Die Kolumne von Ruprecht Polenz | Das Mandat und die Transparenz

Müns­ter, 21. März 2021

Einen schö­nen Sonn­tag wün­sche ich Ihnen.

„Beim Abge­ord­ne­ten soll­ten die Wün­sche sei­ner Wäh­ler gro­ßes Gewicht haben, ihre Ansicht hohe Gel­tung, ihre Ange­le­gen­heit uner­müd­li­che Auf­merk­sam­keit. Es ist sei­ne Pflicht, ihnen sei­ne Ruhe, sein Ver­gnü­gen und sein Wohl­be­ha­gen zu opfern, vor allem aber ihre Inter­es­sen den sei­ni­gen vor­zu­zie­hen. Aber sei­ne unpar­tei­ische Ansicht, sein rei­fes Urteil, sein erleuch­te­tes Gewis­sen darf er weder ihnen noch irgend­ei­nem Men­schen noch irgend­ei­ner Grup­pe opfern. Euer Abge­ord­ne­ter schul­det euch nicht nur sei­nen Fleiß, son­dern auch sein Urteil, und wenn er die­ses eurer Ansicht opfert, dann betrügt er euch, statt euch zu dienen.“

An die­se Wor­te, die Edmund Bur­ke 1774 an sei­ne Wäh­ler in Bris­tol gerich­tet hat, habe ich in den letz­ten Tagen oft gedacht. Ich hat­te sie mir 1994 als Leit­li­nie für mei­ne Arbeit als Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ter aus­ge­sucht. Bur­ke ist ein Säu­len­hei­li­ger des poli­ti­schen Kon­ser­va­tis­mus und einer der Vor­den­ker der reprä­sen­ta­ti­ven, par­la­men­ta­ri­schen Demo­kra­tie. Was wür­de er zu den Kor­rup­ti­ons­skan­da­len von Uni­ons­ab­ge­ord­ne­ten sagen, die uns in die­sen Tagen erschüttern?

Bur­ke beschreibt das Bild eines Abge­ord­ne­ten, wie ihn auch das Grund­ge­setz vor Augen hat. Abge­ord­ne­te „sind Ver­tre­ter des gan­zen Vol­kes, an Auf­trä­ge und Wei­sun­gen nicht gebun­den und nur ihrem Gewis­sen unter­wor­fen“, heißt es im ers­ten Absatz des Grund­ge­setz-Arti­kels 38.

Wie passt das zusam­men mit Neben­tä­tig­kei­ten, die zu Inter­es­sen­kon­flik­ten mit der Ori­en­tie­rung am Gemein­wohl füh­ren kön­nen? Wo bleibt der den Wähler:innen geschul­de­te Fleiß, wenn die Neben­ein­künf­te die Höhe der Abge­ord­ne­ten­ent­schä­di­gung über­stei­gen? Und wenn es viel Geld für (zeit­lich) wenig Arbeit gibt: Ist das nicht ein Indiz für unzu­läs­si­ge Ein­fluss­nah­me oder gar Bestechung?

Welche Erwartungen haben wir an Abgeordnete?

Die­se Fra­gen erfor­dern kla­re Ant­wor­ten, wenn das Ver­trau­en wie­der­her­ge­stellt wer­den soll, das in die­sen Tagen durch die Fäl­le Nüß­lein, Löbel, Fischer, Haupt­mann, Strenz und Zech mas­siv erschüt­tert wur­de. Dabei geht es nicht nur dar­um, die­se Fäl­le lücken­los auf­zu­klä­ren, auch wenn eini­ge der Genann­ten inzwi­schen ihr Man­dat nie­der­ge­legt haben. Neben den per­so­nel­len Kon­se­quen­zen, die mög­li­cher­wei­se auch durch Gerich­te gezo­gen wer­den, muss auch über insti­tu­tio­nel­le Kon­se­quen­zen nach­ge­dacht wer­den, die sol­ches Fehl­ver­hal­ten in der Zukunft bes­ser aus­schlie­ßen als bis­her.

Das führt noch ein­mal zu der Fra­ge, wie Abge­ord­ne­te sein soll­ten, wel­che Erwar­tun­gen wir an sie haben, zusätz­lich zu den oben genannten.

Wir wol­len durch tüch­ti­ge Frau­en und Män­ner im Bun­des­tag ver­tre­ten wer­den. In der Regel haben sie es des­halb im Leben zu etwas gebracht. Sie sol­len unab­hän­gig sein. Abge­ord­ne­te sol­len nicht an ihren Ses­seln kle­ben. Man­che fin­den, acht Jah­re Bun­des­tag sind genug.

Wegen der Skan­da­le wird jetzt auch gefor­dert, den Abge­ord­ne­ten jede Neben­tä­tig­keit zu unter­sa­gen. Nur so sei gesi­chert, dass sie sich voll und ganz dem Man­dat wid­me­ten. Außer­dem wür­den sie schließ­lich sehr gut dafür bezahlt.

Beam­te und Ange­stell­te im öffent­li­chen Dienst könn­ten mit sol­chen Regeln gut leben. Das Abge­ord­ne­ten­ge­halt ist in der Regel deut­lich höher als der bis­he­ri­ge Ver­dienst, und sie haben ein jeder­zei­ti­ges Rück­kehr­recht in den Beruf.

Arbeitnehmer:innen und Ange­stell­ten darf wäh­rend der Man­dats­aus­übung vom Arbeit­ge­ber nicht gekün­digt wer­den. Sie kön­nen des­halb auch davon aus­ge­hen, zum alten Betrieb zurück­keh­ren zu können.

Auch Berufsanfänger:innen hät­ten mit einem Neben­tä­tig­keits­ver­bot für Abge­ord­ne­te kein Pro­blem. Nir­gend­wo sonst kön­nen Sie gehalts­mä­ßig höher ein­stei­gen als im Bun­des­tag. Die Rück­kehr-Fra­ge stellt sich nicht. Im Gegen­teil: Mit dem Man­dat ver­bin­det sich die Hoff­nung, nach Aus­schei­den aus dem Bun­des­tag leich­ter eine gut bezahl­te Stel­le zu finden.

Mehr Transparenz könnte helfen

Aber wol­len wir wirk­lich ein Par­la­ment von Beamt:innen, Berufseinsteiger:innen und aus­schließ­lich abhän­gig Beschäf­tig­ten? Wür­de so die Bevöl­ke­rung reprä­sen­tiert? Was ist mit Handwerker:innen, Ärzt:innen, Rechtsanwält:innen, Landwirt:innen, Unternehmer:innen, Freiberufler:innen und Selbstständigen?

Neh­men wir einen typi­schen Hand­werks­meis­ter mit sechs Mitarbeiter:innen. Soll er sei­nen Betrieb auf­ge­ben für ein Bun­des­tags­man­dat, das nach vier Jah­ren been­det sein kann, weil die Par­tei ihn nicht wie­der auf­stellt oder die Wähler:innen sich anders ent­schei­den? Die durch­schnitt­li­che Zuge­hö­rig­keit zum Bun­des­tag beträgt acht Jahre.

Es ist unrea­lis­tisch, dass sich Selbst­stän­di­ge für ein Bun­des­tags­man­dat inter­es­sie­ren, wenn sie dafür ihren bis­he­ri­gen Beruf voll­stän­dig auf­ge­ben müss­ten. Des­halb hat das Abge­ord­ne­ten­ge­setz fest­ge­legt:

„Die Aus­übung des Man­dats steht im Mit­tel­punkt der Tätig­keit eines Mit­glieds des Bun­des­ta­ges. Unbe­scha­det die­ser Ver­pflich­tung blei­ben Tätig­kei­ten beruf­li­cher oder ande­rer Art neben dem Man­dat grund­sätz­lich zulässig.“

Der deut­lich grö­ße­re Teil der Abge­ord­ne­ten hat kei­ne mel­de­pflich­ti­gen Neben­ein­künf­te.

Bei man­chen Abge­ord­ne­ten sind aller­dings die „Neben­ein­künf­te“ deut­lich höher als das Ein­kom­men aus der Abgeordnetentätigkeit.

Was zu der berech­tig­ten Fra­ge führt, ob ab einer bestimm­ten Höhe der Neben­ein­künf­te noch davon aus­ge­gan­gen wer­den kann, dass „die Aus­übung des Man­dats im Mit­tel­punkt der Tätig­keit“ steht.

Außer­dem wer­fen Neben­ein­künf­te grund­sätz­lich die Fra­ge nach mög­li­chen Inter­es­sen­kol­li­sio­nen auf. Mehr Trans­pa­renz über Höhe und Her­kunft die­ser Gel­der könn­te hier helfen.

Zwar müs­sen alle Neben­ein­künf­te dem Bun­des­tags­prä­si­den­ten genau ange­zeigt wer­den. Ver­öf­fent­licht wer­den die Anga­ben bis­her jedoch nur pau­scha­li­siert und in Stu­fen.

10-Punkte-Konzept und Verhaltenskatalog

Die Uni­ons­frak­ti­on hat­te sich in der Ver­gan­gen­heit gegen eine detail­lier­te­re Offen­le­gung der Neben­ein­künf­te gewehrt. Jetzt will sie mit einer Trans­pa­renz­of­fen­si­ve die Kon­se­quen­zen aus den Skan­da­len der jüngs­ten Zeit zie­hen. Sie hat einen 10-Punk­te-Kata­log mit deut­li­chen Ver­schär­fun­gen der Regeln vor­ge­legt.

Über die­se gesetz­li­chen Regeln hin­aus will sich die Uni­ons­frak­ti­on einen Ver­hal­tens­ko­dex geben, der in einem wich­ti­gen Punkt noch wei­ter gehen soll. Mit­glie­der des Frak­ti­ons­vor­stands, Sprecher:innen und Obleu­te sol­len im Hin­blick auf Neben­tä­tig­kei­ten behan­delt wer­den wie Mit­glie­der der Bun­des­re­gie­rung.

Denen schreibt das Minis­ter­ge­setz vor, dass sie „neben ihrem Amt kein ande­res besol­de­tes Amt, kein Gewer­be und kei­nen Beruf aus­üben dür­fen. Sie dür­fen wäh­rend ihrer Amts­zeit auch nicht dem Vor­stand, Auf­sichts­rat oder Ver­wal­tungs­rat eines auf Erwerb gerich­te­ten Unter­neh­mens angehören.“

Von die­ser Regel wäre künf­tig fast ein Drit­tel der CDU/C­SU-Bun­des­tags­frak­ti­on betrof­fen. Und da die meis­ten Abge­ord­ne­ten hof­fen, irgend­wann zu die­sen Füh­rungs­kräf­ten der Frak­ti­on zu gehö­ren, dürf­te die­ser Ver­hal­tens­ko­dex zu einer all­ge­mei­nen Redu­zie­rung der Neben­tä­tig­kei­ten von Uni­ons­ab­ge­ord­ne­ten führen.

Mit der Trans­pa­renz­of­fen­si­ve und dem Ver­hal­tens­ko­dex greift die Uni­ons­frak­ti­on eini­ge der wich­ti­gen For­de­run­gen von Trans­pa­ren­cy Inter­na­tio­nal Deutsch­land auf. Unter der Über­schrift „Was jetzt zu tun ist“ heißt es in einem 8-Punk­te-Kata­log:

  1. Umfas­sen­des, ver­pflich­ten­des Lobbyregister
  2. Legis­la­ti­ver Fußabdruck
  3. Offen­le­gung von Neben­ein­künf­ten und mög­li­chen Interessenkonflikten
  4. Abge­ord­ne­te dür­fen nicht gleich­zei­tig bezahl­te Lob­by­is­ten sein
  5. Ein:e Interessenbeauftragte:r für Trans­pa­renz bei der poli­ti­schen Interessenvertretung
  6. Ver­schär­fung des § 108e StGB zur Mandatsträgerbestechung
  7. Mehr Trans­pa­renz bei der Par­tei­en­fi­nan­zie­rung und
  8. Karenz­zei­ten.

Für unse­re Demo­kra­tie wäre es gut, wenn die­se Vor­schlä­ge von Trans­pa­ren­cy Inter­na­tio­nal Deutsch­land mög­lichst rasch umge­setzt würden.

Ich wün­sche Ihnen eine gute Woche – und blei­ben Sie gesund.

Herz­lich
Ihr Ruprecht Polenz


Über den Autor

Vie­le Jah­re lang war Ruprecht Polenz Mit­glied des Rats der Stadt Müns­ter, zuletzt als CDU-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der. Im Jahr 1994 ging er als Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ter nach Ber­lin. Er war unter ande­rem CDU-Gene­ral­se­kre­tär, zwi­schen 2005 und 2013 Vor­sit­zen­der des Aus­wär­ti­gen Aus­schus­ses des Bun­des­tags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mit­glied des ZDF-Fern­seh­rats, ab 2002 hat­te er den Vor­sitz. Der gebür­ti­ge Bautz­e­ner lebt seit sei­nem Jura-Stu­di­um in Müns­ter. 2020 erhielt Polenz die Aus­zeich­nung „Gol­de­ner Blogger“.