Die Kolumne von Carla Reemtsma | Meint die SPD es ernst?

Müns­ter, 9. Mai 2021

Lie­be Leser:innen,

ver­gan­ge­ne Woche hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt mit sei­nem Urteil zum Kli­ma­ge­setz der Bun­des­re­gie­rung zumin­dest rechts­wis­sen­schaft­li­che Geschich­te geschrie­ben – wenn man den Karls­ru­her Korrespondent:innen Glau­ben schenkt.

Die Richter:innen urteil­ten, dass das Kli­ma­schutz­ge­setz der Bun­des­re­gie­rung in Tei­len ver­fas­sungs­wid­rig ist, da es nicht aus­reicht. Die vor­ge­se­he­nen Reduk­ti­ons­zie­le wür­den die not­wen­di­gen Kli­ma­schutz­maß­nah­men auf zukünf­ti­ge Gene­ra­tio­nen aus­la­gern und dort unver­hält­nis­mä­ßi­ge Ein­schrän­kun­gen not­wen­dig machen. Kli­ma­schutz als ver­fas­sungs­recht­lich ver­an­ker­tes Recht, die zukünf­ti­gen Gene­ra­tio­nen gleich­be­rech­tigt neben den heu­ti­gen: eine nie dage­we­se­ne Rechtsprechung.

Noch span­nen­der als das Urteil selbst waren die Reak­tio­nen von Politiker:innen und Par­tei­en, die sich im poli­ti­schen Ber­lin gera­de­zu überschlugen.

Wäh­rend Wirt­schafts­mi­nis­ter Peter Alt­mai­er – sei­nes Zei­chens einer der Chef­ver­hand­ler des Kli­ma­schutz­ge­set­zes – das Urteil als „groß“, „bedeu­tend“ und „epo­chal“ bezeich­ne­te, bezich­tig­te ihn der eben­falls an der Aus­hand­lung betei­lig­te Finanz­mi­nis­ter Olaf Scholz der Blo­cka­de­hal­tung. Der SPD-Par­tei­vor­stand ging sogar so weit, das Urteil statt als „Ohr­fei­ge für die Regie­rung“ als „Signal in Rich­tung Uni­on“ zu bezeich­nen – wohl­ge­merkt das Urteil, das ein Gesetz der Gro­ßen Koali­ti­on in Ber­lin als ver­fas­sungs­wid­rig ein­stuf­te. Kur­ze Zeit spä­ter sind sich zumin­dest alle einig, Vor­schlä­ge für ein Kli­ma­schutz­ge­setz samt erhöh­tem Kli­ma­ziel für 2030 noch in den kom­men­den Tagen vor­le­gen zu wollen.

Urteil macht deutlich: Es ist zu wenig passiert

Mit­ten­drin in die­sen Debat­ten steckt die gebür­ti­ge Düs­sel­dor­fe­rin und Wahl­müns­te­ra­ne­rin Sven­ja Schul­ze, als Umwelt­mi­nis­te­rin haupt­ver­ant­wort­lich für die Kli­ma­po­li­tik von SPD und Uni­on – und damit wohl das Poli­tik­feld, in wel­chem die Gro­ße Koali­ti­on in der ver­gan­ge­nen Legis­la­tur­pe­ri­ode am meis­ten ver­sagt hat. Das Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts bestä­tigt die Not­wen­dig­keit kon­se­quen­ter Kli­ma­po­li­tik noch ein­mal und macht damit auch deut­lich, dass in den ver­gan­ge­nen Jah­ren zu wenig pas­siert ist.

Sechs Jah­re nach der Ver­ab­schie­dung des Pari­ser Kli­ma­ab­kom­mens hat die Bun­des­re­gie­rung weder 1,5-Grad-konforme Kli­ma­zie­le ver­ab­schie­det, noch Maß­nah­men zur kon­se­quen­ten Emis­si­ons­re­duk­ti­on umge­setzt. Dabei wäre die sich dem Ende zunei­gen­de Legis­la­tur­pe­ri­ode eine vol­ler Mög­lich- und Mach­bar­kei­ten gewe­sen: Ein gestie­ge­ner gesell­schaft­li­cher Rück­halt für Kli­ma­schutz, ers­te Fort­schrit­te auf der inter­na­tio­na­len Ebe­ne, tech­no­lo­gi­sche Durch­brü­che und ver­gleichs­wei­se ambi­tio­nier­te EU-Kli­ma­po­li­tik hät­ten den Raum für eine ernst­ge­mein­te 1,5-Grad-Politik gebildet.

Statt­des­sen ent­schied sich die Gro­Ko, allen vor­an Sven­ja Schul­ze, für ein Wei­ter-So statt des drin­gend not­wen­di­gen Sys­tem­wech­sels, den es gebraucht hät­te, um die Emis­sio­nen in spä­tes­tens 15 Jah­ren auf null zu sen­ken. Das soge­nann­te „Kli­ma­pa­ket“ – das am Anfang bespro­che­ne Kli­ma­schutz­ge­setz – blieb hin­sicht­lich der rele­van­ten Kenn­grö­ße der Emis­si­ons­re­duk­ti­on weit­ge­hend fol­gen­los. Der CO2-Preis von erst 10 Euro, jetzt 25 Euro/Tonne CO2, setzt kaum einen rele­van­ten Anreiz, um auf kli­ma­freund­li­che­re Pro­duk­ti­ons­mög­lich­kei­ten umzu­stei­gen, wäh­rend das Öl-Hei­zungs­ver­bot zwar eine not­wen­di­ge, aber unzu­rei­chen­de Maß­nah­me bleibt.

Kein Grund, sich selbst zu verzwergen

Im Janu­ar 2020 folg­te mit dem Koh­le­ge­setz eine kli­ma­po­li­ti­sche Bank­rott­erklä­rung der Bun­des­re­gie­rung, die jeg­li­che Ambi­ti­on zur Ein­hal­tung des 1,5-Grad-Limits mis­sen ließ und statt­des­sen fos­si­len Groß­kon­zer­nen mit Mil­li­ar­den­sum­men noch Anrei­ze für die Ver­bren­nung von Braun­koh­le über das unbe­dingt Not­wen­di­ge hin­aus bot.

Die Zustim­mung zur Agrar­re­form, die offi­zi­ell Julia Klöck­ners Land­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um feder­füh­rend zu ver­ant­wor­ten hat, ist da nur ein wei­te­rer Punkt in einer Rei­he von kli­ma­po­li­ti­schen Kom­pro­mis­sen, mit denen die Umwelt­mi­nis­te­rin die Bekämp­fung der Kli­ma­kri­se erschwert.

Die Ver­zwer­gung des Umwelt­mi­nis­te­ri­ums – in den ver­gan­ge­nen Jah­ren sind immer mehr rele­van­te Abtei­lun­gen wie etwa Ener­gie in ande­re Minis­te­ri­en ver­scho­ben wor­den – mag ein Ent­schul­di­gungs­grund sein. Ein Grund, sich mit der Beja­hung kata­stro­pha­ler Geset­ze selbst zu ver­zwer­gen und jeg­li­che Durch­set­zungs­kraft gegen­über kli­ma­po­li­ti­schen Blockierer:innen zu ver­lie­ren, ist es nicht.

An die­sem Wochen­en­de beschließt die SPD auf ihrem digi­ta­len Par­tei­tag ihr Wahl­pro­gramm. Eine Initia­ti­ve möch­te unter dem Mot­to „Klima.Gerecht“ unter ande­rem dafür kämp­fen, dass die For­de­rung nach Kli­ma­neu­tra­li­tät 2040 sowie wei­te­re Maß­nah­men dort auf­ge­nom­men werden.

Am Mitt­woch leg­te Sven­ja Schul­ze mit SPD-Kanz­ler­kan­di­dat Olaf Scholz das Ziel 2045 als Geset­zes­in­itia­ti­ve vor – gan­ze zehn Jah­re nach dem Datum, das für die Ein­hal­tung der 1,5-Grad-Grenze nötig ist. Zwar machen die fer­nen Zah­len häu­fig den Ein­druck, wir hät­ten noch reich­lich Zeit; sie bestim­men aber mit, wel­che Sofort­maß­nah­men wir umset­zen müssen.

Versteherin der Klimabewegten

Meint die SPD es ernst mit der Ansa­ge, dass ihr Wahl­pro­gramm ein „Zukunfts­pro­gramm“ wer­den soll, dann ist die­se Neu­auf­stel­lung im Bereich der Kli­ma­po­li­tik drin­gend not­wen­dig. Statt der Uni­on man­geln­de kli­ma­po­li­ti­sche Ambi­ti­on vor­zu­wer­fen, bedarf es erst einer inhalt­li­chen Neu­auf­stel­lung inner­halb der eige­nen Par­tei, die Kli­ma­schutz und sozia­le Gerech­tig­keit ver­eint, anstatt sie gegen­ein­an­der aus­zu­spie­len, ohne dabei die bei der Emis­si­ons­re­duk­ti­on gebo­te­ne Dring­lich­keit zu vergessen.

Wäh­rend­des­sen begin­nen in Müns­ter schon die Wahl­kampf­vor­be­rei­tun­gen: Wie zu erwar­ten wird Sven­ja Schul­ze, die als SPD-Direkt­kan­di­da­tin im Wahl­kreis Müns­ter antritt, sich als Ver­ste­he­rin der Kli­ma­be­weg­ten und Ver­söh­ne­rin zwi­schen den Unver­stän­di­gen prä­sen­tie­ren. Ob das in einer Stadt wie Müns­ter, die gera­de erst ihre kli­ma­po­li­ti­schen Zie­le erhöht hat und vol­ler auf­ge­weck­ter, jun­ger Leu­te steckt, eine erfolgs­ver­spre­chen­de Stra­te­gie sein kann, bleibt abzuwarten.

Ich wün­sche Ihnen einen schö­nen Sonn­tag
Ihre Car­la Reemtsma


Über die Autorin

Im Janu­ar 2019 hat Car­la Reemts­ma den ers­ten Kli­ma­streik in Müns­ter orga­ni­siert. Es war eine klei­ne Kund­ge­bung im Nie­sel­re­geln vor dem his­to­ri­schen Rat­haus am Prin­zi­pal­markt. Weni­ge Wochen spä­ter sprach das gan­ze Land über die Kli­ma-Pro­tes­te der „Fri­days For Future“-Bewegung. Der Rat der Stadt Müns­ter beschloss das Ziel Kli­ma­neu­tra­li­tät 2030. Inzwi­schen ist Car­la Reemts­ma eine der bekann­tes­ten deut­schen Kli­ma­ak­ti­vis­tin­nen. Gebo­ren wur­de sie in Berlin.