Die Kolumne von Juliane Ritter | Wir für euch, ihr für uns

Müns­ter, 6. März 2022

Guten Tag,

es sind nun sechs Wochen ver­gan­gen, seit mei­ne Kolleg:innen der sechs Uni­ver­si­täts­kli­ni­ken Nord­rhein-West­fa­len mit der Bewe­gung ‚Not­ruf NRW‘ in die Offen­si­ve gegan­gen sind und Arbeit­ge­ber­ver­bän­den ein Ulti­ma­tum gestellt haben: In 100 Tagen wol­len wir ver­han­deln – oder wir tre­ten in den Streik.

Noch 56 Tage verbleiben.

In die­sen sechs Wochen haben sich Tau­sen­de Kolleg:innen zusam­men­ge­schlos­sen. Inner­halb der Kli­ni­ken bewegt sich etwas. Akti­ve Beschäf­tig­te der ver­schie­dens­ten Berufs­grup­pen zie­hen zur­zeit durch die Kli­ni­ken und spre­chen mit ihren Kolleg:innen. Unser Plan wird so an immer mehr Beschäf­tig­te her­an­ge­tra­gen. Er fin­det wach­sen­den Zuspruch.

Fest steht, im Mai wer­den wir einen ‚Tarif­ver­trag Ent­las­tung‘ erkämp­fen, der genau das brin­gen soll: Ent­las­tung durch zusätz­li­che Frei­zeit bei Unter­schrei­tung der dann ver­han­del­ten Per­so­nal­be­set­zun­gen, um wei­te­rer Per­so­nal­flucht vor­zu­beu­gen und die Ver­sor­gungs­qua­li­tät zu gewährleisten.

Eine Hür­de bei der Vor­be­rei­tung die­ser Bewe­gung ist es, die eige­nen Kolleg:innen zu über­zeu­gen. Vie­len fehlt es an Krea­ti­vi­tät, sich vor­zu­stel­len, wie es sein könn­te, wenn sie selbst ihre Arbeits­be­din­gun­gen gestal­ten könnten.

Wie in vie­len euro­päi­schen Län­dern bereits gear­bei­tet wird, das scheint bei uns unerreichbar.

Die leere Versprechen

Uto­pisch erscheint ihnen eine Per­so­nal­stär­ke, die es zulässt, dass man sich eine Pau­se neh­men kann. Uto­pisch erscheint es, dass die Zahl der Patient:innen so über­schau­bar ist, dass man jeden ein­zel­nen Men­schen gut ver­sor­gen kann und viel­leicht sogar Zeit hat, den Men­schen zuzuhören.

Wie­der so arbei­ten zu kön­nen, wie es uns vor Jah­ren bei­gebracht wur­de, hal­ten vie­le Pfle­ge­kräf­te oft für ein Ding der Unmög­lich­keit. Zu vie­le lee­re Ver­spre­chen haben sie in den ver­gan­ge­nen Jah­ren gehört. Zu lan­ge erle­ben sie schon, dass sie für ihre har­te Arbeit kei­ne Aner­ken­nung bekom­men und ihre Bemü­hun­gen um bes­se­re Arbeits­be­din­gun­gen frucht­los bleiben.

Und doch gibt es sehr vie­le Kolleg:innen, die bereit sind, auf eine neue Art und Wei­se gemein­sam für ein bes­se­res Sys­tem zu kämp­fen. Moti­vie­rend sind die Tref­fen, die regel­mä­ßig statt­fin­den. Immer mehr Beschäf­tig­te schlie­ßen sich zusam­men, infor­mie­ren sich gegen­sei­tig und pla­nen die nächs­ten Schritte.

In die­ser Woche haben Beschäf­tig­te der Uni­kli­ni­ken in Nord­rhein-West­fa­len zu sechs Stadt­ge­sprä­chen ein­ge­la­den. Sie haben die Stadt­ge­sell­schaft sowie loka­le Spitzenkandidat:innen der Par­tei­en zur Soli­da­ri­tät und akti­ven Unter­stüt­zung auf­ge­for­dert. In den offe­nen Video­kon­fe­ren­zen kamen Beschäf­tig­te aus unter­schied­lichs­ten Berufs­grup­pen sowie zahl­rei­che Aus­zu­bil­den­de zu Wort.

Sie erzähl­ten Geschich­ten aus ihren Arbeits­be­rei­chen und stell­ten dar, war­um nicht nur sie selbst von einer Bewe­gung wie die­ser pro­fi­tie­ren wür­den, son­dern auch wie die Ver­sor­gung der Men­schen Ver­bes­se­rung bedarf. 

Eine die­ser all­täg­li­chen Geschich­ten han­del­te zum Bei­spiel von einer Kol­le­gin, die kurz nach der Aus­bil­dung wei­nend im Schwes­tern­zim­mer saß und ihre Berufs­wahl ver­teu­fel­te. Sie hat­te stän­dig Angst, dass Patient:innen sterben. 

Solidarität, Hilfe, Unterstützung

Eine Kol­le­gin erzähl­te, wie sie sich prak­tisch zer­rei­ßen muss­te, um sich gleich­zei­tig um zwei Men­schen küm­mern zu kön­nen – einer bedroh­lich krank und einer schwer ver­letzt. Gerecht wer­den konn­te sie kei­nem der beiden.

Zwei Din­ge hat­ten alle Geschich­ten gemein­sam: den Per­so­nal­not­stand und eine Erzäh­le­rin, die ihren Beruf liebt und bereit ist, für ihn zu kämpfen.

Die Reak­tio­nen waren ein­deu­tig: Men­schen sicher­ten ihre Soli­da­ri­tät zu, ihre Hil­fe. Lokalpolitiker:innen der meis­ten Par­tei­en ver­spra­chen ihre Unterstützung.

Und das ist wich­tig, denn allei­ne geht es nicht. So sehr wir auch bereit sind, selbst für ein bes­se­res Sys­tem zu kämp­fen, wir wer­den die Unter­stüt­zung derer brau­chen, die eine Stim­me haben. Bevöl­ke­rung und Poli­tik. Ob es nun Pla­ka­te sind, die Men­schen malen und an ihre Bal­ko­ne hän­gen, ob es Gesprä­che sind, die Men­schen sen­si­bi­li­sie­ren, oder Anru­fe der Politiker:innen bei Arbeit­ge­bern: Jede:r kann sich stark machen für die­ses Anliegen.

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Mit­te die­ses Monats über­ge­ben wir eine Peti­ti­on an die Arbeit­ge­ber. Und wir arbei­ten wei­ter an unse­ren For­de­run­gen. Ob auf der Pfle­ge­sta­ti­on, in der Küche oder im Labor: Als Expert:innen der eige­nen Berei­che wis­sen die Kolleg:innen am bes­ten, wo es man­gelt und wie man die­se Pro­ble­me behe­ben kann. Jede und jeder akti­ve Beschäf­tig­te bekommt somit eine Stim­me für den eige­nen Bereich.

Sind dann alle Miss­stän­de erfasst und die pas­sen­den For­de­run­gen zusam­men­ge­tra­gen, ver­han­deln die Tarif­kom­mis­si­on und die Gewerk­schaft mit den Arbeit­ge­bern – wenn die­se dazu bereit sind. Wenn das Ulti­ma­tum am 1. Mai aus­läuft, sind die Beschäf­tig­ten der sechs Uni­kli­ni­ken bereit, ihre For­de­run­gen mit­tels Streiks durchzusetzen.

Wie ver­hand­lungs­freu­dig die Arbeit­ge­ber­ver­bän­de sind, wird sich zeigen.

Wir berei­ten uns wei­ter vor, zäh­len die Tage und zäh­len auf eure Unterstützung.

Wir für euch, ihr für uns.

Herz­li­che Grüße

Ihre Julia­ne Ritter

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Über die Autorin

Unse­re Kolum­nis­tin arbei­tet als Pfle­ge­kraft in einem Kran­ken­haus in Müns­ter. Sie schreibt in die­ser Kolum­ne dar­über, war­um sie ihren Beruf liebt. Und dar­über, wo es hakt und was in der Pfle­ge bes­ser lau­fen müss­te – grund­sätz­lich und in Müns­ter. Julia­ne Rit­ter ist nicht ihr rich­ti­ger Name. Sie schreibt unter einem Pseud­onym, damit sie frei über Schwie­rig­kei­ten und Miss­stän­de erzäh­len kann.

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