Die Kolumne von Ruprecht Polenz | Wünsche für den Koalitionsvertrag

Müns­ter, 3. Okto­ber 2021

Guten Tag,

ich wün­sche Ihnen einen schö­nen Sonntag.

Der Wahl­kampf ist zu Ende. Die Stim­men sind aus­ge­zählt. Sie­ge und Nie­der­la­gen ste­hen fest. Den unge­zähl­ten Deu­tun­gen des Ergeb­nis­ses und den Über­le­gun­gen dar­über, wel­che Regie­rungs­kon­stel­la­tio­nen dar­aus fol­gen kön­nen, will ich kei­ne wei­te­ren hin­zu­fü­gen. Mir geht es heu­te um etwas anderes.

Ich möch­te gern auf drei Punk­te hin­wei­sen, zu denen ich in jedem Koali­ti­ons­ver­trag für die nächs­ten vier Jah­re gern etwas lesen möch­te, denn lei­der sind dazu von den Par­tei­en im Wahl­kampf kaum kon­kre­te Aus­sa­gen gemacht worden.

1. Ein Fahrplan fürs Klima

Fan­gen wir mit dem Kli­ma­schutz an. Ich hof­fe, dass der Koali­ti­ons­ver­trag als Aus­gangs­punkt ein CO2-Bud­get für Deutsch­land defi­niert, das uns ins­ge­samt noch zur Ver­fü­gung steht. Dar­aus ergibt sich dann ein Zeit­plan, der anzeigt, bis wann Deutsch­land kli­ma­neu­tral sein muss, und die Maß­nah­men, mit denen man das errei­chen will. Auf so einen kon­kre­ten Fahr­plan soll­te sich die künf­ti­ge Regie­rung ver­stän­digt haben.

Wür­de das dann alles umge­setzt, wären zu einem Zeit­punkt X immer­hin zwei Pro­zent der kli­ma­schäd­li­chen CO2-Emis­sio­nen ver­schwun­den. Das ist der Anteil des welt­wei­ten CO2-Aus­sto­ßes, für den Deutsch­land unmit­tel­bar ver­ant­wort­lich ist.

Da glo­bal zwei Pro­zent CO2-Ein­spa­rung ersicht­lich nicht genug sind, um die Erhit­zung der Erde um drei, vier oder fünf Grad zu ver­mei­den, soll­te noch mehr zu Kli­ma­schutz im Koali­ti­ons­ver­trag stehen.

Wir brau­chen eine Poli­tik, die auch ande­re Län­der dazu bringt, Kli­ma­schutz wirk­lich ernst zu neh­men und ent­spre­chend zu han­deln. Mit ande­ren Wor­ten: Wir brau­chen eine Klima-Außenpolitik.

Ein Bei­spiel dazu: Es reicht nicht aus, das Abhol­zen der Ama­zo­nas-Regen­wäl­der wort­reich zu bedau­ern und die schlim­men Fol­gen für das Welt­kli­ma an die Wand zu malen. Wir müs­sen etwas tun, um den bra­si­lia­ni­schen Prä­si­den­ten Bol­so­n­a­ro dazu zu brin­gen, die Regen­wäl­der im Inter­es­se des Welt­kli­mas zu schützen.

Deutsch­land könn­te bei­spiels­wei­se anbie­ten, sich finan­zi­ell am Erhalt die­ser „grü­nen Lun­ge der Welt“ zu betei­li­gen. Man könn­te auch Sank­tio­nen andro­hen, deren wirt­schaft­li­che Fol­gen für Bra­si­li­en die Höhe der kurz­fris­ti­gen Erträ­ge über­stei­gen, die sich aus dem Abhol­zen erge­ben. Man kann bei­de Punk­te in einer Kli­ma-Außen­po­li­tik mit­ein­an­der ver­bin­den. Und Deutsch­land könn­te ver­su­chen, die Euro­päi­sche Uni­on zu einer sol­chen Poli­tik zu brin­gen und damit deren Hebel­wir­kung deut­lich erhöhen.

2. Die Zukunft der Rente 

Nächs­ter Punkt: Ich wür­de im Koali­ti­ons­ver­trag auch ger­ne etwas zur Zukunft der Alters­ver­sor­gung lesen. Nein, nicht in mei­nem eige­nen Inter­es­se, son­dern in dem unse­rer Kin­der und Enkel. Dem soge­nann­te Gene­ra­tio­nen­ver­trag, auf dem unse­re gesetz­li­che Alters­ver­sor­gung beruht, droht der Weg­fall der Geschäfts­grund­la­ge. Wenn nichts geän­dert wird, ist die Ren­te nicht sicher.

Unse­rem Ren­ten­sys­tem liegt ein Umla­ge­ver­fah­ren zugrun­de, bei dem die jetzt Erwerbs­tä­ti­gen monat­lich ihre Bei­trä­ge ein­zah­len, mit denen einen Monat spä­ter die Ren­ten der jet­zi­gen Rentner:innen bezahlt wer­den. Das geht so lan­ge gut, wie sich mög­lichst vie­le Erwerbs­tä­ti­ge die Bezah­lung einer Ren­te teilen.

Anfang der 1960er-Jah­re kamen auf eine Rentner:in noch sechs aktiv ver­si­cher­te Erwerbs­per­so­nen. Aktu­ell sind es nur noch rund zwei Beitragszahler:innen, die für eine Alters­ren­te auf­kom­men. Und das, obwohl in Deutsch­land in den letz­ten zwei Jah­ren rund 33,32 Mil­lio­nen Men­schen sozi­al­ver­si­che­rungs­pflich­tig waren, so vie­le wie nie zuvor.

Der Grund für die­se Schief­la­ge: Die Gebur­ten­ra­te geht zurück. Gleich­zei­tig wächst mit der Lebens­er­war­tung auch die Bezugs­dau­er der Ren­te – und damit die Zahl der Men­schen, die gleich­zei­tig Alters­ren­te beziehen.

Will man Alters­ar­mut ver­mei­den – das soll­ten wir wol­len – und will man eine über­mä­ßi­ge Bei­trags­be­las­tung der Berufs­tä­ti­gen ver­mei­den (der Bei­trag liegt zur­zeit bei 18,6 Pro­zent), dann blei­ben nur zwei Mög­lich­kei­ten: Ent­we­der wir finan­zie­ren die Ren­ten noch stär­ker über Steu­ern, oder wir erschlie­ßen der gesetz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung zusätz­lich zu den Bei­trä­gen noch wei­te­re Einnahmemöglichkeiten.

Schon jetzt beträgt der Steu­er­zu­schuss an die Ren­ten­ver­si­che­rung 84,1 Mil­li­ar­den Euro; im Jahr 2025 wer­den es vor­aus­sicht­lich 97,6 Mil­li­ar­den Euro sein, 13,5 Mil­li­ar­den Euro mehr als 2021. Das ist eine Stei­ge­rung um 16 Pro­zent in nur vier Jah­ren. Damit steht schon jetzt fast ein Drit­tel des Bun­des­haus­halts für Inves­ti­tio­nen in die Zukunft (Digi­ta­li­sie­rung, erneu­er­ba­re Ener­gien, Schie­nen­netz) von vorn­her­ein nicht zur Verfügung.

Des­halb führt kein Weg dar­an vor­bei: Die gesetz­li­che Ren­te muss auf zwei Bei­ne gestellt wer­den. Neben den Bei­trä­gen braucht es eine Deckung durch Kapi­tal. Ob man die Ren­ten­ver­si­che­rung in die Lage ver­setzt, Akti­en­ka­pi­tal auf­zu­bau­en, um die Ren­te mit­zu­fi­nan­zie­ren oder wie auch immer: Ich wüß­te vom Koali­ti­ons­ver­trag gern sehr genau, wie die Ren­te unse­rer Kin­der und Enkel zukunfts­si­cher finan­ziert wer­den soll.

3. Das globale Gefüge

Und noch ein drit­ter Punkt: Wir haben gese­hen, wie sich die USA prak­tisch im Allein­gang aus Afgha­ni­stan ver­ab­schie­det haben, so schnell, dass die Ver­bün­de­ten mit ihrem Trup­pen­ab­zug kaum hin­ter­her­ka­men. Eini­ge haben viel­leicht auch ver­folgt, wie Frank­reich bei dem U-Boot-Geschäft mit Aus­tra­li­en aus­ge­boo­tet wur­de. Die USA fokus­sie­ren sich immer mehr auf ihren Wett­be­werb mit Chi­na. Des­halb stär­ken sie Aus­tra­li­en mit der Lie­fe­rung nukle­ar ange­trie­be­ner U-Boote.

Wir müs­sen uns auf eine Welt ein­stel­len, die vor allem von den Bezie­hun­gen zwi­schen den USA und Chi­na geprägt sein wird – eher in Zwei­er­ge­sprä­chen (G2) als zu siebt (G7), eher bi- als multipolar.

„Es gibt Aspek­te, bei denen eine Geg­ner­schaft besteht; ande­re, bei denen wir im Wett­be­werb ste­hen mit Chi­na, und ande­re Berei­che, auf denen wir mit­ein­an­der koope­rie­ren,“ beschreibt der ame­ri­ka­ni­sche Außen­mi­nis­ter Blin­ken die künf­ti­gen Bezie­hun­gen sei­nes Lan­des zu China.

Deutsch­land und die Euro­päi­sche Uni­on müs­sen sich dar­auf ein­stel­len. Vor allem wird es dar­um gehen, die Ein­tei­lung in die drei Kate­go­rien mög­lichst gemein­sam und in Über­ein­stim­mung mit den USA zu defi­nie­ren. Dazu muss die Euro­päi­sche Uni­on aber bereit sein, sich als glo­ba­le Akteu­rin zu ver­ste­hen, über rei­ne Wirt­schafts- und Han­dels­fra­gen hinaus.

Deutsch­land kommt auf die­sem Weg zu einer „ever clo­ser uni­on“, wie es in den EU-Ver­trä­gen heißt, eine beson­de­re Mit-Füh­rungs­rol­le zu. Wie Deutsch­land die­se aus­üben will, was unser Land dafür ein­brin­gen soll – auch dar­über wür­de ich gern Genaue­res im Koali­ti­ons­ver­trag lesen, der das Han­deln unse­rer neu­en Regie­rung bestim­men wird.

Und falls die Ver­hand­lun­gen der „Ampel-Koali­ti­on“ aus SPD, Grü­nen und FDP erfolg­reich zum Abschluss gebracht wer­den, wün­sche ich schon heu­te eine glück­li­che Hand und Got­tes Segen. Denn die Her­aus­for­de­run­gen, vor denen unser Land steht, sind riesig.

Ihnen allen eine gute Woche.

Herz­lich
Ihr Ruprecht Polenz

Kor­rek­tur­hin­weis:

In einer frü­he­ren Ver­si­on des Tex­tes stimm­te lei­der eine Zahl nicht: die Höhe des Zuschus­ses, der aus Steu­er­geld in die Ren­ten­ver­si­che­rung fließt. Der Zuschuss beträgt aktu­ell nicht 97,6 Mil­li­ar­den, son­dern 84,1 Mil­li­ar­den Euro. Auf 97,6 Mil­li­ar­den wächst er vor­aus­sicht­lich im Jahr 2025. Wir haben die Anga­be korrigiert. 


Über den Autor

Vie­le Jah­re lang war Ruprecht Polenz Mit­glied des Rats der Stadt Müns­ter, zuletzt als CDU-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der. Im Jahr 1994 ging er als Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ter nach Ber­lin. Er war unter ande­rem CDU-Gene­ral­se­kre­tär, zwi­schen 2005 und 2013 Vor­sit­zen­der des Aus­wär­ti­gen Aus­schus­ses des Bun­des­tags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mit­glied des ZDF-Fern­seh­rats, ab 2002 hat­te er den Vor­sitz. Der gebür­ti­ge Bautz­e­ner lebt seit sei­nem Jura-Stu­di­um in Müns­ter. 2020 erhielt Polenz die Aus­zeich­nung „Gol­de­ner Blogger“.

Die Kolumne

Immer sonn­tags schi­cken wir Ihnen eine Kolum­ne. Das sind Tex­te, in denen unse­re fünf Kolum­nis­tin­nen und Kolum­nis­ten The­men ana­ly­sie­ren, bewer­ten und kom­men­tie­ren. Die Tex­te geben ihre eige­ne Mei­nung wie­der, nicht die der Redak­ti­on. Mit­glied­schaf­ten in poli­ti­schen Par­tei­en oder Orga­ni­sa­tio­nen machen wir trans­pa­rent. Wenn Sie zu den The­men der Kolum­nen ande­re Mei­nun­gen haben, schrei­ben Sie uns gern. Wenn Sie möch­ten, ver­öf­fent­li­chen wir Ihre Zuschrift im RUMS-Brief. Wenn Sie in unse­ren Tex­ten Feh­ler fin­den, freu­en wir uns über Hin­wei­se. Die Kor­rek­tu­ren ver­öf­fent­li­chen wir eben­falls im RUMS-Brief.