Die Kolumne von Juliane Ritter | Die Zeit der leeren Versprechen

Müns­ter, 3. April 2022

Guten Tag,

ich habe in die­ser Woche eini­ge Schlag­zei­len ent­deckt. Vor zwei Jah­ren freu­te ich mich über jede Bericht­erstat­tung, dach­te mir, Coro­na wür­de end­lich ein Licht auf unse­re Bre­douil­le schei­nen. Doch mitt­ler­wei­le ärgern mich Schlag­zei­len wie die­se immer wie­der: „Karl Lau­ter­bach spricht mit Pfle­ge­kräf­ten und macht deut­li­che Ansage.“

Karl Lau­ter­bach hat am Don­ners­tag Beschäf­tig­te des Uni­kli­ni­kums Köln besucht. Dort traf er auf Vor­stän­de, die Pfle­ge­di­rek­ti­on und weni­ge Pfle­ge­kräf­te, die man vor­ab aus­ge­sucht hatte. 

Man sprach über bes­se­re Bezah­lung, Kar­rie­re­ent­wick­lun­gen und mehr Aus­bil­dungs­plät­ze. Das hei­ßes­te aller The­men kam, wenn über­haupt, eher am Ran­de vor: die all­täg­li­chen, teils gefähr­den­den Arbeitsbedingungen.

Ich habe im Anschluss mit anwe­sen­den Kolleg:innen gespro­chen. Pfle­gen­den soll­ten in der Ver­an­stal­tung das Wort bekom­men. Doch sie berich­te­ten hin­ter­her, die Bei­trä­ge des Kli­nik­vor­stands hät­ten sehr viel Raum ein­ge­nom­men. Fünf der 20 Pfle­gen­den durf­ten etwas sagen. Der Aus­tausch sei ins­ge­samt freund­lich gewe­sen, so sag­ten mei­ne Kolleg:innen es mir. Doch sie ver­miss­ten kon­kre­te Plä­ne. Sie spra­chen von Honig, den man den Leu­ten ums Maul geschmiert habe. Die Kon­ver­sa­ti­on sei geschickt um die wirk­lich inter­es­san­ten Bau­stel­len her­um manö­vriert worden.

Keine Sofortlösung parat

Wie sol­len Mit­ar­bei­ter ent­las­tet wer­den, die immer wie­der mehr Pati­en­ten betreu­en müs­sen, als es die gesetz­li­che Unter­gren­zen-Rege­lung erlaubt? Wie könn­te man die Pati­en­ten­ver­sor­gung anders ver­bes­sern und Per­so­nal nicht wei­ter über­las­ten, wenn Vor­stän­de ein­fach kei­ne Bet­ten sper­ren? Der Minis­ter hat­te kei­ne Sofort­lö­sung parat. Aber er mach­te ein Ange­bot. Die Pfle­ge­kräf­te könn­ten zusam­men mit ihrem Vor­stand ein Eck­punk­te­pa­pier erstel­len. Das wer­de er dann mitnehmen.

Schlag­zei­len wie die­se ver­ber­gen zu oft, dass hin­ter all die­sen Ver­spre­chen oft nur hei­ße Luft steckt. Der Ein­druck unter der Leser­schaft und der Bevöl­ke­rung, die im All­tag mit Kran­ken­häu­sern wenig zu tun haben, ist jedoch ein ande­rer: „End­lich nimmt es jemand in die Hand – so wird sich etwas ändern.“ 

Doch in den ver­gan­ge­nen Mona­ten ist bei uns nichts ange­kom­men. Noch immer betreue ich mehr Patient:innen, als ich leis­ten kann. Noch immer wer­den mei­ne Kolleg:innen und ich kaum gehört, wenn wir Hil­fe­ru­fe abset­zen, weil Per­so­nal wegen Krank­heit fehlt – wie in die­sen Wochen, in denen mehr Kolleg:innen zeit­gleich krank sind, als ich es je erlebt habe. Wir müss­ten doch „die Wirt­schaft­lich­keit beden­ken“, heißt es dann, oder „in ande­ren Berei­chen sei die Per­so­nal­de­cke noch dün­ner, das ist nun mal so“.

Eine ande­re Schlag­zei­le lau­te­te: „Eine Mil­li­ar­de Euro für beson­de­ren Einsatz“.

Karl Lau­ter­bach kün­digt wie­der ein­mal einen Bonus an, der an den Stel­len grei­fen soll‚ „wo Her­aus­ra­gen­des geleis­tet wurde“. 

„Herzensarbeit“

Mei­ne Kol­le­gin lach­te müde, als sie davon hör­te. Sie hat, wie die meis­ten mei­ner Kolleg:innen, noch kei­nen Cent gese­hen, der ihr medi­al als Covid-Bonus ver­spro­chen wur­de. Doch her­aus stach für mich der Begriff „beson­de­ren Einsatz“. 

Immer wie­der wer­den mein Berufs­stand und mei­ne Kolleg:innen der Alten­pfle­ge heroi­siert, indem man uns „Held:innen“ nennt und unse­re Arbeit als „beson­de­ren Ein­satz“, „Her­zens­ar­beit“ oder „her­aus­ra­gend“ bezeichnet.

Die­se Heroi­sie­rung impli­ziert, dass wir das alles machen, um Gutes zu tun – dass man unse­re Arbeits­kraft für den Dank allei­ne neh­men kann. 

Nach die­sem Geset­zes­ent­wurf, scheint dem Gesund­heits­mi­nis­ter die Arbeit am Inten­siv­bett fünf Mal mehr Wert zu sein als die Arbeit mit teil­wei­se über 40 alten Men­schen in einem von Coro­na betrof­fe­nem Pflegeheim. 

Es soll unter­schied­lich hohe Bonus-Zah­lun­gen geben. Inten­siv­pfle­ge­kräf­te sol­len 2.500 Euro bekom­men, Alten­pfle­ge­kräf­te 550 Euro. Ande­re Berufs­grup­pen sind nicht berück­sich­tigt. Die Ärz­tin und der Phy­sio­the­ra­peut, die Pfle­ge­kraft auf der Schlag­an­fall­sta­ti­on, der Ser­vice­mit­ar­bei­ter und die Kol­le­gin in der Wäsche­rei gehen wie­der ein­mal leer aus. Abge­se­hen davon bezweif­le ich, dass das bereit­ge­stell­te Geld aus­reicht, um die medi­al ange­prie­se­nen Sum­men zu finanzieren.

Der Tag null

Vor allem aber: Ein Bonus hält mich nicht im Job. Ein Bonus bewahrt nicht vor dem Burn-out, und ein Bonus kann mir mei­ne Gesund­heit und Frei­zeit nicht zurück­ge­ben. Ein Bonus, der ver­spro­chen aber nicht gezahlt wird, macht uns nur sauer.

Die Pfle­gen­den aus der Uni­kli­nik in Köln machen sich, statt auf Ver­spre­chen zu war­ten, gemein­sam mit den Beschäf­tig­ten der sechs Uni­kli­ni­ken in Nord­rhein-West­fa­len auf den Weg. Das Ziel ist ein Tarif­ver­trag, der uns entlastet.

Wir haben Lösun­gen für die schlech­ten Arbeits­be­din­gun­gen im Kran­ken­haus, und wir wer­den dafür kämp­fen. Am 12. und 13. April ver­net­zen sich in Ober­hau­sen erst­mals tau­sen­de Beschäf­tig­te aus Nordrhein-Westfalen.

Wir berei­ten uns vor und war­ten – dar­auf, dass unser Ulti­ma­tum den Tag null erreicht. Und dar­auf, dass Arbeit­ge­ber sich zu ernst­haf­ten Ver­hand­lun­gen bereit erklä­ren, denn zur­zeit zei­gen sie kei­ne Ver­hand­lungs­be­reit­schaft. Am 1. Mai ist die Zeit der lee­ren Ver­spre­chen vorbei. 

Herz­li­che Grü­ße
Ihre Julia­ne Ritter


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Über die Autorin

Unse­re Kolum­nis­tin arbei­tet als Pfle­ge­kraft in einem Kran­ken­haus in Müns­ter. Sie schreibt in die­ser Kolum­ne dar­über, war­um sie ihren Beruf liebt. Und dar­über, wo es hakt und was in der Pfle­ge bes­ser lau­fen müss­te – grund­sätz­lich und in Müns­ter. Julia­ne Rit­ter ist nicht ihr rich­ti­ger Name. Sie schreibt unter einem Pseud­onym, damit sie frei über Schwie­rig­kei­ten und Miss­stän­de erzäh­len kann.

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