Die Kolumne von Ruprecht Polenz | Gute Gründe für ein Tempolimit

Müns­ter, 1. August 2021

Einen schö­nen Sonn­tag wün­sche ich Ihnen,

wo immer Sie jetzt sind – ob im som­mer­lich etwas lee­ren Müns­ter, irgend­wo am Strand oder in den Bergen. 

Wer mit dem Auto ver­reist, kann in der Urlaubs­zeit eine Erfah­rung machen, von der ich mir wünsch­te, dass sie bald auch zu unse­rem All­tag in Deutsch­land gehört: ein Tem­po­li­mit auf Autobahnen.

Der Ver­kehr fließt gleich­mä­ßi­ger. Nie­mand taucht wild blin­kend im Rück­spie­gel auf, damit wir unse­ren Über­hol­vor­gang abbre­chen und uns wie­der hin­ter den Lkw quet­schen, nur damit er – meist ist es ein Mann – bei Tem­po 180 oder 220 nicht abbrem­sen muss. Da hilft uns auch die Genug­tu­ung nichts, dass der Raser ein paar hun­dert Meter wei­ter dann doch auf die Brem­se muss, weil er eine län­ge­re Auto­schlan­ge auf der lin­ken Spur vor sich hat. 

Deutsch­land hat kein gene­rel­les Tem­po­li­mit auf Auto­bah­nen, gemein­sam mit Afgha­ni­stan, Bhu­tan, Burun­di, Hai­ti, Mau­re­ta­ni­en, Myan­mar, Nepal, Nord­ko­rea, Soma­lia, Vanua­tu und dem indi­schen Bun­des­staat Uttar Pra­desh. Alle ande­ren Län­der auf die­ser Welt beschrän­ken die Höchstgeschwindigkeit. 

Auf die­sen Son­der­sta­tus soll­ten wir nicht stolz sein. Denn es gibt gute Grün­de dafür, auch auf deut­schen Auto­bah­nen eine gene­rel­le Höchst­ge­schwin­dig­keit von 130 km/h einzuführen.

Weniger tödliche Unfälle, weniger Verletzte

Mit der Beschrän­kung wür­de die Ver­kehrs­si­cher­heit erhöht. Dage­gen spricht nicht das Argu­ment der Gegner:innen eines Tem­po­li­mits, wonach die Auto­bah­nen im Ver­gleich zu Bun­des- und Land­stra­ßen siche­rer sei­en (was stimmt). Denn man muss Auto­bah­nen ohne Tem­po­li­mit mit Auto­bahn­stre­cken ver­glei­chen, wo ein Tem­po­li­mit gilt.

Es gibt zwei Bei­spie­le aus Deutsch­land dafür, dass ein Tem­po­li­mit spür­ba­re Wir­kung haben kann. Das Land Bran­den­burg hat die Unfall­ent­wick­lung mit und ohne Tem­po­li­mit unter­sucht. Die vom Pots­da­mer Minis­te­ri­um für Infra­struk­tur und Raum­ord­nung 2007 ver­öf­fent­lich­te Stu­die ergab, dass dort, wo im Bun­des­land Tem­po­li­mits ein­ge­führt wur­den, die Zahl der Unfäl­le, Getö­te­ten und Ver­letz­ten deut­li­cher zurück­ging als auf den ande­ren Auto­bahn­ab­schnit­ten, wo die Unfall­zahl im Unter­su­chungs­zeit­raum auch zurück­ge­gan­gen war.

Das zwei­te Bei­spiel stammt aus Nord­rhein-West­fa­len. Auf der Auto­bahn A4 hat­te es zwi­schen den Gemein­den Els­dorf und Mer­ze­nich seit 2014 meh­re­re schwe­re Unfäl­le mit zahl­rei­chen Ver­letz­ten und ins­ge­samt neun Toten gege­ben. 2017 wur­de ein Tem­po­li­mit von 130 km/h ein­ge­führt. Die Fol­ge: kein töd­li­cher Unfall mehr, weni­ger Ver­letz­te. Rund 85 Pro­zent aller Fahrer:innen hal­ten sich an die Geschwin­dig­keits­be­schrän­kun­gen. Auf dem cir­ca zehn Kilo­me­ter lan­gen Abschnitt sank die Durch­schnitts­ge­schwin­dig­keit von mehr als 140 auf 120 km/h.

Ein wei­te­rer guter Grund für ein Tem­po­li­mit von 130 km/h: Weni­ger Geschwin­dig­keit bedeu­tet weni­ger Sprit­ver­brauch, bedeu­tet weni­ger CO2-Aus­stoß und bedeu­tet des­halb mehr Kli­ma­schutz. Es gibt unter­schied­li­che Berech­nun­gen und Schät­zun­gen dar­über, wie­viel CO2 ein­ge­spart wer­den könn­ten. Aber selbst der ADAC kommt auf der Basis von Zah­len des Umwelt­bun­des­am­tes zu einer Ein­spa­rung von 1,9 Mil­lio­nen Ton­nen bei einem Tem­po­li­mit von 130 km/h. Das ent­spricht etwa dem gesam­ten CO2-Aus­stoß aller Ein­woh­nen­den von Gel­sen­kir­chen und ent­sprä­che laut ADAC „knapp zwei Pro­zent der CO2-Emmis­sio­nen des PKW-Verkehrs“.

Tempo 200 spielt keine Rolle mehr 

Weil jede ein­zel­ne ein­ge­spar­te Ton­ne CO2-Aus­stoß zählt, wenn das 1,5-Grad-Ziel noch erreicht wer­den soll, bräuch­te es schon sehr gute Argu­men­te, wes­halb auf die­se schnell wirk­sa­me und kos­ten­güns­ti­ge Redu­zie­rung ver­zich­tet wer­den sollte.

Frü­her hieß es immer, die deut­schen Autos sei­en tech­nisch unter ande­rem des­halb so gut, weil Fahr­werk und Brem­sen für hohe Geschwin­dig­kei­ten ent­wi­ckelt wür­den. Eine so schlech­te Stra­ßen­la­ge wie bei ame­ri­ka­ni­schen Autos kön­ne man sich auf deut­schen Auto­bah­nen nicht leis­ten. Es sei dahin­ge­stellt, ob die­ses Argu­ment jemals zutref­fend war. Die Markt­an­tei­le und die Qua­li­tät japa­ni­scher oder fran­zö­si­scher Autos, die in Län­dern mit Tem­po­li­mit ent­wi­ckelt wur­den, lässt dar­an zweifeln.

In jedem Fall kommt es heu­te auf ganz ande­re Fak­to­ren an, wenn wir über die Wett­be­werbs­fä­hig­keit der deut­schen Auto­mo­bil­in­dus­trie spre­chen: Wer hat den bes­ten Elek­tro­an­trieb? Wer ent­wi­ckelt ande­re Alter­na­ti­ven für CO2-frei­es Fah­ren? Wer nutzt die Mög­lich­kei­ten der Digi­ta­li­sie­rung am bes­ten (zum Bei­spiel auto­no­mes Fah­ren)? Ob man theo­re­tisch 200 km/h fah­ren kann, spielt für künf­ti­ge Kauf­ent­schei­dun­gen eher kei­ne Rolle.

Und da ist dann noch die Sache mit der Frei­heit. „Ver­bo­te soll­ten nur da aus­ge­spro­chen wer­den, wo sie auch tat­säch­lich gebraucht wer­den“, sagt FDP-Chef Chris­ti­an Lind­ner. Und Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­ter Andre­as Scheu­er (CSU) meint: „Wir haben weit her­aus­ra­gen­de­re Auf­ga­ben, als die­ses hoch­emo­tio­na­le The­ma wie­der und immer wie­der ins Schau­fens­ter zu stel­len – für das es gar kei­ne Mehr­hei­ten gibt.“

Mit den feh­len­den Mehr­hei­ten kann er frei­lich nur das Par­la­ment mei­nen. Denn in der Bevöl­ke­rung gibt es nach reprä­sen­ta­ti­ven Mei­nungs­um­fra­gen eine kla­re Mehr­heit für ein Tem­po­li­mit auf Autobahnen.

Das mit dem Tempo könnten wir ändern

„Freie Fahrt für freie Bür­ger“ hat­te der ADAC frü­her gegen ein Tem­po­li­mit gewet­tert. Heu­te hört man sol­che Töne nicht mehr. Denn selbst 50 Pro­zent der ADAC-Mit­glie­der sind inzwi­schen für ein gene­rel­les Tem­po­li­mit auf Auto­bah­nen, 45 Pro­zent leh­nen es ab.

In der Gesamt­be­völ­ke­rung sind die Mehr­hei­ten für ein Tem­po­li­mit ein­deu­tig. Nach einer neu­en reprä­sen­ta­ti­ven Stu­die sind ins­ge­samt 64 Pro­zent der Befrag­ten „auf jeden Fall“ oder „eher“ der Ansicht, dass eine Geschwin­dig­keits­be­gren­zung kom­men soll­te. „Eher nein“ oder „auf kei­nen Fall“ sag­ten 36 Pro­zent der Befragten.

Es gibt noch ein ande­res Land, in dem, um mit Scheu­er zu spre­chen, „ein hoch­emo­tio­na­les The­ma immer wie­der ins Schau­fens­ter gestellt wird“, ohne es zu lösen. Ich spre­che von den USA und ihren Waf­fen­ge­set­zen. Es gibt Mehr­hei­ten in der Bevöl­ke­rung, die sie gern ver­schär­fen wür­den. Im Par­la­ment hat sich noch kei­ne Mehr­heit dafür gefunden.

Man könn­te sagen, was für die USA das Recht zum Waf­fen­be­sitz ist, ist für Deutsch­land das Recht zum unbe­grenz­ten Schnellst­fah­ren auf Auto­bah­nen. Ver­nünf­tig ist bei­des nicht. Das mit dem Tem­po auf deut­schen Auto­bah­nen könn­ten und soll­ten wir ändern.

Ihnen einen schö­nen Som­mer und, falls Sie ver­rei­sen, eine gute und gesun­de Rück­kehr in Münsterland.

Herz­lich
Ihr Ruprecht Polenz


Über den Autor

Vie­le Jah­re lang war Ruprecht Polenz Mit­glied des Rats der Stadt Müns­ter, zuletzt als CDU-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der. Im Jahr 1994 ging er als Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ter nach Ber­lin. Er war unter ande­rem CDU-Gene­ral­se­kre­tär, zwi­schen 2005 und 2013 Vor­sit­zen­der des Aus­wär­ti­gen Aus­schus­ses des Bun­des­tags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mit­glied des ZDF-Fern­seh­rats, ab 2002 hat­te er den Vor­sitz. Der gebür­ti­ge Bautz­e­ner lebt seit sei­nem Jura-Stu­di­um in Müns­ter. 2020 erhielt Polenz die Aus­zeich­nung „Gol­de­ner Blogger“.

Die Kolumne

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