Der Fall Thomas Robbers | Die Geschichte eines kommunikativen Debakels

Guten Tag,

am Mon­tag­nach­mit­tag um 14.21 Uhr ver­schick­te die städ­ti­sche Wirt­schafts­för­de­rungs­ge­sell­schaft die vor­erst letz­te E-Mail, in der die Welt noch in Ord­nung schien. Betreff­zei­le: „Neu­er Rekord: Büro­flä­chen­um­satz erst­mals sech­stel­lig.“ Mit der Nach­richt kamen eine Pres­se­mit­tei­lung, eine Gra­fik und ein Foto, auf dem unter ande­rem Tho­mas Rob­bers zu sehen ist. Rob­bers, 57 Jah­re alt und mit einer Unter­bre­chung seit 28 Jah­ren Chef der städ­ti­schen Wirt­schafts­för­de­rung, hält einen Bericht in die Kame­ra, die neue Büro­markt­stu­die für Müns­ter. Er schaut ernst und gleich­zei­tig freund­lich. In den ver­gan­ge­nen Jah­ren sind Hun­der­te sol­cher Fotos von ihm ent­stan­den. Aber die­ses ist das letz­te in sei­ner Funktion.

Nur weni­ge Stun­den, nach­dem die E-Mail her­aus­ging, kamen die Chefs der fünf Rats­frak­tio­nen im Rat­haus zusam­men, um Tho­mas Rob­bers als Geschäfts­füh­rer der Wirt­schafts­för­de­rung abzu­be­ru­fen. Danach folg­te ein Lehr­stück für miss­glück­te Kom­mu­ni­ka­ti­on, an des­sen Ende vie­le offe­ne Fra­gen stehen.

Die ers­te Chan­ce, die offe­nen Fra­gen zu beant­wor­ten, ließ die Stadt noch am Mon­tag­abend ver­strei­chen. Um 19.09 Uhr ver­öf­fent­lich­te das Pres­se­amt eine Mit­tei­lung mit der Über­schrift: „Käm­me­rin Chris­ti­ne Zel­ler und Stadt­bau­rat Robin Denstorff füh­ren kom­mis­sa­risch die Wirt­schafts­för­de­rung Müns­ter.“ Es klingt, als gin­ge es hier ledig­lich um die Neu­be­set­zung einer offe­nen Stelle.

Dass Tho­mas Rob­bers per Dring­lich­keits­ent­schei­dung abbe­ru­fen wur­de, steht wei­ter unten, als wäre es gar nicht so wich­tig. Dabei kommt so etwas nur in abso­lu­ten Aus­nah­me­fäl­len vor – wenn wirk­lich über­haupt kei­ne Zeit mehr bleibt. Die nächs­te regu­lä­re Auf­sichts­rats­sit­zung hät­te schon am kom­men­den Tag statt­ge­fun­den, am Diens­tag um 17 Uhr. Doch so viel Zeit soll­te nicht mehr vergehen.

War­um die Sache so eilig war, deu­tet der letz­te Satz der Pres­se­mit­tei­lung nur an. „Die Grün­de für die Abbe­ru­fung sol­len zum jet­zi­gen Zeit­punkt und zum Schutz der Pri­vat­sphä­re Drit­ter nicht öffent­lich gemacht wer­den“, heißt es dort. Das klingt nicht, als hät­te Tho­mas Rob­bers Geld unter­schla­gen oder sich bestechen las­sen. Es klingt nach etwas Gra­vie­ren­de­rem. Und damit beginnt das Raunen.

Die Stadt Müns­ter hät­te schon hier für Klar­heit sor­gen kön­nen, doch den ers­ten Teil einer mög­li­chen Ant­wort lie­fer­ten um 21.30 Uhr die West­fä­li­schen Nach­rich­ten (inzwi­schen mehr­fach ver­än­dert). In einer ers­ten Mel­dung schreibt Chef­re­dak­teur Nor­bert Tie­mann, Rob­bers „soll eine zu nahe pri­va­te Ver­bin­dung zum Haupt­be­schul­dig­ten des Miss­brauchs­skan­dals haben“. Tie­mann will erfah­ren haben, dass Lewe einen Hin­weis erhal­ten hat­te. In einem Tele­fo­nat soll Rob­bers sei­ne Ver­bin­dung zum Haupt­ver­däch­ti­gen „bei­läu­fig bestä­tigt“ haben. Der Auf­for­de­rung, eine schrift­li­che Stel­lung­nah­me abzu­ge­ben, sei Rob­bers „nur bedingt nach­ge­kom­men“. Der Rest bleibt der Fan­ta­sie über­las­sen. Eine Quel­le für die­se Infor­ma­tio­nen nennt Tie­mann nicht.

Aber er hat anschei­nend auch mit Ober­bür­ger­meis­ter Mar­kus Lewe gespro­chen. Der sag­te ihm einen zitier­fä­hi­gen Satz: „Müns­ters Anse­hen und das Ver­trau­en in die städ­ti­schen Insti­tu­tio­nen stan­den auf dem Spiel und sind durch die­se Dring­lich­keits­ent­schei­dung des Rates vor Scha­den bewahrt wor­den.“ Aber das war offen­bar alles.

Das Motiv ist wichtig

Wer im Jour­na­lis­mus arbei­tet, weiß: Bei sol­chen Gele­gen­hei­ten kann es schon mal pas­sie­ren, dass Men­schen, die offi­zi­ell nichts sagen kön­nen, dann doch etwas ver­ra­ten – mit dem Hin­weis: „Das haben Sie aber nicht von mir.“ Übli­cher­wei­se liest man dann For­mu­lie­run­gen wie „Nach Infor­ma­tio­nen unse­rer Zei­tung“ oder „Wie wir aus Insi­der-Krei­sen erfah­ren haben“. Das kann durch­aus im Sin­ne der Öffent­lich­keit sein. Es ist eine Mög­lich­keit, wich­ti­ge Infor­ma­tio­nen öffent­lich zu machen, ohne den Job zu ris­kie­ren. Den Jour­na­lis­tin­nen und Jour­na­lis­ten, die so vor­ge­hen, kann man allen­falls vor­wer­fen, dass sie den Ver­dacht auf ihre Quel­le len­ken, wenn es im Bei­trag nur eine Quel­le gibt.

Mög­li­cher­wei­se hat Tie­mann die Infor­ma­ti­on auch von irgend­wem anders erhal­ten. Das wis­sen wir nicht. Aber ein Gedan­ke bei die­sen Ver­öf­fent­li­chun­gen ist immer wich­tig: Wenn Quel­len etwas ver­ra­ten, das sie nicht ver­ra­ten dür­fen, muss das kein selbst­lo­ser Gefal­len an die Öffent­lich­keit sein. Es kann dafür unter­schied­li­che Moti­ve geben. In die­sem Fall könn­te die Absicht gewe­sen sein, schnell einen mög­lichst brei­ten Gra­ben zwi­schen die Stadt und den abbe­ru­fe­nen Chef der Wirt­schafts­för­de­rung zu pflü­gen, um Abstand zu gewin­nen, das Image der Stadt zu schüt­zen, viel­leicht auch das eige­ne. Im Sep­tem­ber sind schließ­lich Kommunalwahlen.

Laut Tho­mas Rei­se­ner, Pres­se­spre­cher der Stadt Müns­ter, war der Kreis der ein­ge­weih­ten Men­schen über­schau­bar. Vor der Dring­lich­keits­ent­schei­dung habe man sich unter ande­rem mit „ver­ant­wort­li­chen Ver­tre­tern von Gre­mi­en“ und „aus­ge­wähl­ten Mit­ar­bei­tern der Stadt­ver­wal­tung“ abge­stimmt, schreibt er.

Eine inter­es­san­te Fra­ge wäre: Wem aus dem klei­nen Kreis der Men­schen, die Bescheid wuss­ten, war die Pri­vat­sphä­re von Drit­ten, die laut der Stadt ja geschützt wer­den soll­te, denn egal? Vor allem aber: Warum?

Robbers gilt als Zeuge

Ein Grund könn­te sein, dass die Per­son, die der Öffent­lich­keit die Vor­wür­fe ver­ra­ten hat, viel­leicht doch etwas mehr wuss­te, als bekannt war, und so zu der Ein­schät­zung kam, dass die Öffent­lich­keit über die Vor­wür­fe Bescheid wis­sen müs­se. Dann müss­te die Stadt erklä­ren, war­um sie die­se wich­ti­gen Infor­ma­tio­nen unter Ver­schluss gehal­ten hat. Eine ande­re Mög­lich­keit wäre: Die Per­son hat sich schlicht verplappert.

Auf die­se Vari­an­te wür­de hin­deu­ten, dass Tho­mas Rob­bers, wie Ober­staats­an­walt Mar­tin Bot­zen­hardt bestä­tigt, schon am 8. Juni die Staats­an­walt­schaft über sei­ne Ver­bin­dung zum Haupt­ver­däch­ti­gen infor­miert hat, es aber bis­her kei­ne Ermitt­lun­gen gibt. Rob­bers gilt als Zeu­ge. Das ist auch der Infor­ma­ti­ons­stand im NRW-Innenministerium.

Tho­mas Rob­bers hat dem WDR bestä­tigt, dass er den Tat­ver­däch­ti­gen und des­sen Mut­ter gut ken­ne. Er habe bei­den mehr­fach kos­ten­los sei­ne Woh­nung zur Ver­fü­gung gestellt. Von den Tat­vor­wür­fen habe er nichts gewusst. „Wir konn­ten das nicht erken­nen, sonst hät­ten wir das nicht ange­bo­ten“, sagt er.

Natür­lich kann es sein, dass Tho­mas Rob­bers lügt. Oder dass er sich falsch ver­hal­ten hat. Der WDR-Bericht deu­tet dar­auf hin, dass er Feh­ler gemacht hat. Lewe soll Rob­bers sechs Fra­gen zur Ver­bin­dung zum Haupt­ver­däch­ti­gen gestellt haben. Rob­bers sei der Bit­te, die­se zu beant­wor­ten, nicht nach­ge­kom­men. Aber um wel­che Fra­gen ging es? Und war­um hat Rob­bers nicht geant­wor­tet? Das bleibt wei­ter offen.

Der falsche Eindruck bleibt

Um die Situa­ti­on ein­schät­zen zu kön­nen, muss man auf die Bewer­tung von Men­schen zurück­grei­fen, die die­se Fra­gen ken­nen soll­ten. Zum Bei­spiel SPD-Frak­ti­ons­chef Micha­el Jung. Er schreibt am Diens­tag in einer Pres­se­mit­tei­lung: „Die ges­tern per Dring­lich­keits­ent­schei­dung voll­zo­ge­ne Tren­nung von Dr. Tho­mas Rob­bers war abso­lut zwin­gend ange­sichts des ent­stan­de­nen Vertrauensschadens.“

Doch wenn die­se Ein­schät­zung stimmt und Rob­bers die Wahr­heit sagt, war der Grund für sei­ne Abbe­ru­fung nicht die Nähe zum Haupt­ver­däch­ti­gen im Miss­brauchs­fall, wie die West­fä­li­schen Nach­rich­ten es in ihrer Mel­dung vom Mon­tag­abend wei­ter­hin nahe­le­gen. Dann führ­te sein Ver­hal­ten nach dem Bekannt­wer­den zu sei­ner Frei­stel­lung. Und das ist ein gro­ßer Unter­schied. Vom Haupt­ver­däch­ti­gen täu­schen las­sen haben sich schließ­lich vie­le, sogar die Fach­leu­te im Jugendamt.

Inzwi­schen haben die West­fä­li­schen Nach­rich­ten im Vor­spann unter der Über­schrift nach­träg­lich den Hin­weis ein­ge­fügt, dass es kei­ne straf­recht­lich rele­van­ten Vor­wür­fe gegen Rob­bers gibt. Doch das ändert nichts am fal­schen Ein­druck, den die unvoll­stän­di­gen Infor­ma­tio­nen im Arti­kel wei­ter­hin vermitteln.

Die Stadt Müns­ter hät­te das alles ver­hin­dern kön­nen, wenn sie von Beginn an für Trans­pa­renz gesorgt hät­te. Dass Infor­ma­tio­nen an die Öffent­lich­keit gelan­gen wür­den, war mit Blick auf den Kreis der Ein­ge­weih­ten und Erfah­run­gen aus der Ver­gan­gen­heit ziem­lich wahr­schein­lich. Und wenn nur ein unvoll­stän­di­ger Teil der Infor­ma­tio­nen nach außen gelangt, wie es schließ­lich pas­sier­te, ver­ur­sacht das schnell einen Ver­dacht, der für immer haf­ten bleibt. Die­ser Ver­dacht exis­tiert nun.

Frage nach dem Grund gestrichen

Bei der Stadt sieht man das offen­bar anders. Das Pres­se­amt ist bei der Auf­klä­rung wei­ter­hin wenig behilf­lich. Die Fra­ge nach dem Grund für die Abbe­ru­fung von Tho­mas Rob­bers hat Spre­cher Tho­mas Rei­se­ner aus unse­rem Fra­gen­ka­ta­log gestrichen.

Auf die Fra­ge, wann der Ober­bür­ger­meis­ter von Rob­bers’ Ver­bin­dung zum Tat­ver­däch­ti­gen wuss­te, ant­wor­tet Rei­se­ner, ohne einen genau­en Zeit­punkt zu nen­nen. Die Infor­ma­tio­nen hät­ten die Stadt „in der ver­gan­ge­nen Woche“ erreicht. Auf die Fra­ge, wann Tho­mas Rob­bers infor­miert wur­de, nennt Rei­se­ner als Zeit­punkt: „vor der Ent­schei­dungs­fin­dung des Rates“. Und auf die Fra­ge, wann das Tele­fo­nat zwi­schen Mar­kus Lewe und Tho­mas Rob­bers statt­fand, in dem Rob­bers sei­ne Ver­bin­dung zum Tat­ver­däch­ti­gen ein­ge­räumt haben soll, ant­wor­tet Rei­se­ner: „Solan­ge dem kei­ne über­ge­ord­ne­ten Rechts­pflich­ten ent­ge­gen­ste­hen, wird die Stadt Müns­ter den Inhalt ver­trau­li­cher Infor­ma­tio­nen nicht weitergeben.“

Die Betreff­zei­le der E-Mail lau­tet: „AW: Ent­wurf für Ant­wor­ten auf Medi­en­fra­gen zum The­ma“. Wirk­li­che Ant­wor­ten ste­hen zwar nicht in der E-Mail. Aber es wer­den nicht die letz­ten Fra­gen sein, die bei der Stadt zu die­sem Fall eingehen.

Am Frei­tag schreibt Ihnen wie­der mei­ne Kol­le­gin Kat­rin Jäger. Haben Sie bis dahin eine schö­ne Woche.

Herz­li­che Grü­ße
Ralf Heimann