Die elektronische Patientenakte | Neue Impf-Zahlen | Essen wie an der Adria

Müns­ter, 25. Mai 2021

Guten Tag,

man­che Din­ge sind vor allem dann nicht zu fin­den, wenn man sie braucht. Der Haus­schlüs­sel zum Bei­spiel, das Porte­mon­naie oder in die­sen Tagen der Impf­pass. Das ist ärger­lich. Wenn der Medi­ka­men­ten­plan nicht zu fin­den ist, kann das auch gefähr­lich sein.

Die elek­tro­ni­sche Pati­en­ten­ak­te soll unter ande­rem die­ses Pro­blem lösen. Und sie soll noch viel mehr mög­lich machen. Rönt­gen­bil­der müss­te man nicht mehr selbst in die Pra­xis schlep­pen, denn dort lägen sie schon als digi­ta­le Datei­en vor. Die Ortho­pä­din bei­spiels­wei­se könn­te sehen, wel­che Krank­hei­ten der Pati­ent schon hat­te, und wel­che Medi­ka­men­te die Haus­ärz­tin ver­schrie­ben hat. Theo­re­tisch könn­ten Com­pu­ter anony­mi­sier­te Gesund­heits­da­ten tau­sen­der Men­schen aus­wer­ten und Krank­heits­mus­ter ent­de­cken, die ein Mensch beim Blick auf die Wer­te nicht erken­nen kann. Das klingt wie ein Traum. Zunächst.

Lothar Sei­te und Hen­ning Heck sind nicht ganz so opti­mis­tisch, was die neu­en Mög­lich­kei­ten angeht. Des­we­gen sind die bei­den psy­cho­lo­gi­schen Psy­cho­the­ra­peu­ten in den Wider­stand gegan­gen. Bei­de haben eine eige­ne Pra­xis, Sei­te in Coes­feld, Heck in Gre­ven. Und bei­de wol­len auf die Gefah­ren der elek­tro­ni­schen Pati­en­ten­ak­te (ePa) hin­wei­sen, zusam­men mit ande­ren Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen. Sie haben sich der West­fä­li­schen Initia­ti­ve zum Schutz von Pati­en­ten­da­ten (WISPA) ange­schlos­sen, die auf ihrer Web­site dar­über infor­miert, was pas­siert, „wenn einer dei­ne Daten Cloud“. Es ist ein lus­ti­ges Wort­spiel, aber eigent­lich ist den Mit­glie­dern nicht zum Scher­zen zumu­te. Gesund­heits­da­ten zen­tral zu spei­chern, das ver­stößt nach ihrer Auf­fas­sung gegen die ärzt­li­che Schweigepflicht.

Start in drei Etappen

Ver­hin­dern wird die Initia­ti­ve die elek­tro­ni­sche Pati­en­ten­ak­te nicht. Die Test­pha­se läuft bereits. Seit dem 1. Janu­ar bie­ten Kran­ken­kas­sen die Akten als Apps an. Das Instal­lie­ren dau­ert nur weni­ge Sekun­den. Dann kann man die Soft­ware nut­zen, wenn man möch­te. Man muss es nicht.

Am 1. Janu­ar hät­te eigent­lich schon der regu­lä­re Betrieb begin­nen sol­len. Aber als klar gewor­den sei, dass der Ter­min uto­pisch war, habe man sich das Wort Test­pha­se über­legt, sagt Maria Klein-Schmeink, die gesund­heits­po­li­ti­sche Spre­che­rin der Grü­nen im Bun­des­tag. Es ärgert sie. Der Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter ris­kie­re damit den Erfolg des gesam­ten Pro­jekts, sagt sie.

Die Test­pha­se ist die ers­te von drei Etap­pen. Wäh­rend sie läuft, ist die elek­tro­ni­sche Pati­en­ten­ak­te nur in weni­gen Modell­re­gio­nen ver­füg­bar. West­fa­len-Lip­pe ist eine davon. Hier neh­men laut dem Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um 47 Pra­xen, Apo­the­ken, Kran­ken­häu­ser oder Pfle­ge­ein­rich­tun­gen teil. Ins­ge­samt gibt es 207 sol­cher Modell­ein­rich­tun­gen. Wie vie­le sich davon in Müns­ter befin­den, konn­te uns weder das Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um beant­wor­ten noch die Gesell­schaft Gema­tik, die zu 51 Pro­zent dem Bund gehört und für die Ein­füh­rung der Akte ver­ant­wort­lich ist. An der für das zwei­te Quar­tal geplan­ten zwei­ten Pha­se betei­li­gen sich bun­des­weit 200.000 Ein­rich­tun­gen. Ab Juli will der Bund die elek­tro­ni­sche Pati­en­ten­ak­te flä­chen­de­ckend etablieren.

Der Anschluss an das zen­tra­le Sys­tem ist schon heu­te ver­pflich­tend. Wer sich wei­gert, bekommt weni­ger Geld. Dann kür­zen die kas­sen­ärzt­li­chen Ver­ei­ni­gun­gen die Hono­ra­re um 2,5 Pro­zent. Lothar Sei­te und Hen­ning Heck neh­men das in Kauf, wie auch die übri­gen Mit­glie­der der Initiative.

Kritikpunkt: fehlende Transparenz

Lothar Sei­te arbei­tet seit 30 Jah­ren als Psy­cho­the­ra­peut. Er hat schon vie­les mit­er­lebt. Anfangs die Kar­tei­kar­ten, spä­ter die Ein­füh­rung der elek­tro­ni­schen Gesund­heits­kar­te. Doch dies­mal sagt er: „Wir woll­ten das ein­fach nicht ver­ant­wor­ten.“ Hen­ning Heck fing an, sich kri­tisch mit der elek­tro­ni­schen Gesund­heits­ak­te zu befas­sen, nach­dem er die Bio­gra­fie des Whist­le­b­lo­wers Edward Snow­den gele­sen hat­te. „Je mehr wir uns mit der The­ma­tik beschäf­tigt haben, des­to mehr hat sich unser schlech­tes Bauch­ge­fühl bestä­tigt“, sagt er.

Aber wie kommt es zu die­sem Gefühl?

Ein Kri­tik­punkt an dem Pro­jekt ist die feh­len­de Trans­pa­renz. Und wie schwie­rig es ist, an Infor­ma­tio­nen zu kom­men, haben wir im Lau­fe der Recher­che erlebt. Wir hät­ten gern mit einer Pra­xis gespro­chen, die an der Test­pha­se teil­nimmt, am bes­ten aus Müns­ter oder dem Umland, viel­leicht mit Men­schen, die an der Ein­füh­rung betei­ligt sind. Doch das ist offen­bar nicht erwünscht.

Wir haben es über Hen­drik Oen pro­biert, den Spre­cher der nie­der­ge­las­se­nen Ärz­te in Müns­ter. Es hieß, er habe kei­ne Zeit. Das ist in die­ser Zeit zu ver­ste­hen. Es gibt Wich­ti­ge­res im Moment. Aber auch die im Moment wich­ti­gen The­men haben mit der elek­tro­ni­schen Pati­en­ten­ak­te zu tun. Der digi­ta­le Impf­pass wird Teil der Akte sein. Wir hät­ten Fra­gen gehabt. Aber man schick­te uns von einer Stel­le zur nächsten.

Das Gesund­heits­amt der Stadt ver­wies auf die Kas­sen­ärzt­li­che Ver­ei­ni­gung, in der alle Vertragsärzt:innen und Vertragspsychotherapeut:innen orga­ni­siert sind. Dort hieß es, die Gesell­schaft Gema­tik sei zustän­dig. Die Pres­se­stel­le teil­te uns mit, Tele­fon­in­ter­views sei­en momen­tan nicht mög­lich. Eine Pra­xis aus der Modell­re­gi­on dür­fe man uns nicht nen­nen. Schließ­lich haben wir uns selbst auf die Suche gemacht und sogar tat­säch­lich eine Pra­xis gefun­den. Doch dort woll­te man nicht mit uns sprechen.

Zwei Drittel haben Angst vor Missbrauch

So eine Infor­ma­ti­ons­po­li­tik schürt Miss­trau­en, und das ist beson­ders dann pro­ble­ma­tisch, wenn es sich um ein Pro­jekt han­delt, dem vie­le Men­schen ohne­hin kri­tisch gegen­über­ste­hen. Nach einer aktu­el­len Umfra­ge des Deut­schen The­ra­peu­ten-Netz­werks sind fast neun von zehn Befrag­ten (86 Pro­zent) dage­gen, dass die Daten an einer zen­tra­len Stel­le gespei­chert wer­den. Eine Umfra­ge des Sach­ver­stän­di­gen­rats zur Begut­ach­tung der Ent­wick­lung im Gesund­heits­we­sen kam zu dem Ergeb­nis, dass mehr als zwei Drit­tel der Befrag­ten (65 Pro­zent) Angst davor haben, dass ihre Daten miss­braucht wer­den könnten.

Aber wie wahr­schein­lich ist das? Und wel­che Gefah­ren bestehen überhaupt?

Die Gesell­schaft Gema­tik schreibt in einer Pres­se­mit­tei­lung, die Infra­struk­tur sei sicher. Doch auch wenn das Sys­tem sicher ist, bleibt immer noch die Schwach­stel­le Mensch. Und wenn Gesund­heits­da­ten öffent­lich wer­den, kann der Scha­den gewal­tig sein.

Wer in den Besitz von Gesund­heits­da­ten kommt, kann ande­re Men­schen erpres­sen. Eine Masche ist, die gestoh­le­nen Daten zu ver­schlüs­seln und für die Ent­schlüs­se­lung von den Opfern sehr viel Geld zu ver­lan­gen. Eine ande­re ist, mit der Ver­öf­fent­li­chung von sen­si­blen Daten zu dro­hen und so Geld zu erpressen.

Dabei kann es sich bei­spiels­wei­se um Befun­de aus der Psy­cho­the­ra­pie oder um Krank­hei­ten han­deln. So sind in Sin­ga­pur bei­spiels­wei­se die Namen, Adres­sen und Tele­fon­num­mern von 14.200 HIV-Patient:innen ver­öf­fent­licht wor­den. Das ist kein Ein­zel­fall. In Finn­land sind ver­trau­li­che Noti­zen aus Psy­cho­the­ra­pie­sit­zun­gen Tau­sen­der Men­schen in fal­sche Hän­de gera­ten und zur Erpres­sung genutzt wor­den. Die Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Zei­tung berich­te­te im ver­gan­ge­nen Novem­ber von 43 erfolg­rei­chen Angrif­fen auf Gesundheitsdienstleister:innen allein in die­sem Jahr. Dar­un­ter war die Uni­kli­nik Düs­sel­dorf. Auch in Frank­reich haben Kri­mi­nel­le sen­si­ble Daten aus Kran­ken­häu­sern gestoh­len.

Die Gesetzeslage ist kompliziert

Wäh­rend Vor­rei­ter Däne­mark bei der Digi­ta­li­sie­rung des Gesund­heits­we­sens auf eine brei­te Akzep­tanz der Bevöl­ke­rung bau­en kann, ist in Deutsch­land die Sor­ge um den Daten­schutz groß. Zudem ist die Geset­zes­la­ge hier nicht ganz ein­deu­tig. Euro­pa­weit gilt die Daten­schutz-Grund­ver­ord­nung (DSGVO), in Deutsch­land das Pati­en­ten­da­ten-Schutz-Gesetz (PDSG). Teil­wei­se schei­nen sich die Vor­schrif­ten zu wider­spre­chen. Die wider­sprüch­li­chen Regeln wären eigent­lich kein Pro­blem, denn es gilt: EU-Recht steht über natio­na­lem Recht. Doch zuletzt änder­te der Bun­des­tag das deut­sche Gesetz so, dass es nach Auf­fas­sung des Bun­des­da­ten­schutz­be­auf­trag­ten Ulrich Kel­ber nicht mehr im Ein­klang mit dem euro­päi­schen Recht steht. Kel­ber kri­ti­siert, dass es die von der euro­päi­schen Ver­ord­nung bei der Ein­füh­rung der elek­tro­ni­schen Pati­en­ten­ak­te gefor­der­te vol­le Hoheit über die Daten vor­erst nicht geben wer­de. Und auch die Ver­ant­wort­lich­kei­ten sind unge­klärt, da das deut­sche Recht die Gema­tik von der daten­schutz­recht­li­chen Ver­ant­wor­tung befreit. Gäbe es also Daten­pan­nen, wäre sie nicht zustän­dig. Aber wer dann?

Im ver­gan­ge­nen August kün­dig­te Kel­bers Behör­de an, gegen die gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen vor­zu­ge­hen, falls sie das neue Gesetz in der beschlos­se­nen Form umset­zen. Inzwi­schen hat auch der Bun­des­rat zuge­stimmt. Die neue Rege­lung ist beschlos­sen. Im Novem­ber warn­te Ulrich Kel­ber die Kran­ken­kas­sen noch, die elek­tro­ni­sche Pati­en­ten­ak­te in ihrer jet­zi­gen Form anzu­bie­ten. Ein Rechts­gut­ach­ten bestä­tig­te zuletzt, was Kel­ber bezwei­fel­te: Die elek­tro­ni­sche Pati­en­ten­ak­te ist EU-rechts­kon­form.

Es wirkt vie­les wie ein gro­ßes Durch­ein­an­der. Ein Licht­blick für Lothar Sei­te und Hen­ning Heck war bis­lang, dass Men­schen es sich aus­su­chen kön­nen, ob sie die elek­tro­ni­sche Pati­en­ten­ak­te nut­zen möch­ten oder nicht. Im letz­te­ren Fall könn­te es pas­sie­ren, dass das Pro­jekt schei­tert, weil sich nicht genü­gend Men­schen betei­li­gen. Doch das möch­te das Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um nun anschei­nend verhindern.

„Daten teilen heißt besser heilen

In einem Gut­ach­ten des Sach­ver­stän­di­gen­rats zur Begut­ach­tung der Ent­wick­lung im Gesund­heits­we­sen (SVR) heißt es, die alte Maxi­me der unbe­ding­ten Daten­spar­sam­keit und stren­gen Zweck­bin­dung sei von der Rea­li­tät über­holt wor­den. In ande­ren Wor­ten: Die Vor­tei­le sei­en grö­ßer als die Nach­tei­le. Der SVR-Vor­sit­zen­de Fer­di­nand Ger­lach kommt in dem Gut­ach­ten mit einem ein­präg­sa­men Satz zu Wort. Er lau­tet: „Daten tei­len heißt bes­ser hei­len.“ Dafür soll die Frei­wil­lig­keit weg­ge­fal­len und durch das soge­nann­te Opt-out-Ver­fah­ren ersetzt wer­den. Wider­spre­chen die Eltern nicht, bekommt das Kind die elek­tro­ni­sche Pati­en­ten­ak­te gleich zur Geburt.

Das kann man nun auf unter­schied­li­che Wei­se bewer­ten. Es wird den Men­schen so die Mög­lich­keit gege­ben, sich gegen die Akte ent­schei­den zu kön­nen. Aber es zwingt sie zugleich dazu, sich mit dem The­ma aus­ein­an­der­zu­set­zen. Kann man den Men­schen das zumuten?

Hen­nig Heck und Lothar Sei­te hiel­ten es für bes­ser, wenn die Teil­nah­me frei­wil­lig blie­be. Es ist nicht so, dass sie sich das Fax­ge­rät zurück­wün­schen wür­den. Aber sie hät­ten gern eine Grund­ein­stel­lung mit mehr Sicher­heit und etwas mehr Selbst­be­stim­mung. Es fängt schon an bei klei­nen Details. Im Moment ist es zum Bei­spiel nicht mög­lich, ein­zel­ne Doku­men­te nur bestimm­ten Per­so­nen frei­zu­ge­ben. Es gilt das Prin­zip „Alles oder nichts“ – oder wie Heck sagt: „Hopp oder Top“. Wer der Zahn­ärz­tin den Zugriff auf die Akte gewährt, gibt ihr auch die Mög­lich­keit, die Befun­de des Psych­ia­ters ein­zu­se­hen. Ab dem nächs­ten Jahr soll sich das ändern. Dann soll es mög­lich sein, auch nur ein­zel­ne Doku­men­te freizugeben.

Es ist ein Detail. Doch vie­le Kassenpatient:innen sind offen­bar nicht mal mit den Grund­la­gen ver­traut. In einer Befra­gung des Ham­bur­ger Markt­for­schungs­in­sti­tuts Con­sum­er­fieldwork und der Mün­che­ner Gesell­schaft Social­wa­ve gaben nur knapp zehn Pro­zent an, zu wis­sen, wie die elek­tro­ni­sche Pati­en­ten­ak­te über­haupt funk­tio­niert. Das bedeu­tet mög­li­cher­wei­se: Sie ken­nen weder Vor- noch Nach­tei­le. Und sie wis­sen schon gar nicht, was von den Vor­tei­len oder den ver­meint­li­chen Vor­tei­len zu hal­ten ist.

Oft lohnt ein zweiter Blick

Eines der Haupt­ar­gu­men­te für die elek­tro­ni­sche Pati­en­ten­ak­te ist: Daten über Dia­gno­sen, All­er­gien oder Not­fall­me­di­ka­men­te zu spei­chern, kann Leben ret­ten. Laut einer Meta­stu­die kann eine digi­ta­li­sier­te Gesund­heits­ver­sor­gung außer­dem die Behand­lungs­qua­li­tät stei­gern, Medi­ka­ti­ons­feh­ler ver­rin­gern und die Doku­men­ta­ti­ons­zeit verkürzen.

Ein ande­res Argu­ment ist: Die Pati­en­ten­ak­te kann hel­fen, Dop­pel­un­ter­su­chun­gen zu ver­mei­den. Doch ob das ein rele­van­tes Pro­blem im Gesund­heits­we­sen dar­stellt, ist zumin­dest laut die­ser Unter­su­chung des Ver­bands der nie­der­ge­las­se­nen Ärz­te Deutsch­lands fraglich. 

Für das Pro­blem mit den Not­fall­da­ten gäbe es eine Lösung ganz ohne Tech­nik. Seit 1987 gibt es den Euro­päi­schen Not­fall­pass in Papier­form. Aber ein Pass in Papier­form, der zu Hau­se auf der Kom­mo­de liegt, wenn er gebraucht wird, weil er ver­ges­sen wur­de? Ist das wirk­lich noch zeitgemäß?

Die Wis­sen­schaft hat gro­ßes Inter­es­se an den elek­tro­ni­schen Daten­sät­zen. Mar­tin Dugas, Direk­tor des Insti­tuts für medi­zi­ni­sche Infor­ma­tik der Uni Müns­ter, erklärt ihre mög­li­che Bedeu­tung: Aus­wir­kun­gen einer Erkran­kung lie­ßen sich über Jah­re ver­fol­gen. Bei­spiels­wei­se die lang­fris­ti­gen Fol­gen einer SARS-CoV-2-Infek­ti­on. Algo­rith­men kön­nen durch den Abgleich von Daten hel­fen, Auf­fäl­lig­kei­ten von Krank­hei­ten zu erken­nen, die Men­schen nie­mals sehen wür­den. Doch auch Dugas sieht die Gefahr von Cyber­at­ta­cken. Sein Fazit: „Bei ganz sen­si­blen Daten wür­de ich mich der­zeit noch auf Papier verlassen.“

Leser:innen werben Leser:innen

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Mit den Argu­men­ten für die Akte ist es wie mit denen dage­gen: Oft lohnt ein zwei­ter Blick. Dass vie­le Ärzt:innen die Akte ableh­nen, kann auch mit ihren eige­nen Inter­es­sen zu tun haben. Patient:innen kön­nen Dia­gno­sen und The­ra­pien plötz­lich nach­voll­zie­hen und kri­tisch hin­ter­fra­gen. Wer lässt sich schon gern in die Kar­ten schauen?

Der Gesund­heits­öko­nom Boris Augurz­ky vom RWI-Leib­niz-Insti­tut in Essen hat im Gespräch mit dem Deutsch­land­funk gesagt: „Dann haben Sie auch Trans­pa­renz über das Ver­sor­gungs­ge­sche­hen und kön­nen dann auch plötz­lich mal schau­en, wel­che Ver­sor­gungs­maß­nah­men was brin­gen“, sagt Augurz­ky. Und dann kön­ne man auch Gut von Schlecht bes­ser unter­schei­den. „Das ist nicht über­all so erwünscht, da hat man im deut­schen Gesund­heits­we­sen nicht so den Hang, sich so in die­sen, sage ich mal, Qua­li­täts­wett­be­werb hin­ein­zu­be­ge­ben“, sagt er.

Und dass Com­pu­ter Ärzt:innen nie­mals erset­zen kön­nen, weil ihnen Ein­füh­lungs­ver­mö­gen, Gefühl und der beson­de­re Blick für Men­schen fehlt, mag stim­men. Aber wenn es dar­um geht, zuver­läs­sig Krank­hei­ten zu dia­gnos­ti­zie­ren, gewinnt inzwi­schen oft die Maschi­ne. Wenn man Com­pu­ter mit fal­schen Daten füt­tert, pro­du­ziert auch das fal­sche Ergeb­nis­se. Aber kön­nen Com­pu­ter das erken­nen? Oder braucht man dazu Menschen?

Digital, aber dezentral

Lothar Sei­te ver­misst den öffent­li­chen Dis­kurs über sol­che Fra­gen. „Wir müs­sen dar­über reden, was für ein Gesund­heits­sys­tem wir wol­len“, sagt er. Der per­sön­li­che Kon­takt zwi­schen Ärzt:innen und Patient:innen steht für ihn im Vor­der­grund. Ob das Mehr an Daten­er­fas­sung wirk­lich zu einer Ver­bes­se­rung der Ver­sor­gung führt, bezwei­felt der Psy­cho­the­ra­peut. Aber gilt das in der Psy­cho­the­ra­pie glei­cher­ma­ßen wie in der Allgemeinmedizin?

Sei­te und die Men­schen in der Pati­en­ten­schutz-Initia­ti­ve for­dern eine dezen­tra­le Digi­ta­li­sie­rung ohne zen­tra­le Mas­sen­spei­che­rung. Dabei soll die Kom­mu­ni­ka­ti­on von Ärzt:innen und Therapeut:innen schon digi­ta­li­siert ablau­fen, aber sie soll nicht digi­tal gespei­chert wer­den. Vor­stel­len kann man sich das in etwa wie bei dem Mes­sen­ger Signal, erklärt Hen­ning Heck. Die Gesprächs­da­ten lie­gen dabei nicht auf Ser­vern, son­dern nur auf den Mobil­te­le­fo­nen der jewei­li­gen Gesprächsteilnehmer:innen.Ob die Frei­wil­lig­keit zuguns­ten der Opt-out-Lösung abge­schafft wird, ist noch nicht ent­schie­den. Das Gut­ach­ten des Sach­ver­stän­di­gen­rats wird zunächst an den Bun­des­tag und den Bun­des­rat wei­ter­ge­lei­tet und am 17. Juni mit der Fach­öf­fent­lich­keit dis­ku­tiert. Fach­öf­fent­lich­keit heißt: jede Per­son, die inter­es­siert ist. Dafür müs­se man sich, so heißt es aus dem Büro des Rates, in den Ver­tei­ler ein­tra­gen las­sen und schnell sein, sobald die Ein­la­dung zur Anmel­dung ankommt. Die Zahl der Plät­ze ist begrenzt. Einen Ein­fluss auf die abschlie­ßen­de Ent­schei­dung hat das Gespräch nicht. Die Öffent­lich­keit spielt also wohl auch hier kei­ne wirk­lich ent­schei­den­de Rolle.

Korrekturen und Ergänzungen

Im RUMS-Brief am Frei­tag schrie­ben wir, dass in Müns­ter schon 217.000 Men­schen ihre zwei­te Coro­na-Imp­fung bekom­men hät­ten. Das stimm­te nicht. Die Stadt hat­te gemel­det: „Mehr als 217.000 Impf­vor­gän­ge (also Erst- und Fol­ge­imp­fung) sind bis­lang schon in Müns­ter erfolgt.“ Wir hat­ten dar­aus geschlos­sen, dass ein Impf­vor­gang aus Erst- und Zweit­imp­fung besteht. Rich­tig ist: Ein Impf­vor­gang besteht aus einer Sprit­ze. Bis zum ver­gan­ge­nen Frei­tag waren also in Müns­ter 217.000 Coro­na-Impf­do­sen ver­ab­reicht wor­den. Wir haben auch noch ein­mal nach den aktu­el­len Zah­len gefragt. Heu­te mel­det die Kas­sen­ärzt­li­che Ver­ei­ni­gung genau 228.752 Imp­fun­gen in Müns­ter, davon sind 168.499 Erst­imp­fun­gen. 60.253 Men­schen haben schon ihre zwei­te Imp­fung erhalten.

Corona-Update

Lei­der ist auch die Zahl der Todes­fäl­le gestie­gen. Wie die Stadt mit­teilt, ist eine 89-jäh­ri­ge Bewoh­ne­rin des Alten­zen­trums Meck­manns­hof gestor­ben, die mit dem Coro­na­vi­rus infi­ziert war. Ins­ge­samt gab es in Müns­ter seit Beginn der Pan­de­mie 119 Todesfälle.

135 Münsteraner:innen gel­ten heu­te als infi­ziert. 20 von ihnen wer­den im Kran­ken­haus behan­delt, acht davon auf der Inten­siv­sta­ti­on. Alle Intensivpatient:innen wer­den beatmet.

Unbezahlte Werbung

In den letz­ten bei­den RUMS-Brie­fen haben wir Ihnen zur Neu­eröff­nung der Gas­tro­no­mie Restau­rants für den „Live-Besuch“ emp­foh­len. Falls noch nicht das Rich­ti­ge für Sie dabei war, Sie immer noch oder schon wie­der hung­rig sind, haben wir heu­te gleich noch einen Vor­schlag für Sie: die Trat­to­ria Adria im Kreuz­vier­tel. Das klei­ne, gemüt­li­che Eck­lo­kal mit Back­stein­wän­den ser­viert neben einer beacht­li­chen Aus­wahl an Pas­ta und Piz­zen natür­lich auch Anti­pas­ti, Sup­pen, Sala­te, Fisch- und Fleisch­ge­rich­te. Sie kön­nen sich tele­fo­nisch einen Platz im Innen- oder Außen­be­reich reser­vie­ren – falls denn das Wet­ter mit­ma­chen soll­te. Und falls es beim Besuch gern eine Piz­za sein darf: Mei­ne Kol­le­gin Johan­ne Burk­hardt emp­fiehlt die Piz­za „Sta­gio­ni“ mit Arti­scho­cken, Cham­pi­gnons, Schin­ken, Sar­del­len und Oliven.

Drinnen und Draußen

+++ In wel­cher Welt wol­len wir leben? Um die­se Fra­ge geht es ab Don­ners­tag in der Gesprächs­rei­he „West­fail­ure – The Talks“ des Lite­ra­tur­zen­trums Burg Hüls­hoff. Jörg Albrecht, Autor und künst­le­ri­scher Lei­ter des Cen­ter for Lite­ra­tu­re, spricht von Don­ners­tag bis Sonn­tag mit acht inter­na­tio­na­len Künstler:innen über ihre Visio­nen von der Kunst der Zukunft abseits von Staa­ten und Natio­nal­spra­chen. Sie kön­nen die Gesprä­che jeweils ab 20 Uhr im Live­stream mit­ver­fol­gen. Den Link und ein aus­führ­li­ches Pro­gramm fin­den Sie hier. Und falls Sie Kin­der zwi­schen 14 und 18 Jah­ren haben, die sich die­se Fra­ge auch stel­len, wäre das vir­tu­el­le Zukunfts­la­bor viel­leicht etwas für sie. Dort kön­nen sie mit Mozil­la Hubs eige­ne vir­tu­el­le Räu­me erstel­len und über die Welt von mor­gen fan­ta­sie­ren. Das vir­tu­el­le Zukunfts­la­bor fin­det am Mitt­woch um 16 Uhr statt. Die Teil­nah­me ist kostenlos.

+++ Wo wir gera­de beim The­ma Zukunft sind: Um sie geht es auch in der neu­en 3Sat Doku­men­ta­ti­on Sys­tem Error – Wie endet der Kapi­ta­lis­mus?. Genau­er gesagt um die Zukunft (oder das Ende) des Wachs­tums. Im Film kom­men Wirt­schafts- und Finanz­ver­tre­ter (es sind tat­säch­lich nur Män­ner) zu Wort, für die unend­li­ches Wachs­tum ein Natur­ge­setz ist. Und es geht um die Res­sour­cen der Erde, die nicht unend­lich sind. Die Doku­men­ta­ti­on zeigt Soja­bau­ern und die Wall-Street, besucht Rin­der­züch­ter und Immo­bi­li­en­ma­gna­ten. Den Film kön­nen Sie bis zum 16. Juni in der 3Sat-Media­thek ansehen.

+++ Am Frei­tag ist Aben­teu­er alter Schu­le ange­sagt. Aus dem LWL-Natur­kun­de­mu­se­um streamt das Thea­ter ex libris zusam­men mit Chris­toph Tie­mann das Live-Hör­spiel „Die Schatz­in­sel“. Wahr­schein­lich müs­sen wir Ihnen zu die­sem Klas­si­ker nicht mehr viel erzäh­len. Aber wenn Sie doch eine klei­ne Auf­fri­schung brau­chen, fin­den Sie sie hier. Der Stream ist kos­ten­los, doch das Thea­ter ex libris freut sich über Spen­den. Das Hör­spiel star­tet am Frei­tag um 19 Uhr. Einen Link zum Twitch-Stream (und zur Spen­den­mög­lich­keit) fin­den Sie hier.

+++ So ziem­lich das Ein­zi­ge, was sich am Schloss­platz in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ver­än­dert hat, ist der Name. Die Initia­ti­ve Schloss Platz Kul­tur 2000 wür­de das gern ändern. Sie hat nun erforscht und zusam­men­ge­tra­gen, wel­che Ideen und Pla­nun­gen es gibt, kurz: was aus dem Platz wer­den könn­te. Am Don­ners­tag­abend um 19:30 Uhr stellt sie in einer Zoom-Kon­fe­renz die Ergeb­nis­se vor. Wer sich den Vor­trag anse­hen und an der Dis­kus­si­on teil­neh­men möch­te, kann sich auf der Sei­te der Initia­ti­ve regis­trie­ren.

+++ Hier noch ein Lese­tipp in eige­ner Sache: Das Maga­zin Alum­ni­för­de­rer der Uni Müns­ter hat mit unse­rem Grün­der und Pro­jekt-Mana­ger Marc-Ste­fan And­res über RUMS gespro­chen. Hier kön­nen Sie das Inter­view lesen.

Am Frei­tag schreibt Ihnen Con­stan­ze Busch. Und am Frei­tag­abend sehen wir uns viel­leicht bei unse­rer Ver­an­stal­tung zur Zukunft der Innen­stadt. Wir spre­chen dar­über, wie es mit dem Ein­zel­han­del wei­ter­geht, wie die Innen­stadt in zehn Jah­ren aus­se­hen könn­te und für wen sie eigent­lich da sein soll. Sie kön­nen mit­dis­ku­tie­ren. Und wenn Sie jetzt schon Fra­gen zum The­ma haben, schi­cken Sie sie uns ger­ne per E-Mail.

Ich wün­sche Ihnen eine schö­ne Woche.

Herz­li­che Grüße

Edi­na Hojas

Mit­ar­beit: Johan­ne Burkhardt

PS

Ich war eine der Glück­li­chen, die in der ver­gan­ge­nen Woche die ers­te Thea­ter­auf­füh­rung am Wolf­gang Bor­chert Thea­ter besu­chen durf­ten. Gezeigt wur­de die reli­gi­ons­über­grei­fen­de Para­bel „Mon­sieur Ibra­him und die Blu­men des Koran.“ Johan­nes Lan­ger spiel­te gleich alle Rol­len auf ein­mal, aber als „Momo“ lernt er eine beson­ders wich­ti­ge Lek­ti­on: Es ist das Lächeln, das glück­lich macht. Fort­an geht Momo leich­ter durchs Leben, indem er in allen mög­li­chen Situa­tio­nen zu sich sagt: „Zack, lächeln.“ Und sie­he da: Die Men­schen kön­nen Momos Charme nicht wider­ste­hen. Ob er die Haus­auf­ga­ben ver­gisst, die Turn­schu­he oder die Toch­ter des Haus­meis­ters erobern will. Im Anschluss an die Auf­füh­rung fällt mir auf, wie ein­ge­ros­tet ich im Kon­takt mit Men­schen außer­halb mei­nes Haus­halts bin. Was dabei aber garan­tiert hilft: Zack, lächeln!