Die Kolumne von Michael Jung | Von Spardosen und viel Luft im Haushalt

Müns­ter, 7. März 2021

Guten Tag,

wegen der Kom­mu­nal­wahl ist es spät gewor­den mit dem Haus­halt für 2021. Was nor­ma­ler­wei­se im Dezem­ber pas­siert, geschieht in die­sem Jahr erst im März – aber bald soll­te Müns­ter einen ver­ab­schie­de­ten Haus­halt haben, den ers­ten der neu­en Wahl­pe­ri­ode und den ers­ten, den die neue Rats­mehr­heit beschließt. Die­se Bera­tun­gen sind nicht nur span­nend im Hin­blick auf die poli­ti­schen Akzen­te der neu­en Mehr­heit, son­dern auch mit Blick auf die wirt­schaft­li­che und finanz­po­li­ti­sche Zukunft der Stadt. Zeit also für ein paar grund­sätz­li­che Anmerkungen.

Der städ­ti­sche Haus­halt funk­tio­niert anders als die Bud­gets von Bund und Land. Wäh­rend dort kame­ra­lis­tisch gebucht wird, also mit einer rei­nen Ein­nah­men- und Aus­ga­ben­rech­nung, plant die Stadt wie ein Unter­neh­men mit einer dop­pel­ten Buch­füh­rung. Wie man in den letz­ten Wochen beob­ach­ten konn­te, ist die­ser Unter­schied selbst pro­mi­nen­ten Rats­mit­glie­dern nicht klar. So erklär­te die FDP, sie wol­le ein­drucks­vol­le 18 Mil­lio­nen Euro für die Beschaf­fung von Tablets für Müns­ters Schu­len bereit­stel­len. Das ist zwar ein guter Oppo­si­ti­ons­knal­ler, aber haus­häl­te­ri­scher Unfug. 

Woll­te der Bund oder woll­te das Land Tablets beschaf­fen, müss­te man die Inves­ti­ti­ons­kos­ten als Aus­ga­be rech­nen, und die FDP hät­te rich­tig argu­men­tiert. Kom­mu­nal wird die Sum­me inves­tiert, aber danach line­ar abge­schrie­ben, also gleich­mä­ßig auf meh­re­re Jah­re ver­teilt. Die FDP müss­te also rich­ti­ger­wei­se (unter­stellt, die Inves­ti­ti­ons­kos­ten stim­men) sechs Mil­lio­nen bereit­stel­len, das aber in die­sem Fall über drei Jah­re wiederkehrend. 

18 Millionen Euro sind Quatsch

Außer­dem müss­te sie natür­lich für nach­kom­men­de Schü­le­rin­nen und Schü­ler neue Tablets beschaf­fen in den nächs­ten Jah­ren, also soge­nann­te revol­vie­ren­de Haus­halts­an­sät­ze bil­den – Pos­ten, die immer wie­der im Haus­halt ste­hen. Wie man es also dreht und wen­det: 18 Mil­lio­nen sind Quatsch – und ein schö­ner Beleg, dass so man­cher im Rat­haus weni­ger über den Haus­halt weiß, als sei­ne Wähler:innen hoff­nungs­voll annehmen.

Ent­schei­dend für die Beur­tei­lung des Haus­halts sind aber ande­re Zah­len, näm­lich die des Gesamt­ab­schlus­ses. Ist der im Defi­zit, kann man ihn fik­tiv aus­glei­chen, indem man die soge­nann­te Aus­gleichs­rück­la­ge in Anspruch nimmt, Über­schüs­se aus guten Jah­ren. Ist die­se Rück­la­ge auf­ge­braucht, darf das Defi­zit nicht län­ger als ein Jahr die Mar­ke von fünf Pro­zent des bilan­zi­el­len Eigen­ka­pi­tals über­schrei­ten, sonst droht der Stadt ein soge­nann­tes Haus­halts­si­che­rungs­kon­zept. Das bedeu­tet: Sie darf über ihre Aus­ga­ben nicht mehr eigen­stän­dig ent­schei­den, bis der Haus­halt wie­der saniert ist. 

Schaut man sich den Haus­halts­plan unter die­sen Gesichts­punk­ten an, sieht es 2021 erstaun­lich aus: Trotz Coro­na plant Müns­ters Käm­me­rin Chris­ti­ne Zel­ler nur mit 12,2 Mil­lio­nen Defi­zit. Dazu muss man wis­sen: Die spar­sa­me schwarz-gel­be Lan­des­re­gie­rung hat den NRW-Kom­mu­nen anders als ande­re deut­sche Lan­des­re­gie­run­gen kei­ne Finanz­hil­fen gewährt, son­dern einen Buchungs­trick geschenkt: So darf die Stadt Müns­ter die­ses Jahr 54,7 Mil­lio­nen Mehr­aus­ga­ben und Ein­nah­me­ver­lus­te aus Coro­na iso­lie­ren, das heißt: als Ein­nah­me ver­bu­chen und in den kom­men­den Jah­ren nach und nach abschreiben. 

Das heißt kon­kret: Das Coro­na-Loch wird dadurch pro­vi­so­risch auf­ge­füllt, belas­tet aber die Zukunft. Nur so kommt ein ver­hält­nis­mä­ßig gerin­ges Defi­zit zustan­de. In den fol­gen­den Jah­ren sieht es dann auch gleich viel def­ti­ger aus mit den Defi­zi­ten: 2022 sind es laut Plan 69,9 Mil­lio­nen, im Jahr dar­auf 56,1 Mil­lio­nen und 2024 dann 52,6 Mil­lio­nen. Das ist zu viel. Spä­tes­tens zum Ende der Wahl­pe­ri­ode wür­de die Haus­halts­si­che­rung dro­hen. Kei­ne schö­nen Aussichten.

Zuversicht und Hoffnungswerte

Schaut man genau­er hin, so zeigt sich, dass die Annah­men, von denen die Käm­me­rin selbst bei die­sen Defi­zi­ten aus­geht, gro­ße Zuver­sicht zei­gen. Man könn­te auch sagen: Da ste­hen Hoff­nungs­wer­te. So geht sie in ihrer mit­tel­fris­ti­gen Finanz­pla­nung bei­spiels­wei­se davon aus, dass die Ein­nah­men aus der Gewer­be­steu­er nicht nur ste­tig stei­gen, son­dern auch in kür­zes­ter Zeit wie­der auf Vor-Coro­na-Niveau lie­gen und bald sogar darüber. 

Auch die Antei­le der Stadt an der Ein­kom­men­steu­er sol­len bis 2024 um fast 20 Pro­zent stei­gen. Das kann man glau­ben. Aber mit Blick dar­auf, dass die lang­jäh­ri­gen Durch­schnitts­wer­te bei der Gewer­be­steu­er eher unter 300 Mil­lio­nen pro Jahr lie­gen als dar­über, muss man das auch nicht tun. 

Eben­so opti­mis­tisch wie bei den Ein­nah­men ist die Rech­nung bei den Aus­ga­ben: Da geht die Käm­me­rin von einem Anstieg von 6,25 Pro­zent in vier Jah­ren bei den Per­so­nal­kos­ten aus. Wenn man bedenkt, dass 1,8 Pro­zent schon fest für die bereits ver­ein­bar­te Tarif­er­hö­hung 2022 drauf­ge­hen und eine wei­te­re Tarif­run­de ansteht bis 2024, ist das ohne viel Puf­fer kalkuliert. 

Wenn man sich dann erin­nert, dass die Stadt Müns­ter in den Jah­ren von 2014 bis 2019 etwa tau­send neue Stel­len geschaf­fen hat, bedeu­ten die Haus­halts­an­sät­ze, dass in die­ser Wahl­pe­ri­ode kei­ne neu­en Stel­len mehr dazu­kom­men. Dage­gen spricht allei­ne schon der bedarfs­de­cken­de Aus­bau der Kita- und Schulbetreuungsangebote. 

Viele unrealistisch positive Annahmen

Ganz zuver­sicht­lich ist die Käm­me­rin auch bei den Mit­glieds­um­la­gen der Stadt zum Land­schafts­ver­band West­fa­len-Lip­pe (LWL). Aus die­sem Geld wird vor allem die über­ört­li­che Sozi­al­hil­fe bezahlt, also vor allem die Ein­glie­de­rungs­hil­fe für Men­schen mit Behin­de­run­gen. Hier glaubt Chris­ti­ne Zel­ler, dass der Bei­trag die kom­men­den Jah­re immer bei 92 Mil­lio­nen blei­ben wird. Das stimmt aber zum einen nicht mit den Pla­nun­gen des LWL über­ein, der von stei­gen­den Kos­ten aus­geht, und es ent­spricht zum ande­ren auch nicht den Erfah­run­gen der Ver­gan­gen­heit. In der letz­ten Wahl­pe­ri­ode seit 2014 ist die Zahl­last um über 30 Mil­lio­nen gestiegen. 

So könn­te man noch wei­ter­ma­chen, aber es dürf­te schon jetzt klar sein: Das Zah­len­werk geht von vie­len unrea­lis­tisch posi­ti­ven Annah­men aus, und die mit­tel­fris­ti­ge Ent­wick­lung dürf­te viel kri­ti­scher werden. 

Wenn bis­her trotz­dem von haus­halts­po­li­ti­scher End­zeit­stim­mung wenig zu spü­ren ist, dann liegt das an einer ande­ren Ent­wick­lung. Haus­halts­plä­ne haben mit der Rea­li­tät nichts zu tun, das zeigt sich an den Jah­res­ab­schlüs­sen der Stadt. 

Der Haus­halt wies im Jahr 2017 bei Ver­ab­schie­dung ein Defi­zit von 58,6 Mil­lio­nen Euro aus. Im Jah­res­ab­schluss stand unter dem Strich ein Über­schuss von 9,4 Millionen. 

Im Jahr dar­auf das glei­che Bild: Bei Ver­ab­schie­dung ein Defi­zit von 16,4 Mil­lio­nen, am Ende ein Über­schuss von 49,1 Millionen. 

Berei­nigt um Son­der­ef­fek­te wich das Ergeb­nis 2017 um 68 Mil­lio­nen, 2018 um 65,5 Mil­lio­nen vom Plan ab – und zwar nach oben. 

In den Haushalt gebuchte Luft

Hat die Stadt nun „gut gewirt­schaf­tet“, wie die CDU an die­ser Stel­le dem Publi­kum ger­ne zu erzäh­len pfleg­te, solan­ge sie in der Mehr­heit war? Natür­lich nicht. Abge­se­hen von Schwan­kun­gen zum Bei­spiel durch eine extrem posi­ti­ve Ent­wick­lung der Gewer­be­steu­er in die­sen Jah­ren sind die Effek­te vor allem auf eines zurück­zu­füh­ren: Viel Luft, die in den Haus­halt gebucht ist. 

So stel­len sich ein­zel­ne Fachäm­ter ger­ne ihre Spar­do­sen in Form von hoch­agg­re­gier­ten Haus­halts­po­si­tio­nen auf, die kaum ein Ehren­amt­ler im Rat durch­schaut und hin­ter­fragt. Berüch­tigt zum Bei­spiel ist die Posi­ti­on „Hil­fen zur Erzie­hung“ im Jugend­amt. Wo immer man unter­jäh­rig als Jugend­amt mal Geld braucht, hier liegt es. 

Wel­che Rats­frak­ti­on wür­de sich schon trau­en, bei der Erzie­hung von Kin­dern und Jugend­li­chen zu spa­ren? Ein Auf­schrei wäre gewiss. Und doch sieht man jedes Jahr bei der Ergeb­nis­rech­nung: Min­des­tens zehn Mil­lio­nen Euro Luft sind da immer drin. Natür­lich gibt es die­se Spar­do­sen nicht nur für das Jugend­amt, son­dern auch für den Tief­bau und die Grün­flä­chen. Ande­re dage­gen, gera­de in der Kul­tur, fah­ren auf Felge. 

Jetzt könn­te man sagen: Sei’s drum. Ist doch gut, wenn man vor­sich­tig plant und man hin­ter­her Geld übrig hat. Die Wahr­heit ist aber: Die­ses Ver­hal­ten der Ver­wal­tung führt zu Intrans­pa­renz und dazu, dass poli­ti­sche Gestal­tungs­spiel­räu­me beschnit­ten wer­den. Die­se Mul­ti­mil­lio­nen­puf­fer ste­hen einer poli­ti­schen Mehr­heit eben nicht zur Ver­fü­gung. Über die­ses Geld ent­schei­det kein demo­kra­tisch legi­ti­mier­tes Gremium. 

Aller­dings ist die Rat­haus­po­li­tik selbst nicht unschul­dig an die­sem Dilem­ma. Auch die Poli­tik hat näm­lich viel Inves­ti­ti­ons-Luft in den Haus­halt gepumpt. Jedes Jahr kam Neu­es dazu: 50 Mil­lio­nen für die Ver­kehrs­wen­de (2018), 40 Mil­lio­nen für das Preu­ßen-Sta­di­on (2019), 45 Mil­lio­nen für den Musik-Cam­pus (2020). Abge­flos­sen ist davon bis­her fast nichts. 

Simulation von politischer Tatkraft

Inzwi­schen tür­men sich die fort­ge­schrie­be­nen Pla­nungs­an­sät­ze für sol­che und ande­re Inves­ti­tio­nen („Ver­pflich­tungs­er­mäch­ti­gun­gen“) auf weit über eine hal­be Mil­li­ar­de. Auch das ist natür­lich nur die Simu­la­ti­on von poli­ti­scher Tat­kraft. Hier wäre es ehr­li­cher, nur das in den Haus­halt zu neh­men, was auch wirk­lich durch­ge­plant ist. Das hät­te den Vor­teil, dass die Sum­men sich dann bei der Aus­füh­rung nach vie­len Jah­ren Ver­schie­be­rei nicht plötz­lich ver­dop­peln, wie zuletzt bei der Feu­er­wa­che in Hil­trup geschehen. 

Doch nicht jede Mil­lio­nen­sum­me, die gera­de dis­ku­tiert wird, ist eine Belas­tung für den Haus­halt. CDU und FDP jau­len zwar auf, wenn 50 Mil­lio­nen Eigen­ka­pi­tal der Wohn- und Stadt­bau zuge­führt wer­den sol­len, wie es der Koali­ti­ons­ver­trag vor­sieht. Eine Kata­stro­phe für den Haus­halt? Keineswegs. 

Das rech­net sich näm­lich so: Nimmt die Stadt das Geld als Kre­dit auf, so zahlt sie dafür Zin­sen. Die­se Zin­sen ver­min­dern das Ver­mö­gen der Stadt. Die 50 Mil­lio­nen dage­gen nicht, denn in der dop­pel­ten Buch­füh­rung ist der Vor­gang im Grun­de nur eine Umbu­chung. 50 Mil­lio­nen Euro gehen ab, doch die Betei­li­gung an der städ­ti­schen Toch­ter im Wert von 50 Mil­lio­nen Euro kommt auf der glei­chen Sei­te der Bilanz hin­zu. Das Ver­mö­gen der Stadt ver­än­dert sich nicht, an einer ande­ren Stel­le schon. Sinn­vol­ler­wei­se nimmt man für die­se Eigen­ka­pi­tal­erhö­hung aller­dings kein Bar­geld, son­dern unbe­bau­te Grund­stü­cke, die man zuvor erwor­ben hat.

Die Wohn- und Stadt­bau inves­tiert das Geld in Woh­nun­gen und erzielt damit eine Eigen­ka­pi­tal­ren­di­te, die in jedem Fall höher ist als die Zin­sen, die die Stadt für den Kre­dit für den Grund­stücks­er­werb zahlt. In der Gesamt­be­trach­tung ergibt sich so im Haus­halt des Stadt­kon­zerns ein Plus. Was aber noch wich­ti­ger ist: So ent­ste­hen vor allem end­lich auch mehr bezahl­ba­re Woh­nun­gen. Das ist gut für den Haus­halt und die Bilanz, aber vor allem für die Men­schen in Müns­ter, die drin­gend eine Woh­nung suchen. 

Was bedeu­tet das nun alles für die finan­zi­el­le Lage der Stadt? Es ste­hen kri­ti­sche Jah­re bevor, aber es gibt eine rea­lis­ti­sche Chan­ce, das poli­tisch zu stem­men. Die neue Koali­ti­on wäre aller­dings gut bera­ten gewe­sen, ihr Wir­ken mit einem Kas­sen­sturz zu begin­nen und die Haus­halts­zah­len an die Rea­li­tä­ten anzu­pas­sen – um so poli­ti­sche Spiel­räu­me zu gewin­nen für das, was wich­tig ist.

Herz­li­che Grü­ße
Ihr Micha­el Jung


Über den Autor

Micha­el Jung lebt schon immer in Müns­ter. Er wur­de 1976 hier gebo­ren. Er hat an der Uni Müns­ter Latein und Geschich­te stu­diert und in Geschich­te pro­mo­viert. Heu­te ist er Leh­rer am Annet­te-Gym­na­si­um in Müns­ter. Micha­el Jung war vie­le Jah­re in der Poli­tik: Von 2013 bis 2020 war er Frak­ti­ons­chef der SPD im Rat der Stadt, im Jahr 2020 trat er für die SPD bei den Kom­mu­nal­wah­len als Ober­bür­ger­meis­ter­kan­di­dat an.