Marina Weisbands Kolumne | Wir brauchen Einstiegsdrogen in die Demokratie

Porträt von Marina Weisband
Mit Marina Weisband

Münster, 31. Mai 2020

Liebe Leser*innen,

ich wünschte, Hygienedemos wären etwas, das sich nur auf Berlin beschränkt. Himmel, ich wünschte, es gäbe sie gar nicht. Aber auch hier in Münster standen Leute am Schlossplatz, die sich in der Öffentlichkeit halbwegs verhalten äußerten, aber in ihren Telegram-Gruppen umso härtere Verschwörungsmythen abließen. Warum ist unsere schöne, so überdurchschnittlich gebildete Stadt nur so anfällig für Verschwörungserzählungen?

Die einfache Erklärung: Es geht oft gar nicht um Bildung, sondern um etwas ganz anderes. Um Gefühle, Ohnmacht, Angst und den Umgang damit. Wir alle erleben im Moment eine Situation, in der uns ein unsichtbares Naturereignis die Normalität unter den Füßen wegreißt. Es ist sehr schwer auszuhalten, dass dieses Ereignis nicht einfach zu erklären oder sogar aufzulösen ist, sondern auf einer komplexen Kette von Abhängigkeiten beruht. Der Zufall spielt eine große Rolle. Die Bedrohung ist unsichtbar.

Die meisten Menschen halten das aus. Aber einige reagieren auf diesen Kontrollverlust mit dem Wunsch nach Vereinfachung. Sie fangen an, die Welt in Gut und Böse zu unterteilen. Sie nehmen an, dass es jemanden gibt, der hinter allem steckt und auf den sie wütend sein können. Das ist vieleinfacher, als die Herausforderung anzunehmen, vor der wir alle stehen. Diese Menschenpersonifizieren das Böse, in diesem Fall durch Bill Gates oder Angela Merkel. Die Personifizierung ist wichtig für sie. Es ist nämlich sehr viel leichter, wütend auf jemanden zu sein als verwirrt, unsicher und ängstlich. Und dass es die Guten und die Bösen gibt, ist sogar dann tröstlich, wenn man glaubt, als Guter keine Chance zu haben, weil die Bösen übermächtig sind.

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