Die Kolumne von Ruprecht Polenz | Angriff auf die Rundfunkfreiheit

Müns­ter, 20. Dezem­ber 2020

Ich wün­sche Ihnen einen schö­nen Vier­ten Adventssonntag.

Das Jahr 2020 geht dem Ende ent­ge­gen. Dass es durch die welt­wei­te Coro­na-Pan­de­mie ein ganz beson­de­res war, haben wir alle gespürt. Ich will den vie­len Rück­bli­cken nicht einen wei­te­ren hin­zu­fü­gen, son­dern in einem ganz ande­ren Zusam­men­hang nach vorn schauen.

Vie­les wird zum 1. Janu­ar 2021 teu­rer: die Müll­ab­fuhr, die Stra­ßen­rei­ni­gung, Ver­si­che­run­gen. Der Rund­funk­bei­trag ist nicht dabei. Das ist eine gute Nach­richt. Jeden­falls auf den ers­ten Blick.

Las­sen Sie uns einen zwei­ten Blick dar­auf wer­fen. Der Rund­funk­bei­trag bleibt bei 17,50 Euro im Monat. Er wird, wie seit elf Jah­ren, auch 2021 nicht erhöht. Jeden­falls vor­erst nicht, denn Sach­sen-Anhalt hat als ein­zi­ges Land den Staats­ver­trag nicht rati­fi­ziert, mit dem alle Län­der gemein­sam und ein­stim­mig die Höhe des Rund­funk­bei­trags beschlie­ßen müssen. 

Dar­über hat sich nicht nur die AfD gefreut, die den öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk (ÖRR) aus poli­ti­schen Grün­den abschaf­fen will. Auch Liber­tä­re, die grund­sätz­lich gegen Pflicht­bei­trä­ge sind, wol­len kei­nen „zwangs­fi­nan­zier­ten“ ÖRR, weil sie mei­nen, allein der Markt sol­le über Ange­bot und Nach­fra­ge auch beim Rund­funk ent­schei­den. Ande­re wol­len den ÖRR zwar nicht abschaf­fen, erhof­fen sich aber von dem „Signal aus Sach­sen-Anhalt“ eine Reform­dis­kus­si­on über den ÖRR, der ihnen zu groß und teu­er erscheint.

Wir brauchen Qualitätsjournalismus

Neh­men wir die jewei­li­gen Posi­tio­nen etwas unter die Lupe.

Der ÖRR wur­de ent­spre­chend dem bri­ti­schen BBC-Modell nach dem Krieg in West­deutsch­land ein­ge­führt, als Leh­re aus der Erfah­rung mit der Pro­pa­gan­da von Goeb­bels. Ich hal­te es für kei­nen Zufall, dass die Abschaf­fung des ÖRR zu den zen­tra­len Kam­pa­gne-Punk­ten der AfD gehört. 

War­um die AfD den ÖRR abschaf­fen will, liegt auf der Hand. Ohne ÖRR wür­den (noch) mehr Men­schen ihrer auf Lüge und Unwahr­heit gestütz­ten Pro­pa­gan­da fol­gen. Wir brau­chen Qua­li­täts­jour­na­lis­mus, damit wir den Fake News nicht auf den Leim gehen. 

Im ÖRR ist unab­hän­gi­ger Qua­li­täts­jour­na­lis­mus zukunfts­si­cher finan­ziert. Das ist der AfD ein Dorn im Auge. Sie denun­ziert den ÖRR als „Staats­funk“ und ver­folgt gleich­zei­tig eine Poli­tik, die den unab­hän­gi­gen ÖRR erst zum abhän­gi­gen Staats­funk machen wür­de. Sie möch­te ihm wegen man­geln­den Wohl­ver­hal­tens den Geld­hahn zudre­hen und denun­ziert ihn als „Lügen­pres­se“. Der Angriff der AfD zielt direkt auf die Rundfunkfreiheit.

Auch die Liber­tä­ren wol­len den ÖRR abschaf­fen. Was ich nicht bestellt habe, das will ich auch nicht bezah­len – so lau­tet ihr zen­tra­les Argu­ment gegen die Bei­trags­fi­nan­zie­rung des ÖRR. Es gebe ja auch kei­ne öffent­lich-recht­li­chen Zei­tun­gen, son­dern die Men­schen ent­schei­den selbst, ob und wel­che gekauft wird. 

Aber wäre es wirk­lich ein Fort­schritt, wenn es in Deutsch­land nur noch Rund­funk und Fern­se­hen geben wür­de, das von Kapi­tal­in­ter­es­sen, Wer­bung und Quo­te abhän­gig ist? Ein Blick auf RTL und SAT 1 zeigt, wie die­se Pro­gram­me aussehen. 

Wer zahlt, bestimmt

Am Geld kann es nicht lie­gen, dass der Infor­ma­ti­ons­an­teil dort so gering ist. Schließ­lich erwirt­schaf­te­te die RTL-Grup­pe 2019 bei einem Umsatz von 6,7 Mil­li­ar­den Euro einen Jah­res­über­schuss von 754 Mil­lio­nen Euro. Aber Infor­ma­ti­ons­sen­dun­gen brin­gen kei­ne Quo­te und des­halb kei­ne Werbeeinnahmen. 

Dabei ist Qua­li­täts­jour­na­lis­mus heu­te wich­ti­ger denn je. In der Infor­ma­ti­ons­flut des Inter­net brau­chen wir jour­na­lis­tisch-unab­hän­gi­ge Fil­ter, die Quel­len über­prü­fen, Infor­ma­tio­nen ein­ord­nen und uns Ori­en­tie­rungs­mög­lich­kei­ten geben. Der ÖRR bie­tet die­sem Qua­li­täts­jour­na­lis­mus eine gesi­cher­te finan­zi­el­le Basis.

Den pri­va­ten Qua­li­täts­zei­tun­gen haben Goog­le, Face­book und ande­re die Wer­be­an­zei­gen ent­zo­gen mit der Fol­ge, dass die­se Form des Qua­li­täts­jour­na­lis­mus der­zeit nicht zukunfts­fest finan­ziert ist. Ent­las­sun­gen von Journalist:innen und zusam­men­ge­leg­te Redak­tio­nen zei­gen, wie ernst die Lage im Print­jour­na­lis­mus ist. 

Es ist gar nicht so ein­fach, Pres­se­frei­heit so zu orga­ni­sie­ren, dass weder Kapi­tal­in­ter­es­sen (der Eigen­tü­mer oder Wer­be­trei­ben­den) noch der Staat den Inhalt beein­flus­sen kön­nen. Für den ÖRR ist das ziem­lich gut gelungen. 

Zu den Struk­tur­prin­zi­pi­en des ÖRR gehört, dass er mög­lichst unab­hän­gig vom Staat orga­ni­siert ist. Wer zahlt, bestimmt. Des­halb wird der ÖRR nicht aus Steu­er­mit­teln finan­ziert, über deren Ver­wen­dung jähr­lich die Poli­tik ent­schei­det, son­dern aus einem Rund­funk­bei­trag, den alle Haus­hal­te ent­rich­ten, und des­sen Höhe von unab­hän­gi­gen Expert:innen ermit­telt wird.

Um die Rund­funk­frei­heit vor poli­ti­schen Ein­grif­fen zu schüt­zen, über­prüft eine Exper­ten­kom­mis­si­on zur Ermitt­lung des Finanz­be­darfs (KEF) alle zwei Jah­re den von den Anstal­ten gel­tend gemach­ten Finanz­be­darf. Die 16 Mit­glie­der der KEF wer­den von den Län­dern bestellt und gehö­ren oft den Lan­des­rech­nungs­hö­fen an.

Reform wäre möglich gewesen

Die KEF hat­te den von ARD, ZDF und Deutsch­land­ra­dio ange­mel­de­ten Zusatz­be­darf deut­lich gekürzt. Statt um 1,74 € soll der Bei­trag um 86 Cent erhöht und bis 2024 fest­ge­schrie­ben werden.

Von die­ser KEF-Emp­feh­lung dür­fen die Län­der nur abwei­chen, wenn dafür Grün­de vor­lie­gen, „die vor der Rund­funk­frei­heit Bestand haben“, hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt in sei­nem 8. Rund­funk­ur­teil fest­ge­stellt. „Pro­gramm­li­che und medi­en­po­li­ti­sche Zwe­cke“ sind nicht zuläs­sig, um von der KEF-Emp­feh­lung abzu­wei­chen, so das Bundesverfassungsgericht. 

„Zu links, zu wenig ost­deutsch, zu teu­er.“ Die­se Argu­men­te der CDU Sach­sen-Anhalt waren aber pro­gramm­lich und medi­en­po­li­tisch. Das Grund­ge­setz schützt die Rund­funk­frei­heit vor finan­zi­el­len Dau­men­schrau­ben des Staa­tes. Des­halb kla­gen ARD, ZDF und Deutsch­land­ra­dio jetzt vor dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt, mit guter Aus­sicht auf Erfolg.

Dabei liegt es durch­aus in der Hoheit der Län­der, dem ÖRR all­ge­mei­ne Vor­ga­ben zu machen. Aber wenn das gesche­hen ist, muss der ÖRR so finan­ziert wer­den, dass er die­se Vor­ga­ben erfül­len kann. Wer bestellt, muss auch bezah­len. Die unab­hän­gi­ge KEF ermit­telt, wie­viel Geld es kostet.

Es bestand vor weni­gen Mona­ten eine gute Gele­gen­heit, eine umfas­sen­de Dis­kus­si­on über die­se poli­ti­schen Vor­ga­ben und die Struk­tur des ÖRR zu füh­ren, wenn man Ände­run­gen her­bei­füh­ren woll­te. Im Sep­tem­ber 2020 hat auch Sach­sen-Anhalt den Medi­en­staats­ver­trag rati­fi­ziert – ohne grö­ße­re Dis­kus­sio­nen oder Vor­be­hal­te. Er regelt den all­ge­mei­nen Pro­gramm­auf­trag, die Zahl der Anstal­ten und der Programme.

Hier hät­te Sach­sen-Anhalt sei­ne Vor­stel­lun­gen ein­brin­gen müs­sen. Das ist nicht gesche­hen. Inzwi­schen ist der Medi­en­staats­ver­trag mit den Unter­schrif­ten aller Län­der in Kraft getreten. 

Natür­lich ist damit die Dis­kus­si­on um den ÖRR nicht been­det. Des­halb zum Abschluss noch ein paar Bemer­kun­gen zu denen, die den ÖRR zwar nicht abschaf­fen, aber doch mehr oder weni­ger umkrem­peln wollen.

Grundversorgung ist nicht Mindestversorgung

Der ÖRR sol­le nur sen­den, was Pri­vat­sen­der nicht im Pro­gramm hät­ten. Pro­fi-Fuß­ball und Spiel­fil­me bekä­me man schließ­lich bei Sky oder Net­flix. Wer so argu­men­tiert, stellt sich das Pro­gramm des ÖRR so vor wie Phoe­nix oder 3Sat. Dann bekommt man aber auch deren Ein­schalt­quo­ten von cir­ca einem Pro­zent. Dage­gen kom­men ARD und ZDF gemein­sam mit den Drit­ten Pro­gram­men auf einen Markt­an­teil von rund 45 Prozent.

In den Haupt­pro­gram­men von ARD und ZDF pro­fi­tie­ren die Ein­schalt­quo­ten der Infor­ma­ti­ons­sen­dun­gen vom soge­nann­ten Audi­ence-flow. Eine Tages­schau vor dem Tat­ort hat gleich ein paar hun­dert­tau­send Zuschauer:innen mehr und das ZDF-heu­te-jour­nal wird in der Halb­zeit eines Fuß­ball-Län­der­spiels von über zehn Mil­lio­nen gesehen. 

In sei­ner stän­di­gen Recht­spre­chung geht des­halb das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt davon aus, dass der ÖRR den Auf­trag zu einer soge­nann­ten Grund­ver­sor­gung hat. Grund­ver­sor­gung ist hier­bei nicht mit Min­dest­ver­sor­gung gleich­zu­set­zen, die sich auf die blo­ße Ver­brei­tung von Infor­ma­ti­ons- und Bil­dungs­sen­dun­gen beschränkt. Auch Unter­hal­tung, Sport und vor allem Bei­trä­ge zur Kul­tur gehö­ren dazu.

Aus mei­ner Sicht muss der ÖRR sich vor allem im Hin­blick auf sei­ne Auf­ga­ben im Inter­net wei­ter refor­mie­ren. Das öffent­lich-recht­li­che Jugend­pro­gramm Funk ist dafür ein gutes Bei­spiel. Es erreicht die Jugend­li­chen in ihrer digi­ta­len Welt. Aber auch ande­ren Ziel­grup­pen soll­te der ÖRR über die Kanä­le im Netz seriö­se Infor­ma­tio­nen und gute Unter­hal­tung anbie­ten. Auch der wei­te­re Aus­bau der Media­the­ken gehört zu den Bau­stei­nen einer öffent­lich-recht­li­chen Stra­te­gie für die digi­ta­le Fern­seh­zu­kunft, in der die Men­schen immer mehr selbst ent­schei­den, was sie wann und wo sehen wol­len. Trotz­dem wird es die linea­ren Haupt­pro­gram­me wei­ter geben. Fuß­ball­spie­le will man nicht zeit­ver­setzt sehen und die Nach­rich­ten sol­len aktu­ell sein.

Was heißt das alles für den Rund­funk­bei­trag? Ich den­ke, er wird 2021 doch erhöht, weil das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt den Kla­gen der ÖRR statt­gibt. Ich wür­de mich freu­en, wenn die­ser Brief bei Ihnen etwas Ver­ständ­nis dafür geweckt hätte.

Ich wün­sche Ihnen ein fro­hes Weih­nachts­fest, Gesund­heit und alles Gute für 2021.

Ihr

Ruprecht Polenz


Über den Autor

Vie­le Jah­re lang war Ruprecht Polenz Mit­glied des Rats der Stadt Müns­ter, zuletzt als CDU-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der. Im Jahr 1994 ging er als Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ter nach Ber­lin. Er war unter ande­rem CDU-Gene­ral­se­kre­tär, zwi­schen 2005 und 2013 Vor­sit­zen­der des Aus­wär­ti­gen Aus­schus­ses des Bun­des­tags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mit­glied des ZDF-Fern­seh­rats, ab 2002 hat­te er den Vor­sitz. Der gebür­ti­ge Bautz­e­ner lebt seit sei­nem Jura-Stu­di­um in Müns­ter. 2020 erhielt Polenz die Aus­zeich­nung „Gol­de­ner Blogger“.