Die Kolumne von Ruprecht Polenz | Warum die AfD eine faschistische Partei ist

Müns­ter, 9. Juli 2023

Guten Tag,

Einen schö­nen Sonn­tag wün­sche ich Ihnen.

Geht es Ihnen auch so? Seit Wochen ver­fol­ge ich mit Sor­ge, dass die AfD an Zustim­mung gewinnt, jeden­falls wenn man den Mei­nungs­um­fra­gen glau­ben darf.

Bun­des­weit kommt die AfD dem­nach auf 19 Pro­zent. Sie wäre damit nach CDU/CSU zweit­stärks­te Par­tei, noch vor SPD und Grü­nen. Die Uni­ons­par­tei­en kom­men auf 28 Prozent.

In den ost­deut­schen Bun­des­län­dern wür­den sogar 26 Pro­zent die AfD wäh­len. Damit wären die Faschis­ten dort stärks­te Kraft, mit drei Pro­zent­punk­ten Abstand zur CDU.

In Thü­rin­gen läge die AfD mit 31 Pro­zent sogar zehn Pro­zent vor der CDU an der Spitze.

Auch in Bran­den­burg liegt die AfD mit 28 Pro­zent deut­lich vorn, vor der SPD mit 21 Pro­zent und der CDU mit 18 Prozent.

In Sach­sen haben AfD und CDU jeweils 29 Pro­zent Zustimmung.

Auch in Sach­sen-Anhalt sind CDU (31 Pro­zent) und AfD (29 Pro­zent) fast gleichauf.

Wenn man die­se Zah­len sieht, kann man fast nicht glau­ben, dass die AfD 2021 bei den letz­ten Bun­des­tags­wah­len in Müns­ter mal gera­de 2,87 Pro­zent bekam. Bei den Land­tags­wah­len 2022 waren es mit 2,3 Pro­zent sogar noch weniger.

Die Zivilgesellschaft muss konfliktfähiger werden

Damit das so bleibt, muss man etwas tun. Der Sozio­lo­ge Wil­helm Heit­mey­er, der sich seit lan­gem mit Extre­mis­mus-For­schung beschäf­tigt, hat die Zivil­ge­sell­schaft auf­ge­ru­fen, kon­flikt­fä­hi­ger zu werden.

Wann immer im Ver­wand­ten- oder Freun­des­kreis, im Sport­ver­ein oder am Arbeits­platz Posi­tio­nen grup­pen­be­zo­ge­ner Men­schen­feind­lich­keit ein­ge­nom­men wür­den, sol­le man sofort ent­schie­den wider­spre­chen, „auch auf die Gefahr hin, aus den eige­nen Bezugs­grup­pen aus­ge­schlos­sen zu wer­den.“ Sonst tra­ge man an der Nor­ma­li­sie­rung und Anschluss­fä­hig­keit der AfD eine Mitschuld.

Protest gegen die Demokratie

Für die­sen Wider­spruch möch­te ich Ihnen ein paar Argu­men­te an die Hand geben.

Denn die AfD ist kei­ne blo­ße Pro­test­par­tei, die man guten Gewis­sens wäh­len könn­te, um den ande­ren Par­tei­en einen „Denk­zet­tel“ zu erteilen.

„Der Begriff Pro­test­wäh­ler ist kom­plett ver­harm­lo­send“, sagt Heit­mey­er, der den Erfolg der AfD vor allem auf die gesell­schaft­li­chen Struk­tu­ren zurück­führt. Unter AfD-Wähler:innen sei­en Posi­tio­nen gegen die offe­ne Gesell­schaft und die libe­ra­le Demo­kra­tie weit ver­brei­tet und vor allem stabil.

Läh­mung und Ver­fall eines demo­kra­ti­schen Gemein­we­sens ist nicht zuletzt die Fol­ge ver­wirr­ter Maß­stä­be, geschwäch­ter Abwehr­be­reit­schaft und fal­scher Illu­si­on über Tole­ranz gegen die Fein­de der Demo­kra­tie. Die­se Beob­ach­tun­gen von Karl-Diet­rich Bra­cher zum Schei­tern der Wei­ma­rer Repu­blik gel­ten auch heute.

Man soll­te sich nicht damit beru­hi­gen, dass ein klei­nes Land­rats­amt wie Son­ne­berg in Hän­den der AfD und 20 Pro­zent in den Mei­nungs­um­fra­gen zwar ärger­lich, aber für unse­re Demo­kra­tie doch nicht wirk­lich bedroh­lich seien.

Das stimmt für den Augen­blick. Vor einem klei­nen Feu­er muss man kei­ne Angst haben. Man kann es unter Kon­trol­le hal­ten. Aber wenn es eine demo­kra­ti­sche Dür­re gibt, dann herrscht Wald­brand-Gefahr. Kommt noch der rich­ti­ge Wind dazu, ste­hen schnell rie­si­ge Flä­chen in Flam­men. Die­se demo­kra­ti­sche Dür­re hat Bra­cher beschrieben.

Es zeugt von geschwäch­ter Abwehr­be­reit­schaft, wenn laut einer Allens­bach-Umfra­ge in Ost­deutsch­land fast die Hälf­te (45 Pro­zent) die Mei­nung ver­tritt, in einer „Schein­de­mo­kra­tie“ zu leben, „in der die Bür­ger nichts zu sagen haben“. Denn war­um soll­te man sich für eine Demo­kra­tie ein­set­zen, die ja kei­ne mehr ist. 

Auch in West­deutsch­land sind 28 Pro­zent die­ser Ansicht.

Wer Kri­tik mit Ein­schrän­kung der eige­nen Mei­nungs­frei­heit ver­wech­selt, in Ernäh­rungs­tipps Bevor­mun­dung wit­tert und über angeb­li­che Fleisch­ver­bo­te jam­mert, ist ein Demo­kra­tie-Hypo­chon­der. In schwe­ren Fäl­len bil­det er sich ein, in einer Dik­ta­tur zu leben.

Anony­mer Briefkasten

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Verwirrte Maßstäbe

Ver­wirr­te Maß­stä­be füh­ren nicht nur zu Wahl­ent­schei­dun­gen für die­se faschis­ti­sche Par­tei. Ver­wirr­te Maß­stä­be prä­gen auch den Umgang mit den völ­ki­schen Natio­na­lis­ten, selbst in vie­len Medi­en. Dass die AfD vom Ver­fas­sungs­schutz in gro­ßen Tei­len als rechts­extrem, das heißt, als Gefahr für unse­re Demo­kra­tie ein­ge­stuft wird, dringt nicht mehr durch, wenn die Maß­stä­be erst­mal durch­ein­an­der gera­ten sind.

Die AfD ist eine faschis­ti­sche Par­tei. Vie­le Medi­en drü­cken sich dar­um, das so deut­lich zu sagen. Aber es geht um das Warn­schild. Immer noch glau­ben vie­le den Behaup­tun­gen der AfD, dass sie heu­te ver­tre­te, was die CDU frü­her ver­tre­ten habe. Aber die CDU war nie eine völ­kisch-natio­na­lis­ti­sche Partei.

Wenn man die AfD als das bezeich­net, was sie ist, hört man immer: Die AfD-Wähler:innen sind doch nicht alles Nazis. Das ist sicher rich­tig. Die AfD schreit des­halb „Wäh­ler­be­schimp­fung“ und „Nazi-Keu­le“. Eine durch­sich­ti­ge Immu­ni­sie­rungs-Stra­te­gie, die ihre Wähler:innen noch enger an die AfD bin­den soll. Sie sol­len sich ange­grif­fen füh­len. Aber das ändert nichts dar­an, dass sie eine faschis­ti­sche Par­tei gewählt haben. Denn die Rede ist hier vom Zug, nicht von den Fahr­gäs­ten. Die AfD ver­ein­nahmt ihre Wähler:innen und iden­ti­fi­ziert sie mit der Partei.

Nicht verboten heißt nicht: deshalb demokratisch

Argu­men­ten für fal­sche Tole­ranz gegen­über den Fein­den der Demo­kra­tie begeg­net man über­all. Solan­ge die AfD nicht ver­bo­ten ist, sei es legi­tim, sie zu wäh­len, heißt es. Es ist legal, aber nicht legi­tim. „Nicht ver­bo­ten“ bedeu­tet eben nicht „des­halb demo­kra­tisch“. Denn es gibt kei­nen Zwang, einen Ver­bots­an­trag beim Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt zu stel­len. Ein Par­tei­ver­bot tilgt nicht das unde­mo­kra­ti­sche Gedan­ken­gut in der Gesell­schaft. Es kann des­halb bes­ser sein, eine ver­fas­sungs­wid­ri­ge Par­tei poli­tisch zu bekämp­fen, statt sie zu verbieten.

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Die AfD ist eine faschistische Partei

In Deutsch­land tun sich nicht nur die Medi­en schwer damit, die AfD als faschis­ti­sche Par­tei zu bezeich­nen. Denn beim Begriff Faschis­mus den­ken wir an die Nazi-Zeit und an Auschwitz.

Aber Faschis­mus gab es in den 20er Jah­ren des vori­gen Jahr­hun­derts auch in Ita­li­en, Ungarn, Schwe­den, Nor­we­gen, Groß­bri­tan­ni­en und den USA. Und es gibt ihn heu­te in Polen, Ungarn und vie­len ande­ren Län­dern. Ste­ve Ban­non, der frü­he­re stra­te­gi­sche Bera­ter von Donald Trump, ist ein lupen­rei­ner Faschist. Und er berät auch euro­päi­sche Par­tei­en wie die AfD.

Kennzeichen des Faschismus: Eine Methode der Machtergreifung

Faschis­mus ist nicht erst Holo­caust. Faschis­mus ist vor allem eine Metho­de der Macht­er­grei­fung, die auf einem bestimm­ten Welt­bild basiert.

Kenn­zeich­nend sind:

  • Die Ableh­nung von Mei­nungs­viel­falt, Pres­se­frei­heit und Plu­ra­lis­mus („Lügen­pres­se“).
  • Ein aus­ge­präg­tes Freund-Feind-Den­ken, das sich in Hass und Het­ze äußert. („Wir gegen die“).
  • Eine bio­lo­gis­tisch ver­stan­de­ne Nati­on, die durch Ein­wan­de­rung in ihrer Iden­ti­tät bedroht wird („Umvol­kung“, „Über­frem­dung“, völ­ki­scher Nationalismus).
  • Aus­län­der­feind­lich­keit, beson­ders gegen­über Mus­li­men, Isla­mo­pho­bie („No Moschee“, „Der Islam ist ein Fremdkörper“).
  • Anti­se­mi­tis­mus („Bevöl­ke­rungs­aus­tausch“, „glo­ba­lis­ti­sche Eliten“)
  • Ras­sis­mus
  • Die Ver­harm­lo­sung der deut­schen Geschich­te zwi­schen 1933 und 1945 („Vogel­schiss“).
  • Die Behaup­tung, von „denen da oben“ gede­mü­tigt zu werden.
  • Eine ent­mensch­lich­te Spra­che („Flücht­lin­ge entsorgen“).
  • Das Ver­ächt­lich-machen unse­rer Demo­kra­tie, ver­bun­den mit unver­hüll­tem Macht­an­spruch („Wir holen uns unser Land zurück“).

Das kön­nen Sie aus­führ­li­cher in Umber­to Ecos „Merk­ma­le des Ur-Faschis­mus“ nachlesen.

Die AfD zerstört unser soziales Kapital

Damit rich­tet sich die poli­ti­sche Arbeit der AfD gegen die Fun­da­men­te unse­rer Demo­kra­tie. „Unser frei­heit­li­cher, säku­la­ri­sier­ter Staat lebt von Vor­aus­set­zun­gen, die er selbst nicht garan­tie­ren kann“, hat Ernst-Wolf­gang Böcken­för­de in sei­nem zu Recht viel zitier­ten Dik­tum fest­ge­stellt. Er meint das sozia­le Kapi­tal, das unse­re Gesell­schaft immer wie­der erschaf­fen muss, um gut und fried­lich zusam­men­le­ben zu können.

Die hass­erfüll­te Pola­ri­sie­rung, die die AfD betreibt, soll die­ses sozia­le Kapi­tal gezielt und sys­te­ma­tisch zerstören. 

Ihr Pro­test rich­tet sich nicht gegen die eine oder ande­re Regie­rungs­ent­schei­dung, oder gegen ande­re Par­tei­en. Der Pro­test der AfD rich­tet sich gegen die Grund­la­gen unse­rer Demokratie.

Das muss wis­sen, wer meint, sie aus Ver­är­ge­rung oder Ent­täu­schung über die Regie­rung oder das Ver­sa­gen ande­rer Par­tei­en wäh­len zu kön­nen, um die­sen einen Denk­zet­tel zu ver­pas­sen und sie auf Trab zu brin­gen. Die Feh­ler kön­nen noch so groß sein – Demokrat:innen wäh­len kei­ne faschis­ti­sche Partei!

Ich wün­sche Ihnen eine gute Woche und schö­ne Feri­en, wenn Sie in Urlaub sind.

Herz­li­che Grüße

Ihr Ruprecht Polenz

Kor­rek­tur­hin­weis:

Der Sozio­lo­ge, von dem im Text die Rede ist, heißt Wil­helm Heit­mey­er, nicht Wer­ner, wie es ursprüng­lich im Text stand. Wir haben den Feh­ler korrigiert. 


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Über den Autor

Vie­le Jah­re lang war Ruprecht Polenz Mit­glied des Rats der Stadt Müns­ter, zuletzt als CDU-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der. Im Jahr 1994 ging er als Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ter nach Ber­lin. Er war unter ande­rem CDU-Gene­ral­se­kre­tär, zwi­schen 2005 und 2013 Vor­sit­zen­der des Aus­wär­ti­gen Aus­schus­ses des Bun­des­tags. Von 2000 bis 2016 war Ruprecht Polenz Mit­glied des ZDF-Fern­seh­rats, ab 2002 hat­te er den Vor­sitz. Der gebür­ti­ge Bautz­e­ner lebt seit sei­nem Jura-Stu­di­um in Müns­ter. 2020 erhielt Polenz die Aus­zeich­nung „Gol­de­ner Blogger“.

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