Die Kolumne von Carla Reemtsma | Habecks verpasste Chance


Münster, 16. Januar 2022
Guten Tag,
Anfang der Woche hat der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ein Klimaschutz-Sofortprogramm für die Bereiche Energie und Wirtschaft verabschiedet. Ein beschleunigter Ausbau erneuerbarer Energien, mehr energetische Gebäudesanierungen, eine Wasserstoffstrategie und mehr sollen sicherstellen, dass die Emissionen ausreichend gesenkt werden, um das Klimaziel der Vorgängerregierung einzuhalten.
Robert Habeck ist mit seinem Emissionssenkungseifer nicht alleine: Auch in Münster hat der Rat jüngst Sofortmaßnahmen für mehr Klimaschutz verabschiedet, darunter die Umstellung der Ampeln auf LED-Technik und die Anschaffung zweier mit Wasserstoff betriebener Müllwagen. Auch Unternehmen und Verbände übertreffen sich regelmäßig mit wohlklingenden Ankündigungen.
Schaut man auf die vergangenen Wochen zurück, dann sind sie allerdings nicht nur von einem Mehr an Klimaschutz geprägt, sondern vor allem von einem Mehr an Hiobsbotschaften: Die Jahre 2015 bis 2021 waren die heißesten seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Die Ozeane sind wärmer denn je zuvor. Das antarktische Schelfeis des Thwaites-Gletschers steht kurz vor dem Kollaps. Und mittendrin steht der deutsche Bundeswirtschafts- und Klimaminister und beginnt seine Rede zur Vorstellung seines Klimasofortprogramms mit einem „Blick in den Rückspiegel“.
Habecks Strategie geht auf
Mit dieser – für einige Radfahrer:innen in Münster sicherlich nicht besonders naheliegenden – Metapher wollte er sich aus der Verantwortung entlassen, dass er erst wenige Tage zuvor verkünden musste, dass Deutschland seine eigenen Klimaziele für 2021, 2022 und wahrscheinlich auch 2023 nicht einhalten werden würde. Und die Strategie ging auf: Der Aufschrei rund um diese doch eigentlich empörende Ankündigung blieb erstaunlich gering.
Die Situation mag paradox erscheinen: Die Öko-Partei schlechthin in der Regierung, ein grüner Wirtschaftsminister mit neu angegliederten Klimakompetenzen, Klimaschutzprogramme wohin das Auge blickt – die politische Antwort auf die Klimakrise scheint sich überall ihren Raum zu nehmen. Gleichzeitig nimmt sich die Klimakrise in einer ungeahnten Heftigkeit und dabei fast unbemerkt einen umso größeren Raum.
Habecks Strategie geht perfekt auf. Er wird Ende 2022 und auch Ende 2023 nochmal verkünden, dass Deutschland seine Reduktionsziele nicht einhalten wird, aber es wird kaum ein Skandal sein. War ja sowieso längst klar. Es sind nicht mehr nur die Klimabewegten, die schon längst nicht mehr an die von Regierung und Unternehmen bekundeten Anstrengungen glauben. Die sich häufenden Meldungen verfehlter Ziele, nicht eingehaltener Pläne und boykottierter Maßnahmen haben auch das kollektives Gefühl geschaffen, dass das alles nicht machbar ist.
Dabei sollte längst klar sein, dass das ungebremste Fortschreiten der Klimakrise nicht machbar ist. Die machbaren Pläne zur Eindämmung der Krise, für die Dekarbonisierung unserer von Kohle, Öl und Gas angetriebenen Gesellschaft liegen auf dem Tisch. Sie sind herausfordernd und verändern vieles, offensichtlich. Anders als die immer weitergehende Eskalation der Klimakrise sind die mit ihr einhergehenden Brüche allerdings planbar, sodass eine Gesellschaft sich darauf einstellen und einen Umgang mit ihnen finden kann. Bei Klimaschäden ist das ganz und gar nicht so, das hat nicht zuletzt die Flutkatastrophe im Ahrtal mit unbarmherziger Härte gezeigt.
Dimension der Krise geht verloren
Dass als Reaktion auf die Klimakrise, die immer offensichtlicheren Folgen und das gesellschaftliche Verlangen nach immer mehr Klimaschutz ein großes Maßnahmen-Klein-Klein verabschiedet wird, ist ein naheliegender Mechanismus. In unserem von Zahlen, Daten, Studien geprägten Klimadiskurs müssen Maßnahmen eine ähnliche Präzision und Wasserfestigkeit vorweisen, wie die Berechnungen zur Erhitzung des Golfstroms und die App-getrackten Makronährstoffe der Mensa-Mahlzeiten.
In den bürokratischen Orten der Regelsetzung und -durchführung der Berliner und Bonner Büros ist das auch eine wichtige Aufgabe. Dabei geht zwischen Faxgeräten und Drittversion allerdings allzu schnell die Dimension der Klimakrise verloren. Das Maßnahmenpaket aus Wirtschafts- und Klimaministerium wird handwerklich gut werden – und vermutlich ausreichen, um im Energiesektor die Klimaziele der GroKo-Vorgängerinnen einzuhalten. Es übersieht dabei geflissentlich, dass dieses Klimaziel nicht für 1,5 Grad ausreicht. Viel mehr aber noch: Die ihm zugrundeliegenden Verordnungs- und Technikgedanken ermöglichen es Robert Habeck, den Bruch mit den Klimazielen ohne Aufschrei zu verkünden. Er hat sich ja schließlich angestrengt.
Stets bemüht ist allerdings in Zeiten der Klimakrise schon lange nicht mehr genug. Wer mit Pappplakaten von Solarkraftausbauplänen glaubt, eine angemessene Antwort auf die Klimakrise zu geben, übersieht die sich immer weitere Zuspitzung der Klimakrise – oder will sie bewusst verkennen, um Politik weiter in einem Business-as-usual-Modus machen zu können.
Kampfansage an die Wachstumsidee
Diesen Modus eines grenzenlosen Wachstums und die Illusion einer technischen Lösbarkeit der Klimakrise ohne ernstzunehmende Veränderungen, gilt es zu überwinden. Das gilt umso mehr für einen Wirtschaftsminister Habeck, der für seinen kommenden Wirtschaftsbericht neue Kennzahlen für die „Dimensionen immateriellen Wohlstands sowie sozialer und generationenübergreifender Nachhaltigkeit“ einführen will.
Dies ist eine in Behördendeutsch verklausulierte Kampfansage an die Idee eines immerwährenden Wachstums des Bruttoinlandsprodukts. Die Wende hin zu einer klimagerechten Gesellschaft wird allerdings nicht im Glossar eines Bundesbehördenberichts gemacht. Sie verändert die Gesellschaft und sie braucht die Gesellschaft.
Dafür müssen wir die Debatte aber auch zusammen führen, nicht nur über die besten Orte für eine neue Fahrradstraße und die Zumutbarkeit einer Solarpflicht, sondern auch über die gravierenden Folgen der Klimakrise, die Empörung, die Angst und darüber, was Gesellschaft wirklich braucht. Die Chance, diese Debatten, die Wut und die Sorgen, zuzulassen, hat Robert Habeck mit seinem Versuch, seinen Kritiker:innen den Wind aus den Segeln zu nehmen, verpasst. Das muss in den kommenden Jahren anders werden, wenn die anderen Minister:innen nachziehen und die Regierung es ernst mit ihrem Anspruch meint, eine Klimaregierung zu sein.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag,
Ihre Carla Reemtsma
Korrekturhinweis:
Wir hatten geschrieben, das Schelfeis des Thwaites-Gletscher sei artktisch. Ein aufmerksamer Leser wies uns darauf hin, dass es antarktisch heißen muss. Wir haben das korrigiert.
Über die Autorin
Im Januar 2019 hat Carla Reemtsma den ersten Klimastreik in Münster organisiert. Es war eine kleine Kundgebung im Nieselregeln vor dem historischen Rathaus am Prinzipalmarkt. Wenige Wochen später sprach das ganze Land über die Klima-Proteste der „Fridays For Future“-Bewegung. Der Rat der Stadt Münster beschloss das Ziel Klimaneutralität 2030. Inzwischen ist Carla Reemtsma eine der bekanntesten deutschen Klimaaktivistinnen. Geboren wurde sie in Berlin.
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Meine ursprünglichen Hoffnungen auf die Ampel hisichtlich der Klimakrise haben sich auch ziemlich verdünnt. Keine Frage Habeck versucht, zu machen was geht. Aber das eben genau reicht nicht. Es wird nur gehen, wenn sich nicht nur auf den Flächen für Windkraftanlagen und beim Einsparen von Energie - so überaus wichtig und unverzichtbar das ist - entscheidendes verändert, sondern vor allem da, wo man wenig sehen kann: in den Köpfen der Menschen. Es wird nur gehen, wenn es Mode wird, schick, angesagt, hipp, regenerative Energie zu produzieren, ohne sie gleich zu verschleudern.
Und in diesem Zusammenhang frage ich mich schon längst: warum geht man nicht proaktiv auf die Hausbesitzer zu, bei denen sich Solaranlagen wirklich lohnen, und bietet ihnen Hilfe an - statt sie alleine zu lassen mit komplizierten technischen Fragen und vor allem einem absurden EEG, das Solarpaneelnutzer gleich zu Unternehmern (!) macht mit entsprechenden Konsequenzen? Welcher normale Hausbewohner will das denn - selbst bei bestem Willen?
Dies ist nur ein Beispiel: denn wenn in der Nachbarschaft diskutiert wird, wie sehr Solardächer den Anblick verschandeln (ja, das tun sie, aber Kraftwerke auch), entsteht die Gelegenheit, auf den gewaltigen Nutzen einzugehen.
Ich glaube nicht, dass mit Solardächern das Problem zu lösen ist, aber ich glaube, dass sie einen eheblichen Beitrag dazu leisten könnten, das Problem erkennbar zu machen und die Dringlichkeit seiner Lösung in das allgemeine Blickfeld zu rücken.
Danke für die ausgewogene und sachliche Darstellung
Ich habe zunehmend Schwierigkeiten damit, wenn Leute aus der Klimabewegung den Eindruck erwecken, für sie bestehe die Zivilgesellschaft nur aus den organisierten und unorganisierten Klimabewegten, deren einzige Aufgabe es sei, Druck auf die politischen Entscheidungsträger auszuüben. Für Aufklärung und Akzeptanz zu sorgen, dass sei in erster Linie Aufgabe der Politik. - Ich fürchte, das läuft so nicht. Klimapolitik wird zunehmend auch mit Zumutungen verbunden sein müssen, die in viele Lebensbereiche hineinreichen. Wie schwierig es ist, ein hinreichend hohes Akzeptanzniveau für solche Zumutungen zu erzeugen, lässt sich derzeit am Beispiel der Corona-Impfkampagne beobachten. Und machen wir uns nichts vor: die Zumutungen einer nur halbwegs der Klimakrise angemessenen Politik sind ungleich größer, eine realistische Aufklärung in die Breite der Bevölkerung hinein ungleich schwieriger. Gerade Robert Habeck hat in den letzten Wochen mit einer Reihe von Äußerungen klar gemacht, dass wir noch viele Jahre mit einem Fortschreiten der Erderwärmung leben müssen, dass es also keine kurzfristige Prämie auf Klimaschutzmaßnahmen geben wird und wir noch viele Katastrophen erleben werden.
Ich fürchte, dass wir schon sehr bald eine zivilgesellschaftliche Gegenbewegung gegen eine ambitionierte Klimapolitik erleben werden, die die Bewegung der Impfgegner an Breite und Umfang deutlich übertreffen wird. „Die ökologische Transformation gelingt nur, wenn sie kommunikativ inklusiv, politisch partizipativ und sozial solidarisch gestaltet wird.“ schreibt Carolin Emcke am Samstag in der Süddeutschen Zeitung. Wir in der Klimabewegung sollten uns dem auch stellen und als Teil unserer Strategie annehmen.
Im übrigen herzliche Grüße nach Berlin an Carla, für deren Engagement beim Entstehen einer öffentlich wahrnehmbaren Klimabewegung in Münster ich unendlich dankbar bin.
Dem kann ich mich nur vorbehaltlos anschließen. Insbesondere dem letzten Satz. Allerdings lese ich Carlas Kolumne nicht als Habeck-Bashing, sondern als Korrektiv: die deutlichen Aussagen von Robert Habeck machen eben klar, dass bisher das wahre Ausmaß der drohenden Katastrophe noch gar nicht erkannt wurde oder nur schöngeredet wurde.
Ja, wir werden eine Gegenbewegung erleben, und eben dies ist die Herausforderung, der wir uns als Zivilgesellschaft zu stellen haben. Wir reden über die Köpfe und die Gesellschaft, aber wir dürfen nicht über sie hinwegreden.
Dem Dank an Carla und alle anderen, zu denen auch meine (erwachsenen) Enkel gehören, schließe ich mich ausdrücklich an. Was meine Generation versaubeutelt hat, muss diese in Ordnung bringen. Dafür gebührt ihnen jegliche Unterstützung.
Vielleicht ist es ja nicht Konsens, aber FFF und Robert Habeck sind für mich in der gegenwärtigen Problemsituation geborene PartnerInnen. Wenn man allerdings nicht wahrnimmt, dass beide in unserer Gesellschaft sehr unterschiedliche Rollen bei gleicher Zielrichtung einnehmen, dann führt das wie hier bei Frau Reetsma zu seltsamen Fehleinschätzungen und Unterstellungen. Habeck nennt die dramatischen Fakten zur bislang fehlenden Zielerreichung beim Klimaschutz beim Namen, was bei Frau Reetsma zu der Feststellung führt, er wolle „sich aus der Verantwortung entlassen, dass er erst wenige Tage zuvor verkünden musste, dass Deutschland seine eigenen Klimaziele für 2021, 2022 und wahrscheinlich auch 2023 nicht einhalten werden würde.“ Ich vermag in diesem Zusammenhang absolut keine Verantwortung bei Habeck erkennen. Ähnliche Ungereimtheiten finde ich in dieser Kolumne nicht nur an dieser Stelle. Gerade von FFF wünsche ich mir aber eine klare, fordernde und konstruktive Auseinandersetzung mit der Regierung, die ja schließlich den mehrheitlichen Auftrag der WählerInnen hat, eine nachhaltige und zukunftstaugliche Politik zu gestalten.
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