 in der Raphaelsklinik, 2013 im Evangelischen Krankenhaus Johannisstift. Das Herz-Jesu-Hospital in Hiltrup und das Clemenshospital haben außerdem auf ein Belegsystem umgestellt, damit die Geburtsstationen dort weiter existieren können. Dadurch arbeiten keine festangestellten Hebammen mehr an den Krankenhäusern, sondern nur noch Freiberuflerinnen.

Aber hat dieses System Vorteile? Tanja Decarrois arbeitet als Beleghebammen für das Clemenshospital. Sie sagt, durch die Unabhängigkeit könne sich das Team einen eigenen Stellenschlüssel setzen, der sich an der Zahl der Geburten und dem Betreuungsbedarf orientiert. Die Hebammen könnten dadurch zwei Frauen gleichzeitig betreuen. Das ist in vielen Kliniken anders, fast die Hälfte der Hebammen kümmern sich laut Wissenschaftlichem Dienst des Bundestags um drei Gebärende gleichzeitig. „Dieser Betreuungsschlüssel wäre für viele Hebammen ein Traum“, sagt Decarrois. „In vielen Kliniken liegt er bei eins zu fünf.“

Die Hebammen am Clemenshospital sind durch das Belegsystem zwar besser aufgestellt, allerdings erfüllen auch sie immer noch nicht den Eins-zu-Eins-Betreuungsschlüssel, den die Bundesregierung im Koalitionsvertrag für die klinische Geburtshilfe anpeilt. Immerhin müssten die Hebammen am Clemenshospital niemanden abweisen. Wenn neue Fälle kommen, schauen die Hebammen, welche Kollegin Zeit für die Betreuung hat und welche Räume frei sind, sagt Tanja Decarrois. Teilweise sei es recht voll geworden, aber bisher habe man es in den Kreißsälen personell immer irgendwie hinbekommen. Allerdings: Es fehlten Räume auf der Wochenbettstation, sagt sie.

Die Hebammen ernstnehmen

Was muss sich also ändern in den Geburtskliniken in Münster? Julia Arnst vom Hebammennetzwerk Münsterland hat darauf drei Antworten. Zum einen braucht es mehr Personal auf den Stationen, nicht nur Hebammen, sondern auch Pflegekräfte und Fachärzt:innen. Und die Arbeitsbedingungen müssten sich verbessern. Arnst sagt, ihre Kolleginnen bekämen es in den Kliniken immer irgendwie hin, den Frauen ein Gefühl von Geborgenheit zu vermitteln. Aber eben unter widrigen Umständen.

Die dritte Lösung: Die Fallpauschalen sollten in der Geburtshilfe abgeschafft werden, sagt Arnst. Geburten seien nicht planbar und im jetzigen System seien natürliche Geburten kein lukratives Geschäft. Das sieht Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach genauso. „Es darf nicht länger sein, dass auf dem Rücken von Kindern, Pflegekräften und Hebammen Gewinne gemacht werden“, sagte er heute im Bundestag. Und er versprach: „Jede Hebamme, die im Krankenhaus arbeitet, wird voll finanziert.“ Die Fallpauschalen will Lauterbach überwinden. Bleibt nur zu hoffen, dass er und sein Ministerium bei allen weiteren Schritten auch wirklich an die Hebammen denken werden. (sfo)


Korrekturen

Im RUMS-Brief am Dienstag ging es um Fußball, um die Weltmeisterschaft und um ein Tor, das fiel, als die eigentliche Spielzeit vorbei war. Das war in diesem Fall allerdings nicht die Verlängerung, was man nach 40 Jahren Fußballgucken natürlich wissen müsste, es war die Nachspielzeit. Wir haben das geändert. (rhe)

Corona-Update

+++ Am Dienstag haben wir im RUMS-Brief gemeldet, dass es mit der Verlängerung der Corona-Schutzverordnung in Nordrhein-Westfalen keine neuen Regeln gibt. Das hat sich keine 24 Stunden später schon wieder geändert: Der WDR meldete am Mittwoch, dass das Freitesten wegfällt. Wer positiv auf das Coronavirus getestet wird, muss sich aber weiterhin fünf Tage isolieren. Danach endet die Isolationspflicht, egal welches Ergebnis ein Kontrolltest anzeigt. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann appelliert allerdings zur Eigenverantwortung: Wer nach fünf Tagen immer noch positiv getestet werde oder sich krank fühle, solle bitte zu Hause bleiben. Das dürfte bei dem derzeitigen Schmuddelwetter zum Glück kein Problem sein. (sfo)

+++ Und wo wir gerade bei den verwirrenden Coronaregeln sind: Falls Sie den Überblick über die Impfempfehlungen verloren haben, schauen Sie einmal beim Impfcheck der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung nach. Dort können Sie ein paar Fragen beantworten, um zu schauen, ob Sie sich noch gegen Covid-19 impfen lassen sollten. Noch bis zum Ende des Jahres können Sie sich übrigens im Jovel impfen lassen. (sfo)

+++ Die Stadt meldet seit gestern 129 positive PCR-Tests. Insgesamt gelten 1.139 Münsteraner:innen offiziell als infiziert. Die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Menschen liegt laut Robert-Koch-Institut bei 226. Auf der Intensivstation liegen in Münster drei Infizierte, meldet das Intensivregister. Niemand wird invasiv beatmet. Allerdings ist diese Woche leider ein neuer Todesfall im Zusammenhang mit Covid-19 bekannt geworden. Seit Beginn der Pandemie sind 239 Menschen an oder mit Corona verstorben. (vpe)

Ein-Satz-Zentrale

+++ Von Montag bis Freitag ist die Münzstraße tagsüber auf einer Straßenseite in Richtung Schlossplatz gesperrt. (Stadt Münster)

+++ Weil die Grundschule auf dem York-Gelände nicht rechtzeitig fertig wird, richtet die Stadt einmalig eine fünfte erste Klasse an der Ida-Schule ein. (Westfälische Nachrichten)

+++ Die Unternehmen in Münster stellen im Moment nur verhalten Personal ein. (Arbeitsagentur Ahlen-Münster)

+++ Da sich Betroffene von sexualisierter Gewalt ein Seelsorgeangebot wünschen, bittet das Bistum sie um Hinweise. (Kirche und Leben)

+++ Rainer Autsch wird Leiter des Kirchengerichts der Diözese Münster. (Domradio)

+++ Der SC Preußen Münster will mit Motto-Trikots („Schwarz-Weiß-Grün ist bunt“) am Samstag ein Zeichen setzen. (Alles Münster)

+++ Der Landschaftsverband und seine Kulturstiftung wollen den Blick auf die koloniale Vergangenheit der Region lenken. (Landschaftsverband Westfalen-Lippe)

+++ Die Stadt eröffnet am Montag eine Beratungsstelle für Wohn- und Energiekosten. (Stadt Münster)

+++ Die Autobahn 1 ist von Freitagabend 22 Uhr bis Montagmorgen 5 Uhr zwischen Hiltrup und Ascheberg in beide Richtungen gesperrt, weil dort acht Brückenteile platziert werden. (Zeit Online)

+++ Münsters Klimabeirat unterstützt die Idee des Oberbürgermeisters, einen Klimahaushalt einzurichten. (Klimabeirat)

Unbezahlte Werbung

Im ExKaffee am Hansaring gibt es kalte Getränke, leckeren Kaffee von Herrn Hase, täglich wechselnde Mittagsgerichte und am Wochenende vegetarische sowie vegane Frühstückskreationen – auch vom Buffet. Das gemütliche Café hat als eine Art Kantine angefangen. Ursprünglich diente es als Aufenthaltsort für die Männer, die tagsüber Gebäude entkernten. Das Unternehmen ist inzwischen nach Hiltrup umgezogen, der Charme des industriellen Einrichtungsstils ist geblieben.

Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne einfach über den Link.

Drinnen und Draußen

Nicht nur der Weihnachtsmarkt in Münster ist einen Besuch wert. Auch sonst ist in der Stadt wieder viel los. Eva Strehlke hat diese Empfehlungen für Sie herausgesucht:

+++ Ein Spontantipp: Heute findet die Digitale Mathenacht aus Berlin, Bonn und Münster statt. Noch bis Mitternacht lockt ein vielfältiges Programm. Einen Überblick über die Vorträge bekommen Sie auf der Homepage der Uni Münster, zuhören können Sie direkt über diesen Link. Eine Anmeldung ist nicht notwendig.

+++ Julian Assange, Wikileaks-Gründer und möglicherweise der berühmteste politische Gefangene der Welt, soll an die USA ausgeliefert werden. Dort drohen ihm bis zu 175 Jahre Gefängnis. Morgen wird im Cinema Ithaka gezeigt, ein Film über den Kampf seines Vaters um Assanges Freiheit. Im Anschluss findet ein Publikumsgespräch mit Assanges Ehefrau und Anwältin Stella Assange, Produzent Adrian Devant und den Journalisten Craig Murray und Niels Ladefoged statt. Tickets gibt es online. Wenn Sie sich vorab die Geschehnisse rund um Assanges Verhaftung in Erinnerung rufen wollen, empfehlen wir den Podcast von Zeit Verbrechen zum Thema.

+++ Unseren Adventskalender haben Sie hoffentlich schon entdeckt. Auch bei der Uni Münster können Sie täglich ein Türchen öffnen. Dahinter warten auf Sie: Quizfragen aus allen Fachbereichen, interessante Fakten und wertvolle Preise aus Münster und ganz Deutschland. Heute zum Beispiel ein Schnupper-Segelkurs bei der Yachtschule Overschmidt.

+++ Am Sonntag findet das Adventssingen auf dem Domplatz statt. Von 16:30 bis 17:30 Uhr werden unter Anleitung von David Rauterberg und Philip Ritter Weihnachtslieder gesungen. Bringen Sie ein Windlicht mit, wenn Sie vorbeikommen!

+++ Über die Debatte rund um den Namen der Uni Münster haben wir schon mehrfach berichtet, in einem Brief im vergangenen Jahr sehr ausführlich. Nächste Woche finden gleich zwei Veranstaltungen zum Thema statt: Am 5. Dezember die Debatte „Wilhelm II. heute“ und am 7. Dezember eine Diskussion unter dem Titel „Umstrittene Erinnerung“. Beide Veranstaltungen finden in der Aula im Schloss statt und beginnen um 18:15 Uhr. Sie können auch per Livestream zuschauen. Den Link und weitere Informationen zu den Veranstaltungen finden Sie dann hier.

+++ Am Montag von 19 bis 20 Uhr spricht Dr. Gerd Wiegel von der Linken im F24 über die Entwicklung der extremen Rechten in Europa in den letzten Jahren. Der Vortrag ist Teil der Veranstaltungsreihe „100 Jahre Antifaschismus“. Der Eintritt ist frei.

+++ Die Royal Society for Putting Things on Top of Other Things, also die Königliche Gesellschaft, die Dinge auf andere legt, ist bekannt als Sketch von Monty Python. Auch das neue Projekt des Münsteraner Saxophonisten Jan Klare trägt diesen Titel. Gemeinsam mit anderen Musiker:innen hat er – teilweise ausgehend von Gesellschaftsspielen – Texte und Kompositionen entwickelt, die jetzt im Pumpenhaus zu hören sind. Tickets für die Aufführung am Mittwoch um 20 Uhr bekommen Sie hier.

Und zwei Empfehlungen von Ralf Heimann, für die Sie das Haus nicht verlassen müssen:

+++ Die Stiftung „EnableMe Deutschland“ hat ein Interview mit unserem Kolumnisten Ludwig Lübbers geführt. Wenn Sie ihn noch etwas besser kennenlernen möchten, hier entlang.

+++ Heiner Wember, der an der Wartburg-Grundschule in Gievenbeck Radio macht, vielleicht erinnern Sie sich, hat für den WDR ein Radiofeature gemacht, in dem es um Bestattungen geht. Klingt nicht so, als wollte man sich das anhören. Aber machen Sie das mal, es ist eine sehr liebevoll erzählte Geschichte, in der zum Beispiel ein alter Porsche eine Rolle spielt und eine ältere Frau, über die Wember sagt: „Sie ist weit über 90. Dafür fährt sie weit unter 90.“ Hier finden Sie die 22 Minuten lange Sendung.

Am Dienstag schreibt Ihnen Ralf Heimann. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und einen schönen zweiten Advent.

Herzliche Grüße
Sebastian Fobbe

Mitarbeit: Jan Große Nobis (jgn), Ralf Heimann (rhe), Viktoria Pehlke (vpe), Antonia Strotmann (ast)
Lektorat: Antonia Strotmann


PS

Die Aidsambulanz der Uniklinik Münster betreut knapp 700 Patient:innen, die mit dem HI-Virus leben. Seit Anfang des Jahres suchen dort vermehrt Geflüchtete aus der Ukraine Hilfe, denn das Land hat die zweithöchste HIV-Prävalenz in Europa. Eine Ansteckung hat für die Betroffenen lebenslange Folgen. Das ist die eine Seite der Geschichte, die negative. Aber die Geschichte wäre nicht komplett, wenn wir uns nicht die andere Seite anschauen würden: das, was gut läuft. Diesen anderen, aber sehr wichtigen Teil hat die Journalistin Lara Malberger von Perspective Daily vor ein paar Jahren aufgeschrieben. Ihr Text handelt von den Fortschritten der Wissenschaft, denn die Diagnose „HIV-positiv“ bedeutet schon lange kein Todesurteil mehr. Therapien und Medikamente können den Betroffenen inzwischen ein langes und erfülltes Leben ermöglichen. Das ist ein großartiger Erfolg, an den der gestrige Weltaidstag erinnert.