Die Kolumne von Dina El-Omari | Die Bürokratie und das Kopftuch

Müns­ter, 12. Febru­ar 2023

Guten Tag,

ich wün­sche Ihnen einen guten Tag. 

Ich lebe nun schon seit 21 Jah­ren in Müns­ter und somit ein Jahr län­ger als in mei­ner Geburts­stadt Hamm. Müns­ter hat mich gleich von Beginn an ver­zau­bert: das impo­san­te Schloss der Uni­ver­si­tät, das wun­der­schö­ne Stadt­bild, der Aasee und die Pro­me­na­de. Aber auch die Men­schen mit ihrer welt­of­fe­nen und freund­li­chen Art zeich­nen die­se Stadt für mich aus. 

Müns­ter hat mich in unter­schied­li­chen Lebens­ab­schnit­ten erlebt und beglei­tet. Da war zunächst das Erst-Stu­di­um und damit ein­her­ge­hend das Stu­den­ten­le­ben. Anschlie­ßend mei­ne Pro­mo­ti­on und letzt­end­lich mei­ne Beru­fung zur ordent­li­chen Pro­fes­so­rin im April ver­gan­ge­nen Jah­res am Zen­trum für Isla­mi­sche Theo­lo­gie der Uni Münster. 

Im Lau­fe die­ser Lebens­ab­schnit­te habe ich auch auf per­sön­li­cher Ebe­ne unter­schied­li­che Ent­wick­lun­gen durch­ge­macht, das betraf auch die Sicht­bar­keit mei­ner reli­giö­sen Zuge­hö­rig­keit, die in mei­nen Drei­ßi­gern in Form einer Kopf­be­de­ckung unter­schied­li­cher Stil­for­men deut­lich wur­de. Müns­ter kennt mich also mit und ohne Kopf­be­de­ckung, fremd habe ich mich dabei aber nie gefühlt, son­dern immer ange­nom­men und akzeptiert.

Aber nicht nur ich habe mich ver­än­dert, auch Müns­ter selbst hat vie­le Ver­än­de­rungs­pro­zes­se durch­lau­fen. Eine zen­tra­le Ver­än­de­rung ist die Eta­blie­rung der Isla­mi­schen Theo­lo­gie in der Wis­sen­schafts­land­schaft der Uni Müns­ter, die auch dazu bei­getra­gen hat, dass Müns­ter viel­fäl­ti­ger und hete­ro­ge­ner gewor­den ist. 

Immer wieder das gleiche Szenario

Die­se Hete­ro­ge­ni­tät kann natür­lich auch zu her­aus­for­dern­den Situa­tio­nen für die Stadt füh­ren, in denen eige­ne Kon­zep­te mög­li­cher­wei­se neu hin­ter­fragt und aus­ge­han­delt wer­den müs­sen. Das ist aber durch­aus posi­tiv, denn es schützt unse­re Demo­kra­tie, wenn wir stets offen und kri­tisch blei­ben. In die­sem Zusam­men­hang macht mich in den letz­ten Wochen ein Bei­spiel für die­se Aus­hand­lungs­pro­zes­se beson­ders nach­denk­lich, das von meh­re­ren Stu­den­tin­nen an mich her­an­ge­tra­gen wur­de und von dem ich Ihnen ger­ne erzäh­len möchte:

Die Stu­den­tin­nen erzähl­ten mir von ihren eige­nen Erfah­run­gen sowie den Erfah­run­gen wei­te­rer mus­li­mi­scher Frau­en mit einer klar erkenn­ba­ren mus­li­mi­schen Kopf­be­de­ckung, die im Bür­ger­bü­ro der Stadt Müns­ter ihren Per­so­nal­aus­weis bean­tra­gen wollten. 

Sie möchten dieses Thema mit anderen Leser:innen diskutieren oder uns Hinweise geben?

Nut­zen Sie ein­fach unse­re Kom­men­tar­funk­ti­on unter­halb die­ses Textes.
Wenn Sie den Brief gera­de als E-Mail lesen, kli­cken Sie auf den fol­gen­den Link, um den Text auf unse­rer Web­site aufzurufen:

› die­sen Brief kommentieren

Dabei zeich­net sich immer wie­der das glei­che Sze­na­rio nach: Die Frau­en gehen mit aktu­el­len Fotos, die sie mit ihrer Kopf­be­de­ckung zei­gen, zu einer Sach­be­ar­bei­te­rin, um den Aus­weis zu bean­tra­gen. Die Sach­be­ar­bei­te­rin ver­wei­gert dar­auf­hin die Annah­me der Fotos mit der Begrün­dung, dass eine Kopf­be­de­ckung auf den Fotos des Aus­wei­ses nicht zuläs­sig sei. 

Der Hin­weis, dass es sich um eine reli­giö­se Kopf­be­de­ckung han­delt und hier Reli­gi­ons­frei­heit herr­sche, lässt sie so nicht gel­ten und for­dert ent­spre­chend einen Nach­weis über die Reli­gi­ons­zu­ge­hö­rig­keit. Nur mit die­ser könn­te das Foto mit Kopf­be­de­ckung akzep­tiert wer­den. Die­se Hand­ha­bung emp­fin­den die betrof­fe­nen Frau­en als ver­stö­rend und als eine deut­li­che Erschwer­nis. Zumal die­se Vor­ge­hens­wei­se auch nicht trans­pa­rent von der Stadt Müns­ter nach außen, zum Bei­spiel auf der Home­page des Bür­ger­bü­ros, kom­mu­ni­ziert wird. Sie fra­gen: War­um ist es not­wen­dig Frau­en mit Kopf­be­de­ckung, bei denen es glo­bal bekannt ist, dass sie dies aus ihrem mus­li­mi­schen Glau­ben her begrün­den kön­nen, vor die Her­aus­for­de­rung zu stel­len, zu bele­gen, dass sie mus­li­misch sind? 

Ein Denkfehler

Fragt man dies­be­züg­lich nach, wird man auf die „Kann-For­mu­lie­rung“ ver­wie­sen: Die Sach­be­ar­bei­te­rin kann dem­nach im Fall einer Kopf­be­de­ckung einen Beleg über die Zuge­hö­rig­keit zu einer Reli­gi­on erbit­ten. Hier liegt aber schon eine Grund­pro­ble­ma­tik vor, denn im Islam gibt es kei­nen zen­tra­len Appa­rat, der die Zuge­hö­rig­keit zur isla­mi­schen Reli­gi­on belegt. Es gibt zwar zahl­rei­che Moschee­ge­mein­den in Deutsch­land, aber vie­le Muslim:innen gehö­ren kei­ner Gemein­de an oder haben Kon­takt zu einer Moscheegemeinde. 

Es ist ein Denk­feh­ler, die christ­li­che Struk­tur der regis­trier­ten Zuge­hö­rig­keit zur Kir­che auf den Islam über­tra­gen zu wol­len, denn es gibt de fac­to kei­ne Stel­le, wo Muslim:innen sich regis­trie­ren las­sen müs­sen oder kön­nen. Jeder Mensch kann jeder­zeit in sei­nem stil­len Käm­mer­lein die Ent­schei­dung tref­fen, den Islam als sei­ne Reli­gi­on zu wäh­len. Um also der Büro­kra­tie Genü­ge zu tun, muss sich jede betrof­fe­ne Frau eine Moschee suchen, die dann behelfs­mä­ßig ein Schrei­ben auf­setzt, aus dem her­vor­geht, dass die Frau­en Mus­li­min­nen sind. 

Hier kann man also durch­aus die Fra­ge stel­len: War­um etwas erbit­ten, dass es de fac­to eigent­lich gar nicht gibt, wenn doch das Gesetz die Mög­lich­keit bie­tet, dar­auf zu ver­zich­ten? Die Sach­be­ar­bei­te­rin kann danach fra­gen, sie muss es aber nicht, so wie es vie­le Jah­re in Müns­ter und bis heu­te in vie­len ande­ren Städ­ten der Fall ist. Für ein har­mo­ni­sches Mit­ein­an­der gilt es manch­mal abzu­wä­gen, ob man die ein­ge­räum­ten Befug­nis­se bis zum Äußers­ten aus­rei­zen muss, oder ob man ein­fach mal die Büro­kra­tie Büro­kra­tie sein lässt und den leich­ten Weg für alle Betei­lig­ten wählt. 

Herz­li­che Grüße

Dina El-Oma­ri

Diesen Brief teilen und RUMS weiterempfehlen:

Über die Autorin

Dina El Oma­ri ist Pro­fes­so­rin für inter­kul­tu­rel­le Reli­gi­ons­päd­ago­gik am Zen­trum für Isla­mi­sche Theo­lo­gie. Sie forscht und lehrt zu den The­men femi­nis­ti­sche und geschlech­ter­sen­si­ble isla­mi­sche Theo­lo­gie, inter­re­li­giö­ses Ler­nen sowie isla­mi­sche Textwissenschaften.

Über RUMS

Immer sonn­tags schi­cken wir Ihnen eine Kolum­ne. Das sind Tex­te, in denen unse­re acht Kolum­nis­tin­nen und Kolum­nis­ten The­men ana­ly­sie­ren, bewer­ten und kom­men­tie­ren. Die Tex­te geben ihre eige­ne Mei­nung wie­der, nicht die der Redak­ti­on. Mit­glied­schaf­ten in poli­ti­schen Par­tei­en oder Orga­ni­sa­tio­nen machen wir trans­pa­rent. Wenn Sie zu den The­men der Kolum­nen ande­re Mei­nun­gen haben, schrei­ben Sie uns gern. Wenn Sie möch­ten, ver­öf­fent­li­chen wir Ihre Zuschrift im RUMS-Brief. Wenn Sie in unse­ren Tex­ten Feh­ler fin­den, freu­en wir uns über Hin­wei­se. Die Kor­rek­tu­ren ver­öf­fent­li­chen wir eben­falls im RUMS-Brief.