Die Kolumne von Dina El Omari | Vegetarisch leben im Islam


Münster, 22. Oktober 2023
Guten Tag,
einer meiner liebsten Plätze in Münster ist das Mühlenhof-Freilichtmuseum. Jedes Mal, wenn ich durch den Bogen in den Innenhof des Hofes schreite, fühle ich mich ein bisschen wie in eine andere Welt versetzt. Da ragt hoheitlich die Bockwindmühle inmitten kleiner alter Handwerkshütten und anderen Fachwerkhäusern hervor. Folgt man den kleinen Pfaden in das Innere des Museums, findet man so viele Dinge, die das Herz begehrt: Wenn man zum Beispiel Lust auf ein Brot aus dem Steinofen hat, geht man zur Backhütte oder aber es beliebt einem nach individuell geschnitzten Holzschmuckstücken, dann ist die Schreinerei genau der richtige Ort.
Ein solches Schmuckstück habe ich erst kürzlich bei meinem Gang über einen dort stattfindenden Flohmarkt gefunden: eine breite und unebene Holzschale, geschnitzt aus tiefschwarzem Eichenholz, das seine Farbe durch das jahrelange Verweilen im Moor erhalten hat. Ein Einzelstück, das für mich eine ganz besondere Bedeutung hat, da es in seiner Unvollkommenheit so vollkommen wirkt.
Der ganze Mühlenhof ist umrahmt von viel Grün, aber er besticht vor allem mit einer weiteren Besonderheit: den vielen verschiedenen Tierarten, die hier eine Heimat finden. Eine kleine Schafherde rund um die Bockwindmühle, Hühner, die sich besonders gern rund um die essenden Gäste des Dorfkrugs versammeln, falls ein kleiner Leckerbissen für sie abfällt, und noch viel mehr: Esel, Ziegen, Kaninchen und natürlich nicht zu vergessen, die anmutig schreitenden Fasane.
Leben ohne Fleisch wird populärer
Warum erzähle ich Ihnen das nun, liebe Leser:innen? Weil so manches Mal, wenn ich im Garten des Cafés Dorfkrug mit meinem Kaffee und Kuchen sitze, nicht nur eine tiefe Sehnsucht in mir entsteht, das Stadtleben hinter mir zu lassen und aufs Land zu ziehen, mir gar selbst Esel und Ziegen anzuschaffen, sondern mir auch so manche theologische Frage oder religiöse Geschichte in den Sinn kommt.
So fiel mir im Angesicht der so glücklich wirkenden Tiere, die anscheinend einfach ihr Leben genießen, ohne dabei vorrangig als Nutztier einem menschlichen Zweck zu dienen, die auch im islamischen Kontext geführte Debatte über den Verzicht auf den Verzehr von Tieren ein. Sich bewusst gegen den Verzehr von Fleisch oder anderen tierischen Produkten zu entscheiden, wird auch unter Muslimen immer populärer.
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Dabei wird zum einen darauf verwiesen, dass Fleisch zur Zeit des Propheten ein Luxusgut war und die Schlachtung von Tieren nur unter strengsten Auflagen (arabisch halal) erlaubt sei, die heute in Zeiten von Massentierhaltungen nicht mehr durchführbar sind. Zum anderen gibt es zahlreiche Hinweise in den islamischen Quellen für eine Haltung der Tierliebe. So heißt es im Koran: „Kein Getier gibt es auf der Erde, keinen Vogel, der auf seinen zwei Schwingen dahinfliegt, die nicht Gemeinschaften wären gleich euch.“
Die Tierwelt wird also mit der Welt der Menschen auf eine Stufe gesetzt. Daher fragen muslimische Vegetarier und Veganer: Wieso sollten wir dann Tiere verzehren dürfen? In einer Überlieferung über den Propheten wird berichtet, dass dieser das traurige Heulen eines Kamels vernahm, das in der prallen Sonne angebunden stand. Der Prophet sah die Tränen des Kamels, als er sich diesem näherte. Er streichelte es und sprach tröstende Worte zu ihm.
Dann fragte er, wem das Kamel gehöre. Als ein Mann sich meldete, wies der Prophet ihn zornig an, sein Kamel umgehend in den Schatten zu stellen und es mit Nahrung zu versorgen.
Der bewusste Umgang ist wichtig
In einer anderen Erzählung beschreibt ein Zeitgenosse des Propheten folgende Situation: „Wir waren mit dem Propheten auf Reisen, als er kurz abwesend war, sahen wir einen Vogel mit zwei Küken, diese beiden nahmen wir uns. Die Vogelmutter bemerkte dies und kreiste sorgenvoll in der Luft über uns. Als der Prophet dann zurückkehrte, sagte er: ‚Wer hat die Gefühle dieses Vogels verletzt und ihr ihre Küken weggenommen? Gebt sie umgehend zurück!‘“
Natürlich kann man dem Islam nicht attestieren, dass er eine fleischfreie Ernährung präferiert, aber zumindest stellt ein bewusster Umgang mit der Schlachtung und dem Verzehr von Tieren sowie auch eine tierliebe Haltung eine wichtige Säule dar. Dieser bewusste Umgang spielt besonders in unserem heutigen Kontext gesamtgesellschaftlich eine wichtige Rolle, warum also nicht einmal auf Fleisch verzichten?
Diesen Gedanken möchte ich bei ihnen lassen, liebe Leser:innen, während ich derweil den letzten Schluck Kaffee zu mir nehme, mich von der alten Holzbank erhebe und in Richtung Ausgang durch eine kleine Menge gackernder und – so scheint es mir – glücklicher Hühner schlendere. Ich freue mich schon auf die nächste Auszeit von der Welt im Mühlenhof.
Herzliche Grüße
Ihre Dina El-Omari
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Über die Autorin
Dina El Omari ist Professorin für interkulturelle Religionspädagogik am Zentrum für Islamische Theologie. Sie forscht und lehrt zu den Themen feministische und geschlechtersensible islamische Theologie, interreligiöses Lernen sowie islamische Textwissenschaften.
Über die Kolumne
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Hallo.
Also bei allem Respekt. 14 Tage nach dem schrecklichen Hamas Terror und einer Welle Antisemitismus auch aus der islamischen Community beschäftigt sich die Kolumne mit Vegetarismus im Islam. Prioritäten, so wichtig.
Ihr Schweigen zum hemmungslosen Abschlachten von Menschen beim Pogrom der Hamas und zu den obszönen Reaktionen darauf in Teilen der islamischen Welt ist mir unerträglich, Frau El Omari. Die Kolumne lese ich in ihrer salbadernden Nonchalance geradezu als Verhöhnung und ich frage mich, ob das der Redaktion nicht auch in den Sinn gekommen ist.
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