Carla Reemtsmas Kolumne | Das Katastrophenpaket der Bundesregierung

Müns­ter, 12. Juli 2020

Lie­be Leser:innen,

stel­len Sie sich vor, es wäre Ihr Jubi­lä­um und Ihnen wäre so ganz und gar nicht nach Fei­ern zumu­te. So geht es momen­tan jugend­li­chen Klimaaktivist:innen und kli­ma­be­weg­ten Men­schen. Am kom­men­den Frei­tag streikt Gre­ta Thun­berg zum 100. Mal in Fol­ge, und auch in Müns­ter gehö­ren die Mahn­wa­chen vor dem his­to­ri­schem Rat­haus seit ein­ein­halb Jah­ren zum Stadtbild. 

Die Jubi­lä­en könn­ten Freu­den­ta­ge sein, das sind sie aber nicht. Die posi­ti­ven Gefüh­le wer­den sich wohl in Gren­zen hal­ten, weil die abs­trak­te Not­wen­dig­keit für Kli­ma­ak­ti­vis­mus in den ver­gan­gen Jah­ren nicht weni­ger gewor­den ist. Wenig zuträg­lich sind da auch die poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen in Ber­lin, deren Kli­ma­bi­lanz bes­ten­falls ernüch­ternd ist. Zukunfts­pa­ket, Moder­ni­sie­rungs­pro­gramm, Inno­va­ti­ons­prä­mie, Moder­ni­sie­rungs­prä­miedie Ant­wor­ten auf die Coro­na-Pan­de­mie sind gespickt mit Buz­zwords, die klin­gen, als kämen sie aus der Mar­ke­ting-Abtei­lung eines Social-Start­ups, mit dem Ziel, die Gene­ra­ti­on Gre­ta doch end­lich zu besänftigen. 

Dass die­se Wört­chen nur zu wenig mehr in der Lage sind, als dem „Wei­ter so“ des Kon­junk­tur­pa­kets einen hell­grün-moder­nen Touch zu ver­lei­hen, wird in der öffent­li­chen Debat­te schnell ver­ges­sen. Sol­len die Kli­ma­kids doch glück­lich sein, dass Saskia Esken die Abwrack­prä­mie und damit den kolos­sa­len Abfuck­mo­ment einer gan­zen Gene­ra­ti­on ver­hin­dert hat.

Die Politik knickt ein

In kei­nem der Spie­gel­stri­che des Kon­junk­tur­pa­kets setzt die Bun­des­re­gie­rung dem fos­si­len Neo­li­be­ra­lis­mus und sei­nem „Höher, schnel­ler, wei­ter so“ etwas ent­ge­gen. Und am Ende ver­murkst doch mal wie­der der Koh­le­aus­stieg die Regie­rungs­kli­ma­bi­lanz. Dabei klingt Koh­le­aus­stieg doch eigent­lich nach kli­ma­po­li­ti­schem Fort­schritt. Was gibt es also jetzt schon wie­der zu bemängeln?

Mit ihrem Koh­le­aus­stiegs­ge­setz – Klimaaktivist:innen spre­chen lie­be­voll vom Koh­le­EIN­stiegs-, Koh­le­ver­län­ge­rungs-, Koh­le­wie­der­be­le­bungs- oder schlicht dem Koh­le­ge­setz – hat die Bun­des­re­gie­rung wahr­lich ein Kata­stro­phen­pa­ket ver­ab­schie­det. Die Abge­ord­ne­ten des Bun­des­tags hat­ten vor ihrer letz­ten Sit­zung nur ein paar Tage, um noch schnell vor der Som­mer­pau­se über das kom­pli­zier­te Regel­werk abzu­stim­men, das Koh­lestrom bis 2038 und meh­re­re Mil­li­ar­den an Ent­schä­di­gun­gen für Koh­le­kon­zer­ne vorsieht. 

Die­ses Gesetz ist eine Far­ce. Die Poli­tik knickt vor den Koh­le­kon­zer­nen ein. Die Lis­te an Grün­den dafür ist lang, selbst wenn man die Kli­ma­per­spek­ti­ve vernachlässigt: 

  • Die Ent­schä­di­gun­gen für in die Jah­re gekom­me­ne Kraft­wer­ke sind viel zu hoch. Nicht ein­mal der Wirt­schafts­mi­nis­ter kann sie begründen. 
  • Die Situa­ti­on am Ener­gie­markt hat sich spä­tes­tens durch Coro­na so ver­än­dert, dass Koh­le längst unren­ta­bel ist. Der dre­cki­ge Strom wür­de weit vor 2038 von allei­ne aus dem Markt gedrängt. 
  • Vie­le Kraft­wer­ke wer­den die neu­en EU-Schad­stoff­grenz­wer­te gar nicht mehr ein­hal­ten können.

Auch die Kom­men­ta­re der Jour­na­lis­ten gro­ßer Nach­rich­ten­häu­ser klin­gen so ver­nich­tend, dass sie Klimaaktivist:innen kaum kri­ti­scher hät­ten schrei­ben kön­nen. Von „ver­gol­de­ten Dreck­schleu­dern“ und „erkauf­tem Frie­den“ ist etwa beim Spie­gel und der Süd­deut­schen Zei­tung die Rede. 

Der Ausstieg ist keine Symbolpolitik

Ande­re Din­ge fal­len in Anbe­tracht der statt­li­chen Zah­lun­gen an die Koh­le­kon­zer­ne schnell unter den Tisch. Zum Bei­spiel, dass für die im Koh­le­ge­setz ver­ein­bar­te Erwei­te­rung der Tage­bau-Plä­ne noch sie­ben Dör­fer abge­bag­gert wer­den sol­len. Oder dass es die Pari­ser Kli­ma­zie­le uner­reich­bar macht. Und das, obwohl die Kli­ma­ge­rech­tig­keits-Bewe­gung ja seit Jah­ren auf den Stra­ßen und in den Wäl­dern der Repu­blik gegen genau die­se Unge­rech­tig­kei­ten und nicht für die wirt­schaft­lich ren­ta­bels­te Ener­gie­po­li­tik kämpft. 

Am Ende zählt in der Ana­ly­se das har­te Geld, und selbst Men­schen aus der Kli­ma­ge­rech­tig­keits-Bewe­gung erzäh­len plötz­lich, dass der markt­wirt­schaft­li­che Aus­stieg schnel­ler sei als der, den die­ses Gesetz bewirkt. Akti­vis­ten, die für den frei­en Markt und gegen eine poli­ti­sche Regu­lie­rung des Koh­le­aus­stiegs argu­men­tie­ren? Ein sel­te­nes Schau­spiel.

So häu­fig wie in den Bewe­gun­gen vom Koh­le­aus­stieg gespro­chen wird, klin­gen For­de­run­gen schnell nach Sym­bol­po­li­tik. Der Ham­bi, die Bag­ger, die Dör­fer – alles Orte des Pro­tests wie aus dem Bil­der­buch. Doch der Koh­le­aus­stieg ist kei­ne Sym­bol­po­li­tik. Die Ver­bren­nung von Koh­le ist die dre­ckigs­te Ener­gie­form der Welt; ihr schnel­les Ende ist zur Errei­chung des 1,5-Grad-Ziels unab­ding­bar.

In kaum einer poli­ti­schen Ent­schei­dung wird die phy­si­ka­li­sche Rea­li­tät der Kli­ma­kri­se so sicht­bar wie in der Fra­ge nach dem End­da­tum der Tage­baue. Das Kli­ma ver­han­delt eben nicht. Und wäh­rend Politiker:innen und Konzernchef:innen die Aus­stiegs­mo­da­li­tä­ten in näch­te­lan­gen Kon­fe­ren­zen aus­kla­mü­se­rn, sto­ßen die Kraft­wer­ke im Rhei­ni­schen, Lau­sit­zer und Leip­zi­ger Revier pau­sen­los CO2 in die Luft. Paris rückt damit in immer wei­te­re Ferne.

Die Mehrheit will den Ausstieg 

Als also nach dem Hit­ze­som­mer 2018 die Rodung des Ham­bi droh­te, zog es zehn­tau­sen­de Men­schen aus dem gan­zen Land plötz­lich zum Pro­test ins Rhein­land. Weni­ge Mona­te spä­ter began­nen die ers­ten Fri­days-For-Future-Streiks, und auch in Müns­ter ver­sam­mel­ten sich ein oder zwei Dut­zend Men­schen, denen das Kli­ma irgend­wie wich­tig war, vor dem Rat­haus. Im Janu­ar 2019 soll­te dann die Koh­le­kom­mis­si­on einen Aus­stiegs­plan vor­le­gen. Am Frei­tag zuvor hat­ten wir uner­war­tet mit 10.000 Men­schen vor dem Wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um in Ber­lin gestreikt. Als wir am Sams­tag­früh von dem Ergeb­nis „Koh­le­aus­stieg 2038“ hör­ten, war das ein her­ber Schlag. 

Es sei über­haupt nicht Auf­ga­be der Kom­mis­si­on, die Ein­hal­tung des deut­schen Bei­trags zum 1,5-Grad-Ziel zu gewähr­leis­ten. So lau­te­te die Recht­fer­ti­gung für das unzu­rei­chen­de Aus­stiegs­da­tum. Nur: Wenn eine von der Regie­rung ein­ge­setz­te Kom­mis­si­on einen Vor­schlag macht, der anschlie­ßend mög­lichst deckungs­gleich in Rechts­form über­setzt wer­den soll, muss er sich an den bestehen­den Ver­pflich­tun­gen eben die­ser Regie­rung orientieren. 

Als demo­kra­tie­för­dern­de Insti­tu­ti­on, in der alle Betei­lig­ten und Betrof­fe­nen eine Stim­me erhal­ten, soll­te die Koh­le­kom­mis­si­on einen Kom­pro­miss errin­gen. Stand heu­te sind es aber vor allem die Koh­le­län­der und Koh­le­kon­zer­ne, die mit dem Aus­gang (viel Geld, spä­tes Aus­stiegs­da­tum) zufrie­den sind. Kli­ma­ak­ti­vis­ti­sche und zivil­ge­sell­schaft­li­che Grup­pen muss­ten auch in den ein­ein­halb Jah­ren nach die­ser Sit­zung wei­ter für den Erhalt der Dör­fer und ein schnel­le­res Ende der Koh­le kämp­fen.

Das Koh­le­ge­setz vom ver­gan­ge­nen Frei­tag war fast zu erwart­bar, um auf ein Neu­es gro­ßen Pro­test aus­zu­lö­sen: Die gro­ße Empö­rung, den Auf­schrei, die spon­ta­ne Wut haben alle schon in den ver­gan­ge­nen Mona­ten immer wie­der ent­la­den kön­nen. Was übrig bleibt, ist aber vor allem ein etwas müdes Unver­ständ­nis. An der poli­ti­schen Rea­li­tät rund um die Koh­le hat sich in den ver­gan­ge­nen 16 Mona­ten eini­ges geän­dert, aber nichts zum Positiven. 

Mit den neu­en Abschalt­pfa­den, der Inbe­trieb­nah­me von Dat­teln 4, der geplan­ten Abbag­ge­rung der Dör­fer und den Mil­li­ar­den­ent­schä­di­gun­gen wur­de immer noch wei­ter auf die Kon­zer­ne zuge­gan­gen, wäh­rend die Zivil­ge­sell­schaft wie­der und wie­der außen vor blieb. Die Koh­le­kom­mis­si­on hat 2038 gesagt, 2038 soll­te es blei­ben. Dabei über­se­hen Minis­ter und Ent­schei­dungs­trä­ge­rin­nen, dass die gesell­schaft­li­che Rea­li­tät längst eine ande­re ist. Seit der Ent­schei­dung der Koh­le­kom­mis­si­on hat allein Fri­days For Future über 3.500 Mal gestreikt, dazu kom­men unge­zähl­te wei­te­re Klimaproteste. 

Im Ham­bi und mit den ers­ten Kli­ma­streiks ist der Kampf um die Koh­le vom Rand in die Mit­te der Gesell­schaft über­ge­sprun­gen. Die Mehr­heit der Bürger:innen will den Koh­le­aus­stieg – und zwar deut­lich schnel­ler als ihre Regie­rung und ohne hohe Zah­lun­gen an die Kon­zer­ne. Wenn man statt­des­sen alle Ver­ant­wor­tung auf eine Kom­mis­si­on abwälzt, die demo­kra­tisch bes­ten­falls frag­wür­dig ist, wird man Anspruch an eine zukunfts­fä­hi­ge und demo­kra­ti­sche Poli­tik kei­nes­falls gerecht. Das blen­det die gesell­schaft­li­che Rea­li­tät aus.

Schwe­rer als der end­gül­ti­ge Ver­lust von jun­gen Wäh­ler­stim­men für Uni­on und SPD wiegt aller­dings der Ver­trau­ens­ver­lust in Politiker:innen und ihre Insti­tu­tio­nen. Gera­de erst kamen die kata­stro­pha­len Zustän­de in der Schlacht­in­dus­trie ans Licht. Nun will man auch die jahr­zehn­te­lang ver­schlepp­te Agrar­wen­de einer Kom­mis­si­on über­las­sen. Das wird kaum dazu bei­tra­gen, die­ses Ver­trau­en wie­der aufzubauen. 

Ankündigungen allein sind wenig wert

Ein ver­ab­schie­de­tes Geset­zes­pa­ket bedeu­tet aber nicht, dass alle Bemü­hun­gen nun enden. Die Moti­va­ti­on für Pro­test kommt nicht allein aus poli­ti­schen Erfolgs­er­leb­nis­sen. Die Moti­va­ti­on ent­steht, weil Men­schen rea­le Unge­rech­tig­kei­ten nicht aus­hal­ten wol­len. Das gilt unab­hän­gig davon, ob sie für Kli­ma­ge­rech­tig­keit, ein soli­da­ri­sches Euro­pa, See­not­ret­tung oder gegen Ras­sis­mus und Frau­en­feind­lich­keit pro­tes­tie­ren. Auf die Ernüch­te­rung folgt eben auch immer ein neu­es Empörungsmoment. 

Bis zum not­wen­di­gen Aus­stieg aus der Koh­le im Jahr 2030 ist noch viel Zeit. Doch weil die Kli­ma­kri­se einen phy­si­ka­li­schen Kern hat, zählt bei ihrer Bekämp­fung jeder Tag. Jeder Tag, den der Koh­le­aus­stieg frü­her kommt und auch jede ein­ge­spar­te Ton­ne CO2. Vie­le Emis­sio­nen sind bis­her bloß auf dem Papier fest­ge­schrie­ben. Sie kön­nen wir noch ver­hin­dern. Auch des­we­gen darf ein Gesetz wie die­ses nicht den Sieg der Koh­le­lob­by über die Inter­es­sen der Bürger:innen bedeu­ten. Dafür wer­den wir im Zwei­fels­fall auch zehn wei­te­re Jah­re lang protestieren. 

Ganz anders und doch ähn­lich ver­hält es sich übri­gens auch in Müns­ter: Hier konn­te man zwi­schen­zeit­lich den Ein­druck gewin­nen, Fri­days For Future hät­te sich in die Bedeu­tungs­lo­sig­keit gesiegt. Kli­ma­not­stand und der Rats­be­schluss zur Kli­ma­neu­tra­li­tät 2030 – bes­ser könn­te es aus Pro­test­per­spek­ti­ve kaum wer­den. Aber auch hier gilt: Ankün­di­gun­gen allein sind nicht viel wert. Es reicht nicht aus, Emis­sio­nen auf dem Papier ein­zu­spa­ren. Ohne die Über­set­zung in eine kli­ma­neu­tra­le und zukunfts­fä­hi­ge Stadt­po­li­tik blei­ben all die Ankün­di­gun­gen nur heh­re Versprechen. 

Inzwi­schen hän­gen die ers­ten Wahl­pla­ka­te. Ein Bür­ger­meis­ter­kan­di­dat wirbt mit Kli­ma­neu­tra­li­tät. Unse­re Auf­ga­be ist, Rück­schrit­te zu ver­hin­dern. Und unse­re Auf­ga­be wird blei­ben, dafür zu strei­ten, dass aus den Ankün­di­gun­gen Tat­sa­chen wer­den. Wir blei­ben dran. 

Vie­le Grü­ße und ein schö­nes Wochenende

Ihre Car­la Reemtsma