Die Kolumne von Michael Jung | Die großen Aufgaben der Stadtwerke

Müns­ter, 11. April 2021

Guten Tag,

es ist wie­der ruhi­ger gewor­den am Hafen­platz. Nach­dem 2018 mit gro­ßem Getö­se die kom­plet­te Geschäfts­füh­rung an die fri­sche Luft gesetzt wur­de, sind die Stadt­wer­ke aus den Schlag­zei­len gekom­men. Trotz­dem sind die Her­aus­for­de­run­gen für das wich­tigs­te und größ­te städ­ti­sche Unter­neh­men gewal­tig – hier näm­lich ent­schei­det sich, ob Ver­kehrs- und Ener­gie­wen­de in der Stadt gelin­gen. Hier wird auch die Digi­ta­li­sie­rung der Stadt gemacht – oder eben nicht.

Als es 2018 zum gro­ßen Knall kam, konn­te man den Ein­druck gewin­nen, die Stadt­wer­ke hät­ten ein per­so­nel­les Pro­blem in ihrer Geschäfts­füh­rung gehabt, und nach des­sen Eska­la­ti­on und Lösung lau­fe alles wie­der wie am Schnür­chen. Das ist aber nur eine Legen­de. Die Pro­ble­me der Stadt­wer­ke rei­chen tie­fer und auch wei­ter in die Ver­gan­gen­heit zurück. 

In den Jah­ren nach 2000 sind stra­te­gi­sche Fehl­ent­schei­dun­gen von enor­mer Reich­wei­te getrof­fen wor­den. Sie belas­ten noch heu­te die Zukunft des Unter­neh­mens. Zum einen war da der Ver­such, die Stadt­wer­ke in Tei­len zu pri­va­ti­sie­ren. Ein Unter­fan­gen, das 2002 von den Wähler:innen in Müns­ter gestoppt wur­de.

Wie rich­tig das war, zei­gen vie­le ande­re Städ­te, die gera­de eige­ne Stadt­wer­ke zurück­kau­fen oder neu grün­den, um die Ener­gie­wen­de lokal gestal­ten zu kön­nen. Die­ser gro­ße Feh­ler wur­de zwar ver­hin­dert, doch was blieb, war eine schwie­ri­ge Stand-alo­ne-Posi­ti­on der Stadt­wer­ke. Man schwank­te danach zwi­schen einer halb­her­zi­gen Koope­ra­ti­on mit Osna­brück und der Stra­te­gie, aggres­siv Kund:innen im Müns­ter­land abzuwerben. 

Lei­der war dies der ein­zi­ge stra­te­gi­sche Groß­feh­ler, der ver­hin­dert wer­den konnte. 

Das Geld landete bei RWE

Voll ins Kon­tor schlug die Stra­te­gie, die Stadt­wer­ke als Juni­or­part­ner von RWE an einem Koh­le­kraft­werk in Hamm zu betei­li­gen („Black Gek­ko“). Die Abwick­lung die­ser Betei­li­gung an einem Kraft­werk, das auch tech­nisch schei­ter­te, gelang erst nach Jah­ren mit einem finan­zi­el­len Scha­den von rund 40 Mil­lio­nen Euro. Die­ses Geld fehlt den Stadt­wer­ken noch heu­te für wich­ti­ge Investitionen. 

Fatal war auch der Ver­kauf der stadt­wer­ke­ei­ge­nen Tele­kom-Toch­ter City­kom im Jahr 2006 an den Kon­zern, der damals Ver­sa­tel hieß. Für die Stadt­wer­ke sei die­ses Geschäfts­feld nicht zukunfts­träch­tig, hieß es damals. Zur glei­chen Zeit begann die Stadt Gel­sen­kir­chen, das Stadt­ge­biet flä­chen­de­ckend mit Glas­fa­ser zu erschließen. 

Dass es Müns­ter dabei auch noch gelang, die Muenster.de-Mailadressen zu pri­va­ti­sie­ren – nur eine Pos­se am Rande. 

Dann bau­ten die Stadt­wer­ke für einen sehr hohen zwei­stel­li­gen Mil­lio­nen­be­trag ein Gas-Kraft­werk am Hafen, das seit Jah­ren qua­si außer Regel­be­trieb ist, weil es sich kaum wirt­schaft­lich betrei­ben lässt. Am Ende betei­lig­ten die Stadt­wer­ke sich an einem Gemein­schafts­pro­jekt von 26 städ­ti­schen Ver­sor­gern und einer RWE-Toch­ter. Es hieß „Green Gec­co“ und soll­te in RWE-Pro­jek­te auf dem Markt für erneu­er­ba­re Ener­gien investieren. 

Statt eige­ne Pro­jek­te auf dem Stadt­ge­biet vor­an­zu­trei­ben, soll­te das Geld also irgend­wo bei RWE lan­den. Der dama­li­ge Geschäfts­füh­rer fand nach dem Ruhe­stand noch eine Anschluss­ver­wen­dung als drit­ter Geschäfts­füh­rer von Green Gecco. 

Was blieb, war neben die­sen stra­te­gi­schen Groß­feh­lern ein Unter­neh­men, in dem ein Machis­mo son­der­glei­chen herrsch­te. Die gesam­te Füh­rungs­ebe­ne der Stadt­wer­ke begeg­ne­te damals Frau­en allen­falls als Sekre­tä­rin­nen und Sach­be­ar­bei­te­rin­nen. In der Füh­rungs­ebe­ne brei­te­te sich so über Jah­re eine Kul­tur aus, in der Frau­en selbst im Auf­sichts­rat gefrus­tet ausschieden. 

Münstertypische Posse

Die in der Öffent­lich­keit so arg geschol­te­ne Geschäfts­füh­rung um den ent­las­se­nen Hen­ning Mül­ler-Ten­gel­mann muss sich vor­hal­ten las­sen, am Ende an die­sen Auf­räum­ar­bei­ten geschei­tert zu sein. 

Zwar gelang es, das RWE-Pro­jekt Black Gek­ko abzu­wi­ckeln und Green Gec­co mehr oder weni­ger ruhen zu las­sen Doch das band über Jah­re mas­siv die Manage­ment­ka­pa­zi­tä­ten. Nur lang­sam gelang es den Stadt­wer­ken, die Ener­gie­be­schaf­fung von den gro­ßen Play­ern zu lösen und eige­ne Kom­pe­tenz auf­zu­bau­en. Am Ende fehl­te es an einer durch­grei­fen­den Zukunftsstrategie. 

Neben kras­sen Aus­rei­ßern im Bereich des Umgangs inner­halb der Geschäfts­füh­rung gelang vor allem kei­ne Moder­ni­sie­rung der Unter­neh­mens­struk­tur. So muss­te es kom­men, wie es kam – mit dem gro­ßen Knall 2018. 

Danach folg­te die müns­ter­ty­pi­sche Pos­se eines gut bezahl­ten Inte­rims­ge­schäfts­füh­rers, der mit der dama­li­gen CDU-Bür­ger­meis­te­rin ver­wandt­schaft­lich ver­bun­den war. Immer­hin gelang danach eine Neu­aus­rich­tung der Geschäfts­füh­rung, die jetzt in die Berei­che Ener­gie (Sebas­ti­an Jurc­zyk) und Ver­kehr (Frank Gäf­gen) auf­ge­teilt wur­de. Nun besteht die Aus­sicht, die völ­lig aus der Zeit gefal­le­ne Auf­spal­tung der Unter­neh­mens­füh­rung in einen kauf­män­ni­schen und einen tech­ni­schen Teil end­lich aufzubrechen.

Die neue Geschäfts­füh­rung fällt seit ihrem Start vor knapp andert­halb Jah­ren dadurch auf, dass sie so demons­tra­tiv har­mo­nisch auf­tritt, dass man immer den Ein­druck hat, die bei­den sei­en gera­de aus gemein­sa­men Flit­ter­wo­chen zurück. Das Publi­kum im Auf­sichts­rat – dazu spä­ter mehr – nimmt es sicher dank­bar auf, nach den Erfah­run­gen der Vergangenheit. 

Kraftwerk, Verkehrswende und Digitalisierung

Die Her­aus­for­de­run­gen sind gewal­tig. So müs­sen die Stadt­wer­ke die Ener­gie­wen­de in der Stadt end­lich for­cie­ren. Der in den letz­ten Jah­ren halb­her­zig betrie­be­ne und fast aus­schließ­lich auf Wind­ener­gie bezo­ge­ne Aus­bau der erneu­er­ba­ren Ener­gien muss ange­gan­gen wer­den. Es braucht neue Stand­or­te und neue Wege. 

Das größ­te Zukunfts­pro­blem aber bleibt das Kraft­werk im Hafen, an dem die gan­ze Fern­wär­me­ver­sor­gung der Stadt hängt. Betrie­ben wird es unter ande­rem mit Gas. Und Gas ist als fos­si­ler Ener­gie­trä­ger nicht zukunfts­fä­hig, auch nicht in Form der eigent­lich ener­gie­ef­fi­zi­en­ten Kraft­wär­me­kopp­lung, die am Hafen zum Ein­satz kommt. Es muss eine Lösung her, wenn die Stadt­wer­ke wei­ter Ener­gie erzeu­gen und ver­kau­fen wollen. 

Ins­be­son­de­re muss die Stadt die Fra­ge beant­wor­ten, ob und inwie­weit Müns­ter an der Natio­na­len Was­ser­stoff­stra­te­gie des Bun­des Anteil haben will. Und sie muss klä­ren, ob das für das Kraft­werk eine Per­spek­ti­ve sein kann. 

Die zwei­te gro­ße Auf­ga­be ist die Ver­kehrs­wen­de. Hier kommt den Stadt­wer­ken als Trä­ger des Öffent­li­chen Nah­ver­kehrs eine Schlüs­sel­rol­le zu. Sie müs­sen das Bus­netz in Müns­ter kom­plett neu kon­zi­pie­ren. Die Stadt braucht mehr Bahn­hal­te­punk­te – per­spek­ti­visch wird kaum ein Weg dar­an vor­bei­füh­ren, dass die Stadt­wer­ke wie ande­re Nah­ver­kehrs­un­ter­neh­men in Groß­städ­ten auch einen Teil des inner­städ­ti­schen und regio­na­len Schie­nen­ver­kehrs (mit)betreiben. Das alles muss in ein müns­ter­land­wei­tes Netz ein­ge­bun­den wer­den. Das sind Her­ku­les­auf­ga­ben – vom Aus­bau der nur rudi­men­tär vor­han­de­nen E-Lade-Infra­struk­tur in Müns­ter ganz zu schweigen. 

Beim Nah­ver­kehr wird es dar­um gehen, Ant­wor­ten zu fin­den, wie Über­gän­ge vom Fahr­rad in Bus und Bahn gelin­gen kön­nen – und wie vor allem die stän­dig sin­ken­de Durch­schnitts­ge­schwin­dig­keit der Lini­en­bus­se von der­zeit 16 Stun­den­ki­lo­me­tern so erhöht wer­den kann, dass man in Müns­ter nicht immer mit dem Fahr­rad schnel­ler ist.

Das alles hängt stark vom poli­ti­schen Rah­men ab, den der neue Rat setzt. Es ist aber auch eine unter­neh­me­ri­sche Her­aus­for­de­rung. Wich­tig wäre, dass bei neu­en Nah­ver­kehrs­mo­del­len fai­re Löh­ne gezahlt wer­den – und nicht außer­ta­rif­li­che Dum­ping-Löh­ne. Und die Fra­ge, wel­che Rol­le das in Müns­ter ohne­hin eher pre­kä­re Taxen­ge­wer­be dabei im Kon­zept der Zukunft spielt, wird auch beant­wor­tet wer­den müssen. 

Die Stadtwerke müssen aufholen

Für die drit­te Her­aus­for­de­rung, näm­lich die Digi­ta­li­sie­rung, bringt der neue Geschäfts­füh­rer Jurc­zyk von sei­nem alten Arbeit­ge­ber, dem Ener­gie­un­ter­neh­men EWE, jeden­falls die nöti­ge Exper­ti­se mit: Dort hat er schon bewie­sen, wie man Glas­fa­ser­aus­bau erfolg­reich schaf­fen kann – und so ist in Müns­ter jetzt auch ein Joint Ven­ture mit der Tele­kom am Start, das die ver­korks­te frü­he­re Kon­zep­ti­on ablö­sen soll: Bis­her wur­den nur Tei­le der ohne­hin gut ver­sorg­ten Innen­stadt und das Hei­mat­dorf des CDU-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­den von den Stadt­wer­ken ange­bun­den. Jetzt soll es end­lich in die gan­ze Flä­che gehen und vor allem auch an die Gewer­be­ge­bie­te, die auf Breit­band drin­gend ange­wie­sen sind. 

Das ist alles viel­ver­spre­chend, aber im Ver­gleich zu ande­ren Städ­ten um Jah­re zu spät. Bes­se­re Nah­ver­kehrs­kon­zep­te gibt es inzwi­schen in vie­len Groß­städ­ten, gera­de auch im Rhein-Main-Gebiet, bes­se­re Breit­band­an­bin­dung in fast jeder Ruhr­ge­biets­kom­mu­ne und eine kon­se­quen­te­re Stra­te­gie bei erneu­er­ba­ren Ener­gien sogar im nörd­li­chen Nachbarlandkreis. 

Es wird Zeit, dass die Stadt­wer­ke end­lich auf­ho­len. Die stra­te­gi­schen Feh­ler und Ver­säum­nis­se der Ver­gan­gen­heit sind dabei eine Bürde. 

Dazu kommt das The­ma Geld: Zwar ist die Eigen­ka­pi­tal­aus­stat­tung der Stadt­wer­ke mit rund 40 Pro­zent gut, was aber vor allem an unter­las­se­nen Inves­ti­tio­nen der letz­ten Jah­re liegt. Die Erträ­ge aber sta­gnie­ren, die Mar­gen sind unter Druck durch Wett­be­werb und Regu­lie­rung. Und das gilt sowohl für den Ver­kauf von Ener­gie als auch für die Net­ze (die immer noch die eigent­li­che Cash­cow sind). 

Für die drei gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen aber dürf­te es bei wei­tem nicht rei­chen – gera­de auch, wenn die jähr­li­che Gewinn­ab­füh­rung von knapp sie­ben Mil­lio­nen Euro für den Haus­halts­aus­gleich der Stadt unver­zicht­bar bleibt.

Fehler der Vergangenheit

Allein der Breit­band­aus­bau dürf­te die Stadt­wer­ke finan­zi­ell enorm for­dern. Ver­kehr und Ener­gie mit ihren kapi­tal­in­ten­si­ven Inves­ti­tio­nen muss das Unter­neh­men noch zusätz­lich stemmen. 

So dürf­te sich über kurz oder lang auch bei den Stadt­wer­ken die Fra­ge stel­len, wie der Rat die Eigen­ka­pi­tal­aus­stat­tung ver­bes­sern will, wenn es denn ernst ist mit Ver­kehrs- und Energiewende. 

Und zwei ande­re Din­ge müs­sen die Stadt­wer­ke in den Griff bekom­men: Ihre Unter­neh­mens­kul­tur muss end­lich im 21. Jahr­hun­dert ankom­men. Die Diver­si­tät der Stadt muss sich end­lich auch im Gesicht der Stadt­wer­ke wie­der­fin­den, auch in Leitungsfunktionen. 

Und die Stadt­wer­ke müs­sen eng ver­zahnt mit Stadt­ver­wal­tung und Rat arbei­ten. Das wird nur gelin­gen, wenn der Auf­sichts­rat end­lich sei­nen Auf­ga­ben gerecht wird. Auch hier las­ten wie­der die Feh­ler der Ver­gan­gen­heit: Seit die Arbeitnehmervertreter:innen 2014 den CDU-Frak­ti­ons­chef als Vor­sit­zen­den abwähl­ten, hat sich die poli­ti­sche Füh­rungs­ebe­ne des Rates nicht mehr im Gre­mi­um wiedergefunden. 

Auch die Neu­be­set­zung des Auf­sichts­ra­tes nach der Kom­mu­nal­wahl im Herbst hat an die­sem Bild wenig geän­dert. Die neue Koali­ti­on hat es nicht ver­mocht, eine eige­ne Kan­di­da­tur für den Auf­sichts­rats­vor­sitz vor­zu­schla­gen, statt­des­sen darf ein CDU-Hin­ter­bänk­ler nun wei­ter präsidieren. 

Für die Ver­wal­tung sitzt nun der Stadt­bau­rat im Gre­mi­um (was allen­falls für Ver­kehrs­fra­gen pas­sen mag), aber nicht die für die Betei­li­gungs­steue­rung zustän­di­ge Käm­me­rin – vor allem aber nicht der­je­ni­ge, der für die stra­te­gi­sche Ver­zah­nung von Ver­wal­tung und Poli­tik eigent­lich zustän­dig wäre, näm­lich der Oberbürgermeister. 

Der macht seit Jah­ren einen gro­ßen Bogen um die Stadt­wer­ke, obwohl nir­gend­wo so sehr über die Zukunft der Stadt ent­schie­den wird wie dort. Wie mit einer sol­chen Auf­stel­lung der gro­ße Auf­schlag gelin­gen soll, ist ein Rät­sel. Es wird so wie­der zu erheb­li­chen Rei­bungs­ver­lus­ten kommen.

Herz­li­che Grü­ße
Ihr Micha­el Jung

Offen­le­gung:
Der Autor war von 2004 bis 2014 Mit­glied des Auf­sichts­rats der Stadt­wer­ke Müns­ter
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Über den Autor

Micha­el Jung lebt schon immer in Müns­ter. Er wur­de 1976 hier gebo­ren. Er hat an der Uni Müns­ter Latein und Geschich­te stu­diert und in Geschich­te pro­mo­viert. Heu­te ist er Leh­rer am Annet­te-Gym­na­si­um in Müns­ter. Micha­el Jung war vie­le Jah­re in der Poli­tik: Von 2013 bis 2020 war er Frak­ti­ons­chef der SPD im Rat der Stadt, im Jahr 2020 trat er für die SPD bei den Kom­mu­nal­wah­len als Ober­bür­ger­meis­ter­kan­di­dat an.