Die Kolumne von Ludwig Lübbers | Ziemlich beste Sardinienfreunde

Müns­ter, 6. Novem­ber 2022

Guten Tag,

vom Kopf her bin ich ein lei­den­schaft­li­cher Cam­per, wie auch vie­le ande­re Mil­lio­nen Men­schen in die­sem Land. Auf dem Cam­ping­platz las­sen sich Berüh­rungs­ängs­te schnel­ler und ein­fa­cher abbau­en. Ein­mal im Jahr fah­re ich mit dem Auto nach Sar­di­ni­en, ich habe dort einen Wohn­wa­gen. Aber als Mensch mit einer Behin­de­rung brau­che ich auf dem Cam­ping­platz Hilfe. 

Daher ste­he ich jedes Jahr vor dem­sel­ben Pro­blem: Wie fin­de ich eine Reisebegleitung? 

Seit zehn Jah­ren enga­gie­re ich nun Rei­se­as­sis­ten­zen, und ich habe ganz unter­schied­li­che Erfah­run­gen gemacht. Am Anfang habe ich eine Art Kon­takt­an­zei­ge geschaltet. 

Ich ori­en­tier­te mich dabei an der Buch­vor­la­ge „Ziem­li­che bes­te Freun­de“ von Phil­ip­pe Poz­zo di Bor­go. Viel­leicht ken­nen Sie die Geschich­te: Es geht um einen ver­mö­gen­den Men­schen, der nach einem Fall­schirm­ab­sturz vom Hals an quer­schnitts­ge­lähmt ist, und um sei­nen Pfle­ger. Der Film erzählt von der beson­de­ren Freund­schaft zwi­schen die­sen bei­den Men­schen, zwi­schen Phil­ip­pe und Driss. 

Ich schrieb:

Suche Rei­se­as­sis­tenz für einen Sar­di­ni­en-Trip in den Som­mer­fe­ri­en. Wer bin ich? Kennst Du noch den Film ‚Ziem­lich bes­te Freun­de‘? Ich bin ein ähn­li­cher Typ, nur fah­re ich selbst noch Auto. Um mei­ne Traum­in­sel Sar­di­ni­en besu­chen zu kön­nen, bin ich auf Hil­fe­stel­lung ange­wie­sen. Ich bin kein Mil­lio­när, den­noch wäre die Rei­se für Dich umsonst. Wenn Du mehr erfah­ren möch­test, dann mel­de Dich unter reisemitmir@gmx.de.

Der Film war ein rie­si­ger Erfolg, weil die­ses unglei­che Paar auf so lie­bens­wer­te Wei­se zuein­an­der fand. Bei­de hal­fen sich gegen­sei­tig. Und der Film zeig­te: Geld allein ist nicht alles. Wahr­schein­lich lag auch hier ein Grund für den gro­ßen Erfolg. 

Die Reise hatte ein Happy End

Auf mei­ne ers­te Anzei­ge im Jahr 2012 mel­de­te sich eine jun­ge Frau, die gera­de ihr Stu­di­um been­det hat­te. Sie hat­te Zeit, mich in den Som­mer­fe­ri­en zu beglei­ten. Wir tra­fen uns vor der Rei­se drei Mal. Dann stürz­ten wir uns in die­ses Aben­teu­er. Aber es zeig­te sich schon in den ers­ten Tagen, dass wir unter­schied­li­che Erwar­tun­gen hatten. 

Es waren manch­mal nur klei­ne Details, über die wir uns nicht einig wur­den. Ein­mal ging es um den Auf­bau eines Haus­zel­tes. Aber am Ende gab es ein Hap­py End, für die jun­ge Frau gleich ein dop­pel­tes. Sie ver­lieb­te sich in einen jun­gen Mann aus Deutsch­land. Spä­ter merk­ten wir bei­den, wie gut wir es hatten. 

Nach der Rei­se schenk­te Sie mir ein Foto­al­bum. Das zei­ge ich heu­te noch zukünf­ti­gen Reiseassistenzen. 

Danach waren wir uns aller­dings einig: Man muss vor­her mehr über die Erwar­tun­gen und Fähig­kei­ten spre­chen, auch über die Pla­nung. Ich mach­te also einen exak­ten Plan dazu, wie man das Haus­zelt auf­baut. Außer­dem ging ich die schlimms­ten Sze­na­ri­en durch. 

Wenn mei­ne Bein­pro­the­se einen Defekt hät­te oder mein Auto, könn­te der Urlaub schnell vor­bei sein. 

Heu­te rei­se ich mit Ersatz­pro­the­se und schlep­pe für den Wagen genü­gend Ersatz­tei­le mit, um für den Fall der Fäl­le gerüs­tet zu sein. Einen behin­der­ten­ge­rech­ten Leih­wa­gen zu bekom­men, wäre schwer. 

Zum Glück ist der Fall bis heu­te nicht ein­ge­tre­ten. Aber mei­ne Vor­stel­lun­gen zur Rei­se­as­sis­tenz haben sich ver­voll­stän­digt. Es soll­te ein Mensch sein, der Cam­ping mag, über ein wenig hand­werk­li­ches Geschick ver­fügt, hilfs­be­reit ist und mit dem zufrie­den ist, was vor­han­den ist. 

Eine Sternstunde

Kör­per­li­che Fit­ness ist wich­tig. Man soll­te mit der Hit­ze im Süden gut zurecht­kom­men. Im Som­mer kann es in Sar­di­ni­en sehr heiß werden. 

Vor fünf Jah­ren erleb­te ich eine Art Stern­stun­de. Damals beglei­te­te mich Aga, eine pol­ni­sche Kran­ken­schwes­ter, die ihr Herz, so wür­de man sagen, am rich­ti­gen Fleck hat­te. Sie konn­te vor allem sehr gut organisieren. 

Auto packen, Auf­bau auf dem Cam­ping­platz, Ein­rich­ten der Cam­ping­kü­che, Essen kochen, das waren für sie leich­te Übun­gen. Im Auto reich­te sie mir Snacks. Mit ihr ging es mir immer gut. 

Aga war die per­fek­te Assis­ten­tin, aber sie hat­te nur knapp drei Wochen Zeit. Also beschloss ich, die Assis­tenz via Flie­ger zu tau­schen. Die bul­ga­ri­sche Frau, die mir zu Hau­se beim Rei­ni­gen hilft, hat­te Inter­es­se. Sie ver­brach­te die rest­li­chen zehn Tage mit mir auf der Insel. 

Nach der Rück­kehr in Müns­ter sag­te Aga mir, die Rei­se habe sich auch für sie ange­fühlt wie ein Urlaub. Zwei Men­schen begeg­ne­ten sich auf Augen­hö­he. So stell­te ich mir das vor. 

Ich habe auch schlech­te Erfah­run­gen gemacht, zum Glück weni­ge. Wie gesagt, man muss für das Leben auf dem Cam­ping­platz gebo­ren sein. Den einen ist es zu heiß, den ande­ren zu laut. Einer trank sehr viel Alko­hol, auf ihn konn­te man sich nicht ver­las­sen. Aber so ist das, wenn man es immer wie­der mit ver­schie­de­nen Men­schen zu tun hat. 

In die­sem Jahr hat­te mei­ne Assis­ten­tin nach nicht ein­mal zwei Stun­den auf der Insel einen Unfall. Ein Kran­ken­wa­gen brach­te sie ins ört­li­che Kran­ken­haus. So wur­de ich selbst zum Assis­ten­ten und Betreu­er für mei­ne Begleitung. 

Zum Glück konn­ten wir die Rei­se nach 24 Stun­den fort­set­zen. Manch­mal muss­te ich Kom­pro­mis­se machen. Aber inzwi­schen habe ich ein gutes Gefühl bekom­men. Und ich weiß, wor­auf ich ach­ten muss. 

Auf mei­ner Home­page gebe ich genaue Infor­ma­tio­nen dar­über, über wel­che Vor­aus­set­zun­gen die Assis­tenz ver­fü­gen soll­te. Ich suche auch auf Sar­di­ni­en. Das loka­le Radio hilft mir dabei. 

Ein wunderbares Inklusionsprojekt

Jeman­den vor Ort zu fin­den, hät­te für mich noch einen wei­te­ren Reiz: Ich könn­te mehr Ita­lie­nisch sprechen. 

Ich habe einen ganz beson­de­ren Bezug zu der Insel. In mei­nem Buch „L’Ultima Spi­ag­gia – Mei­ne letz­te Hoff­nung“ habe ich dar­über geschrie­ben. Ich lebe nach der Devi­se: Nach Sar­di­ni­en ist vor Sardinien. 

Aus den Rei­sen schöp­fe ich mei­ne Ener­gie und Lebens­freu­de. Inzwi­schen bin ich ein erfah­re­ner Sar­di­ni­en-Exper­te und auch ein Lebens­künst­ler mit gefühlt sar­di­schen Wurzeln. 

Ich wür­de gern ein Semi­nar zum The­ma Rei­se­as­sis­tenz ver­an­stal­ten. Mit einer Grup­pe von Men­schen mit Behin­de­run­gen und Reiseassistent:innen gemein­sam einen Tauch­schein zu machen, könn­te ein wun­der­ba­res Inklu­si­ons­pro­jekt werden. 

Man könn­te es Men­schen mit Behin­de­rung ermög­li­chen, in einem Zelt zu über­nach­ten, am Strand Ster­ne zu zäh­len, ihnen das Gefühl von Frei­heit ver­mit­teln und von Freund­schaft. Ein Gefühl, das vie­len Men­schen fehlt. 

So ein Gemein­schafts­pro­jekt möch­te ich ger­ne ver­wirk­li­chen. Viel­leicht haben Sie Lust, mir dabei zu hel­fen. Viel­leicht haben Sie auch Lust, mich nach Sar­di­ni­en zu beglei­ten. Schrei­ben Sie mir gern eine E-Mail. Ich wür­de mich freuen. 

Herz­li­che Grüße

Ihr Lud­wig Lübbers

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Über den Autor

Lud­wig Lüb­bers hat an der Uni Müns­ter Mathe­ma­tik und Sozi­al­wis­sen­schaf­ten stu­diert und anschlie­ßend das Refe­ren­da­ri­at absol­viert. Heu­te arbei­tet er als Leh­rer am Frei­herr-vom-Stein-Gym­na­si­um. Von 1997 bis 2000 initi­ier­te und betreu­te er das Pro­jekt „Han­di­cap im Inter­net“, eine Platt­form, auf der sich Men­schen mit Behin­de­rung ver­net­zen und aus­tau­schen konn­ten. In der städ­ti­schen Kom­mis­si­on zur För­de­rung der Inklu­si­on (KIB) setzt er sich heu­te für die Inter­es­sen von Men­schen mit Behin­de­run­gen in Müns­ter ein. 2021 ver­öf­fent­lich­te er sein ers­tes Buch: „L’Ultima Spi­ag­gia – Mei­ne letz­te Hoff­nung“. In sei­nen RUMS-Kolum­nen schreibt er über Bar­rie­ren und Bar­rie­re­frei­heit, über den All­tag von Men­schen mit Behin­de­rung und über Inklu­si­on in Münster.

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