Ein besonderer RUMS-Brief | Ruprecht Polenz antwortet Rezo

Müns­ter, 24.04.2020

Nor­ma­ler­wei­se schreibt Ruprecht Polenz an die­ser Stel­le einen Brief an Sie. Heu­te ant­wor­tet er dem You­tuber Rezo. Der hat­te in einem Video und in sei­ner Kolum­ne für die Wochen­zei­tung „Die Zeit“ erklärt, war­um er die Ent­schei­dung, die Schu­len wie­der zu öff­nen und die Abitur­prü­fun­gen statt­fin­den zu las­sen, für falsch hält. 

Lie­ber Rezo,

als ich Dein Video „Rich­tig dumm – wie Poli­ti­ker momen­tan auf Schü­ler schei­ßen“ gese­hen habe, habe ich mich wie­der mal geär­gert. Du sprichst zwar wich­ti­ge Punk­te an, und ich fin­de es gut, dass Du unser föde­ra­les Bil­dungs­sys­tem erklärst, in dem die Län­der für die Schul­po­li­tik ver­ant­wort­lich sind. Aber ich fin­de, Du machst es Dir mit der Kri­tik zu leicht.

Schu­le ist ein beson­ders heik­ler Punkt für Locke­rungs­maß­nah­men in der Coro­na­kri­se. Nie­mand wird gezwun­gen wer­den, in ein Restau­rant zu gehen, wenn die­se wie­der öff­nen dür­fen. Wer das Anste­ckungs­ri­si­ko für zu hoch hält, der bleibt halt noch län­ger zu Hau­se und kocht sich selbst etwas.

Wenn der Staat die Schu­len wie­der öff­net, ist das anders. Wir haben eine all­ge­mei­ne Schul­pflicht. Die Schü­le­rin­nen und Schü­ler müs­sen in die Schu­le kom­men, auch wenn sie lie­ber zu Hau­se blei­ben wür­den, weil sie sich nicht anste­cken wollen.

Dein Video passt zu einer Mail, die ich vor kur­zem von einem besorg­ten Vater bekom­men habe. Er gehört auf­grund sei­nes Alters – so wie ich auch – zu den Risi­ko­grup­pen. Heu­te began­nen in der Schu­le sei­nes Soh­nes die letz­ten Vor­be­rei­tun­gen auf das Abi. Dem Schü­ler sei es zwar frei­ge­stellt, ob er des­halb in die Schu­le kom­men wol­le. Aber das stel­le ihn vor die uner­träg­li­che Alter­na­ti­ve, gege­be­nen­falls sich und dann sei­nen Vater anzu­ste­cken oder auf eine opti­ma­le Abi-Vor­be­rei­tung zu ver­zich­ten. Ich sol­le mich doch, so die Bit­te des Vaters, bei der nord­rhein-west­fä­li­schen Lan­des­re­gie­rung dafür ein­set­zen, dass die Abi-Prü­fun­gen nicht in die­ser – so wört­lich – „unmensch­li­chen Wei­se“ durch­ge­boxt würden.

Aus genau die­sem Grund, den Du ja auch in Dei­nem Video ansprichst, habe ich der schles­wig-hol­stei­ni­schen Schul­mi­nis­te­rin Karin Prien (CDU) zuge­stimmt, die Ende März ange­kün­digt hat­te, in der Kul­tus­mi­nis­ter­kon­fe­renz (KMK) für ein „Aner­ken­nungs­ab­itur“ ohne Abschluss­prü­fun­gen zu plä­die­ren. Der Vor­schlag wur­de breit in den Medi­en debat­tiert und ent­sprach ziem­lich genau Dei­ner jet­zi­gen For­de­rung. Auch die Wochen­zei­tung „Die Zeit“, für die Du Kolum­nen schreibst, hat­te dar­über berich­tet. Lei­der hast Du in Dei­nem Video kein Wort dazu verloren.

Die Abi-Note soll­te aus­schließ­lich anhand der bis­he­ri­gen schu­li­schen Leis­tun­gen ver­ge­ben wer­den, die auch unter nor­ma­len Umstän­den einen Teil der Note aus­ma­chen. Glei­ches soll­te auch für die ande­ren Prü­fun­gen gel­ten, so Karin Prien damals. Lei­der hat die­ser Vor­schlag in der KMK kei­ne Zustim­mung gefun­den. Die ande­ren Län­der woll­ten an den Abi-Prü­fun­gen fest­hal­ten. Der Bun­des­el­tern­rat (!) for­der­te ein gemein­sa­mes Vor­ge­hen aller Län­der. „Es wäre nicht hin­nehm­bar, wenn es in den einen Län­dern rich­ti­ge Abitur­prü­fun­gen gibt – in ande­ren aber nicht.“ Zu die­sem Zeit­punkt hat­ten in zwei Län­dern bereits Abi-Prü­fun­gen statt­ge­fun­den, wie Du in Dei­nem Video rich­tig gesagt hast.

Der entscheidende Punkt

Du sagst viel zum The­ma „Ver­gleich­bar­keit“, aber auf den ent­schei­den­den Punkt kommst Du nicht zu spre­chen. Natür­lich sind die Cur­ri­cu­la und vie­les ande­re von Land zu Land unter­schied­lich, wie Du rich­tig und sehr aus­führ­lich auf­zählst. Aber dar­auf bezieht sich die For­de­rung nach Ver­gleich­bar­keit über­haupt nicht.

Ver­gleich­bar sol­len die Prü­fungs­er­geb­nis­se sein, denn das Abitur berech­tigt an allen Hoch­schu­len zum Stu­di­um – und in den Nume­rus-clau­sus-Fächern wer­den die Stu­di­en­plät­ze nach dem Noten­schnitt ver­ge­ben. Vor die­sem Hin­ter­grund ist die Art und Wei­se, also ob und wie eine Prü­fung durch­ge­führt wird, schon wich­ti­ger als Du es dar­stellst.

Ich hät­te auch bes­ser gefun­den, wenn die KMK dem Prien-Vor­schlag gefolgt wäre oder es wenigs­tens Schles­wig-Hol­stein erlaubt hät­te, in die­ser beson­de­ren Coro­na-Situa­ti­on auf die Abi-Prü­fun­gen zu ver­zich­ten. Aber Karin Prien wur­de bun­des­weit für ihren „Allein­gang“ kri­ti­siert. Ein­zel­ne Län­der stell­ten wohl auch in Fra­ge, ob sie ein sol­ches „Abitur ohne Prü­fung“ als gleich­wer­tig aner­ken­nen wür­den. Die Stutt­gar­ter Zei­tung berich­te­te, Karin Prien sei in der Tele­fon­kon­fe­renz „von ihren Kol­le­gen einen Kopf kür­zer gemacht wor­den – min­des­tens“. Auch in der öffent­li­chen Dis­kus­si­on wur­de ihr Vor­schlag über­wie­gend kri­ti­siert und fand kaum Unter­stüt­zung, schreibt der Tages­spie­gel. Wer weiß, viel­leicht hät­te es gehol­fen, wenn Du Dein Video schon frü­her gemacht hättest.

Zu einfach gemacht

Eine wei­te­re Sache, die ich an Dei­nem Video kri­ti­sie­ren möch­te: Obwohl es dar­in um die Abitur­prü­fun­gen gehen soll, sprichst Du zur Begrün­dung Dei­ner For­de­rung vie­le Punk­te an, die ganz all­ge­mein die Schu­len und die Mög­lich­keit betref­fen, in Coro­na­zei­ten Unter­richt zu machen.

Bis es einen Impf­stoff gibt, kann es noch lan­ge dau­ern. Min­des­tens 18 Mona­te, sagen Exper­ten, und das sei opti­mis­tisch geschätzt. Sol­len die Schu­len so lan­ge geschlos­sen blei­ben? Unter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen kön­nen sie geöff­net wer­den? Für wel­che Klas­sen zuerst? Wird es Schicht­un­ter­richt geben? Was ist mit den Leh­re­rin­nen und Leh­rern, die zu einer Risi­ko­grup­pe gehö­ren? Was bedeu­tet das Abstands­ge­bot von min­des­tens 1,50 m für den Unter­richt? Und was heißt das für die Schulbusse?

Ich ver­ste­he gut, dass Du sagst, für die­se Fra­gen kei­ne Ant­wor­ten und kei­ne Lösung zu haben. Ich fän­de es auch unfair, das von Dir zu verlangen.Aber eben­so unfair emp­fin­de ich Dei­ne her­ab­set­zen­de Spra­che ver­ant­wort­li­chen Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­kern gegen­über, die es sich wirk­lich nicht ein­fach machen, auf die­se schwie­ri­gen Fra­gen die rich­ti­gen Ant­wor­ten zu fin­den. Mit ihren Leis­tun­gen kön­nen wir doch bis­her in Deutsch­land ganz zufrie­den sein, wenn wir uns in der Coro­na­kri­se in ande­ren Län­dern umschau­en, oder?

Herz­li­che Grü­ße – und bleib gesund.


Ruprecht Polenz

Über Ruprecht Polenz

Ruprecht Polenz war vie­le Jah­re lang Mit­glied des Rats der Stadt Müns­ter, danach Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ter für die CDU. Zwi­schen 2005 und 2013 war er auch Vor­sit­zen­der des Aus­wär­ti­gen Aus­schus­ses des Bun­des­tags. Der gebür­ti­ge Bautz­e­ner lebt seit sei­nem Jura-Stu­di­um in Müns­ter. 2020 erhielt der 73-Jäh­ri­ge die Aus­zeich­nung „Gol­de­ner Blogger“.