Die Kolumne von Michael Jung | Was wird aus dem Wirtschaftsstandort Münster?

Müns­ter, 27. August 2023

Guten Tag,

es war ein Ereig­nis, das vor 20 Jah­ren für gro­ße Auf­re­gung in Müns­ter gesorgt hät­te. Wenig demons­triert aber die aktu­el­le Stim­mung bes­ser, als dass das kürz­lich gar nicht der Fall war. Die Spar­da-Bank ver­ließ ihr Domi­zil an der Joseph-König-Stra­ße im Zen­trum Nord, statt­des­sen zieht jetzt die Bezirks­re­gie­rung ein. Die neue Nut­zung von Büro­flä­chen wur­de als Rand­no­tiz ver­merkt, dabei hät­te das Gan­ze auch als Sym­bol getaugt für die aktu­el­le Situa­ti­on der Wirt­schaft in Münster. 

Die genos­sen­schaft­li­che Bank, einst ein wich­ti­ger loka­ler Play­er in der Finanz­wirt­schaft, ver­lor ihre Selbst­stän­dig­keit durch Fusi­on mit dem Schwes­ter­in­sti­tut im Rhein­land, nach­dem der eins­ti­ge Vor­stands­chef vor Gericht gestan­den hat­te, dass er Ver­güns­ti­gun­gen sich selbst und den Mit­glie­dern sei­ner Auf­sichts­or­ga­ne gewährt hat­te. Damit gin­gen nicht nur Arbeits­plät­ze in Müns­ter ver­lo­ren und wan­der­ten ins Rhein­land ab, son­dern Müns­ter setz­te auch ein Zei­chen im Büro­flä­chen­markt: Die Wirt­schaft geht, die Büro­kra­tie kommt. 

Vor 20 Jah­ren, als es um die NRW-Bank und ande­re wich­ti­ge Akteu­re ging, wur­de in Müns­ter noch um hoch­qua­li­fi­zier­te Arbeits­plät­ze gekämpft, und man sah in der Till­mann-Ära die Gefahr, dass Müns­ters Rol­le als Wirt­schafts­stand­ort gegen­über der Rhein­schie­ne zuneh­mend an Bedeu­tung ver­lie­ren könn­te. Das geschah die­ses Mal nicht, aber den­noch war der Wech­sel im Zen­trum Nord ein erns­tes Warnsignal.

Vor die­sem Hin­ter­grund prä­sen­tier­ten die Kam­mern die­ser Tage ein Papier zur Ent­wick­lung des Wirt­schafts­stand­orts Müns­ter. Lei­der konn­ten die Akteu­re wie­der ein­mal nicht dar­auf ver­zich­ten, gleich die gro­ße Fan­fa­re zu bla­sen. So teil­te der IHK-Haupt­ge­schäfts­füh­rer bei einer Pres­se­kon­fe­renz mit, das Inves­ti­ti­ons­vor­ha­ben einer Müns­ter­schen Fir­ma sei dar­an geschei­tert, dass Auf­la­gen der Stadt­ver­wal­tung es von 11 auf 17 Mil­lio­nen Euro ver­teu­ert hätten. 

Der Ein­druck sei­ner Mahn­re­den wur­de nicht unwe­sent­lich dadurch geschmä­lert, dass er zwei Tage spä­ter kor­ri­gie­ren muss­te. Es waren doch die Bau­kos­ten­stei­ge­run­gen und Ver­si­che­rungs­prä­mi­en, die das Pro­jekt ver­teu­er­ten, und nicht die Stadtverwaltung. 

Auch das taugt als Bei­spiel: Nie­mand nimmt die Kla­gen der Wirt­schaft ernst, wenn sie kom­mu­ni­ka­tiv so dane­ben­langt. Das war nicht das ers­te Mal, dass füh­ren­de Wirt­schafts­ver­tre­ter mit einem Kon­fron­ta­ti­ons­kurs gegen­über Ver­wal­tung und Poli­tik in der Stadt ihre sach­lich durch­aus dis­kus­si­ons­wür­di­gen Anlie­gen selbst aus dem Spiel neh­men. Auch des­we­gen ist die Wahr­neh­mung der wirt­schaft­li­chen Lage Müns­ters ger­ne geprägt von einem Gefühl: Es läuft doch. 

Aber das ist nicht ganz rich­tig. Die Sorg­lo­sig­keit ist eben­so fehl am Platz wie das gro­ße Lamen­to. Aber es gibt trotz­dem Grün­de, sich um den Wirt­schafts­stand­ort Müns­ter per­spek­ti­visch eini­ge Sor­gen zu machen. Las­sen wir des­we­gen das öffent­li­che Weh­kla­gen der Wirt­schafts­ver­tre­ter bei­sei­te und schau­en uns deren sach­li­che Punk­te ein­mal an. 

Politisch müsste man es wollen

So weist die Wirt­schaft in ihrem Papier dar­auf hin, dass in den Jah­ren von 2016 bis 2021 in Müns­ter die gewerb­lich genutz­ten Flä­chen um 33 Hekt­ar zurück­ge­gan­gen sind, das sind 5,2 Pro­zent in fünf Jah­ren. Da ist die Spar­da-Bank noch nicht mit ein­ge­rech­net, sie ist also nur ein Bei­spiel für einen Trend. Und der weist deut­lich dar­auf hin, dass Müns­ters Dyna­mik und Attrak­ti­vi­tät als Wirt­schafts­stand­ort nachlässt. 

Unter­neh­men zie­hen weg, Neu­an­sied­lun­gen kom­pen­sie­ren den Rück­gang nicht. In Gewer­be­ge­bie­ten ist deut­lich zu erken­nen, dass Nut­zun­gen der öffent­li­chen Ver­wal­tung ver­füg­ba­re Flä­chen bele­gen, die eigent­lich für wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung vor­ge­se­hen waren. 

Bei­spie­le dafür sind der Neu­bau der Ober­fi­nanz­di­rek­ti­on, aber auch das neue Poli­zei­prä­si­di­um, das in bes­ter Lage in der Lod­den­hei­de ent­ste­hen soll. Dass im Zen­trum Nord jetzt ein klei­nes Wohn­ge­biet anstel­le von ursprüng­lich geplan­ten wirt­schaft­li­chen Nut­zun­gen ent­ste­hen, run­det die­ses Bild ab. 

Gleich­zei­tig zeigt sich der Rat der Stadt unin­ter­es­siert, neue Gewer­be­flä­chen aus­zu­wei­sen und zu ent­wi­ckeln. Der Kli­ma­schutz dient als Argu­ment gegen Flä­chen­ver­brauch. Dabei fin­det die Flä­chen­pla­nung auf regio­na­ler Ebe­ne statt, hier wird auf grö­ße­rer Ebe­ne ent­schie­den, wie unter Beach­tung unter­schied­li­cher demo­gra­phi­scher und wirt­schaft­li­cher Ent­wick­lun­gen auch inter­kom­mu­nal der Flä­chen­ver­brauch gebremst wer­den soll. 

Das ist auch rich­tig so, gibt es doch in Müns­ters nähe­rer Umge­bung auch wirt­schaft­lich und demo­gra­phisch stark schrump­fen­de Zonen, wäh­rend Müns­ter eher wuchs. Inso­fern macht die Regio­nal­pla­nung für Müns­ter durch­aus auch die Aus­wei­sung neu­er Gewer­be­flä­chen mög­lich, man müss­te das aller­dings auch poli­tisch wollen. 

Um inter­es­sier­ten Unter­neh­men auch Flä­chen anbie­ten zu kön­nen, woll­te die Stadt Müns­ter eigent­lich 50 Hekt­ar freie Flä­chen zur Ver­fü­gung haben. Die­sen Wert, dar­auf wei­sen die Kam­mern zu Recht hin, hat Müns­ter in den letz­ten Jah­ren immer unterschritten. 

Das heißt kon­kret: Müns­ter hat wenig anzu­bie­ten im Moment, wenn es um die Ansied­lung neu­er Fir­men oder um Erwei­te­rungs­flä­chen für bestehen­de Fir­men, gera­de auch in den Stadt­tei­len, geht. Und natür­lich über­dre­hen die Kam­mern das Argu­ment gleich, wenn sie dar­auf hin­wei­sen, dass Müns­ter 67 Pro­zent Frei­flä­chen habe. Das ist zwar rich­tig, aber es ist natür­lich kei­ne Opti­on, belie­big in den Flä­chen­fraß einzusteigen. 

Münster hinkt Jahre hinterher

Müns­ter muss die Balan­ce fin­den zwi­schen nach­hal­ti­gen wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lungs­per­spek­ti­ven, Neu­an­sied­lun­gen und Erwei­te­run­gen auch von indus­tri­el­len und gewerb­li­chen Arbeits­plät­zen einer­seits und den Anfor­de­run­gen des Kli­ma­schut­zes andererseits. 

Im Moment kann man das Ergeb­nis vor allem des Nichts­tuns sehen: Die Dyna­mik der wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung in Müns­ter hat schon seit eini­ger Zeit stark nach­ge­las­sen. Es kann auf die Dau­er kei­ne zukunfts­träch­ti­ge Opti­on sein, immer mehr Flä­chen für die expan­die­ren­de öffent­li­che Ver­wal­tung aller Ebe­nen umzu­wid­men und das auf Kos­ten der wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lungs­per­spek­ti­ven zu tun, und gleich­zei­tig kei­ne neu­en Gewer­be­flä­chen zur Ver­fü­gung zu haben. 

Für die­se abneh­men­de Dyna­mik gibt es auch hand­fes­te Grün­de, lei­der wird das in dem Papier der Kam­mern etwas weni­ger deut­lich: Es liegt am Woh­nen. Zwar mah­nen die Ver­bän­de zu einer „strin­gen­ten Ent­wick­lung des Bau­land­pro­gramms“, doch das ist in den letz­ten Jah­ren lei­der nicht gelungen. 

Die Bau­land­pro­gram­me der Stadt waren zuletzt sel­ten das Papier wert, auf dem sie hoch­wer­tig gedruckt waren. Das begann mit der um Jah­re ver­schlepp­ten Ent­wick­lung der Kaser­nen­flä­chen, die ursprüng­lich 2017 (!) begin­nen soll­te, aber in der Rea­li­tät erst jetzt in die Gän­ge kommt. Müns­ter hängt den eige­nen Pla­nun­gen des letz­ten Jahr­zehnts der­zeit sechs bis sie­ben Jah­re hinterher. 

Die für die wei­te­re Ent­wick­lung geplan­ten Flä­chen sind schon wie­der obso­let, bevor die Pla­nun­gen über­haupt ernst­haft begin­nen konn­ten. Bei­spiel dafür sind die Flä­chen am Stadt­ha­fen, die der Stadt­bau­rat schon wie­der abschrei­ben muss­te, obwohl vor der Kom­mu­nal­wahl aller­lei hüb­sche Bild­chen in den Umlauf gebracht wur­den, wie dort schö­ne Woh­nun­gen ent­ste­hen könnten. 

Wenn Rat und Ver­wal­tung die Wohn­bau­land­ent­wick­lung nicht so wie hier ver­stol­pern, kann man gewiss sein, dass der Wider­stand aus der Bevöl­ke­rung selbst kommt: Da soll ein frü­he­res Klos­ter­are­al am Kol­de­ring bebaut wer­den, schon hebt das Geschrei an, der ehe­mals hin­ter Klos­ter­mau­ern ver­bor­ge­ne Gar­ten sei ein wich­ti­ges Nah­erho­lungs­ge­biet, und wenn die Ver­wal­tung dann noch Feh­ler beim Hoch­was­ser­schutz macht, dann steht schon wie­der ein Bau­ge­biet in Frage. 

Ähn­lich sieht es in Hil­trup aus, wo ein zen­tra­les Gebiet ange­grif­fen wird mit dem Hin­weis, der vor­ge­se­he­ne mehr­ge­schos­si­ge Woh­nungs­bau pas­se nicht ins sozia­le Umfeld. So wird, man muss es so hart sagen, die Axt auch an die­sen Wirt­schafts­stand­ort gelegt. 

Wenn es der Stadt Müns­ter nicht bald gelingt, das Woh­nungs­pro­blem ernst­haft anzu­ge­hen, wird das Fol­gen haben. Wer soll eigent­lich noch in Müns­ter einen tarif­lich ver­gü­te­ten Arbeits­platz anneh­men, wenn er oder sie für den­sel­ben Lohn in einer ande­ren Stadt viel mehr Geld zum Leben übrig­be­hält als in Müns­ter? Schon seit län­ge­rer Zeit kla­gen Unter­neh­men in Müns­ter dar­über, dass sie wegen feh­len­der bezahl­ba­rer Woh­nun­gen kei­ne Fach­kräf­te mehr fin­den, weil die lie­ber ins Müns­ter­land oder anders­wo zie­hen, wo das Woh­nen güns­ti­ger ist. 

Wohnen wird zum größten Problem

Jetzt mag der Ein­wand kom­men: Müns­ter hat eben höher­be­zahl­te Arbeits­plät­ze, sol­len die ande­ren doch woan­ders hin­ge­hen. Abge­se­hen davon, dass die sozia­le Mischung ein hoher Wert ist, stimmt das auch nicht: Die feh­len­den Betreu­ungs­kräf­te für 1.700 Kin­der waren auch ein deut­li­cher Fin­ger­zeig: Die Leu­te, die in Hil­trup oder anders­wo ger­ne unter sich blei­ben möch­ten (unter Gut­ver­die­nen­den), wer­den sich bald wun­dern. Wenn Müns­ter nicht bald für Nor­mal­ver­die­nen­de Wohn­raum schafft, dann wird es auch bald kei­ne Men­schen mehr geben, die für die Betreu­ung der Kin­der oder die Pfle­ge der Ange­hö­ri­gen sorgen. 

In Zei­ten des Fach­kräf­te­man­gels wird auch nicht jede Arbeits­kraft täg­lich kilo­me­ter­weit nach Müns­ter ein­pen­deln, wenn es vor Ort ohne Fah­re­rei den­sel­ben Job für das­sel­be Geld gibt. Müns­ters nach­las­sen­de Wirt­schafts­dy­na­mik ist das ers­te Warn­si­gnal, dass die Ver­säum­nis­se der Woh­nungs­po­li­tik sich all­mäh­lich aus­zu­wir­ken begin­nen. Jede Wet­te: Das ist erst der Anfang. 

Rat, Ver­wal­tung, aber vor allem auch die zahl­rei­chen Bürger:inneninitiativen gegen Wohn­ge­bie­te wären gut bera­ten, sich die Fol­gen klar­zu­ma­chen. Bei den Stand­ort­fak­to­ren wird das Woh­nen zu Müns­ters größ­tem Problem.

Wie passt zu die­sem Befund nach­las­sen­der Dyna­mik und schwä­cheln­der Stand­ort­per­spek­ti­ven, dass die Gewer­be­steu­er­ein­nah­men der Stadt stets neue Hoch­stän­de mar­kie­ren? Das Steu­er­auf­kom­men ver­zerrt das Bild der Wirt­schaft in Müns­ter deut­lich: Für den Ertrag der Gewer­be­steu­er in Müns­ter sind zu 90 Pro­zent ein gutes Dut­zend Unter­neh­men verantwortlich. 

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Müns­ter hat in die­sem Bereich eine aus­ge­präg­te Unwucht zu ver­zeich­nen, und es ist natür­lich kein Geheim­nis, dass die Mehr­zahl die­ser rele­van­ten Unter­neh­men aus dem Finanz- und Ver­si­che­rungs­sek­tor kommt. In Zusam­men­hang mit der Fusi­on der bei­den Pro­vin­zi­al-Gesell­schaf­ten hat die west­fä­li­sche Sei­te sei­ner­zeit selbst ein­mal öffent­lich die Höhe der nach Müns­ter flie­ßen­den Gewer­be­steu­er genannt: Das waren damals schon 20 Millionen. 

Das gibt ein Gefühl dafür, dass die Ent­wick­lung der Gewer­be­steu­ern allein kein aus­rei­chen­des Indiz dafür ist, wie sich der Wirt­schafts­stand­ort Müns­ter wei­ter­ent­wi­ckelt, denn sie sagt wenig bis nichts dar­über aus, wie es den vie­len Mit­tel­ständ­lern geht. Die aber sor­gen in erheb­li­chem Maß für die nicht­aka­de­mi­schen Arbeits­plät­ze in unse­rer Stadt, und sie sind es, die oft an der aus unter­schied­li­chen Grün­den not­wen­dig wer­den­den Betriebs­er­wei­te­rung ver­zwei­feln und des­we­gen auch eine Abwan­de­rung ins Auge fas­sen können. 

Hohe Gewer­be­steu­ern sind allein also kein Beweis dafür, dass alles gut ist, und vor allem sind sie auch eine unsi­che­re Wet­te auf die Zukunft, denn sie sind rei­ne Gewinnsteuern.

Wäh­rend also die Warn­si­gna­le deut­lich am Hori­zont ste­hen, fei­ert Müns­ter sich für den Zuschlag bei der Bat­te­rie­zell­for­schung (deren Ansied­lung neben­bei auf einen Schlag eine gro­ße Teil­flä­che eines Gewer­be­ge­biets belegt hat, das damit für die ursprüng­li­chen Plan­zie­le nicht mehr zur Ver­fü­gung steht). Aber das war eine poli­ti­sche Ent­schei­dung der dama­li­gen Bun­des­re­gie­rung, und es ist daher nicht allein ein Aus­weis eige­ner wirt­schaft­li­cher Stärke. 

Schwächen werden immer klarer

Um die Bat­te­rie­for­schung zu einem Aus­gangs­punkt neu­er wirt­schaft­li­cher Dyna­mik zu machen, bräuch­te es aber sehr drin­gend eine Gesamt­stra­te­gie, die das gesam­te Clus­ter der nach­hal­ti­gen Ener­gie mit­samt dem Wis­sens­trans­fer aus den Hoch­schu­len zu einem Kern­be­reich kom­mu­na­ler Wirt­schafts­stra­te­gie macht. 

Die mit so vie­len Mil­lio­nen geför­der­te Anla­ge darf kein Soli­tär in Müns­ters Wirt­schaft blei­ben, dar­auf müss­ten die Anstren­gun­gen der Wirt­schafts­för­de­rung der Stadt fokus­siert wer­den. Davon ist im Moment aller­dings noch recht wenig zu bemerken. 

Die Wirt­schafts­för­de­rung der Stadt ist nach dem Aus­schei­den ihres lang­jäh­ri­gen Chefs der­zeit erkenn­bar nicht in der Lage, hier zukunfts­wei­sen­de Stra­te­gien zur Wei­ter­ent­wick­lung des Stand­orts vor­zu­le­gen. Der neue Chef ist bis­her nur mit Inter­views auf­ge­fal­len, in denen er ange­sichts der hohen Prei­se ein Müns­ter sei­ne Unlust doku­men­tier­te, in der Stadt zu woh­nen. Gleich­zei­tig zei­gen sich die Schwä­chen des Stand­orts immer kla­rer: Müns­ter ist als Soli­tär­stadt in beson­de­rer Wei­se auf eine gute Infra­struk­tur angewiesen. 

Die unzu­rei­chen­de Anbin­dung an den ICE-Ver­kehr, der sich immer wei­ter ver­zö­gern­de Aus­bau der WLE-Stre­cke in den Süd­os­ten des Müns­ter­lan­des, der im ers­ten Pla­nungs­sta­di­um fest­ste­cken­de Pro­zess zur „Müns­ter­land-S-Bahn“ – die­ser Still­stand ent­wi­ckelt sich inzwi­schen zu einem ech­ten Stand­ort­nach­teil Müns­ters und der Region. 

Denn anders­wo leben auch klu­ge Men­schen (auch wenn man das in Müns­ter eigent­lich nie so recht wahr­ha­ben möch­te). Im Ver­gleich zu Ost­west­fa­len-Lip­pe haben Müns­ter und das Müns­ter­land schon lan­ge nur die Rück­lich­ter gese­hen in der wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung, und auch gegen­über der Dyna­mik der Rhein­schie­ne und der dort vor­han­de­nen Infra­struk­tur hat Müns­ter inzwi­schen ech­te Nachteile. 

Und das soll­te auch zu den­ken geben, denn die vie­len schö­nen Jobs im öffent­li­chen Dienst, die der­zeit die lah­men­de wirt­schaft­li­che Ent­wick­lungs­per­spek­ti­ve etwas ver­de­cken, kön­nen mit poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen schnell auch woan­ders sein. Die Debat­ten von vor zwan­zig Jah­ren über die Zukunft von Land­schafts­ver­bän­den und Bezirks­re­gie­run­gen sind zwar nur noch eine fer­ne Erin­ne­rung, aber in Zei­ten knap­per wer­den­der öffent­li­cher Kas­sen kön­nen sie auch schnell zurückkommen. 

Es bräuchte eine Gesamtstrategie

Es wäre an der Zeit, sich der Gefah­ren für die wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung Müns­ters bewusst zu wer­den und kom­mu­na­le und regio­na­le Stra­te­gien zu ent­wi­ckeln, wie man ihnen begeg­nen will: Wie kön­nen die Stadt­ort­fak­to­ren ver­bes­sert wer­den für die Gewin­nung von Fach­kräf­ten im Bereich von Woh­nen und Mobi­li­tät? Wie kön­nen Unter­neh­men für Inves­ti­tio­nen gewon­nen und gehal­ten wer­den? In wel­chen Clus­tern will Müns­ter wach­sen, wo droht Strukturwandel? 

Dafür bräuch­te es kohä­ren­te Gesamt­stra­te­gien, die auch Wirt­schafts­för­de­rung und Pla­nungs­ver­wal­tung in unse­rer Stadt maß­geb­lich mit­ent­wi­ckeln müss­ten. Wie immer sind in Müns­ter Debat­ten und Papie­re zahl­reich, aber Taten sel­ten. Man muss nur vier­zig Kilo­me­ter wei­ter nach Süden schau­en, dann sieht man, wie in Hamm bei­spiels­wei­se der­zeit wich­ti­ge Ent­wick­lungs­vor­ha­ben ange­scho­ben wer­den, die auch die­se Stadt vor­an­brin­gen wer­den. Müns­ter sta­gniert, ande­re gehen vor­an. Das ist die Lage. 

Das liegt auch dar­an, dass die Akteu­re wenig zusam­men­fin­den. In Rat und Ver­wal­tung fehlt es in Tei­len an einem Pro­blem­be­wusst­sein, und die Wirt­schaft selbst setzt auch nicht die Signa­le für Offen­heit und Entwicklung. 

Wenn sich der alt­ehr­wür­di­ge Ver­ein der Kauf­mann­schaft gegen Neu­auf­nah­men sperrt mit dem ziem­lich erstaun­li­chen Argu­ment, die Plät­ze beim Kra­mer­mahl wür­den nicht mehr rei­chen, dann muss man sich doch sehr wun­dern. Wer es für den Haupt­zweck von Ver­net­zung der Wirt­schaft hält, über Grün­kohl und Mett­wurst die Natio­nal­hym­ne anzu­stim­men, soll­te sich auch bes­ser auf sei­ne Kern­auf­ga­ben besinnen. 

Wer sich gegen Neue abschließt, setzt auch ein völ­lig fal­sches Signal für den Wirt­schafts­stand­ort. Es wäre wich­tig, dass in den Wirt­schafts­clubs und Ver­bän­den die­je­ni­gen den Kurs bestim­men, die Arbeits­plät­ze schaf­fen, und nicht Pri­va­tiers, die ererb­te Immo­bi­li­en verwalten. 

Und theo­re­tisch gäbe es auch noch wich­ti­ge Akteu­re, die auch am Tisch sit­zen müss­ten, wenn es um die Zukunft des Wirt­schafts­stand­orts geht. Das sind die Gewerk­schaf­ten. Aber von denen hört man in Müns­ter seit Jah­ren lei­der nur etwas, wenn es um Sonn­tags­öff­nun­gen im Ein­zel­han­del geht. Das ist lei­der auch viel, viel zu wenig. 

Herz­li­che Grü­ße
Ihr Micha­el Jung

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Über den Autor

Micha­el Jung lebt schon immer in Müns­ter. Er wur­de 1976 hier gebo­ren. Er hat an der Uni Müns­ter Latein und Geschich­te stu­diert und in Geschich­te pro­mo­viert. Heu­te ist er Leh­rer am Annet­te-Gym­na­si­um in Müns­ter. Micha­el Jung war vie­le Jah­re in der Poli­tik: Von 2013 bis 2020 war er Frak­ti­ons­chef der SPD im Rat der Stadt. Im Jahr 2020 trat er für die SPD bei den Kom­mu­nal­wah­len als Ober­bür­ger­meis­ter­kan­di­dat an. 

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