Die Kolumne von Dina El Omari | Wenn christliche und muslimische Studierende zusammen lernen

Porträt von Dina El Omari
Mit Dina El Omari

Guten Tag,

ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.

Die Universität Münster beheimatet nicht nur eine der größten evangelischen sowie katholischen Fakultäten in Deutschland und Europa, sondern auch das größte universitäre Zentrum für islamische Theologie deutschlandweit. Dabei kommt ihr noch eine weitere Besonderheit zu, denn sie soll bald zur Fakultät werden. Die drei Fakultäten sowie die Religionswissenschaften sollen zudem zukünftig auf einem Campus vereint werden, dem Campus der Religionen, der zurzeit auf dem Gelände des Hüffercampus errichtet wird. Dadurch entsteht eine ganz besondere Situation des interreligiösen Dialogs und Austausches in Münster, der einmalig in Deutschland ist.

Der Nährboden dafür ist bereits seit vielen Jahren gelegt, denn der Austausch zwischen den Theologien findet auf vielfältige Weise statt: Sei es durch gemeinsame Veranstaltungen und Projekte, durch gemeinsame Lehrveranstaltungen oder einfach beim Mittagessen und Kaffeetrinken.

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Meine ersten intensiven interreligiösen Dialogerfahrungen in Münster habe ich mit meiner geschätzten Kollegin und Freundin Marie-Theres Wacker, während mehrerer gemeinsamer Lehrveranstaltungen zum Thema „Koran und Bibel im Vergleich am Beispiel von ‚Frauen-Texten‘“ von Sommersemester 2015 bis 2018 gemacht.

Zu dieser Kooperation kam es, weil Wacker an einem Vortrag von mir über die feministische Koranexegese teilgenommen hat und wir im Anschluss daran direkt in ein reges Gespräch verfielen. Sie selbst ist eine der Vorreiterinnen der feministischen Bibelexegese und hatte die wunderbare Idee, gemeinsam eine Lehrveranstaltung anzubieten.

Christliche und muslimische Studierende in einem Hörsaal

Das Format dieser Veranstaltung war besonders, denn es beinhaltete ein gemeinsames Lernen von muslimischen und christlichen Studierenden, die sich jeweils in einem ersten Schritt mit der Tradition der anderen Religion auseinandersetzen, um ihre Ergebnisse dann in Kleingruppen und im Plenum interkonfessionell zu diskutieren. Dabei haben wir die Veranstaltung dialogisch moderiert, so dass wir zum einen die Möglichkeit hatten, direkt aufeinander zu reagieren. Zum anderen konnten wir aber mit den Studierenden der je anderen Konfession direkt in Kontakt treten.

Ein besonders spannendes Thema war in diesem Rahmen die biblische und koranische Schöpfungsgeschichte, denn aus diesen leiten sich in beiden Religionen hierarchische Rollenverständnisse ab. Sie werden gleichzeitig auch dafür genutzt, um für Geschlechtergerechtigkeit auf einer Ebene des menschlichen Seins zu plädieren. Während sich nun die muslimischen Studierenden im Vorfeld mit den beiden biblischen Texten Genesis 1 und 2 auseinandergesetzt haben, haben sich die christlichen Studierenden mit den fünf Textfragmenten des Korans zur Schöpfungsgeschichte beschäftigt.

Richtig interessant wurde es dann im gemeinsamen Austausch von Erfahrungen mit den Texten, von einigen möchte ich Ihnen kurz aus muslimischer Perspektive erzählen.

Die Begegnung mit der Schöpfungsgeschichte in der Bibel war für die muslimischen Studierenden zunächst befremdlich, da es zwei Versionen dieser Geschichte gibt, die sich im Aufbau, in der Struktur und auch inhaltlich deutlich unterscheiden. Hatten sie aber diese anfängliche Befremdung erst einmal überwunden, indem sie beide Texte in ihrer Genese durch die Perspektive der anderen verstanden, konnten sie recht schnell eine ganze Reihe von Parallelen zum Koran herausarbeiten, so dass sich durchaus das Eigene im Fremden erkennen ließ.

So lassen sich im Koran eine Reihe von Motiven aus Genesis 2 finden: die Erschaffung des ersten Menschen Adam aus Erde, das Einhauchen des Gottesatem in Adam, der Aufenthalt im Paradies, das Verbot Gottes, von einem bestimmten Baum zu essen, die Verführung durch einen Widersacher Gottes und damit zusammenhängend der Verzehr der Frucht durch das erste Menschenpaar sowie das Sichtbarwerden der Blöße durch die Versündigung.

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Die Suche nach Aha-Erlebnissen

Doch den muslimischen Studierenden fielen daneben auch ein paar Unterschiede auf. Drei davon erschienen ihnen mit Blick auf die Genderfrage besonders interessant, denn der Koran nimmt einige Motive aus Genesis 2 nicht auf: Es fehlen die Erschaffung des Gegenübers von Adam aus seiner Rippe, es wird entweder Adam oder das Menschenpaar gemeinsam verführt und der Sündenfall wird somit entweder Adam oder dem Menschenpaar angelastet, wobei beiden vor ihrer Hinabsendung auf die Erde vergeben wird.

Diese Unterschiede sorgten wiederum bei der Reflexion der eigenen Tradition für einen deutlichen Aha-Effekt bei den Studierenden, denn innerhalb der islamischen Auslegungstradition spielen all diese Elemente eine zentrale Rolle in der Schöpfungsgeschichte des ersten Menschenpaares. Sie werden auch dazu genutzt, um zu begründen, warum Frauen eine den Männern vermeintlich untergeordnete Schöpfung seien. Der fremden Tradition zu begegnen, hat nun die Perspektive auf die eigene Tradition verändert.

Der interreligiöse und interkulturelle Dialog ermöglicht es an dieser Stelle nicht nur aus den eigenen Quellen sowie im Dialog mit der heiligen Quelle des Gegenübers ein geschlechtergerechtes Verständnis zu erzeugen, sondern sich auch davon inspirieren zu lassen, wie die jeweils andere Religion zu ihrem Verständnis kommt und davon zu profitieren.

Diese Erfahrung konnten beide Seiten im Übrigen gleichermaßen machen. Die Begegnung und das Lernen am Zeugnis des anderen, gerade auch bei so sensiblen Themen wie der Genderfrage, kann nicht nur die interreligiöse Kompetenz stärken, sondern auch dazu führen, gemeinsame Strategien für eine geschlechtergerechte Lesart der Religionen zu finden. Vor allem helfen Begegnungen dieser Art, Vorurteile abzubauen und in einen offenen, empathischen sowie respektvollen Umgang mit seinem Gegenüber zu treten.

Das Projekt des gemeinsamen Campus kann daher als eine große Chance in Münster gesehen werden, den Dialog zwischen den Religionen noch weiter zu fördern.

Herzliche Grüße
Dina El Omari


Porträt von Dina El Omari

Dina El Omari

… ist Professorin für interkulturelle Religionspädagogik am Zentrum für Islamische Theologie. Sie forscht und lehrt zu den Themen feministische und geschlechtersensible islamische Theologie, interreligiöses Lernen sowie islamische Textwissenschaften.

Die Kolumne

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