Die Kolumne von Carla Reemtsma | Schönwetterpolitik

Müns­ter, 18. Juli 2021

Lie­be Leser:innen,

ich hof­fe, Sie lesen die­se Kolum­ne mit tro­cke­nen Füßen, ohne Was­ser im Kel­ler und mit Ihren Liebs­ten in der Nähe. Das Tief Bernd, das mit sei­nem Stark­re­gen in der ver­gan­ge­nen Woche Flüs­se über die Ufer tre­ten ließ, Stra­ßen und Kel­ler flu­te­te, Erd­rut­sche aus­lös­te, Häu­ser und Super­markt­dä­cher zum Ein­stür­zen brach­te und U-Bahn­hö­fe unter Was­ser setz­te, war in Tei­len Nord­rhein-West­fa­lens so hef­tig, dass man unter ande­rem in der Vul­kan­ei­fel den Kata­stro­phen­fall aus­rief. Nur weni­ge Tage zuvor war das wegen eines Unwet­ters mit hef­ti­gen Regen­fäl­len bereits im Land­kreis Hof in Bay­ern gesche­hen. Feu­er­wehr und Ret­tungs­kräf­te konn­ten die ein­ge­hen­den Anru­fe – ähn­lich wie in NRW – teil­wei­se nicht mehr ent­ge­gen­neh­men. Bei einem Ein­satz im Sau­er­land star­ben zwei Feu­er­wehr­män­ner, meh­re­re Dut­zend Per­so­nen ertran­ken, Hun­der­te wei­te­re wer­den aktu­ell noch vermisst.

Die­se Unwet­ter wüten in wei­ten Tei­len Deutsch­lands nur für kur­ze Zeit, nach­dem der Som­mer im Juni mit über 36 Grad neue Hit­ze­re­kor­de auf­ge­stellt hat. Eine Hit­ze­wel­le, die für Ern­te­ein­bu­ßen in der Land­wirt­schaft, auf­ge­platz­te Auto­bah­nen in Sach­sen, geschmol­ze­ne Stra­ßen­bahn­bet­ten in Bonn und einen Anstieg der Krank­heits- und Todes­fäl­le, ins­be­son­de­re bei Senior:innen, sorgt. Eine Hit­ze­wel­le, die aller­dings weit hin­ter dem zurück­bleibt, was die Bürger:innen der West­küs­te der USA und Kana­das erleben.

Mit über 54 Grad ver­zeich­ne­te das Death Val­ley erst vor weni­gen Tagen die höchs­te jemals gemes­se­ne Tem­pe­ra­tur der Erde. In Kali­for­ni­en ist das Was­ser knapp, was wie­der­um die Ver­sor­gung mit Strom und Lebens­mit­teln gefähr­det. Die Zer­stö­rung von Strom­tras­sen durch Wald­brän­de ver­schärft die ange­spann­te Lage in den Strom­net­zen noch wei­ter, sodass ein Netz­be­trei­ber die Bürger:innen zum Strom­spa­ren auffordert.

Es ist offensichtlich: Die Klimakrise ist Realität

Die Lösch­ar­bei­ten der Wald­brän­de schrei­ten nur lang­sam vor­an, da Tei­le des Lösch­was­sers auf­grund der Hit­ze ver­duns­ten, bevor es den Boden erreicht und die Brän­de ein­däm­men kann. Noch mal: Das Was­ser der Lösch­flug­zeu­ge erreicht die Bäu­me häu­fig gar nicht erst, weil die Luft zu heiß ist. Dass in Skan­di­na­vi­en mit über 30 Grad neue Tem­pe­ra­tur­re­kor­de auf­ge­stellt wur­den und im Nahen Osten eine Hit­ze­wel­le mit Tem­pe­ra­tu­ren von über 50 Grad im Irak für mas­si­ve Strom­aus­fäl­le sorg­te, erscheint dane­ben wie eine Randmeldung.

Ein Früh­som­mer vol­ler Hit­ze und Unwet­ter folgt auf einen Win­ter, der zwar im Mit­tel nicht außer­or­dent­lich kalt war, aber des­sen Käl­te- und Schnee­ein­bruch im Febru­ar Ver­kehrs­chaos im Bahn­ver­kehr und auf den Auto­bah­nen ver­ur­sach­te und meh­re­re Men­schen­le­ben kos­te­te. Auch hier waren die Bürger:innen auf der ande­ren Sei­te des Atlan­tiks weit­aus stär­ker betrof­fen; der Käl­te­ein­bruch sorg­te in Texas für mas­si­ve Zusam­men­brü­che in der Strom- und Was­ser­ver­sor­gung, auf­grund aus­ge­fal­le­ner Hei­zun­gen muss­ten Tau­sen­de tage­lang in Not­un­ter­künf­ten unter­ge­bracht werden.

Es ist offen­sicht­lich: Die Fol­gen der Kli­ma­kri­se sind längst Rea­li­tät. Und unse­re Gesell­schaft, unse­re Infra­struk­tur ist dar­auf nicht vorbereitet.

Ein­zel­ne Wet­ter­ereig­nis­se las­sen sich nur sel­ten als Beleg für die Kli­ma­kri­se nut­zen. Tem­pe­ra­tu­ren schwan­ken immer um Monats- oder Jah­res­mit­tel­wer­te; ein Som­mer ist hei­ßer, ein ande­rer durch­wach­se­ner: so weit, so nor­mal. Die Kli­ma­kri­se lässt aber nicht nur Durch­schnitts­tem­pe­ra­tu­ren stei­gen. Ihre Fol­gen sind so kom­plex wie das Kli­ma­sys­tem selbst.

Klar ist aber: Durch die Kli­ma­er­hit­zung wer­den Extrem­wet­ter­er­eig­nis­se häu­fi­ger, hef­ti­ger und her­aus­for­dern­der. Wissenschaftler:innen haben berech­net, dass der Tem­pe­ra­tur­re­kord von über 54 Grad im Death Val­ley ohne die Kli­ma­kri­se nicht mög­lich gewe­sen wäre. Auch die aktu­el­len Hoch­was­ser­ex­tre­me im Wes­ten Deutsch­lands wer­den von den füh­ren­den Expert:innen in einen kla­ren Zusam­men­hang mit ihr gebracht.

Infrastrukturen geraten an ihre Grenzen

Die Erhit­zung des Welt­kli­ma­sys­tems sorgt unter ande­rem dafür, dass der Jet­stream sich anders bewegt, wodurch Wet­ter­la­gen län­ger an einem Ort blei­ben, was wie­der­um die zer­stö­re­ri­sche Kraft von Extrem­wet­tern stei­gert. Wär­me­re Luft kann zudem mehr Feuch­tig­keit auf­neh­men – das begüns­tigt in der Fol­ge die Ent­ste­hung von Unwet­tern und Stark­re­gen­fäl­len. Gleich­zei­tig nimmt die Häu­fig­keit von Extrem­wet­tern wie Stark­re­gen, Käl­te­ein­brü­chen und Hit­ze­wel­len durch die Kli­ma­kri­se zu.

Die­se hef­ti­ger aus­fal­len­den, häu­fi­ger auf­tre­ten­den Extrem­wet­ter stel­len unse­re Gesell­schaft vor mas­si­ve Her­aus­for­de­run­gen. Schon jetzt, bei einer Erhit­zung von 1,2 Grad, gera­ten die Infra­struk­tu­ren unse­rer Gesell­schaft teil­wei­se an ihre Gren­zen: Stra­ßen­bah­nen müs­sen auf­grund geschmol­ze­nen Asphalts ihren Betrieb ein­stel­len, in Gemein­den wird Trink­was­ser ratio­niert, Landwirt:innen grei­fen nach mas­si­ven Ern­te­aus­fäl­len auf ande­re, robus­te­re Arten zurück, Pfle­ge­kräf­te behan­deln Hun­der­te hit­ze­be­ding­te Kreislaufzusammenbrüche.

Weder unse­re Städ­te sind auf sol­che Hit­ze­wel­len und Unwet­ter aus­ge­legt, noch sind es unse­re länd­li­chen Regio­nen oder die Indus­trie. Bis vor weni­gen Jah­ren waren die ICEs der Deut­schen Bahn mit Kli­ma­an­la­gen aus­ge­stat­tet, die nur bis zu einer Außen­tem­pe­ra­tur von 32 Grad funk­ti­ons­tüch­tig waren. Jetzt ver­folgt die Deut­sche Bahn ein Kli­ma­an­pas­sungs­pro­gramm, denn die Hit­ze zer­stört zudem auch regel­mä­ßig Bahntrassen.

Die Fol­gen der Kli­ma­kri­se tref­fen Deutsch­land – trotz einer regio­na­len Erhit­zung von bereits 1,6 Grad – weni­ger stark als Regio­nen im Glo­ba­len Süden und in Küs­ten­nä­he. Dort ist die aktu­el­le Erhit­zung, so beschreibt es die ugan­di­sche Akti­vis­tin Vanes­sa Naka­te, „bereits jetzt die Hölle“.

Wäh­rend­des­sen lei­den Hun­dert­tau­sen­de auf Mada­gas­kar auf­grund einer his­to­ri­schen Dür­re Hun­ger und in eini­gen indi­schen Bun­des­staa­ten wird das Was­ser knapp. Als Indus­trie­na­ti­on, die his­to­risch etwa dop­pelt so viel Emis­sio­nen ver­ur­sacht hat wie alle heu­ti­gen 54 Staa­ten auf dem afri­ka­ni­schen Kon­ti­nent zusam­men, deren Wohl­stand viel­fach auf der Aus­beu­tung von Res­sour­cen aus genau die­sen Län­dern auf­baut und die auch heu­te einen extrem hohen Emis­si­ons­aus­stoß hat, trägt ein Land wie Deutsch­land eine mas­si­ve Ver­ant­wor­tung bei der Ein­däm­mung der Klimakrise.

Das könn­te so ein­fach sein. Kaum ein Phä­no­men ist so gut erforscht wie die Kli­ma­kri­se. Der Kon­sens über ihre Ent­ste­hung ist unter Wissenschaftler:innen unbe­strit­ten. Wir wis­sen sehr genau, wel­che Fol­gen die Kli­ma­kri­se für uns bedeu­tet, aber noch viel wich­ti­ger: Wir wis­sen, wel­che Ursa­che dafür ver­ant­wort­lich ist.

Politik erkennt die Realität nicht an

Es ist das bei der Ver­bren­nung von Koh­le, Öl und Gas ent­ste­hen­de CO2 sowie das vor allem in der Agrar­in­dus­trie ent­ste­hen­de Methan. Die­se soge­nann­ten Treib­haus­ga­se lösen den Treib­haus­ef­fekt – also die Erhit­zung der Erde – aus. Um die Kli­ma­kri­se ein­zu­däm­men muss also Schluss sein mit Treib­haus­ga­sen, mit Ener­gie aus Koh­le, Öl und Gas, mit Massentierhaltung.

Die­se Erkennt­nis ist nicht neu. Seit Jahr­zehn­ten wird auf inter­na­tio­na­len Gip­fel­tref­fen, bei Kli­ma­kon­fe­ren­zen und in Dekla­ra­tio­nen die Wich­tig­keit der Ein­däm­mung der Kli­ma­kri­se betont und sich zu ambi­tio­nier­ter Poli­tik bekannt. Was aller­dings fehlt, ist eine Aner­ken­nung des­sen, was das rea­lis­tisch bedeu­tet. Denn Kli­ma­ge­rech­tig­keit und der rasche Aus­stieg aus Koh­le, Öl und Gas bedeu­ten nicht weni­ger als einen fun­da­men­ta­len Sys­tem­wech­sel weg von einer Wirt­schaft, die sich über Wachs­tum und Pro­fi­te defi­niert, und die ihre Grund­la­ge in der Aus­beu­tung natür­li­cher Res­sour­cen hat.

Aber die­se Rea­li­tät erken­nen Politiker:innen vie­ler­orts nicht an. Statt ihre eige­nen blu­mi­gen Reden zum Kli­ma­schutz ernst zu neh­men, steck­ten sie allei­ne im Rah­men der Kon­junk­tur­pro­gram­me wäh­rend der Coro­na-Pan­de­mie Hun­der­te Mil­li­ar­den Dol­lar in Koh­le, Öl und Gas. Die­se Poli­tik ist kein Sys­tem­wech­sel, es ist Schönwetterpolitik.

Dass wir uns in Zei­ten fos­si­ler Zer­stö­rung kei­ne Schön­wet­ter­po­li­tik mehr leis­ten kön­nen, hat spä­tes­tens der bren­nen­de Oze­an im Golf von Mexi­ko auch für all jene offen­sicht­lich gemacht, die sich sonst nicht mit Kli­ma­wis­sen­schaft aus­ein­an­der­set­zen. Den lee­ren Wor­ten ein Ende zu set­zen, ist unab­ding­lich, um die Ein­hal­tung der 1,5-Grad-Grenze zu ermög­li­chen und die Dekar­bo­ni­sie­rung unse­rer Gesell­schaft und Wirt­schaft vor­an­zu­trei­ben. Die­ser Wech­sel wird aller­dings nicht Hand in Hand mit den­je­ni­gen gelin­gen, die vom Sta­tus Quo pro­fi­tie­ren, deren Geschäfts­mo­dell auf eben jener Kli­ma­zer­stö­rung basiert, die es zu bekämp­fen gilt.

Wir müs­sen uns von der Vor­stel­lung tren­nen, dass wir das Not­wen­di­ge gemein­sam mit Ölmul­tis, Koh­le­gi­gan­ten, Agro­busi­ness und Auto­kon­zer­nen errei­chen wer­den. All die­se Berei­che wer­den in einer kli­ma­ge­rech­ten Zukunft ent­we­der nicht mehr oder nur in ganz begrenz­ter Form exis­tie­ren kön­nen, weni­ger Res­sour­cen ver­brau­chen und demo­kra­ti­scher orga­ni­siert sein. Das eige­ne Geschäfts­mo­dell zunich­te­ma­chen? Das wird kein Kon­zern der Welt tun, egal wie vie­le Kli­ma­schutz­pla­ka­te er pla­ka­tiert und wel­che ambi­tio­nier­ten Zie­le er verkündet.

Verbote sind kein Angriff

Das mag viel­leicht radi­kal, zu extrem wir­ken, Kritiker:innen sagen, Klimaaktivist:innen wür­den die Frei­heit ein­schrän­ken wol­len. Dabei ist spä­tes­tens seit dem Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­rich­tes klar: Kli­ma­schutz ist eine zen­tra­le Säu­le, um Frei­heits­rech­te auch in zukünf­ti­gen Jah­ren zu erhal­ten. Denn es wer­den die Fol­gen unzu­rei­chen­den Kli­ma­schut­zes sein, die mit Über­flu­tun­gen, Hit­ze­wel­len und Was­ser­knapp­heit die Lebens­grund­la­gen, Eigen­tum, Gesund­heit und die Frei­heits­rech­te zukünf­ti­ger Gene­ra­tio­nen mas­siv einschränken.

Ver­bo­te für Kli­ma­zer­stö­rung sind kein Angriff auf bür­ger­li­che Frei­heits­rech­te, sie sind Grund­la­ge einer zukunfts­fä­hi­gen Demo­kra­tie. Weni­ger Nar­ren­frei­heit für fos­si­le Kon­zer­ne bedeu­ten gleich­zei­tig auch mehr Frei­heit für Bür­ge­rin­nen und Bürger.

Noch ist es nicht zu spät, dies anzu­er­ken­nen. Noch sind wir erst bei einer Kli­ma­er­hit­zung von 1,2 Grad, die wir auf die kri­ti­schen 1,5 Grad begren­zen kön­nen, wenn wir alles Men­schen­mög­li­che tun. Dafür müs­sen wir aber rea­lis­tisch sein und aner­ken­nen, dass die dafür not­wen­di­gen Maß­nah­men den Verursacher:innen nicht gefal­len wer­den. Aber nur wenn wir dies aner­ken­nen und ein­se­hen, dass es in einer kli­ma­ge­rech­ten Zukunft kei­nen Platz für gigan­ti­sche fos­si­le Ener­gie­kon­zer­ne gibt, kön­nen wir die Ein­däm­mung der Kli­ma­kri­se auf 1,5 Grad noch schaffen.

Die Ereig­nis­se der ver­gan­ge­nen Tage und Mona­te soll­ten aller­dings Anlass genug bie­ten, die­se Schrit­te zu gehen, um die Emis­sio­nen schnell und wirk­sam zu sen­ken. Nur so ver­hin­dern wir, dass wir in Zukunft nicht noch viel häu­fi­ger mit den aktu­el­len Wet­ter­ex­tre­men kon­fron­tiert werden.

Ich wün­sche Ihnen einen schö­nen und vor allem tro­cke­nen Sonn­tag.
Ihre Car­la Reemtsma


Über die Autorin

Im Janu­ar 2019 hat Car­la Reemts­ma den ers­ten Kli­ma­streik in Müns­ter orga­ni­siert. Es war eine klei­ne Kund­ge­bung im Nie­sel­re­geln vor dem his­to­ri­schen Rat­haus am Prin­zi­pal­markt. Weni­ge Wochen spä­ter sprach das gan­ze Land über die Kli­ma-Pro­tes­te der „Fri­days For Future“-Bewegung. Der Rat der Stadt Müns­ter beschloss das Ziel Kli­ma­neu­tra­li­tät 2030. Inzwi­schen ist Car­la Reemts­ma eine der bekann­tes­ten deut­schen Kli­ma­ak­ti­vis­tin­nen. Gebo­ren wur­de sie in Berlin.

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