Die Kolumne von Dina El-Omari | Die Bürokratie und das Kopftuch

Porträt von Dina El Omari
Mit Dina El Omari

Guten Tag,

ich wünsche Ihnen einen guten Tag.

Ich lebe nun schon seit 21 Jahren in Münster und somit ein Jahr länger als in meiner Geburtsstadt Hamm. Münster hat mich gleich von Beginn an verzaubert: das imposante Schloss der Universität, das wunderschöne Stadtbild, der Aasee und die Promenade. Aber auch die Menschen mit ihrer weltoffenen und freundlichen Art zeichnen diese Stadt für mich aus.

Münster hat mich in unterschiedlichen Lebensabschnitten erlebt und begleitet. Da war zunächst das Erst-Studium und damit einhergehend das Studentenleben. Anschließend meine Promotion und letztendlich meine Berufung zur ordentlichen Professorin im April vergangenen Jahres am Zentrum für Islamische Theologie der Uni Münster.

Im Laufe dieser Lebensabschnitte habe ich auch auf persönlicher Ebene unterschiedliche Entwicklungen durchgemacht, das betraf auch die Sichtbarkeit meiner religiösen Zugehörigkeit, die in meinen Dreißigern in Form einer Kopfbedeckung unterschiedlicher Stilformen deutlich wurde. Münster kennt mich also mit und ohne Kopfbedeckung, fremd habe ich mich dabei aber nie gefühlt, sondern immer angenommen und akzeptiert.

Aber nicht nur ich habe mich verändert, auch Münster selbst hat viele Veränderungsprozesse durchlaufen. Eine zentrale Veränderung ist die Etablierung der Islamischen Theologie in der Wissenschaftslandschaft der Uni Münster, die auch dazu beigetragen hat, dass Münster vielfältiger und heterogener geworden ist.

Immer wieder das gleiche Szenario

Diese Heterogenität kann natürlich auch zu herausfordernden Situationen für die Stadt führen, in denen eigene Konzepte möglicherweise neu hinterfragt und ausgehandelt werden müssen. Das ist aber durchaus positiv, denn es schützt unsere Demokratie, wenn wir stets offen und kritisch bleiben. In diesem Zusammenhang macht mich in den letzten Wochen ein Beispiel für diese Aushandlungsprozesse besonders nachdenklich, das von mehreren Studentinnen an mich herangetragen wurde und von dem ich Ihnen gerne erzählen möchte:

Die Studentinnen erzählten mir von ihren eigenen Erfahrungen sowie den Erfahrungen weiterer muslimischer Frauen mit einer klar erkennbaren muslimischen Kopfbedeckung, die im Bürgerbüro der Stadt Münster ihren Personalausweis beantragen wollten.

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Dabei zeichnet sich immer wieder das gleiche Szenario nach: Die Frauen gehen mit aktuellen Fotos, die sie mit ihrer Kopfbedeckung zeigen, zu einer Sachbearbeiterin, um den Ausweis zu beantragen. Die Sachbearbeiterin verweigert daraufhin die Annahme der Fotos mit der Begründung, dass eine Kopfbedeckung auf den Fotos des Ausweises nicht zulässig sei.

Der Hinweis, dass es sich um eine religiöse Kopfbedeckung handelt und hier Religionsfreiheit herrsche, lässt sie so nicht gelten und fordert entsprechend einen Nachweis über die Religionszugehörigkeit. Nur mit dieser könnte das Foto mit Kopfbedeckung akzeptiert werden. Diese Handhabung empfinden die betroffenen Frauen als verstörend und als eine deutliche Erschwernis. Zumal diese Vorgehensweise auch nicht transparent von der Stadt Münster nach außen, zum Beispiel auf der Homepage des Bürgerbüros, kommuniziert wird. Sie fragen: Warum ist es notwendig Frauen mit Kopfbedeckung, bei denen es global bekannt ist, dass sie dies aus ihrem muslimischen Glauben her begründen können, vor die Herausforderung zu stellen, zu belegen, dass sie muslimisch sind?

Ein Denkfehler

Fragt man diesbezüglich nach, wird man auf die „Kann-Formulierung“ verwiesen: Die Sachbearbeiterin kann demnach im Fall einer Kopfbedeckung einen Beleg über die Zugehörigkeit zu einer Religion erbitten. Hier liegt aber schon eine Grundproblematik vor, denn im Islam gibt es keinen zentralen Apparat, der die Zugehörigkeit zur islamischen Religion belegt. Es gibt zwar zahlreiche Moscheegemeinden in Deutschland, aber viele Muslim:innen gehören keiner Gemeinde an oder haben Kontakt zu einer Moscheegemeinde.

Es ist ein Denkfehler, die christliche Struktur der registrierten Zugehörigkeit zur Kirche auf den Islam übertragen zu wollen, denn es gibt de facto keine Stelle, wo Muslim:innen sich registrieren lassen müssen oder können. Jeder Mensch kann jederzeit in seinem stillen Kämmerlein die Entscheidung treffen, den Islam als seine Religion zu wählen. Um also der Bürokratie Genüge zu tun, muss sich jede betroffene Frau eine Moschee suchen, die dann behelfsmäßig ein Schreiben aufsetzt, aus dem hervorgeht, dass die Frauen Musliminnen sind.

Hier kann man also durchaus die Frage stellen: Warum etwas erbitten, dass es de facto eigentlich gar nicht gibt, wenn doch das Gesetz die Möglichkeit bietet, darauf zu verzichten? Die Sachbearbeiterin kann danach fragen, sie muss es aber nicht, so wie es viele Jahre in Münster und bis heute in vielen anderen Städten der Fall ist. Für ein harmonisches Miteinander gilt es manchmal abzuwägen, ob man die eingeräumten Befugnisse bis zum Äußersten ausreizen muss, oder ob man einfach mal die Bürokratie Bürokratie sein lässt und den leichten Weg für alle Beteiligten wählt.

Herzliche Grüße

Dina El-Omari

Porträt von Dina El Omari

Dina El Omari

… ist Professorin für interkulturelle Religionspädagogik am Zentrum für Islamische Theologie. Sie forscht und lehrt zu den Themen feministische und geschlechtersensible islamische Theologie, interreligiöses Lernen sowie islamische Textwissenschaften.

Die Kolumne

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