Die Kolumne von Michael Jung | Münsters Museen – ein neuer Star und viel Tristesse

Müns­ter, 31. Janu­ar 2021

Guten Tag,

zuge­ge­ben, wie alle Kul­tur­ein­rich­tun­gen ist die Zeit des Coro­na-Lock­downs für Muse­en kei­ne ein­fa­che. Was kann man machen, wenn man das Publi­kum zwangs­wei­se aus­sper­ren muss und sei­ne Expo­na­te nicht zei­gen und Ver­an­stal­tun­gen nicht statt­fin­den können? 

Man kann es zum Bei­spiel digi­tal ver­su­chen. Vie­le Muse­en prä­sen­tie­ren ihre Samm­lun­gen online, ver­an­stal­ten vir­tu­el­le Füh­run­gen. Gute Bei­spie­le gibt’s nicht nur aus den gro­ßen Muse­en der Welt mit Rie­sen­bud­gets, son­dern auch aus Nord­rhein-West­fa­len, aus Wup­per­tal, Essen, Düs­sel­dorf und Köln. 

Schaut man auf die öffent­lich finan­zier­ten Muse­en Müns­ters, gibt es eigent­lich nur eines mit einem nen­nens­wer­ten und inter­es­san­ten digi­ta­len Ange­bot, näm­lich das LWL-Muse­um für Natur­kun­de. Ein eige­ner You­tube-Kanal, Pod­casts und auch Mate­ria­li­en aus dem Muse­um für die Beschäf­ti­gung zuhau­se. Das ist schon mal was. 

Das LWL-Muse­um für Kunst und Kul­tur hat erst spät im zwei­ten Lock­down den Weg zu digi­ta­len Füh­run­gen und Ange­bo­ten gefun­den. Ja, und das Stadt­mu­se­um hat eine Home­page, die seit min­des­tens zehn Jah­ren kei­nen Relaunch mehr gese­hen hat. Digi­ta­le Ange­bo­te zum Bei­spiel auf You­tube gibt es allen­falls sehr selten-

Hotspot unter Münsters Museen

So spie­gelt die Coro­na-Kri­se in der Land­schaft der öffent­lich finan­zier­ten Muse­en (das Picas­so-Muse­um ist pri­vat finan­ziert) das, was auch vor der Kri­se deut­lich erkenn­bar war: Eine rich­tig span­nen­de und viel­ver­spre­chen­de Ent­wick­lung gibt es beim LWL-Muse­um für Natur­kun­de, das sich, auch gemes­sen an Besuchs­zah­len, längst zum Hot­spot unter den Muse­en in Müns­ter ent­wi­ckelt hat. Mit fast regel­mä­ßig über 200.000 Muse­ums­be­su­chen pro Jahr hat es eine Fre­quenz auf­ge­baut, die auch ange­sichts eines nicht kos­ten­lo­sen Ein­tritts bemer­kens­wert ist. 

Der Schlüs­sel dazu waren tol­le Block­bus­ter als Aus­stel­lungs­pro­jek­te. Fach­lich hoch anspruchs­vol­le und kom­ple­xe natur­wis­sen­schaft­li­che The­men („Was­ser bewegt“, „Das Gehirn“) wur­den für ein brei­tes inter­es­sier­tes Publi­kum so auf­be­rei­tet, dass sowohl für Fami­li­en, als auch für fach­lich Inter­es­sier­te und für Schu­len gleich­zei­tig was dabei war. 

Dabei hat das Muse­um auch neue Wege aus­pro­biert – zum Bei­spiel ein Aus­stel­lungs­gui­de mit Robo­tik. Das alles hat man so bis­her in kei­nem ande­ren Muse­um in Müns­ter gese­hen. Es ist mehr als erstaun­lich, wie aus einem Haus, das jah­re­lang eher eine Anlauf­stel­le für Dino-Fans und Ster­nen­freun­de war, inzwi­schen ein hoch­in­no­va­ti­ves Muse­um gewor­den ist, ein High­fly­er der Muse­um­land­schaft in Münster. 

Die seit eini­gen Jah­ren mas­siv ange­stie­ge­nen Zah­len bestä­ti­gen den Kurs. Mit sei­nem neu­en Lei­ter Jan-Ole Kriegs ist das LWL-Muse­um für Natur­kun­de das inno­va­tivs­te und span­nends­te Muse­um am Plat­ze. Und die Neu­auf­stel­lung des Pla­ne­ta­ri­ums ver­spricht noch mehr in die­ser Rich­tung. Der Erfolg nährt den Erfolg. Und so ist es kein Zufall, dass die­ses Haus auch das ein­zi­ge ist, das in Coro­na-Zei­ten ein annehm­ba­res digi­ta­les Ange­bot bereitstellt.

Trotz Neubau kaum mehr Besucher

Her­aus­ra­gen­de Start­be­din­gun­gen hat auch das LWL-Muse­um für Kunst und Kul­tur am Dom. In kein ande­res Haus sind in den letz­ten Jah­ren so vie­le Mil­lio­nen Steu­er­geld inves­tiert wor­den, und doch ist die Ent­wick­lung hier sehr viel dif­fe­ren­zier­ter und kei­ne unein­ge­schränk­te Erfolgs­ge­schich­te. Auch wenn hier offi­zi­ell regel­mä­ßig hohe Besuchs­zah­len aus­ge­wie­sen wer­den, sind die­se in den meis­ten Fäl­len deut­lich geschönt. 

Mal schlägt das Muse­um die Besucher*innen der Skulp­tu­ren­aus­stel­lung dem Muse­um zu (so 2017), dann lockt es mit ein­tritts­frei­en Frei­tag­aben­den auch das spar­sa­me Müns­te­ra­ner Publi­kum in die ansons­ten eher spär­lich besuch­ten neu­en Räu­me. Auch das poliert kurz­fris­tig die Sta­tis­tik auf. Die Wahr­heit aber ist: Trotz der Mil­lio­nen­in­ves­ti­ti­on in das neue Gebäu­de lie­gen die Besuchs­zah­len außer­halb von Son­der­aus­stel­lun­gen inzwi­schen wie­der auf dem­sel­ben nied­ri­gen Niveau wie vor der Rund­erneue­rung des Hauses. 

Trotz der ambi­tio­nier­ten Plä­ne ist kein west­fä­li­sches Pen­dant zum Folk­wang-Muse­um ent­stan­den. Son­der­aus­stel­lun­gen bie­ten eben­so Licht und Schat­ten. Der gro­ße Publi­kums­er­folg der Tur­ner-Aus­stel­lung auf der einen Sei­te steht dem Flop der Frie­dens­aus­stel­lung gegen­über. Nun soll es der alte Haus­hei­li­ge wie­der ein­mal ret­ten – die nächs­te August Macke-Aus­stel­lung kommt bestimmt. 

Alles in allem zeigt sich aber das Pro­blem, dass eine rich­ti­ge Stra­te­gie und Ziel­grup­pen­ori­en­tie­rung des Hau­ses nicht erkenn­bar wird. Noch immer domi­niert das stark an ein­zel­nen Künst­ler­per­sön­lich­kei­ten aus­ge­rich­te­te Aus­stel­lungs­pro­gramm. Ist ein Künst­ler bekannt (wie Tur­ner oder Macke), dann wird das Haus voll, han­delt es sich um eine unbe­kann­te Per­sön­lich­keit, dann ist man auch mit den übli­chen bekann­ten, dafür aber sach­ver­stän­di­gen Besucher*innen zufrie­den, man rich­tet sich pro­blem­los eli­tär aus. 

Dieses Haus kann eigentlich mehr

Brei­te­re Ansät­ze, mit denen das Haus sei­nem steu­er­fi­nan­zier­ten Bil­dungs­auf­trag gerecht wer­den könn­te, und wie sie anders­wo, vor allem in Süd­deutsch­land, längst gepflegt wer­den, blei­ben dem Muse­um fremd: Epo­chen­aus­stel­lun­gen oder Ein­ord­nun­gen von Kunst in die Gesell­schafts- und Kul­tur­ge­schich­te blei­ben Stück­werk oder wer­den alle zwan­zig Jah­re wie­der ohne kon­zep­tio­nel­le Inno­va­ti­on auf­ge­legt, die beim Publi­kum durch­ge­fal­le­ne Frie­dens­aus­stel­lung war ein Beispiel. 

Man wird sich über­le­gen müs­sen, ob man auch ein Ort der Debat­te und Dis­kus­si­on sein möch­te oder wei­ter mit hohen Pro­hi­bi­tiv­mie­ten für die eige­nen Räum­lich­kei­ten dafür sorgt, dass nur die zah­lungs­kräf­ti­ge Wirt­schafts­kli­en­tel dort Ver­an­stal­tun­gen durch­führt und nicht die Kul­tur in Müns­ter und der Regi­on. Die­ses Haus kann eigent­lich viel mehr. Auch digi­tal muss mehr kommen. 

Noch trau­ri­ger wird es, wenn man sich die Ent­wick­lung des Stadt­mu­se­ums anschaut. Nach sei­ner spä­ten Grün­dung in den 1980er Jah­ren bot es ein viel­fäl­ti­ges Pro­gramm an Son­der­aus­stel­lun­gen und mit dem Umzug an die Salz­stra­ße erhielt es erst­klas­si­ge Prä­sen­ta­ti­ons­räu­me. Seit vie­len Jah­ren aber wirkt es wie ein­ge­fro­ren, was auch an der aus­ge­präg­ten Burn-out-Stim­mung im Haus liegt. 

Kla­gen über feh­len­de Bud­gets kor­re­spon­die­ren damit, dass das Muse­um dem Rat der Stadt seit Jah­ren kei­ne Ideen mehr vor­ge­legt hat für span­nen­de grö­ße­re Aus­stel­lungs­pro­jek­te, die über das All­täg­li­che hin­aus­ge­hen. Statt­des­sen Jahr für Jahr Foto­aus­stel­lun­gen aus der Hänscheid-Samm­lung, jetzt fort­ge­setzt mit neu­en Foto­se­ri­en aus den 1970er Jah­ren. So bekommt man auch Aus­stel­lungs­platz voll. 

Und wenn es dann doch mal grö­ße­re Son­der­aus­stel­lun­gen gibt, dann kommt inhalt­lich Frag­wür­di­ges dabei her­aus: So bei der weit­ge­hend gefl­op­ten Refor­ma­ti­ons­aus­stel­lung 2017 oder bei einer Aus­stel­lung zu deut­schen Kolo­nien, die wegen ihres Zugriffs (katho­li­sche Orden in den Kolo­nien) den kolo­nia­len Blick ein­sei­tig reproduzierte. 

Es fehlt die Lust an der Debatte

Nun soll es Play­mo­bil ret­ten – die Stadt­ge­schich­te, groß­zü­gig bei den Dinos gestar­tet, in Play­mo­bil nach­ge­stellt, das dann über ein gan­zes Jahr. Auch wenn das Römer­mu­se­um in Hal­tern vor eini­gen Jah­ren spek­ta­ku­lär Play­mo­bil zur Visua­li­sie­rung von Inhal­ten nutz­te, setzt das Stadt­mu­se­um jetzt allein auf Playmobil. 

Der inhalt­li­che Anspruch, Stadt­ge­schich­te inter­es­sant und viel­leicht auch kon­tro­vers zu prä­sen­tie­ren, ist kaum noch erkenn­bar. Es fehlt ein­fach die Lust an der his­to­ri­schen, vor allem der stadt­his­to­ri­schen Debat­te. Digi­ta­li­sie­rung gibt’s zudem gar nicht, auch da fällt das Stadt­mu­se­um erkenn­bar hin­ter das Niveau ande­rer Städ­te zurück. Sta­gna­ti­on ist Rück­schritt. So ver­liert das Stadt­mu­se­um gera­de in vie­ler­lei Hin­sicht den Anschluss: an die Debat­ten der Stadt­ge­sell­schaft (wo war die Aus­stel­lung zu Stra­ßen­na­men-Kon­tro­ver­sen?), zu span­nen­den Geschichts­the­men (Play­mo­bil ist kein Selbst­zweck) und eben auch zur Digitalisierung.

Zuletzt hat die Stadt dann auch Ver­ant­wor­tung für das Frei­licht­mu­se­um Müh­len­hof über­nom­men. Nach öffent­lich und juris­tisch eska­lier­tem Streit zwi­schen der dama­li­gen ehren­amt­li­chen Trä­ger­ver­eins­füh­rung und einem lang­jäh­ri­gen Mit­ar­bei­ter zog man die Reiß­lei­ne: Der Ver­ein, jah­re­lang im Stil einer CDU-Orts­uni­on geführt, woll­te sich pro­fes­sio­na­li­sie­ren mit neu­er Spit­ze und neu­en Ideen. Eine haupt­amt­li­che Geschäfts­füh­rung und ein Fach­be­reit zur inhalt­li­chen Wei­ter­ent­wick­lung waren die Bedin­gun­gen der Stadt für einen hohen Jahreszuschuss. 

Die­ses Vor­ha­ben schei­ter­te schon im Ansatz: Der nun von CDU-nahen Bau­un­ter­neh­mern besetz­te neue Vor­stand feu­er­te schon im ers­ten Arbeits­mo­nat die gera­de ein­ge­stell­te Geschäfts­füh­re­rin, dar­auf­hin ließ der Bei­rat (kom­pe­tent besetzt mit der Lei­tung LWL-Frei­licht­mu­se­um, LWL-Natur­kun­de­mu­se­um, Uni­ver­si­tät) sei­ne Funk­tio­nen ruhen, und so ent­wi­ckelt sich der Müh­len­hof seit­her als Frei­licht­mu­se­um jetzt zu etwas, womit kurz­fris­tig Geld ver­dient wer­den soll: zur Event-Gas­tro­no­mie.

Vor­läu­fi­ger Höhe­punkt des Gan­zen: „Grün­kohl to go“ mit­ten im Lock­down, als die Gas­tro­no­mie schon geschlos­sen war. Der Rat der Stadt Müns­ter wird sich über­le­gen müs­sen, ob er beim Müh­len­hof eine Pro­fes­sio­na­li­sie­rung und ein trag­fä­hi­ges Kon­zept sehen möch­te. Oder ob er aus dem Kul­tur­etat „Grün­kohl to go“ finan­zie­ren will.

Herz­li­che Grüße

Ihr Micha­el Jung


Über den Autor

Micha­el Jung lebt schon immer in Müns­ter. Er wur­de 1976 hier gebo­ren. Er hat an der Uni Müns­ter Latein und Geschich­te stu­diert und in Geschich­te pro­mo­viert. Heu­te ist er Leh­rer am Annet­te-Gym­na­si­um in Müns­ter. Micha­el Jung hat sich vie­le Jah­re lang in der Poli­tik enga­giert: Von 2013 bis 2020 war er Frak­ti­ons­chef der SPD im Rat der Stadt, im Jahr 2020 trat er für die SPD bei den Kom­mu­nal­wah­len als Ober­bür­ger­meis­ter­kan­di­dat an.