Die Kolumne von von Ruprecht Polenz | Das Einfamilienhaus – ein Kompromiss sieht anders aus

Müns­ter, 14. Mai 2023

Guten Tag,

einen schö­nen Sonn­tag wün­sche ich Ihnen. 

Viel­leicht lädt Sie das Wet­ter heu­te zu einer Fahr­rad­tour ein oder es steht noch ein Thea­ter­be­such auf Ihrem Pro­gramm. Ich fin­de immer, so ein Wochen­en­de geht viel zu schnell vor­bei. Mor­gen ist schon wie­der Mon­tag und die Arbeit wartet. 

Ich möch­te Ihnen heu­te etwas schrei­ben zu der Dis­kus­si­on über den Leit­fa­den Kli­ma­ge­rech­te Bau­leit­pla­nung, der auch schon The­ma bei RUMS war. Denn ich sehe den Leit­fa­den, mit dem sich die Ver­wal­tung bin­det, etwas kri­ti­scher als die Redaktion.

Eine funk­tio­nie­ren­de Stadt muss vie­le mensch­li­che Bedürf­nis­se befrie­di­gen: Woh­nen, Arbei­ten, Gesund­heit, Bil­dung, Kul­tur, Sport, Frei­zeit, Mobi­li­tät, Erho­lung. Das alles auf engem Raum. Ziel­kon­flik­te um die Flä­chen­nut­zung sind vor­pro­gram­miert. Schließ­lich kommt die Land­wirt­schaft auch noch dazu und die Belan­ge von Umwelt-, Natur- und Land­schafts­schutz müs­sen beach­tet wer­den. Die Bau­leit­pla­nung, für die der neue Leit­fa­den gel­ten soll, muss die­se Ziel­kon­flik­te lösen.

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Kon­flik­te zwi­schen jeweils legi­ti­men Zie­len löst man klu­ger­wei­se nicht dadurch, dass eini­ge völ­lig hin­ten run­ter­fal­len, son­dern indem man einen guten Aus­gleich sucht, bei­spiels­wei­se zwi­schen dem Flä­chen­ver­brauch durch Woh­nungs­bau und Frei­flä­chen in der Natur.

In Müns­ter gibt es erheb­li­chen Woh­nungs­man­gel, wie jede:r Woh­nungs­su­chen­de weiß. Es müs­sen also neue Woh­nun­gen gebaut wer­den. Damit alle eine fin­den und damit die Mie­ten nicht wei­ter explo­die­ren. Gleich­zei­tig ist es rich­tig, mög­lichst spar­sam mit Flä­chen für den Woh­nungs­bau umzu­ge­hen. Stich­wort: Ver­sie­ge­lung, Zer­sied­lung der Landschaft.

Woh­nun­gen wer­den von Investor:innen und von Woh­nungs­ge­sell­schaf­ten gebaut. Außer­dem von Pri­vat­per­so­nen, die selbst dar­in woh­nen wol­len. Die­se legen sich oft finan­zi­ell ziem­lich krumm, um ihren Wunsch nach den eige­nen vier Wän­den zu ver­wirk­li­chen. Die Zah­lungs­be­reit­schaft für den Erwerb von Eigen­tum ist wesent­lich höher als für die Miete. 

Jede Fami­lie, die es schafft, sich ihren Wunsch vom Eigen­heim zu ver­wirk­li­chen, macht ihre bis­he­ri­ge Miet­woh­nung frei und hilft damit denen, die nicht so viel Geld haben und eine Miet­woh­nung suchen. 

„Nicht nur was für Älte­re: Groß­teil der jun­gen Men­schen träumt vom Eigen­heim“ so das Ergeb­nis einer reprä­sen­ta­ti­ven Mei­nungs­um­fra­ge.

Vie­le ver­fol­gen trotz rasant gestie­ge­ner Immo­bi­li­en­prei­se ihren „Wunsch vom eige­nen Häus­chen mit Gar­ten, das irgend­wann abbe­zahlt ist“. Für 65 Pro­zent der Befrag­ten ist es „wich­tig“ oder „sehr wich­tig“, in einem Eigen­heim zu leben. 

Für sie gibt es schlech­te Nachrichten. 

„In neu­en Wohn­ge­bie­ten wer­den in der Regel Mehr­fa­mi­li­en­häu­ser und nur unter­ge­ord­net Rei­hen- und Dop­pel­häu­ser und nur in beson­de­ren Lagen frei­ste­hen­de Ein­fa­mi­li­en­häu­ser geplant“, heißt es in dem Leit­fa­den ein biss­chen ver­steckt unter Punkt 2.1 auf Sei­te 14 (von 34).

Es hand­le sich nicht um ein Ver­bot von Ein­fa­mi­li­en­häu­sern, ver­sucht die Ver­wal­tung die Kri­tik zu beschwich­ti­gen. Von einem Ver­bot sei nir­gends die Rede. Es hand­le sich auch nicht um ein ver­bind­li­ches Ziel, son­dern sei nur „anzu­stre­ben“.

Kein Stadionverbot – nur keine Eintrittskarte mehr

Machen wir uns nichts vor: Wenn die Ver­wal­tung die­ses Ziel anstrebt: Was soll­te sie davon abbrin­gen, es umzu­set­zen? Wel­che Lage wür­de sie als so „beson­ders“ anse­hen, dass es nötig wäre, Bau­recht auch für frei­ste­hen­de Ein­fa­mi­li­en­häu­ser zu schaffen? 

Das Es-han­delt-sich-nicht-um-ein-Ver­bot klingt wie: Es ist kein Sta­di­on­ver­bot du bekommst nur kei­ne Ein­tritts­kar­te mehr. Man bekommt kei­ne Erlaub­nis, ein frei­ste­hen­des Ein­fa­mi­li­en­haus zu bau­en, weil in Müns­ter kein Bau­recht mehr dafür geschaf­fen wird.

Ange­sichts der poli­ti­schen Trag­wei­te hät­te man sich aus Trans­pa­renz­grün­den einen ent­spre­chen­den Hin­weis in der Beschluss­vor­la­ge gewünscht, in der es zur Bedeu­tung des „Leit­fa­dens“ wie­der­um etwas ver­klau­su­liert heißt:

„Der vor­ge­leg­te Leit­fa­den in der Ver­si­on 1.0 löst die bis­he­ri­gen Kri­te­ri­en­ka­ta­lo­ge für die Bau­leit­pla­nung ab und kommt ab sofort in allen ent­spre­chen­den Ver­fah­ren zum Einsatz.“

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Aber an einer poli­ti­schen Dis­kus­si­on hat­te die Ver­wal­tung kein gro­ßes Inter­es­se. Eine Betei­li­gung der Bezirks­ver­tre­tun­gen war nicht vor­ge­se­hen, obwohl sie im Bau­leit­plan­ver­fah­ren eine wich­ti­ge Rol­le spie­len. Sie füh­ren die Bür­ger­an­hö­run­gen durch, in denen Bebau­ungs­plä­ne vor dem Auf­stel­lungs­be­schluss vor­ge­stellt werden.

Auch Stel­lung­nah­men der soge­nann­ten Trä­ger öffent­li­cher Belan­ge (zum Bei­spiel Ener­gie­ver­sor­ger, Ver­kehrs­be­trie­be, Kam­mern, Umwelt­ver­bän­de) wur­den nicht ein­ge­holt, obwohl der „Leit­fa­den“ Selbst­bin­dun­gen zu künf­ti­gen Bebau­ungs­plä­nen ent­hält, zu denen sie ange­hört wer­den müssen.

Am 2. Mai wur­de der Leit­fa­den im Aus­schuss für Umwelt­schutz, Kli­ma­schutz und Bau­we­sen ein­ge­bracht. Nach Bera­tun­gen im Aus­schuss für Stadt­pla­nung und Stadt­ent­wick­lung und im Haupt­aus­schuss dann nur acht Tage spä­ter, am 9. Mai, die abschlie­ßen­de Behand­lung im Rat. Man könn­te das Durch­peit­schen nennen.

Der Leit­fa­den, den der Rat for­mell nur „zur Kennt­nis genom­men“ hat, ist eine Selbst­bin­dung der Ver­wal­tung. Damit geht Müns­ter deut­lich über Aachen hin­aus, auf des­sen „Check­lis­te für eine kli­ma­an­ge­pass­te Bebau­ung“ die Grü­nen in ihrem Antrag 2020 emp­feh­lend hin­ge­wie­sen hatten.

Starre Selbstbindung oder Checkliste

Die­se umfas­sen­de Check­lis­te mit vie­len Punk­ten, die bei der Bau­leit­pla­nung aus Grün­den des Kli­ma­schut­zes zu beson­ders zu prü­fen sind, hät­te man für Müns­ter ein­fach über­neh­men kön­nen. Das hät­te Zeit und Geld gespart. Statt­des­sen woll­te die Ver­wal­tung das Rad mit Hil­fe exter­ner Expert:innen noch mal erfinden.

Der Titel des Leit­fa­dens sug­ge­riert, es sei aus Grün­den des Kli­ma­schut­zes not­wen­dig, kei­ne frei­ste­hen­den Ein­fa­mi­li­en­häu­ser mehr zuzu­las­sen und Rei­hen- und Dop­pel­häu­ser nur noch aus­nahms­wei­se. Zur Begrün­dung heißt es ledig­lich: „Je höher der Anteil gebun­de­ner und kom­pak­ter Bau­wei­se, umso nied­ri­ger ist der zu erwar­ten­de Heiz­wär­me­be­darf. Pla­nungs­vor­aus­set­zun­gen für grö­ße­re, mög­lichst kubi­sche Ein­hei­ten sind güns­ti­ger als für viel­glied­ri­ge Einzelobjekte.“

Das erin­nert mich an die städ­te­bau­li­chen Vor­ga­ben im Nord­rhein-West­fa­len-Pro­gramm 1975 (NWP 75) der Regie­rung Kühn (SPD) von 1970, ÖPNV-gerecht zu bau­en. Mög­lichst vie­le Men­schen in mög­lichst klei­ner Ent­fer­nung zur Hal­te­stel­le. Das Ergeb­nis kann man in der Nord­west-Schlei­fe in Kin­der­haus besich­ti­gen. Deren „grö­ße­re, kubi­sche Ein­hei­ten“ ver­brau­chen übri­gens ziem­lich viel Heiz­wär­me, denn sie sind noch nicht ener­ge­tisch saniert. Es kommt halt auch sehr auf die Iso­lie­rung an.

Immer wenn nur ein Aspekt in der Stadt­pla­nung ganz beson­ders berück­sich­tigt wird, führt das zu Fehl­ent­wick­lun­gen. Das gilt nicht nur für den Irr­weg der auto­ge­rech­ten Stadt. Lebens­qua­li­tät setzt sich aus vie­len Fak­to­ren zusammen.

Kli­ma­ge­recht heißt: mög­lichst kei­ne CO2-Emis­sio­nen. Das ist bei ent­spre­chen­der Bau­wei­se auch bei frei­ste­hen­den Ein­fa­mi­li­en­häu­sern mög­lich. Es gibt Stadt­vil­len-Kon­zep­te, bei denen über zwei oder drei Geschos­se gebaut wird, um weni­ger Boden­flä­che zu ver­sie­geln. Die Nie­der­lan­de haben schö­ne Bei­spie­le dafür.

Man kann ver­pflich­tend Zis­ter­nen für die Dach­ent­wäs­se­rung vor­schrei­ben, um nega­ti­ve Ver­sie­ge­lungs­fol­gen abzu­schwä­chen. Man könn­te an einen Auf­schlag auf den Grund­stücks­preis den­ken, um mit dem Geld ein Pro­gramm für Stra­ßen­bäu­me in der Innen­stadt zu finanzieren.

Warum kein städtisches Programm für Dachgeschoss-Ausbau?

Der preis­wer­tes­te Wohn­raum lässt sich durch den Aus­bau von Dach­ge­schos­sen schaf­fen. Beim Aus­bau wird gleich­zei­tig das Dach bes­ser gedämmt und iso­liert. Zwei Flie­gen mit einer Klap­pe. War­um legt die Stadt nicht ein Pro­gramm auf, um die­se Form der Nach­ver­dich­tung zu för­dern und die Nach­fra­ge nach Miet- und Geschoss­woh­nun­gen bes­ser zu befrie­di­gen? Schnel­le Bau­ge­neh­mi­gun­gen, ein Son­der­kre­dit­pro­gramm der Spar­kas­se man könn­te sich etwas ein­fal­len las­sen. In Müns­ter gibt es cir­ca 60.000 Wohn­ge­bäu­de. Ein gro­ßes Poten­zi­al für neue Dach­ge­schoss­woh­nun­gen, ganz ohne zusätz­li­che Versiegelung.

Wenn kei­ne neu­en Ein­fa­mi­li­en­häu­ser in Müns­ter mehr gebaut wer­den dür­fen, steigt ab sofort der Wert der bestehen­den. Ich bin mir nicht sicher, ob die­se Neben­wir­kung der Leit­li­ni­en beab­sich­tigt war. Damit wird es noch teu­rer, sich den Wunsch vom Eigen­heim in Müns­ter zu erfüllen. 

Schon in den letz­ten Jah­ren sind vie­le jun­ge Fami­li­en nach Gre­ven, Alten­ber­ge, Telg­te, Asche­berg und Havix­beck ins Müns­ter­land abge­wan­dert, denn dort gab es Bau­grund­stü­cke für frei­ste­hen­de Ein­fa­mi­li­en­häu­ser und die Boden­prei­se waren deut­lich güns­ti­ger. Zur Arbeit und zur Schu­le müs­sen sie aber anschlie­ßend nach Müns­ter pendeln. 

Die­ser Trend dürf­te sich ver­stär­ken, wenn die kon­kre­te Bau­leit­pla­nung nicht gegen­steu­ert. Denn kei­ne der genann­ten Gemein­den wird dem Müns­te­ra­ner Bei­spiel fol­gen, auch das grün regier­te Telg­te nicht. Die Fol­ge: mehr Ver­kehr, weni­ger Ein­nah­men aus den Schlüs­sel­zu­wei­sun­gen des Lan­des für Müns­ter, die auf die Ein­woh­ner­zahl abstellen.

Im Rat waren die Grü­nen über den Leit­fa­den begeis­tert. Die SPD will nicht, dass in Müns­ter kei­ne frei­ste­hen­den Ein­fa­mi­li­en­häu­ser mehr gebaut wer­den kön­nen. CDU und FDP haben ange­kün­digt, bei der Auf­stel­lung von Bebau­ungs­plä­nen dafür die not­wen­di­gen Anträ­ge zu stel­len. Man darf gespannt sein.

Ich wün­sche Ihnen eine gute Woche.

Herz­li­che Grü­ße
Ihr Ruprecht Polenz 

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Über den Autor

Vie­le Jah­re lang war Ruprecht Polenz Mit­glied des Rats der Stadt Müns­ter, zuletzt als CDU-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der. Im Jahr 1994 ging er als Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ter nach Ber­lin. Er war unter ande­rem CDU-Gene­ral­se­kre­tär, zwi­schen 2005 und 2013 Vor­sit­zen­der des Aus­wär­ti­gen Aus­schus­ses des Bun­des­tags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mit­glied des ZDF-Fern­seh­rats, ab 2002 hat­te er den Vor­sitz. Der gebür­ti­ge Bautz­e­ner lebt seit sei­nem Jura-Stu­di­um in Müns­ter. 2020 erhielt Polenz die Aus­zeich­nung „Gol­de­ner Blogger“.

Die Kolumne

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