Die Kolumne von Dina El Omari | Wenn christliche und muslimische Studierende zusammen lernen

Müns­ter, 16. April 2023

Guten Tag,

ich wün­sche Ihnen einen schö­nen Tag.

Die Uni­ver­si­tät Müns­ter behei­ma­tet nicht nur eine der größ­ten evan­ge­li­schen sowie katho­li­schen Fakul­tä­ten in Deutsch­land und Euro­pa, son­dern auch das größ­te uni­ver­si­tä­re Zen­trum für isla­mi­sche Theo­lo­gie deutsch­land­weit. Dabei kommt ihr noch eine wei­te­re Beson­der­heit zu, denn sie soll bald zur Fakul­tät wer­den. Die drei Fakul­tä­ten sowie die Reli­gi­ons­wis­sen­schaf­ten sol­len zudem zukünf­tig auf einem Cam­pus ver­eint wer­den, dem Cam­pus der Reli­gio­nen, der zur­zeit auf dem Gelän­de des Hüf­fer­cam­pus errich­tet wird. Dadurch ent­steht eine ganz beson­de­re Situa­ti­on des inter­re­li­giö­sen Dia­logs und Aus­tau­sches in Müns­ter, der ein­ma­lig in Deutsch­land ist.

Der Nähr­bo­den dafür ist bereits seit vie­len Jah­ren gelegt, denn der Aus­tausch zwi­schen den Theo­lo­gien fin­det auf viel­fäl­ti­ge Wei­se statt: Sei es durch gemein­sa­me Ver­an­stal­tun­gen und Pro­jek­te, durch gemein­sa­me Lehr­ver­an­stal­tun­gen oder ein­fach beim Mit­tag­essen und Kaffeetrinken.

Im Juni unter­stützt uns
Müns­ter gemein­sam gestalten.

Wir, die INITIATIVE STARKE INNENSTADT MÜNSTER, sind ver­ant­wort­li­che Part­ner aus den Berei­chen Han­del, Gas­tro­no­mie und Immo­bi­li­en, um Müns­ter erfolg­reich durch die anste­hen­den inner­städ­ti­schen Ver­än­de­rungs­dy­na­mi­ken zu füh­ren. Ergrei­fen auch Sie die Initia­ti­ve und wer­den Mit­glied oder För­der­mit­glied für eine star­ke Innenstadt.

www.isi-muenster.de

Mei­ne ers­ten inten­si­ven inter­re­li­giö­sen Dia­log­er­fah­run­gen in Müns­ter habe ich mit mei­ner geschätz­ten Kol­le­gin und Freun­din Marie-The­res Wacker, wäh­rend meh­re­rer gemein­sa­mer Lehr­ver­an­stal­tun­gen zum The­ma „Koran und Bibel im Ver­gleich am Bei­spiel von ‚Frau­en-Tex­ten‘“ von Som­mer­se­mes­ter 2015 bis 2018 gemacht.

Zu die­ser Koope­ra­ti­on kam es, weil Wacker an einem Vor­trag von mir über die femi­nis­ti­sche Koran­ex­ege­se teil­ge­nom­men hat und wir im Anschluss dar­an direkt in ein reges Gespräch ver­fie­len. Sie selbst ist eine der Vor­rei­te­rin­nen der femi­nis­ti­schen Bibel­ex­ege­se und hat­te die wun­der­ba­re Idee, gemein­sam eine Lehr­ver­an­stal­tung anzubieten.

Christliche und muslimische Studierende in einem Hörsaal

Das For­mat die­ser Ver­an­stal­tung war beson­ders, denn es beinhal­te­te ein gemein­sa­mes Ler­nen von mus­li­mi­schen und christ­li­chen Stu­die­ren­den, die sich jeweils in einem ers­ten Schritt mit der Tra­di­ti­on der ande­ren Reli­gi­on aus­ein­an­der­set­zen, um ihre Ergeb­nis­se dann in Klein­grup­pen und im Ple­num inter­kon­fes­sio­nell zu dis­ku­tie­ren. Dabei haben wir die Ver­an­stal­tung dia­lo­gisch mode­riert, so dass wir zum einen die Mög­lich­keit hat­ten, direkt auf­ein­an­der zu reagie­ren. Zum ande­ren konn­ten wir aber mit den Stu­die­ren­den der je ande­ren Kon­fes­si­on direkt in Kon­takt treten.

Ein beson­ders span­nen­des The­ma war in die­sem Rah­men die bibli­sche und kora­ni­sche Schöp­fungs­ge­schich­te, denn aus die­sen lei­ten sich in bei­den Reli­gio­nen hier­ar­chi­sche Rol­len­ver­ständ­nis­se ab. Sie wer­den gleich­zei­tig auch dafür genutzt, um für Geschlech­ter­ge­rech­tig­keit auf einer Ebe­ne des mensch­li­chen Seins zu plä­die­ren. Wäh­rend sich nun die mus­li­mi­schen Stu­die­ren­den im Vor­feld mit den bei­den bibli­schen Tex­ten Gene­sis 1 und 2 aus­ein­an­der­ge­setzt haben, haben sich die christ­li­chen Stu­die­ren­den mit den fünf Text­frag­men­ten des Korans zur Schöp­fungs­ge­schich­te beschäftigt.

Rich­tig inter­es­sant wur­de es dann im gemein­sa­men Aus­tausch von Erfah­run­gen mit den Tex­ten, von eini­gen möch­te ich Ihnen kurz aus mus­li­mi­scher Per­spek­ti­ve erzählen.

Die Begeg­nung mit der Schöp­fungs­ge­schich­te in der Bibel war für die mus­li­mi­schen Stu­die­ren­den zunächst befremd­lich, da es zwei Ver­sio­nen die­ser Geschich­te gibt, die sich im Auf­bau, in der Struk­tur und auch inhalt­lich deut­lich unter­schei­den. Hat­ten sie aber die­se anfäng­li­che Befrem­dung erst ein­mal über­wun­den, indem sie bei­de Tex­te in ihrer Gene­se durch die Per­spek­ti­ve der ande­ren ver­stan­den, konn­ten sie recht schnell eine gan­ze Rei­he von Par­al­le­len zum Koran her­aus­ar­bei­ten, so dass sich durch­aus das Eige­ne im Frem­den erken­nen ließ.

So las­sen sich im Koran eine Rei­he von Moti­ven aus Gene­sis 2 fin­den: die Erschaf­fung des ers­ten Men­schen Adam aus Erde, das Ein­hau­chen des Got­tes­atem in Adam, der Auf­ent­halt im Para­dies, das Ver­bot Got­tes, von einem bestimm­ten Baum zu essen, die Ver­füh­rung durch einen Wider­sa­cher Got­tes und damit zusam­men­hän­gend der Ver­zehr der Frucht durch das ers­te Men­schen­paar sowie das Sicht­bar­wer­den der Blö­ße durch die Versündigung.

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Die Suche nach Aha-Erlebnissen

Doch den mus­li­mi­schen Stu­die­ren­den fie­len dane­ben auch ein paar Unter­schie­de auf. Drei davon erschie­nen ihnen mit Blick auf die Gen­der­fra­ge beson­ders inter­es­sant, denn der Koran nimmt eini­ge Moti­ve aus Gene­sis 2 nicht auf: Es feh­len die Erschaf­fung des Gegen­übers von Adam aus sei­ner Rip­pe, es wird ent­we­der Adam oder das Men­schen­paar gemein­sam ver­führt und der Sün­den­fall wird somit ent­we­der Adam oder dem Men­schen­paar ange­las­tet, wobei bei­den vor ihrer Hin­ab­sen­dung auf die Erde ver­ge­ben wird.

Die­se Unter­schie­de sorg­ten wie­der­um bei der Refle­xi­on der eige­nen Tra­di­ti­on für einen deut­li­chen Aha-Effekt bei den Stu­die­ren­den, denn inner­halb der isla­mi­schen Aus­le­gungs­tra­di­ti­on spie­len all die­se Ele­men­te eine zen­tra­le Rol­le in der Schöp­fungs­ge­schich­te des ers­ten Men­schen­paa­res. Sie wer­den auch dazu genutzt, um zu begrün­den, war­um Frau­en eine den Män­nern ver­meint­lich unter­ge­ord­ne­te Schöp­fung sei­en. Der frem­den Tra­di­ti­on zu begeg­nen, hat nun die Per­spek­ti­ve auf die eige­ne Tra­di­ti­on verändert.

Der inter­re­li­giö­se und inter­kul­tu­rel­le Dia­log ermög­licht es an die­ser Stel­le nicht nur aus den eige­nen Quel­len sowie im Dia­log mit der hei­li­gen Quel­le des Gegen­übers ein geschlech­ter­ge­rech­tes Ver­ständ­nis zu erzeu­gen, son­dern sich auch davon inspi­rie­ren zu las­sen, wie die jeweils ande­re Reli­gi­on zu ihrem Ver­ständ­nis kommt und davon zu profitieren.

Die­se Erfah­rung konn­ten bei­de Sei­ten im Übri­gen glei­cher­ma­ßen machen. Die Begeg­nung und das Ler­nen am Zeug­nis des ande­ren, gera­de auch bei so sen­si­blen The­men wie der Gen­der­fra­ge, kann nicht nur die inter­re­li­giö­se Kom­pe­tenz stär­ken, son­dern auch dazu füh­ren, gemein­sa­me Stra­te­gien für eine geschlech­ter­ge­rech­te Les­art der Reli­gio­nen zu fin­den. Vor allem hel­fen Begeg­nun­gen die­ser Art, Vor­ur­tei­le abzu­bau­en und in einen offe­nen, empa­thi­schen sowie respekt­vol­len Umgang mit sei­nem Gegen­über zu treten.

Das Pro­jekt des gemein­sa­men Cam­pus kann daher als eine gro­ße Chan­ce in Müns­ter gese­hen wer­den, den Dia­log zwi­schen den Reli­gio­nen noch wei­ter zu fördern.

Herz­li­che Grü­ße
Dina El Oma­ri


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Über die Autorin

Dina El Oma­ri ist Pro­fes­so­rin für inter­kul­tu­rel­le Reli­gi­ons­päd­ago­gik am Zen­trum für Isla­mi­sche Theo­lo­gie. Sie forscht und lehrt zu den The­men femi­nis­ti­sche und geschlech­ter­sen­si­ble isla­mi­sche Theo­lo­gie, inter­re­li­giö­ses Ler­nen sowie isla­mi­sche Textwissenschaften.

Über RUMS

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