Gastbeitrag von Yannic Werremeier | Münsters Promenadenmischung

Müns­ter, 25. Juni 2023

Guten Tag,

die Pro­me­na­de ist eine der bekann­tes­ten Fahr­rad­stra­ßen und eine der wich­tigs­ten Rad­ver­bin­dun­gen in Müns­ter. Sie ist Nah­erho­lungs­ge­biet, Spa­zier- und Jog­gingstre­cke für Men­schen in der Mit­tags­pau­se, nach der Arbeit und am Wochen­en­de. Sie ist Lebens­raum für Tie­re und Pflan­zen. Und bald wird sie im neu­en Rad­we­ge­netz der Stadt auch noch ein zen­tra­ler Kno­ten­punkt sein, über den man von der einen Velo­rou­te auf die ande­re gelangt. 

Die Pro­me­na­de wird dann neben dem Lud­ge­rik­rei­sel ein zwei­ter, noch etwas grö­ße­rer Kreis­ver­kehr sein, auf dem noch mehr Fahr­rä­der unter­wegs sein wer­den als heu­te. Aber lässt sich das alles ver­ein­ba­ren? Kann die Pro­me­na­de gleich­zei­tig Ver­kehrs­weg, Erho­lungs­ort und Lebens­raum sein? Und falls nicht: Was soll sie dann sein – oder werden? 

Viel­leicht schau­en wir dazu zual­ler­erst zurück auf das, was die Pro­me­na­de frü­her ein­mal gewe­sen ist. 

Im 13. Jahr­hun­dert war der Wall um die Alt­stadt ein­fach ein Ver­tei­di­gungs­ring, der aus Was­ser­grä­ben, auf­ge­schüt­te­ter Erde, meh­re­ren Bas­tio­nen, Toren und Tür­men bestand. Die Über­res­te davon sind der Bud­den­turm, der Zwin­ger und der Was­ser­bär an der Klei­mann­stra­ße. Stra­ßen­na­men wie Neu­tor oder Hörs­t­ertor erin­nern auch heu­te noch an die Zugän­ge. Die Pro­me­na­de soll­te mög­lichst effi­zi­ent ver­hin­dern, dass Men­schen in die Stadt kamen. 

Andere Städte machten es anders

Ende des 18. Jahr­hun­dert war die­ser Ring über­flüs­sig gewor­den. Im Jahr 1764 reg­te der fürst­bi­schöf­li­che Minis­ter Franz von Fürs­ten­berg an, den Befes­ti­gungs­wall zurück­zu­bau­en. Auf der Innen­sei­te bau­te man Häu­ser, Pri­vat­gär­ten und das Schloss. Außen leg­te man nach den Plä­nen des Bau­meis­ters Johann Con­rad Schlaun eine Lin­den­al­lee an, also das, was wir heu­te die Pro­me­na­de nennen.

Der Ort ent­wi­ckel­te sich lang­sam. Bis zum Ende des 19. Jahr­hun­derts kamen wei­te­re Grün­an­la­gen, Bee­te, Denk­mä­ler und Plät­ze zum Aus­ru­hen hin­zu. So ent­stand eine Park­an­la­ge, in der die Men­schen spa­zie­ren gin­gen und fla­nier­ten. Das ist bis heu­te so geblieben. 

Zwi­schen 1986 und 1990 erneu­er­te die Stadt die Pro­me­na­de, um die his­to­ri­sche Grün­an­la­ge zu erhal­ten und zu einem Haupt­ver­bin­dungs­weg rund um die Alt­stadt aus­zu­bau­en. Am Ende sah alles so aus, wie wir es heu­te kennen. 

Die­se Ent­wick­lung war nicht selbst­ver­ständ­lich. Ande­re Städ­te gin­gen anders mit ihren ehe­ma­li­gen Schutz­wäl­len um. 

In Göt­tin­gen leg­te man eben­falls auf dem ehe­ma­li­gen Stadt­wall einen von Bäu­men gesäum­ten Fuß­weg an. Hier mit dem Rad zu fah­ren, wäre mög­lich. Aber vor­ge­se­hen ist es nicht, gern gese­hen ist es wahr­schein­lich auch nicht. 

In Lem­go kann man mit dem Rad auf dem Ring um die Alt­stadt fah­ren. Seit zehn Jah­ren muss man dabei hin und wie­der abstei­gen. Seit­dem haben Autos an den Kreu­zun­gen wie­der Vor­fahrt.

In Köln führt eben­falls ein Grün­gür­tel auf der Flä­che der frü­he­ren Befes­ti­gungs­an­la­ge um die Stadt. Doch hier wird der Ring unter­bro­chen von Bahn­schie­nen, Stra­ßen und manch­mal von Häu­sern. Einen Ring, der durch­gän­gig um die Alt­stadt führt, gibt es nicht mehr. Außer­dem ist der Gür­tel mit einer Län­ge von gut sie­ben Kilo­me­tern so weit­läu­fig, dass man mit dem Rad auf dem direk­ten Weg oft schnel­ler ist. 

Städ­te gin­gen also unter­schied­lich um mit den Mög­lich­kei­ten den Frei­raum zu nut­zen, den die nicht mehr benö­tig­ten Stadt­be­fes­ti­gun­gen hin­ter­las­sen haben. In Müns­ter befand sich seit der Schlei­fung der Stadt­mau­er ein grü­ner Ring um die Alt­stadt. Erst für Men­schen, die zu Fuß unter­wegs sind, spä­ter kamen die auf Fahr­rä­dern hinzu.

Ein internationaler Verkehrsknotenpunkt

Das Gebiet rund um die Pro­me­na­de ist zu einem inner­städ­ti­schen Park gewor­den, der die Alt­stadt umrahmt, ein sehr nahes Nah­erho­lungs­ge­biet. Am Wochen­en­de trifft man hier vie­le Men­schen, die die his­to­ri­sche Grün­an­la­ge zum Spa­zie­ren gehen nut­zen. Im Som­mer wer­den die Rasen­flä­chen ent­lang der Allee zur belieb­ten Lie­ge­flä­che, zum Grill­platz oder zur Akti­ons­flä­che für Out­door­spie­le wie Slack­li­nes, Kubb-Spie­le oder Spikeball. 

Hin­zu kom­men Ver­an­stal­tun­gen wie die Grün­flä­chen­un­ter­hal­tung und Floh­märk­te. Im Win­ter, wenn Schnee liegt, sieht man Kin­der, die ver­gnügt mit ihren Schlit­ten die Hügel an der Aegi­dii- oder Gar­ten­stra­ße her­un­ter sau­sen. Und der 4,5 Kilo­me­ter lan­ge Weg, der über die Pro­me­na­de führt, ist nicht nur für Müns­ter von Bedeu­tung. Er ist ein­ge­bun­den ins regio­na­le, natio­na­le und inter­na­tio­na­le Radverkehrsnetz.

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Der inter­na­tio­na­le Rad­fern­weg Euro­ve­lo 3, der Euro­pa von Nor­den nach Süden durch­quert und Städ­te wie Oslo und Ham­burg mit Paris und Bor­deaux ver­bin­det, führt auch durch Müns­ter – über die Pro­me­na­de. Der Euro­ve­lo 2 (bezie­hungs­wei­se Euro­pa­rad­weg R1), der von Wes­ten nach Osten ver­läuft, von Dub­lin über Lon­don, Ams­ter­dam und Ber­lin nach War­schau, kommt von der ande­ren Sei­te und durch­quert die Innen­stadt eben­falls über die Promenade. 

Wenn man so will, ist die Pro­me­na­de ein inter­na­tio­na­ler Ver­kehrs­kno­ten­punkt. Aber das ist nicht alles. Das Gebiet hat noch eine wei­te­re wich­ti­ge Funk­ti­on. Doch sie gerät mit dem zuneh­men­den Ver­kehr immer mehr in Bedräng­nis – und hin und wie­der in Ver­ges­sen­heit. Die Pro­me­na­de ist ein Lebens­raum für Tie­re und Pflan­zen. In ihrer Umge­bung leben Fle­der­mäu­se, die auf der „Roten Lis­te“ der bedroh­ten Tier­ar­ten ste­hen, und das Alter eini­ger Bäu­me hier wird auf über 200 Jah­re geschätzt. 

Im Abschluss­be­richt zu den Ver­kehrs­ver­su­chen vor zwei Jah­ren schreibt die Stadt Müns­ter von einem Span­nungs­feld, in dem die Pro­me­na­de sich mit ihren unter­schied­li­chen Funk­tio­nen bewegt. 

Die­se Span­nung ent­steht, weil sich in einer Stadt mit immer mehr Men­schen und immer mehr Ver­kehr alles immer mehr in die Que­re kommt. Und auch inner­halb des Ver­kehrs ergibt sich ein Span­nungs­feld. Das hat der Ver­kehrs­ver­such an der Pro­me­na­de gezeigt. Räumt man einer Grup­pe einen Vor­teil ein, ergibt sich für eine ande­re Grup­pe ein Nachteil. 

Das führt zur nächs­ten Fra­ge: Was könn­te man machen, um die­sem Feld die Span­nung etwas zu nehmen?

Unterführung, Schilder, Kreisverkehr

Regu­lie­ren kann man sie vor allem dort, wo die Wege sich kreu­zen. Dort ist auch das Kon­flikt­po­ten­ti­al zwi­schen den Men­schen auf dem Rad, zu Fuß und im Auto am größ­ten. Auf der Pro­me­na­de pas­siert das an elf Stel­len. An sechs davon müs­sen die Fahr­rä­der war­ten, weil ande­re Vor­fahrt haben, an vier ste­hen Ampeln, an einer geht es erst berg­ab und dann wie­der berg­auf. Das ist die Unter­füh­rung am Mauritztor. 

Für Autos ist es dort am bequems­ten. Für Men­schen auf dem Rad heißt es hier: kräf­tig in die Peda­le tre­ten. Eine Unter­füh­rung ist die sichers­te Lösung, sie nimmt aber sehr viel Platz in Anspruch. 

Vor einer der vier Ampeln, kurz vor der Hörs­t­erstra­ße, hilft inzwi­schen ein tech­ni­sches Hilfs­mit­tel, die War­te­zeit abzu­schät­zen und nicht anhal­ten zu müs­sen: der soge­nann­te Lee­zen­flow. Wenn die­ses Instru­ment funk­tio­niert und ver­stan­den wird, ist es prak­tisch. Ein Nach­teil ist: Ampeln und Tech­nik zu pfle­gen, kos­tet Geld. 

Die ein­fachs­te und bil­ligs­te Lösung sind Schil­der, die zei­gen, wer zuerst fah­ren darf. Sie sind an sechs Que­run­gen zu fin­den. Hier muss der Rad­ver­kehr war­ten. Hät­te er Vor­fahrt, müss­ten die Autos ste­hen blei­ben. Bei­des wür­de dazu füh­ren, dass Men­schen die unüber­sicht­li­che Situa­ti­on so lösen, wie es ihnen am güns­tigs­ten erscheint, unter Umstän­den, ohne dabei die Regeln zu beach­ten (sie­he Abschluss­be­richt).

Und dann gäbe es noch eine wei­te­re Mög­lich­keit. Sie hät­te einen Neben­ef­fekt, der eini­ge Kon­flik­te zwi­schen den unter­schied­li­chen Funk­tio­nen und Nut­zungs­ar­ten der Pro­me­na­de etwas abmil­dern wür­de. Das wäre der Kreis­ver­kehr. Bis­her gibt es davon auf der Pro­me­na­de noch keinen.

Er braucht zwar mehr Platz als eine nor­ma­le Kreu­zung oder eine Ampel, aber nicht so viel wie eine Brü­cke oder ein Tun­nel. Dazu ist es etwas güns­ti­ger, einen Kreis­ver­kehr in einem gutem Zustand zu hal­ten. Er ver­ein­facht den Ver­kehr, denn er ver­rin­gert die Kon­stel­la­tio­nen, die Unfäl­le über­haupt erst mög­lich machen.

Das kann man sehr gut ver­deut­li­chen, indem man eine nor­ma­le Kreu­zung auf der Pro­me­na­de mit einem Kreis­ver­kehr ver­gleicht. Das hier ist die Kreuzung.

Wer mit dem Rad auf der Pro­me­na­de unter­wegs ist und eine Stra­ße über­que­ren möch­te, zum Bei­spiel die Kanal­stra­ße, muss im Extrem­fall auf neun ver­schie­de­ne Ver­kehrs­strö­me ach­ten, die in unter­schied­li­chen Geschwin­dig­kei­ten unter­wegs sind: auf den Fuß­ver­kehr in bei­de Rich­tun­gen auf bei­den Sei­ten der Stra­ße (vier Strö­me), den Auto- und Rad­ver­kehr auf bei­den Fahr­bahn­sei­ten (vier Strö­me) und den Gegen­ver­kehr auf der Pro­me­na­de (ein Strom). Bis auf den Gegen­ver­kehr haben alle davon Vor­fahrt. Das birgt vie­le Gefah­ren und macht die Kreu­zung unübersichtlich. 

Die Situa­ti­on für Autos und Fahr­rä­der auf der Stra­ße ist ähn­lich kom­pli­ziert. Bei­de müs­sen auf die Fahr­rä­der und den Fuß­ver­kehr ach­ten, der die Stra­ße über­quert. Ein Kreis­ver­kehr wür­de all das vereinfachen. 

Wer mit dem Rad unter­wegs ist, muss nur auf vier Ver­kehrs­strö­me schau­en: Men­schen zu Fuß außer­halb des Kreis­ver­kehrs (zwei Strö­me), Autos und Fahr­rä­der im Kreis­ver­kehr (jeweils ein Strom). 

Ein wei­te­rer Neben­ef­fekt ist: Der Kreis­ver­kehr dros­selt die Geschwin­dig­keit auto­ma­tisch. Es wird leich­ter, den Ver­kehr zu beob­ach­ten, und damit siche­rer, durch den Kreis­ver­kehr zu gelan­gen. Auch für Men­schen, die zu Fuß unter­wegs sind, wäre das ein Vor­teil – im Ver­gleich zu einer beschil­der­ten Kreuzung. 

Ein Modellraum für die Verkehrsplanung

Um es zusam­men­zu­fas­sen: Der Ver­kehr wird lang­sa­mer und siche­rer. Ein Grund­prin­zip im Stra­ßen­ver­kehr lau­tet: an unüber­sicht­li­chen Stel­le bes­ser die Geschwin­dig­keit redu­zie­ren. Nicht ohne Grund for­dern vie­le Ver­kehrs­fach­leu­te, Men­schen, die in der Nähe woh­nen, oder Men­schen, die Stra­ßen nut­zen, das Tem­po­li­mit auf Auto­bah­nen oder Tem­po 30 in Innen­städ­ten. Alles läuft etwas lang­sa­mer und damit kon­trol­lier­ter ab und im Fall eines Unfalls sind die Schä­den nicht so groß wie bei höhe­ren Geschwindigkeiten.

Damit zurück zur Aus­gangs­fra­ge: Was soll aus der Pro­me­na­de wer­den? Wenn das Fahr­rad als Ver­kehrs­mit­tel wich­ti­ger wird, bekommt auch der grü­ne Ring um die Stadt als Ver­kehrs­ver­bin­dung eine immer grö­ße­re Bedeu­tung. Die Pro­me­na­de wird dann viel­leicht irgend­wann mehr Fahr­rad­au­to­bahn als Erho­lungs­ort sein – aber muss das bedeu­ten, dass sie nur eines sein kann?

In moder­nen Städ­ten nutzt man Orte für ver­schie­de­ne Zwe­cke. Stra­ßen sind oft mehr als nur eine Ver­bin­dung zwi­schen zwei Punk­ten. Die Pro­me­na­de könn­te ein modell­haf­ter Raum wer­den, der eine Ant­wort auf eine Fra­ge gibt, die sich in der Stadt- und Ver­kehrs­pla­nung über­all im Land stellt: Wie ver­bin­de ich Auf­ent­halts­qua­li­tät und Ver­kehrs­funk­ti­on? An der Pro­me­na­de könn­te deut­lich wer­den, was Städ­ten in Zukunft gelin­gen muss, um lebens­wert zu blei­ben: Sie müs­sen sich auf ver­än­der­te Umstän­de ein­stel­len und ihren Cha­rak­ter doch irgend­wie bewahren.

Herz­li­che Grü­ße
Ihr Yan­nic Werremeier

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Über den Autor 

Yan­nic Wer­rem­ei­er ist zum Stu­di­um nach Müns­ter gekom­men und geblie­ben. Er ist Vater von bald zwei Kin­dern und als Fuß­gän­ger, Rad­fah­rer und Auto­fah­rer in Müns­ter unter­wegs. An der Fach­hoch­schu­le hat er Bau­in­ge­nieur­we­sen stu­diert und als Ver­kehrs­pla­ner für die Stadt Müns­ter, unter ande­rem für die Pla­nung und Umset­zung der Velo­rou­ten gear­bei­tet. Aktu­ell ist er beim Was­ser­stra­ßen- und Schiff­fahrts­amt West­deut­sche Kanä­le ange­stellt und betreut als Teil­pro­jekt­lei­ter den Aus­bau des Dort­mund-Ems-Kanals in der Stadt­stre­cke Münster.