Die Kolumne von Ruprecht Polenz | Glaube und Tatsachen

Müns­ter, 17. Janu­ar 2021

Einen schö­nen Sonn­tag wün­sche ich Ihnen.

In drei Tagen wird Joe Biden als 46. Prä­si­dent der Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka in sein Amt ein­ge­führt. Die von Trump ange­stif­te­te und ange­sta­chel­te gewalt­sa­me Erstür­mung des Par­la­ments konn­te das nicht ver­hin­dern. Sei­ne unge­zähl­ten Ver­su­che, die regu­lä­ren Wahl­er­geb­nis­se in ein­zel­nen Staa­ten gericht­lich anzu­fech­ten, waren zuvor alle­samt geschei­tert. Auch sein Druck vor und wäh­rend der Stimm­ab­ga­be, statt ordent­lich aus­zu­zäh­len, das Ergeb­nis zu sei­nen Guns­ten zu mani­pu­lie­ren, war erfolg­los geblieben.

Ab dem 20. Janu­ar ist Trump nicht mehr im Amt. Er wur­de abge­wählt. Biden hat mit 51,3 Pro­zent gewon­nen. Er hat 7 Mil­lio­nen Stim­men mehr bekom­men als Trump. Die Wahl­leu­te-Ver­samm­lung hat sich mit 306 gegen 232 klar für Biden aus­ge­spro­chen. Trotz­dem kön­nen wir nicht aufatmen.

Wie das Impeach­ment-Ver­fah­ren gegen Trump wegen „Anstif­tung zum Auf­stand“ aus­geht, ist offen. Im Reprä­sen­tan­ten­haus haben es nur 10 von 211 Repu­bli­ka­nern unter­stützt, 4 haben nicht mit abge­stimmt. 17 repu­bli­ka­ni­sche Senator:innen müß­ten im Senat dafür stim­men, damit die not­wen­di­ge Zwei-Drit­tel-Mehr­heit erreicht wird. Danach sieht es eher nicht aus.

Wich­ti­ger als die Fra­ge, wie die Repu­bli­ka­ner zu Trump ste­hen, ist jedoch, dass sie end­lich das Wahl­er­geb­nis aner­ken­nen und unmiss­ver­ständ­lich sagen, dass die erho­be­nen Fäl­schungs­vor­wür­fe aus der Luft gegrif­fen waren und unbe­grün­det sind. Es reicht nicht aus, sich von der Gewalt des Angriffs auf das Capi­tol zu distanzieren.

Zweifel führen zum Infarkt

Sonst hat das für die ame­ri­ka­ni­sche Demo­kra­tie schlim­me Fol­gen. So, wie die Dolch­stoß-Legen­de das poli­ti­sche Kli­ma der Wei­ma­rer Repu­blik ver­gif­tet hat, droht die Lüge von der „gestoh­le­nen Wahl“ die ame­ri­ka­ni­sche Demo­kra­tie zu ver­gif­ten. Repu­bli­ka­ner, die an die­ser Lüge fest­hal­ten, unter­gra­ben die Legi­ti­mi­tät von Prä­si­dent Biden.

Die Erklä­rung von Trump und sei­ner Fami­lie, nicht zu Bidens Amts­ein­füh­rung zu kom­men, dient auch die­sem Ziel und ist nicht nur der Lau­ne eines schlech­ten Ver­lie­rers geschuldet. 

Poli­ti­sche Macht wird in einer Demo­kra­tie durch Wah­len ver­lie­hen. Freie Wah­len sind das Herz­stück einer Demo­kra­tie. Zwei­fel an der Recht­mä­ßig­keit des fest­ge­stell­ten Ergeb­nis­ses füh­ren zum Infarkt.

147 Abge­ord­ne­te der Repu­bli­ka­ner stimm­ten auch nach der Beset­zung des Kapi­tols gegen die Fest­stel­lung des Wahl­er­geb­nis­ses. Damit bedien­ten sie Trumps Lügen über Joe Bidens angeb­lich ille­gi­ti­me Wahl. Über die Hälf­te der repu­bli­ka­ni­schen Wähler:innen glaubt nach wie vor, dass die Wah­len „gestoh­len“ wor­den sei­en. Das sind mehr als 35 Mil­lio­nen Amerikaner:innen. Es lässt für die Zukunft Schlim­mes befürchten.

Einem Prä­si­den­ten, der angeb­lich unrecht­mä­ßig an der Macht ist, schul­det man kei­nen Gehor­sam. Wider­stand gegen sei­ne Anord­nun­gen ist legi­tim. Und in den USA besitzt jede:r Fünf­te eine Waf­fe.

Ein Schauspiel soll die Wahrheit ersetzen

Aber auch wenn es nicht zu bür­ger­kriegs­ähn­li­chen Zustän­den kommt, ent­steht gro­ßer Scha­den im Hin­blick auf die nächs­ten Prä­si­dent­schafts­wah­len 2024. In einem glän­zen­den Arti­kel schreibt der ame­ri­ka­ni­sche His­to­ri­ker Timo­thy Snyder:

„Mit der Ver­tei­di­gung von Trumps gro­ßer Lüge am 6. Janu­ar haben sie einen Prä­ze­denz­fall geschaf­fen: Ein repu­bli­ka­ni­scher Prä­si­dent­schafts­kan­di­dat, der eine Wahl ver­liert, soll­te trotz­dem vom Kon­gress ernannt wer­den. Repu­bli­ka­ner wer­den in der Zukunft (…) ver­mut­lich einen Plan A haben, um zu gewin­nen und zu gewin­nen, und einen Plan B, um trotz­dem zu gewin­nen, auch wenn sie ver­lo­ren haben. Es ist kein Betrug erfor­der­lich. Nur Behaup­tun­gen, dass es Vor­wür­fe des Betrugs gibt. Die Wahr­heit soll durch ein Schau­spiel ersetzt wer­den, Tat­sa­chen durch Glauben.“

Trump hat durch sys­te­ma­ti­sches und stän­di­ges Lügen von Anfang an gezielt dar­auf hin­ge­ar­bei­tet, dass Tat­sa­chen durch Glau­ben ersetzt werden. 

„Post-truth is pre-fascism“, schreibt Sny­der, „und Trump war unser Prä­si­dent nach der Wahr­heit. Wenn wir die Wahr­heit auf­ge­ben, geben wir denen mit Reich­tum und Cha­ris­ma die Macht, an ihrer Stel­le ein Spek­ta­kel zu schaf­fen. Ohne Eini­gung über eini­ge grund­le­gen­de Tat­sa­chen kön­nen die Bür­ger kei­ne Zivil­ge­sell­schaft bil­den, die es ihnen ermög­licht, sich zu verteidigen.“

Wir sollten wachsam sein

Was die Metho­de Trump in den Köp­fen vie­ler Amerikaner:innen ange­rich­tet hat, wird sein Aus­schei­den aus dem Amt über­dau­ern. Falls er nicht doch noch durch Par­la­ments­be­schluss für jedes wei­te­re Amt gesperrt wird, beginnt er am 21. Janu­ar mit einer Kam­pa­gne für sei­ne Wie­der­wahl 2024. 

Nach den Geset­zen der Auf­merk­sam­keits­öko­no­mie, die er per­fekt beherrscht, wer­den sei­ne Pro­vo­ka­tio­nen die Medi­en immer wie­der beschäf­ti­gen. Trump wird alles dar­an set­zen, dass es Prä­si­dent Biden nicht gelingt, die tie­fen Grä­ben in der ame­ri­ka­ni­schen Gesell­schaft zuzu­schüt­ten und das Land zusammenzuführen.

Der Blick in die USA soll­te uns wach­sa­mer machen gegen­über den Gefähr­dun­gen, denen sich unse­re Demo­kra­tie aus­ge­setzt sieht durch die­je­ni­gen, die Tat­sa­chen durch Mei­nun­gen erset­zen wol­len. Der Vor­wurf „Lügen­pres­se“ zielt genau auf die Insti­tu­tio­nen unse­rer Demo­kra­tie, die uns hel­fen, bei­des aus­ein­an­der zu halten.

Ich wün­sche Ihnen eine gute Woche – und blei­ben Sie gesund.

Ihr

Ruprecht Polenz


Über den Autor

Vie­le Jah­re lang war Ruprecht Polenz Mit­glied des Rats der Stadt Müns­ter, zuletzt als CDU-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der. Im Jahr 1994 ging er als Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ter nach Ber­lin. Er war unter ande­rem CDU-Gene­ral­se­kre­tär, zwi­schen 2005 und 2013 Vor­sit­zen­der des Aus­wär­ti­gen Aus­schus­ses des Bun­des­tags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mit­glied des ZDF-Fern­seh­rats, ab 2002 hat­te er den Vor­sitz. Der gebür­ti­ge Bautz­e­ner lebt seit sei­nem Jura-Stu­di­um in Müns­ter. 2020 erhielt Polenz die Aus­zeich­nung „Gol­de­ner Blogger“.