Die Kolumne von Dina El Omari | Die Frau in der Islamischen Theologie

Müns­ter, 20. August 2023

Guten Tag,

ich wün­sche Ihnen einen schö­nen Sonntag. 

Immer wie­der hören und lesen wir von erschre­cken­den Ereig­nis­sen, wenn es um die Rech­te von Frau­en geht: Sei­en es die zahl­rei­chen Gewalt­de­lik­te gegen Frau­en auf der gan­zen Welt, sei­en es die Ent­rech­tun­gen von Frau­en in Afgha­ni­stan oder im Iran oder sei­en es die etli­chen gesell­schaft­li­chen Ungleich­stel­lun­gen von Mann und Frau oder die tra­di­tio­nel­len Rol­len­ver­ständ­nis­se, die uns auch hier­zu­lan­de immer wie­der vor gro­ße Her­aus­for­de­run­gen stellen. 

Die Frau­en­fra­gen und die Bezie­hun­gen zwi­schen den Geschlech­tern ste­hen im Mit­tel­punkt des gesell­schaft­li­chen Dis­kur­ses, sind aber auch für die Theo­lo­gien von gro­ßer Wich­tig­keit. Ent­spre­chend gewinnt das The­ma auch in der isla­mi­schen Theo­lo­gie in Deutsch­land zuneh­mend an Bedeutung. 

Dabei befin­det sich die isla­mi­sche Frau­en- und Geschlech­ter­for­schung inner­halb der Isla­mi­schen Theo­lo­gie in Deutsch­land zwar noch in einer frü­hen Ent­wick­lungs­pha­se, aber aus dem zar­ten Pflänz­chen ist mitt­ler­wei­le ein durch­aus star­kes Gewächs geworden. 

So gibt es ange­sichts der noch jun­gen Geschich­te des Faches bereits eine ansehn­li­che Anzahl an Forscher:innen, die sich dem The­ma aus unter­schied­li­chen theo­lo­gi­schen Per­spek­ti­ven wid­men. Die geschlech­ter­ge­rech­te Aus­le­gung des Korans steht deut­lich an ers­ter Stel­le, dahin­ter rei­hen sich aber Arbei­ten zur Pro­ble­ma­ti­sie­rung andro­zen­tri­scher (auf den Mann aus­ge­rich­te­te) Per­spek­ti­ven zum Isla­mi­schen Recht, der reli­giö­sen isla­mi­schen Pra­xis, der pro­phe­ti­schen Über­lie­fe­run­gen und der klas­si­schen Exege­se sowie den dort eta­blier­ten Geschlechterrollen-Verständnissen. 

Eine Frage des Geschlechts?

In allen Arbei­ten geht es dar­um, patri­ar­cha­le Per­spek­ti­ven auf­zu­zei­gen, zu hin­ter­fra­gen und auf­zu­bre­chen. Hin­zu kom­men ver­schie­de­ne lösungs­ori­en­tier­te Ansät­ze. Neben den vie­len For­schungs­fel­dern zei­gen sich aber auch akti­vis­ti­sche Bemü­hun­gen, um rele­van­te The­men in der Öffent­lich­keit und brei­ten Mas­se zu diskutieren.

Grund­sätz­lich zeigt sich aller­dings, dass es trotz die­ser vie­len unter­schied­li­chen wis­sen­schaft­li­chen Arbei­ten, akti­vis­ti­schen Bewe­gun­gen und Pro­jek­ten an einer Sys­te­ma­ti­sie­rung die­ser For­schung im Sin­ne einer Quer­schnitts­dis­zi­plin und zukünf­tig eigen­stän­di­gen theo­lo­gi­schen Dis­zi­plin fehlt. 

Daher haben die Arbeits­stel­le für Isla­misch-Theo­lo­gi­sche Gen­der­for­schung des Zen­trums für Isla­mi­sche Theo­lo­gie (ZIT), die ich lei­ten darf, mei­ne Kol­le­gin Asmaa El-Maa­rou­fi, Pro­fes­so­rin für Isla­mi­sche Ethik am ZIT, und mei­ne Kol­le­gin Kata­jun Amir­pur, Pro­fes­so­rin der Uni Köln, im Mai eine Tagung orga­ni­siert. Ihr Titel war: „Eine Fra­ge des Geschlechts? Isla­misch-theo­lo­gi­sche Per­spek­ti­ven auf eine geschlech­ter­ge­rech­te Theo­lo­gie der Gegenwart“.

Sie möchten dieses Thema mit anderen Leser:innen diskutieren oder uns Hinweise geben?

Nut­zen Sie ein­fach unse­re Kom­men­tar­funk­ti­on unter­halb die­ses Textes.
Wenn Sie die Kolum­ne gera­de als E-Mail lesen, kli­cken Sie auf den fol­gen­den Link, um den Text auf unse­rer Web­site aufzurufen:

› die­se Kolum­ne kommentieren

Die drei­tä­gi­ge Ver­an­stal­tung hat­te in der isla­misch-theo­lo­gi­schen Wis­sen­schafts­land­schaft einen her­aus­ra­gen­den Wert. Sie befasst sich erst­mals mit dem The­ma Frau­en- und Gen­der­for­schung allein. Dazu brach­te sie 28 renom­mier­te Wis­sen­schaft­le­rin­nen zusam­men, über­wie­gend aus dem deutsch­spra­chi­gen Raum. 

Sie dis­ku­tier­ten aus unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven der isla­mi­schen Theo­lo­gie sowie aus einer inter­re­li­giö­sen (christ­lich-mus­li­misch) und inter­dis­zi­pli­nä­ren Sicht­wei­se. Das Ziel war, über die wich­ti­gen Fra­gen und Schwie­rig­kei­ten zu spre­chen, die es gibt, wenn man die For­schung über Frau­en und Geschlech­ter im Islam zu einem eige­nen Fach­ge­biet machen möchte.

Die vie­len Ergeb­nis­se, Dis­kus­sio­nen und Aus­tau­sche waren dabei mehr als span­nend. Ich möch­te ver­su­chen, ein paar Ein­bli­cke in die Tagung zu gewähren.

In einer Dis­kus­si­on ging es um die Geschich­te des Femi­nis­mus im Iran und die Rol­le der Frau nach der ira­ni­schen Revo­lu­ti­on. His­to­risch mün­de­te die­se Ent­wick­lung im Kampf der Frau­en im Iran um Gleich­be­rech­ti­gung und in den aktu­el­len Geschehnissen.

Eine ande­re Run­de warf einen Blick auf die femi­nis­ti­schen Bewe­gun­gen in den USA. Sie beein­flus­sen den isla­misch-femi­nis­ti­schen Dis­kurs auch in Euro­pa und Deutsch­land sehr tief.

Ein wichtiger Beitrag in der Debatte

In den Panels, die sich mit einer text­wis­sen­schaft­li­chen Per­spek­ti­ve aus­ein­an­der­ge­setzt haben, stan­den die bei­den zen­tra­len Quel­len des Islams, der Koran und die pro­phe­ti­schen Über­lie­fe­run­gen im Fokus – sowie der Umgang mit den Tex­ten all­ge­mein und mit schwie­ri­gen Text­pas­sa­gen im Besonderen. 

Hier zeig­ten sich zum einen bereits zahl­rei­che Früch­te unter­schied­li­cher Aus­le­gungs­stra­te­gien aus dem glo­ba­len und deutsch­spra­chi­gen Raum, die eine geschlech­ter­ge­rech­te Les­art der Tex­te ermöglichen. 

Die­se Les­art zeigt deut­lich, dass Frau­en in den frü­hen Jah­ren des Islams aktiv an der theo­lo­gi­schen Wis­sens­ver­mitt­lung und -gene­se betei­ligt waren. Sie spiel­ten auch lan­ge Zeit danach eine wich­ti­ge Rol­le. Doch über die Jahr­hun­der­te wur­den sie aus der Geschich­te mar­gi­na­li­siert und fast voll­kom­men aus den Auf­zeich­nun­gen getilgt. 

Das auf­zu­ar­bei­ten, sich mit den Bio­gra­fien zu beschäf­ti­gen und sie über­haupt erst sicht­bar zu machen, ist daher auch in Zukunft von zen­tra­ler Bedeu­tung für die Isla­mi­sche Theologie.

Die Tagung hat deut­lich gezeigt: Die Frau­en­fra­ge und all ihre Impli­ka­tio­nen sind auch in der Isla­mi­schen Theo­lo­gie fes­ter Bestand­teil und wer­den auch in der Zukunft einen wich­ti­gen Bei­trag für reli­giö­se und gesamt­ge­sell­schaft­li­che Debat­ten darstellen.

Herz­li­che Grü­ße
Ihre Dina El Omari

PS

Zu der Tagung ist kürz­lich ein gleich­na­mi­ger Sam­mel­band mit Bei­trä­gen eini­ger der Referent:innen erschie­nen.

Diesen Brief teilen und RUMS weiterempfehlen:

Über die Autorin

Dina El Oma­ri ist Pro­fes­so­rin für inter­kul­tu­rel­le Reli­gi­ons­päd­ago­gik am Zen­trum für Isla­mi­sche Theo­lo­gie. Sie forscht und lehrt zu den The­men femi­nis­ti­sche und geschlech­ter­sen­si­ble isla­mi­sche Theo­lo­gie, inter­re­li­giö­ses Ler­nen sowie isla­mi­sche Textwissenschaften.

Über RUMS

Immer sonn­tags schi­cken wir Ihnen eine Kolum­ne. Das sind Tex­te, in denen unse­re acht Kolum­nis­tin­nen und Kolum­nis­ten The­men ana­ly­sie­ren, bewer­ten und kom­men­tie­ren. Die Tex­te geben ihre eige­ne Mei­nung wie­der, nicht die der Redak­ti­on. Mit­glied­schaf­ten in poli­ti­schen Par­tei­en oder Orga­ni­sa­tio­nen machen wir trans­pa­rent. Wenn Sie zu den The­men der Kolum­nen ande­re Mei­nun­gen haben, schrei­ben Sie uns gern. Wenn Sie möch­ten, ver­öf­fent­li­chen wir Ihre Zuschrift im RUMS-Brief. Wenn Sie in unse­ren Tex­ten Feh­ler fin­den, freu­en wir uns über Hin­wei­se. Die Kor­rek­tu­ren ver­öf­fent­li­chen wir eben­falls im RUMS-Brief.