Die Kolumne von Juliane Ritter | Gegen die Profitlogik im Krankenhaus

Müns­ter, 28. Mai 2023

Guten Tag,

wie die meis­ten mei­ner Kolleg:innen habe ich mich für eine Aus­bil­dung in der Pfle­ge ent­schie­den, um mich um Men­schen zu sor­gen und ihnen zu helfen.

Wie die meis­ten mei­ner Kolleg:innen muss­te ich recht schnell fest­stel­len, dass es in unse­rem Job schon lan­ge nicht mehr pri­mär dar­um geht. Kran­ken­häu­ser sol­len Men­schen nicht nach bes­tem Wis­sen und Gewis­sen gesund pfle­gen, sie sol­len sie wie­der für den Arbeits­markt „fit“ machen, das alles mög­lichst kos­ten­güns­tig und so schnell wie möglich.

Wie die meis­ten mei­ner Kolleg:innen mache ich dafür die Poli­tik, vor allem die soge­nann­ten DRG-Fall­pau­scha­len und ein Sys­tem ver­ant­wort­lich, das dar­auf aus­ge­legt ist, Pro­fi­te zu maximieren.

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Doch was sind die­se DRG-Fall­pau­scha­len eigent­lich? Und war­um sind sie in einem Atem­zug mit dem kapi­ta­lis­ti­schen, Sys­tem zu nen­nen, das sich alles aneig­net, aus dem es einen Mehr­wert schöp­fen kann?

DRG’s, das sind soge­nann­te Dia­gno­sis Rela­ted Groups, auf Deutsch: dia­gno­se­be­zo­ge­ne Grup­pen. 2003 hat Deutsch­land die­se Fall­pau­scha­len ein­ge­führt. Behand­lun­gen von Patient:innen wer­den seit­dem nicht mehr indi­vi­du­ell berech­net und nach den Bedürf­nis­sen der Kran­ken durch­ge­führt. Heu­te ist das anders: Krank­häu­ser behan­deln ihre Patient:innen wie Objek­te und drän­gen sie in star­re Sche­ma­ta, wie in einer Fabrik. 

Das funk­tio­niert in etwa so: Patient:in XY stellt sich mit einer Erkran­kung im Kran­ken­haus vor und wird behan­delt, das Kran­ken­haus erhält einen gewis­sen Betrag von der Kran­ken­kas­se der Patient:in XY.

Das klingt erst ein­mal sim­pel und sinn­voll. Bei jun­gen, ansons­ten gesun­den Patient:innen funk­tio­niert das sogar ganz gut. Älte­re, psy­chisch Kran­ke oder Patient:innen mit mul­ti­plen Erkran­kun­gen brau­chen jedoch mehr Zeit, Pfle­ge und wei­te­re medi­zi­ni­sche Inter­ven­tio­nen, die die­se Fall­pau­scha­len nicht abdecken. 

Zudem sind sie zum Zeit­punkt der geplan­ten Ent­las­sung nicht immer gesund genug, um wirk­lich nach Hau­se zu gehen. Doch brau­chen Patient:innen wei­te­re indi­vi­du­el­le Behand­lun­gen oder blei­ben län­ger als geplant, macht das Kran­ken­haus Ver­lus­te. Gleich­zei­tig ist das Kran­ken­haus mitt­ler­wei­le wie eine Fabrik dar­auf aus­ge­legt, Pro­fi­te zu erwirt­schaf­ten oder zumin­dest die schwar­ze Null zu halten.

Pro­fi­te erwirt­schaf­ten heißt auch: an allen Ecken und Enden Per­so­nal­kos­ten ein­spa­ren. Das führt zu dem auf den ers­ten Blick unlo­gi­schen Schluss, dass eine Über­be­set­zung des Per­so­nals schlech­ter wäre als eine Unter­be­set­zung. Denn nach der kapi­ta­lis­ti­schen Pro­fit­lo­gik bringt die Unter­be­set­zung Gewin­ne, die das Unter­neh­men Kran­ken­haus benö­tigt, um wett­be­werbs­fä­hig zu bleiben.

Dass die Unter­be­set­zung aber dazu führt, dass es sowohl dem Per­so­nal als auch den Patient:innen schlecht oder schlech­ter geht, das wird hingenommen.

Anony­mer Briefkasten

Haben Sie eine Infor­ma­ti­on für uns, von der Sie den­ken, sie soll­te öffent­lich wer­den? Und möch­ten Sie, dass sich nicht zurück­ver­fol­gen lässt, woher die Infor­ma­ti­on stammt? Dann nut­zen Sie unse­ren anony­men Brief­kas­ten. Sie kön­nen uns über die­sen Weg auch anonym Fotos oder Doku­men­te schicken.

Pfle­ge­kräf­te lau­fen regel­mä­ßig ihre Acht-Stun­den-Schicht ab, ohne nur einen Schluck Was­ser zu trin­ken oder kurz zur Toi­let­te gehen zu kön­nen. Patient:innen war­ten stun­den­lang in ihren eige­nen Aus­schei­dun­gen, bis end­lich eine Pfle­ge­kraft die Zeit fin­det, sich dar­um zu kümmern.

Was für die meis­ten wie der abso­lu­te Aus­nah­me­zu­stand klin­gen mag, ist für die meis­ten mei­ner Kolleg:innen längst bit­te­re Rea­li­tät. Eine Rea­li­tät, der wir uns nicht län­ger stel­len wol­len und können.

Immer mehr mei­ner Kolleg:innen ent­schei­den sich, ihren Job auf­zu­ge­ben und etwas anders zu machen. Das Ide­al, aus dem wir uns ein­mal für die Pfle­ge ent­schie­den haben, ist längst gestorben.

Wie die meis­ten mei­ner Kolleg:innen bin ich erschöpft, in die­sem Sys­tem, die­sem Kran­ken­haus, die­ser Fabrik zu arbeiten.

Wie die meis­ten mei­ner Kolleg:innen habe ich die Vor­stel­lung ver­lo­ren, dass ich in mei­nem Beruf für alle da sein kann.

Wie die meis­ten mei­ner Kolleg:innen fra­ge ich mich immer wie­der, ob es das Gan­ze eigent­lich wert ist – oder ob ich nicht doch noch etwas ande­res machen sollte.

Aber wie die meis­ten mei­ner Kolleg:innen bin ich bereit, für Ver­än­de­run­gen zu kämpfen.

Ich wün­sche mir eine Kran­ken­ver­sor­gung, in der es wirk­lich dar­um geht, Patient:innen zu hel­fen, sie zu pfle­gen und gesund wie­der nach Hau­se zu ent­las­sen. Mit gutem Gewis­sen und nicht mit der bösen Vor­ah­nung, dass Patient:innen schon bald, noch schwe­rer erkrankt wie­der bei uns lan­den werden.

Ich wün­sche mir eine Gesell­schaft, in der es um das Wohl von Men­schen geht, nicht nur um Umsät­ze, Ren­di­ten oder in einem Wort, ein­fach nur um Geld.

Herz­li­che Grü­ße
Ihre Julia­ne Ritter

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Über die Autorin

Unse­re Kolum­nis­tin arbei­tet als Pfle­ge­kraft in einem Kran­ken­haus in Müns­ter. Sie schreibt in die­ser Kolum­ne dar­über, war­um sie ihren Beruf liebt. Und dar­über, wo es hakt und was in der Pfle­ge bes­ser lau­fen müss­te – grund­sätz­lich und in Müns­ter. Julia­ne Rit­ter ist nicht ihr rich­ti­ger Name. Sie schreibt unter einem Pseud­onym, damit sie frei über Schwie­rig­kei­ten und Miss­stän­de erzäh­len kann.

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