Die Kolumne von Michael Jung | Endlich wieder Streit über Straßennamen


Münster, 2. April 2023

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Guten Tag,
es ist wieder Aufregung in der Stadt, wie immer, wenn das Thema kommt: Straßen umbenennen. Nichts versetzt die Menschen so zuverlässig in Erregung: Hat die Politik nichts Besseres zu tun? Sollte man nicht zu seiner Vergangenheit stehen? Wird da etwa woke Politik gemacht und die Vergangenheit mit der Elle von heute vermessen?
Vor elf Jahren gingen hunderttausend Menschen abstimmen, und sie entschieden gegen Hindenburg. Jetzt läuft die Debatte wieder heiß. Dieses Mal um Heidegger, Lüderitz, Weddigen und Prinz Eugen. Und wieder geht es zur Sache, obwohl gleichzeitig mit Vehemenz behauptet wird, es gebe doch wirklich Wichtigeres als ausgerechnet Straßennamen. Aber das ist nur die halbe Wahrheit.
Denn es geht um mehr als Straßennamen. Das ist spätestens dann klar, wenn die CDU im Rat fordert, man solle doch einfach die Anwohner:innen selbst entscheiden lassen. Für Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie ist die CDU nämlich immer dann, wenn sie denkt, dass dann alles bleibt wie es ist. Und so lauten ja auch die zentralen Argumente: Man solle alles lassen, wie es ist, das sei schließlich unsere Geschichte.
Ist es aber gar nicht, und deswegen geht es auch so hoch her in der Sache, es geht nämlich um das kulturelle Gedächtnis unserer Stadt und die Frage, wer da mitbestimmen darf. Da haben die Konservativen viel zu verlieren. Es geht um die Macht zu definieren, was wichtig und was richtig war. Straßennamen sind Politik im öffentlichen Raum, und sie waren es immer schon. Deswegen muss man sie auch politisch diskutieren.
Da hat die CDU in den Jahren ihrer politischen Hegemonie in Münster ihre Spuren hinterlassen, aber nicht sie allein. Machen wir also eine Reise über den Stadtplan und seine Straßennamen und die Politik, für die sie stehen.
Stadtplan zeigt das politische Programm
Als die Stadt Ende des 19. Jahrhunderts stark expandierte, da entstanden neue Straßen und Quartiere. Und da der Kulturkampf inzwischen Geschichte war und auch die Provinzialhauptstadt Münster sich nun gern in die politischen Realitäten des Wilhelminischen Kaiserstaates einfügen wollte, da wurden die Straßen an den neuen Repräsentationsbauten auch entsprechend benannt: Hohenzollernring, in den neuen Wohnquartieren im Süden gerne preußische Generäle der Einigungskriege: Goeben, von Falkenstein, oder im Kreuzviertel jüngere Repräsentanten des Obrigkeitsstaates.
Mit diesen Straßenbenennungen demonstrierte Münsters kommunale Elite die feste Absicht, sich in die politische Ordnung Preußens und des Wilhelminischen Reiches einzufügen. Dass dabei auch ein Kölner Kardinal wie Melchers mit Münsteraner Wurzeln nicht fehlen durfte, demonstrierte den Willen zur Einheit eher, als dass er ihn relativierte. Das politische Programm ist heute noch im Stadtplan lesbar.
Schaut man sich die Weimarer Republik an, so sticht vor allem die strittigste Benennung überhaupt hervor: 1927 erhielt der Reichspräsident von Hindenburg zum 80. Geburtstag einen Platz quasi geschenkt, und das war nicht nur der größte, sondern auch der wichtigste: Sitz des Oberpräsidenten von Westfalen, des Generalkommandos, der zentrale Ort ziviler und militärischer Macht, der größte Aufmarschplatz der Stadt. Mehr ging nicht.
Gleichzeitig gab es auch einen Platz für den verstorbenen Vorgänger Friedrich Ebert: klein und unscheinbar, am Rand des Arbeiterviertels, weit entfernt von den Orten der Macht, der tote Präsident der Republik symbolpolitisch zurückgedrängt ins ohnehin marginalisierte Arbeitermilieu. Mehr politisches Programm ging nicht, und Zufall war das nicht, wenn man bedenkt, wie unwillig der Oberbürgermeister Georg Sperlich drei Jahre zuvor den lebenden Ebert hatte empfangen müssen, weil ihn der republikanische Oberpräsident dazu gezwungen hatte.
Dieser bekam dafür als Revanche Hindenburg, den Erfinder der Dolchstoßlegende, als Postadresse. Diese Benennung war ein dezidiertes politisches Programm – und es war eine Machtdemonstration der Feinde der Republik, vorneweg des damaligen Oberbürgermeisters.
Die NS-Stadtverwaltung benutzte Straßennamen dann dezidiert für die Formulierung ihres politischen Programms im öffentlichen Raum, und genau darum geht es in der aktuellen Debatte. Da gab es das neue Wohnquartier im Osten, das nach österreichischen Städten und Regionen benannt wurde (Wien, Innsbruck, Kärnten…), damit feierte das Regime ebenso wie mit der „Ostmarkstraße“ die Annexion Österreichs.
Machtdemonstrationen des Regimes
Dann gab es die Ansagen an die überwundene republikanische Vergangenheit mit dem Rückgriff auf die angeblichen Erfolge des Weltkrieges mit der Ehrung der Skagerrak-Schlacht oder eines angeblichen Kriegshelden wie Weddigen. Revisionsansprüche wurden mit der „Danziger Freiheit“ benannt.
All diese Benennungen haben sich 75 Jahre nach dem Höllensturz des NS-Regimes erhalten, anders als die Benennungen, die bereits die britischen Befreier umzubenennen erzwungen hatten: Aus der Adolf-Hitler-Straße wurde wieder die Bahnhofstraße, aus der Albert-Leo-Schlageter-Straße wieder die Südstraße, und auch Göring und Wessel verschwanden wieder aus dem öffentlichen Straßenraum.
Das waren die unmittelbaren Machtdemonstrationen des Regimes aus seiner Anfangsphase, die jetzt nach der Befreiung der Stadt wieder rückgängig gemacht wurden. Dabei blieb es aber auch, viele andere, die nicht nach Repräsentanten des Regimes benannt waren, aber blieben, vor allem jene Namen, die Ideologie und nicht das Spitzenpersonal des Regimes würdigten. Das war eine bemerkenswerte Praxis, vor allem auch, weil man dezidiert ignorierte, was die Briten anwiesen.
So erhielten sich viele Namen, über die jetzt gerade gestritten wird, auf den Straßenschildern. Weddigen und Konsorten hätten nämlich bereits direkt nach 1945 verschwinden sollen, was man aber von Seiten der Stadtverwaltung gerne ignorierte und nicht umsetzte. Dass eine Debatte in der Nachkriegszeit unterblieb, verwundert wenig, wenn man bedenkt, dass der ehemalige NSDAP-Kreisleiter bis Ende der 1960er-Jahre das Kulturamt leitete.
In den vier Jahrzehnten der politischen und kulturellen Dominanz der CDU in der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg bemühte sich die Partei nach Kräften, ihr Bild von Münster und seiner Geschichte ins Straßenbild zu brennen. Dieses Bild war vor allem vom Narrativ des katholischen Milieus geprägt: War die Stadt nicht in der Gegenwart wunderbar schwarz, und war sie es nicht immer schon gewesen?
Die Nazis waren, wenn es sie überhaupt gegeben hatte, in diesem Narrativ bestenfalls böse protestantische Zugereiste, das echte Münster war immer katholisch und dem Nazismus fern. So erzählen es auch die Straßennamen.
Die Leerstellen in der Geschichte
Nicht nur der Kardinal bekam jetzt seinen Ring, ungefähr jeder Zentrumsabgeordnete der Vergangenheit erhielt jetzt seine Straße: Die Namen der einstigen Granden Herold, Schmedding, Mausbach kennt zwar heute niemand mehr, ihre Straßen haben sie heute immer noch, und ebenso wie die früheren Oberbürgermeister auf den Straßenschildern des Westens erzählen sie die Geschichte einer angeblich ungebrochenen Tradition vor und nach dem Krieg.
Selbst der ehemalige Oberbürgermeister Sperlich, der 1932 gestürzt und zu den Deutschnationalen gewechselt war, wurde wieder in die große schwarze Tradition heimgeholt, zumindest durch eine schöne Straße. So wurde Münster ganz schwarz auf seinen Straßenschildern, und seine Geschichte damit auch. Jeder halbwegs wichtige Zentrumspolitiker bekam seine Straße, und auch der ehemalige Reichskanzler Brüning, dem man außerhalb Münsters einen erheblichen Anteil an der Zerstörung der Republik nicht absprechen konnte, behielt als Ehrenbürger sein Straßenschild.

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So wurde die Geschichte doch noch ein Erfolg, allerdings hatte sie, bezeichnend für die Hegemonialpartei, auch ihre Leerstellen: Bei all den Zentrumshelden auf den Straßenschildern fehlte bemerkenswerterweise nur einer: der Zentrumspolitiker, der als Märtyrer der Republik den Kugeln rechtsterroristischer Mörder zum Opfer gefallen war.
Für Leute wie Matthias Erzberger war bei der Legendenbildung kein Platz auf den Straßenschildern, denn ihn hatte Münsters Zentrumspartei schon zu Lebzeiten nicht geschätzt. Und diese kleine, aber bezeichnende Lücke in der schwarzen Heldengalerie war eine markante Erinnerung daran, dass diese Geschichte nichts als eine erfundene Tradition war. Münster war nämlich nie so schwarz, wie die CDU es auf den Straßenschildern erzählte.
Deswegen ist die Debatte so aufgeregt. Es geht um Identität, und es geht um die Legenden von der Stadt und ihrer Vergangenheit, und vor allem geht es darum, wer definieren darf, was wichtig war und richtig ist. Und natürlich ist die aktuelle Debatte um Straßennamen politisch. Sie ist genauso politisch, wie es die Benennung der Straßen einst war.
Es gibt keine unpolitische Tradition oder Geschichte, der ganze Stadtplan ist ein politisches Statement. Und genauso wie frühere politische Mehrheiten und Generationen sich das Recht genommen haben, ihre Bilder von Münster und seiner Vergangenheit mit Straßennamen festzuschreiben, haben heutige Mehrheiten und Generationen das Recht, das auch zu tun und auch frühere Entscheidungen zu ändern. Die Mehrheiten haben heute immerhin den Vorteil, dass sie durch freie und demokratische Wahlen zustande gekommen sind, anders als zu manchen früheren Zeiten.
Heidegger rutschte durch das Raster
In der aktuellen Diskussion zeigt sich aber, wieder einmal, ein altes Problem: Die Debatte ist von Zufällen bestimmt, und es fehlt jede Systematik. In den Jahren 2011 und 2012 lautete die Fragestellung, inwieweit Persönlichkeiten mit Straßennamen geehrt würden, die selbst in den Nationalsozialismus verstrickt seien. In der Folge fiel nicht nur Hindenburg, sondern zum Beispiel auch der völkische Blut-und-Boden-Dichter Karl Wagenfeld vom Straßenschild und verlor seine Schule.
Aus schwer erklärlichen Gründen aber rutschte Martin Heidegger, über den erst jetzt in Hiltrup inbrünstig gestritten wird, durch das Raster – und andere auch. Jetzt taucht wieder ein ähnliches Problem auf: Ein von der Bezirksvertretung Mitte beauftragtes Gutachten behandelt auch die Straßenbenennungen des Regimes selbst, die vor einem Jahrzehnt absurderweise ausgeklammert geblieben waren.
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Anschließend greifen politische Mehrheiten einzelne Straßen heraus und wollen sie umbenennen. Das geschieht mit Begründungsdefiziten: So wird der spezifisch mit der NS-Ideologie verknüpfte Begriff „Ostmark“ nach vierzigjähriger Debatte über diesen Straßenamen endlich getilgt. Gleichzeitig aber verstrickt man sich in eine Debatte über einen queeren österreichischen Feldherrn des späten 17. Jahrhunderts, dem man bescheinigt, seine Straßenwidmung sei von der NS-Ideologie kontaminiert.
Da schwingt manch Konservativer schon begeistert die Feder, um das gesamte Projekt ins Lächerliche zu ziehen. Da kann man nur staunen. Solche Fehlgriffe sind ärgerlich, aber sie passieren, wenn (wieder einmal) die Stadtverwaltung die ehrenamtliche Politik mehr oder weniger allein lässt. Da müssen Bezirksvorsteher in die erregte Debatte, nachdem sie die erforderlichen Gutachten zuvor selbst beauftragen mussten.
Die Bezirksvertretungen, von allen städtischen Instanzen die mit dem kleinsten Budget, sind diejenigen, die die Diskussion stemmen müssen. Sie dürfen dann erklären, warum die Information und Beteiligung der Bürger:innen mehr oder weniger allein geleistet werden muss – weil die Instanzen, die das Budget hätten, sich dezent raushalten.
Im Stadtmuseum, wo sicher Raum und Platz zur Information und Debatte wäre, ist man derweil sicher kräftezehrend mit der Vorbereitung des nächsten Fotobands zu Münster vor 50 Jahren beschäftigt. Die Volkshochschule, in den 1990er-Jahren noch federführend bei der Debatte über das Thema, spielt ebenso keine Rolle. Die einzigen, die zumindest fachkundig helfen, sind die Mitarbeiter:innen des Archivs. Alles in allem wieder einmal kein Ruhmesblatt, die Bezirksvertretungen nicht besser zu unterstützen.
Zweifelhafte Suchkriterien
Deswegen wird auch diese Debatte unvollständig bleiben, und die Auseinandersetzung wird weiterlaufen. Das ist ärgerlich. Das liegt auch daran, dass regelmäßig die Suchkriterien zweifelhaft sind. So beinhaltet das aktuelle Gutachten für die Bezirksvertretung Mitte jede Menge Straßennamen, die wenig zur Debatte beitragen und reines Füllmaterial sind.
So führte die Frage nach den von den Nationalsozialisten vergebenen Namen zu schönen Erörterungen zu „Industrieweg“ und „kleine Turmstraße“. Und so rutscht bei allem Streit über Prinz Eugen wieder einmal Entscheidendes durch. Lassen Sie es mich an einem Beispiel demonstrieren.
Das Anna-Krückmann-Haus ist eine Familienbildungsstätte an der Friedensstraße, und einen nach ihr benannten Weg gibt es in Rumphorst. Die Bildungsstätte informiert über ihre Namenspatronin auf ihrer Website.
Sie habe 1915 den Hausfrauenverein gegründet, außerdem habe sie sich für Familienbildungsarbeit engagiert. Und man wird gefragt, ob man wisse, dass sie den ersten Second-Hand-Laden im Krameramtshaus gründete und Budgetberatungen anbot?
Der Münsteraner Henning Stoffers hat ihr sogar eine ganze Seite im Netz gewidmet: Sie habe gute Kontakte zu Behörden und Innungen, zur Landwirtschaftskammer und zur Kaufmannschaft gehabt. So habe sie immer wieder hilfreich in Zeiten der Not etwas organisieren können für Bedürftige.
Ein echtes Multitalent war Anna Krückmann, Teil der städtischen Eliten war sie bestimmt, aber katholisch war sie nicht. Sie war zugezogen mit ihrem Mann, der als Professor in die Stadt gekommen war. Aber sie gehörte schnell dazu als echtes Organisationsgenie. Und viele Kontakte hatte sie auch. Allerdings auch solche, die eine ganz andere Geschichte über sie erzählen könnten.
Ein systematischer Ansatz
Mit ihrem Mann gehörte sie schnell auch zum „Deutsch-Völkischen Schutz- und Trutzbund“, der schon im Frühjahr 1920 antisemitische Krawallen in Münster organisierte und Vorträge eines Rabbiners sprengte und aus dem 1922 die erste illegale NSDAP-Ortsgruppe hervorging. Als deutschnationale Stadtverordnete wollte sie Reichspräsident Ebert bei seinem Besuch in Münster demonstrativ jede offizielle Begrüßung verweigern – Dolchstoßlegende auf kommunaler Ebene.
Zusammen mit ihrem Mann, der schon vor und im Ersten Weltkrieg eine führende Rolle im radikalnationalistischen Alldeutschen Verband in Münster spielte, gehörte sie zur älteren Generation und bürgerlich scheinenden Fassade des völkischen und rechtsextremistischen Milieus in Münster, das die Stadt in den 1920er Jahren zu einer Hochburg der völkischen Rechten in Norddeutschland machte. Schwarz war Anna Krückmann nicht, sondern schwarz-weiß-rot, eine Feindin der Weimarer Republik.
Dass sie erneut durchgerutscht ist, spricht gegen die Fragestellungen der aktuellen Debatte und sehr dafür, dass endlich einmal mit einem auf die ganze Stadt bezogenen Ansatz systematisch geforscht wird, anstatt alle Jahre wieder die nächste Runde einzuläuten. Das aber liegt in der Verantwortung auch der Verwaltung, hier zu unterstützen und die Vorarbeiten einzuleiten.
Herzliche Grüße
Ihr Michael Jung
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Über den Autor
Michael Jung lebt schon immer in Münster. Er wurde 1976 hier geboren. Er hat an der Uni Münster Latein und Geschichte studiert und in Geschichte promoviert. Heute ist er Lehrer am Annette-Gymnasium in Münster. Michael Jung war viele Jahre in der Politik: Von 2013 bis 2020 war er Fraktionschef der SPD im Rat der Stadt. Im Jahr 2020 trat er für die SPD bei den Kommunalwahlen als Oberbürgermeisterkandidat an.
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Erst einmal vielen Dank, Michael Jung, für diese brillante Kolumne mit ihrem umfassenden Ansatz und der klaren Forderung an die Verwaltung, hier tätig zu werden. Ich lese daraus, dass es Ihnen nicht um eine bloße Umbenennung geht sondern darum, die Namen ideengeschichtlich einzuordnen, neudeutsch: um ein aufklärerisches framing.
Bei der Martin Heidegger Straße geht es dann zum Beispiel darum: Seine Nähe zum Nationalsozialismus ist unbestritten, doch sein Verhältnis dazu ist ambivalent. Als Rektor der Universität Freiburg hat er die NS-Weltanschauung vertreten, jüdische (und nicht-jüdische!) Kollegen denunziert um der eigenen Karriere willen - aber nachweislich auch in Einzelfällen jüdischen Wissenschaftlern geholfen. Und: Jean Paul Sartre hat sein grandioses Werk unter anderem in der Auseinandersetzung mit Heideggers Thesen entwickelt.
Wenn wir die Diskussion über die Straßenamen-Geber*innen als Dauerauftrag der Stadtgesellschaft für viele Jahre auf eine solche Schiene setzen, etablieren wir ein wirksames Gegengift gegen die konservative, CDU-gesteuerte Straßenbenennung.
Das wünscht sich und grüßt die RUMS-Gemeinde
Peter Umlauf
Ja, ich finde diesen Beitrag auch ungemein spannend, interessant und einen wichtigen Beitrag zur Stadtgeschichte; wo findet man so etwas in den Geschichts-Publikationen der Stadt?
Als früherer Bewohner der Melchersstraße bin ich nun schlauer geworden und möchte als Neu-Bewohner von Coerde an die vielen Straßennamen des ehemals deutschen Ostpreußens erinnern. Kaum einer kennt hier Königsberg oder Elbing oder Allenstein, weil diese Städte ja heute Kaliningrad, Elblag und Olsztyn heißen (man könnte die lange Reihe fortsetzen), aber auf jeden Fall erinnern sie an die „große Zeit“ des großen Deutschen Reiches…und an diesen Nennungen haben sicher auch die Vetriebenenverbände ihren Anteil (Verdienst? Ja auch Verlust der ehemaligen Heimat..mit all den Kämpfen gegen die „Ostverträge“, also gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze usw. usw…?). Man könnte doch heute wenigstens unter diese Straßennamen eine Erklärung hinzufügen, dass all diese Straßennamen, die an Städte im ehemaligen Deutsche Reich erinnern, heute eigentlich einen anderen Namen haben müssten. Das wäre doch auch ein Beitrag zum besseren Verständnis, zur deutsch-polnischen Freundschaft und zur Erinnerungskultur. Zum Glück für die Benennung des Straßenrings hieß Lublin auch früher und heute immer noch Lublin.
Jochen Schweitzer
Das Ansinnen, bei Straßenbenennungen seine politischen Duftmarken zu setzen, gibt es heute noch genauso ambitioniert.
Nachdem der vorherige Hiltruper CDU-Bezirksbürgermeister Ende 2020 verstorben war, gab es schon einige Monate nach seinem Ableben den Antrag der CDU-Bezirksvertretungsfraktion, eine Straße nach ihm zu benennen.
Dem Ratgeber des Deutschen Städtetages zur Namensgebung von Straßen, dessen Vorsitzender unser CDU-Oberbürgermeister ist, ist die Empfehlung zu entnehmen ist, mindestens 3, besser 5 Jahre, zwischen Ableben und Ehrung durch einen Straßennamen verstreichen zu lassen.
Zudem gibt es in Münster eine Regelung, in Anbetracht der bisher überwiegend männlich Geehrten, nun bevorzugt die Namen von Frauen als Straßennamen einzusetzen.
Trotzdem forderte die CDU-Fraktion in Hiltrup öffentlich in den örtlichen Printmedien, als Alternative zum Namen Heideggers, statt den von der Verwaltung vorgeschlagenen Namen einer Hiltruper Hebamme und SPD-Politikerin, den Namen des vorherigen, erst 2020 verstorben Bezirksbürgermeisters als neuen Straßennamen einzusetzen.
(Kann Partei so die eigenen Interessen durchsetzen, wird eine sonst als Humbug bezeichnete Straßenumbenennung dann wohl doch interessant. 😉)
Dieses Vorgehen ist sogar für viele Leute unangenehm, die eigentlich nichts dagegen haben, ehemalige Hiltruper Bezirksbürgermeister (Eine Frau gab es in dem Amt noch nicht.) in Zukunft mal durch Straßennamen zu ehren.
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