Zu dir, zu mir, zusammenziehen | Wohin des Weges am Bremer Platz? | Nachtisch Dessertcafé

Porträt von Svenja Stühmeier
Mit Svenja Stühmeier

Guten Tag,

wünschen Sie sich auch eine Person, mit der Sie morgens Ihren ersten Kaffee trinken? Eine Person, mit der Sie auf dem gemeinsamen Balkon den Tag Revue passieren lassen? Eine Person, die Ihnen noch ein paar getragene Unterhosen spendet, damit es sich endlich lohnt, Ihre Kochwäsche anzustellen? Kurzum: Eine Person, bei der Sie sich so richtig zu Hause fühlen? Dann lege ich Ihnen das Speed-Dating sehr ans Herz – auf dass Ihres bald höher schlage!

Am 22. April lädt die Stadt von 14 bis 17 Uhr zu dieser Veranstaltung im Bennohaus ein. Thema: gemeinschaftliches Wohnen. Menschen, die sich für Wohnprojekte interessieren, können sich dort treffen. Damit ist sie in ihrer Kommunikationsstrategie auf einer Linie mit Bauministerin Klara Geywitz: Die spricht im Interview mit „Zeit Online“ von einer „Architektur der Einsamkeit […] wo man ja oft morgens mutterseelenallein vor seinem Computer im Homeoffice sitzt“.

Und damit trifft sie natürlich einen Punkt. Einsamkeit ist ein Thema, und das nicht nur für Ältere, sondern auch für junge Menschen, die nicht mehr ihr ganzes Leben an einem Ort verbringen – und irgendwann das Elternhaus übernehmen. Aber: Wohnen so sehr zu emotionalisieren, macht es in der Wahrnehmung zu einem individuellen Problem, das jeder Mensch für sich zu lösen hat.

Im April unterstützt uns
Münster gemeinsam gestalten.

Wir, die INITIATIVE STARKE INNENSTADT MÜNSTER, sind verantwortliche Partner aus den Bereichen Handel, Gastronomie und Immobilien, um Münster erfolgreich durch die anstehenden innerstädtischen Veränderungsdynamiken zu führen. Ergreifen auch Sie die Initiative und werden Mitglied oder Fördermitglied für eine starke Innenstadt.

 

 

www.isi-muenster.de

Der Quadratmeterpreis einer 25-Quadratmeter-Wohnung ist deutlich höher als der einer Wohnung, die doppelt so groß ist? Sehen Sie das mal positiv. In der Summe zahlen Sie immer noch weniger und Minimalismus ist ja auch in. Sie haben noch ein freies Zimmer, mögen aber Ihre Ruhe? Ach, Sie finden sicherlich eine Person, die genau denselben (oder entgegengesetzten, je nach Vorliebe) Schichtplan hat wie Sie. Sie brauchen genau jetzt eine Bude und wollen deswegen nicht zu einem Vernetzungstreffen gehen und dann mal sehen?

Das sollte nicht Ihr individuelles Problem sein. Da, wo Menschen wohnen wollen, gibt es nicht ausreichend Wohnraum, vor allem keinen, den alle bezahlen können. Natürlich ist es toll, wenn Menschen individuelle Lösungen finden. Zum Beispiel der Hausverein Wigwam, der mit dem Mietshäuser Syndikat ein Projekt umgesetzt hat. Der schreibt aber selbst auf seiner Seite: „Unser Ziel ist es, dem spekulativen Immobilienmarkt Wohnraum zu entziehen“ und „Wir finden, dass wohnen [sic] in Münster für alle möglich sein muss“. Wäre doch was, wenn das nicht nur das Ziel einzelner Gruppen, sondern politisches Grundverständnis wäre. Bis es soweit ist, können Sie sich ja die Wohnprojekte anschauen, die es in Münster schon gibt, die gerade entstehen oder die geplant sind. Oder Sie vertreiben sich die Zeit mit ein wenig Wohnungs-Tinder. (sst)

Kurz und Klein

+++ Bleiben wir beim Thema Wohnen: Die Stadt hat diese Woche den neuen Grundstücksmarktbericht vorgelegt. Die wenig überraschende Botschaft: Die Kaufpreise für Immobilien in Münster steigen weiter in schwindelerregende Höhen. Zu Beginn des vergangenen Jahres sind die Preise sprunghaft angestiegen und pendelten sich danach auf einem hohen Niveau ein. Dazu zwei Eckdaten aus dem Bericht: Eine Eigentumswohnung kostet pro Quadratmeter 4.000 Euro, ein freistehendes Einfamilienhaus 4.100 Euro. (sfo)

+++ Gerade einmal 17 Euro pro Jahr müssen Autofahrende in Münster momentan für einen Anwohnerparkausweis zahlen. Mehr als 6.600 solcher Ausweise hat die Stadt bislang ausgegeben, es gibt aber nur halb so viele Anwohnerparkplätze. Der Rat hat allerdings beschlossen, mit den Dumpingpreisen Schluss zu machen. In zwei Stufen sollen die Jahresgebühren nun steigen, ab Juli 2024 kostet das Anwohnerparken dann in der Spitze 380 Euro pro Jahr. Dagegen regt sich nun Widerstand am Breul: Eine Gruppe von Anwohnenden hat eine Petition an Oberbürgermeister Markus Lewe auf den Weg gebracht, um die geplante Gebührenerhöhung zu stoppen oder „allenfalls maßvoll“ vonstattengehen zu lassen. (Den Petitionstext können Sie hier oder nahezu wortgleich in den Westfälischen Nachrichten nachlesen.) Die Gruppe stört sich daran, dass die Gebührenerhöhung ohne ein „ganzheitliches Park- und Verkehrskonzept“ durchgesetzt wird. Moment mal… war da nicht was? Matthias Wambach von der Anwohnergruppe sagt am Telefon, er hätte es besser gefunden, die Stadt hätte zuerst das integrierte Parkraumkonzept vorgestellt und dann die Parkgebühren erhöht. Er kritisiert außerdem, dass die Stadt die Parkgebühren nutzt, um das geplante 29-Euro-Ticket und nicht etwa die Parkraumbewirtschaftung zu finanzieren. Statt beispielsweise Anwohner:innen in der Innenstadt zu belasten, hätte man genauso gut auch die Gebühren auf Pendlerparkplätzen erhöhen können. So würde eine Personengruppe unverhältnismäßig stark belastet und der Preisanstieg sei ohnehin sozial unausgewogen. Wobei man fairerweise einräumen muss: Die Stadt staffelt die neuen Anwohnerparkgebühren je nach Autogröße. Personen mit Kleinwagen müssen am Ende nur 260 Euro statt der vollen 380 Euro für große Fahrzeuge zahlen. Und wer einen Münsterpass hat, muss nur 80 Euro pro Jahr zahlen. Welchen Preis Wambach für angemessen hielte, kann er allerdings nicht sagen. Ihm wäre es lieb, die Stadt würde die Kosten fürs Anwohnerparken offenlegen, damit man eine nachvollziehbare Entscheidung trifft. (sfo)

+++ Erst vor ein paar Tagen hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Coronapandemie in Deutschland höchstpersönlich für beendet erklärt. Seit am 8. April auch die letzten Schutzmaßnahmen ausgelaufen sind, muss auch niemand mehr eine FFP2-Maske mehr im Krankenhaus, im Pflegeheim oder beim Hausarzt tragen. Eine gute Idee? Anke Richter-Scheer vom Hausärzteverband Westfalen-Lippe schreibt uns auf Anfrage, dass die Mehrheit der Hausärzt:innen den Wegfall der Maskenpflicht befürwortet. Nur wenige Praxen würden von ihrem Hausrecht Gebrauch machen, mit dem sie Patient:innen immer noch zum Masketragen verpflichten können. Sie glaubt außerdem nicht, dass sich jetzt wieder mehr Menschen mit dem Coronavirus anstecken. Zurzeit behandelten die Hausärzt:innen viele Patient:innen wegen anderer Infekte, die für chronisch Kranke nicht weniger gefährlich als Covid-19 sein können. Deshalb die Bitte: einfach an die einstudierten Hygieneregeln halten und Maske tragen, wenn man krank ist. (sfo)

+++ Das Stadttheater Münster macht Miese, um genau zu sein fast 729.000 Euro. Die Folgen der Pandemie und des Ukrainekrieges seien immer noch deutlich zu spüren, heißt es in der Pressemeldung der Stadt. Die Probleme: Voraussichtlich besuchen erst in der Spielzeit 2026/27 wieder so viele Menschen das Theater wie vor der Pandemie und die Kosten für die Bühne, Kostüme, Energie und fürs Gebäude steigen. Kulturdezernentin Cornelia Wilkens sieht jetzt die Landesregierung in der Verantwortung: Die schwarzgrüne Koalition habe vereinbart, mehr Geld für die Kultur auszugeben, nun müssten die Mittel auch fließen. (sfo)

+++ Am Dienstag wählt die Bezirksvertretung-West einen neuen Bezirksbürgermeister, nachdem der bisherige Mann an der Spitze, Jörg Nathaus von den Grünen, sein Amt niedergelegt hat. Den Westfälischen Nachrichten zufolge steht auch schon fest, wer der neue Bezirksbürgermeister wird, nämlich der Sozialdemokrat Stephan Brinktrine, der schon von 2015 bis 2020 Münster-West regiert hatte. SPD und Grüne hatten nach der Kommunalwahl vereinbart, sich den Posten des Bezirksbürgermeisters zu teilen. Ob die CDU einen eigenen Kandidaten am Dienstag ins Rennen schickt, stehe im Moment nicht fest, berichten die WN. Auch der Stellvertreterposten wird ausgetauscht: Elke Kraut-Kleinschmidt von der SPD macht als stellvertretende Bezirksbürgermeisterin Platz für die Grüne Hedwig Wening. (sfo)

Zahlen, bitte.
Infografik zur Szene am Bremer Platz

Für die sogenannte Szene bedeuten die Umbauarbeiten am Bremer Platz: umziehen. Vor ein paar Monaten ist sie von der Nordseite ins Quartier ausgewichen. Insbesondere im Bereich Indro und Parkhaus hat das verstärkt für Unmut bei Anlieger:innen gesorgt. Inzwischen hält sie sich auf der Fläche im Süden auf, die übergangsweise für die szenezugehörigen Personen hergerichtet wurde. In ein paar Monaten kann sie dann zurück auf ihren angestammten Platz im Norden.

(Quelle: RUMS-Anfrage)

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Wohin des Weges am Bremer Platz?

Die Prämisse lautet: Wer sich am Bremer Platz aufhält, darf auch dort bleiben. Klingt erst einmal selbstverständlich, wenn man über einen öffentlichen Ort spricht. Hier ist das aber nicht ganz so einfach. Der Rat hatte 2017 beschlossen, dass die sogenannte Szene ihren Treffpunkt auf dem Platz behalten soll, auch nach den Umbauarbeiten. Im Sommer 2022 hat eine Umfrage im Quartier allerdings noch gezeigt: Ein gutes Viertel der Einwohner:innen will auf jeden Fall, dass die Szene am Bremer Platz bleibt, ein weiteres gutes Viertel sagt „auf keinen Fall“.

Insgesamt sind ziemlich viele Menschen involviert, um dieses „verträgliche Nebeneinander“ zu erreichen. Wie steht es gerade um den Vorsatz, die Menschen aus der Szene nicht vom Bremer Platz zu verdrängen?

Wer genau „die Szene“ eigentlich ist, ist nicht ganz klar. Was die Personen ausmacht: Viele sind wohnungslos, viele haben Sucht- und psychische Krankheiten und viele wollen eigentlich nicht am Bremer Platz sein. „Niemand hat sich ausgesucht, abhängig und wohnungslos zu sein“, sagt Christine Kockmann von der Bahnhofsmission. Die Coronapandemie sei eine „Vollkatastrophe“ für die Klientel der Einrichtung gewesen, zu der auch Menschen vom Bremer Platz gehören. Drei Jahre Krisenmodus, schlechte Stimmung, kein Geld für Lebensmittel, und dann bricht auch noch der Lebensort weg – sie kann verstehen, dass der Umbau des Bremer Platzes Unruhe gestiftet hat.

Dass Menschen unter Drogeneinfluss, mit lautem Gebaren oder beim Wildpinkeln anderen Menschen ein ungutes Gefühl geben, ist allerdings auch nachvollziehbar. Neben der Szene gibt es schließlich noch Anwohner:innen, Grundschüler:innen, Gewerbetreibende, Reisende und Besucher:innen der anliegenden Gastronomie, die sich am Bremer Platz aufhalten.

Die Abstimmung mit den Füßen

Mit der Frage, wie dieser Ort für alle aussehen und geschaffen werden kann, beschäftigt sich Quartiersmanager Stefan Scholz. Das Quartiersmanagement wurde 2018 gegründet, um die Aufwertung der Bahnhofsrückseite zu begleiten. Mit ihm der Runde Tisch, an dem sich Interessengruppen rund um den Bremer Platz austauschen. Dass die Szene am Platz bleiben darf, ist ein logischer Schluss für Stefan Scholz: Mit Verweis auf Münsters Skater:innen erklärt er, dass sich Gruppen die für sie passenden Orte suchen. „Sie haben sich den Platz vor den Stadtwerken angeeignet, weil er einfach perfekt zum Skaten ist“, sagt er. Genauso sei es eben mit den Menschen, die sich am Bremer Platz aufhalten. Der Bahnhof bedeutet Mobilität, außerdem Anonymität. „Das ist informelle Organisation. Die Leute können nicht einfach weggebracht werden. Sie stimmen sozusagen mit den Füßen ab.“

Und das ist in den vergangenen Monaten passiert. Was Stefan Scholz als Abstimmung mit den Füßen bezeichnet, heißt zum Beispiel in der Presseberichterstattung und im Jahresbericht für 2022 des Drogenhilfe-Vereins Indro ziemlich technisch „Verlagerung“. Die Menschen, die sich vorher auf der Nordseite des Bremer Platzes aufgehalten haben, haben sich neue Orte gesucht. Viele von ihnen hielten sich in der „kleinen“ Bremer-Platz-Straße, insbesondere vor dem Indro, und im Parkhaus am Bremer Platz auf. Das hat einige Wochen lang das Sicherheitsgefühl von Anwohnenden stark eingeschränkt und die Polizei vermehrt auf den Plan gerufen.

Anonymer Briefkasten

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Man könnte jetzt sagen: kalter Kaffee. Inzwischen gibt es ja die Übergangsfläche im Süden des Bremer Platzes, wo sich die Szene temporär aufhalten kann und das auch annimmt. Man könnte auch sagen: Eigentlich war der Plan ja, dass die Szene an ihrem Platz bleibt (RUMS-Brief). Das hat gleich zu Beginn der Bauarbeiten nicht geklappt. Entweder nennt man das dann „Probleme mit der Drogenszene“. Oder man fragt sich: Was braucht es denn, damit die Menschen sich auf dem neu gestalteten Platz wie geplant aufhalten?

Die Antwort scheint so logisch wie der Anspruch, dass der Bremer Platz ein öffentlicher Ort für alle sein soll: Sie müssen sich dort wohlfühlen. Seit Anfang 2022 arbeiten Fabian Lickes und Ann-Christin Schrey daran, der Szene zu vermitteln: Wir wollen, dass ihr bleibt. Die Sozialarbeiter:innen laufen ihre Routen im Bahnhofsbereich ab, sind Ansprechpersonen und geben Informationen weiter, zum Beispiel über die nächsten Schritte in Sachen Umbau des Bremer Platzes. Trotzdem kämen nicht immer alle Informationen bei allen an, oder es sprächen sich falsche herum.

Auch wichtig: Die beiden geben nicht nur Informationen an die Menschen am Bremer Platz weiter, sondern auch Wünsche von ihnen, zum Beispiel ans Grünflächenamt. Die Interimsfläche wurde im Nachhinein zum Beispiel angepasst. Das Sonnensegel schützt jetzt auch vor Regen, der Sichtschutz wurde ausgebaut, und die Toilette steht nun an einem anderen Ort.

Wohin mit der Toilette?

Die Menschen aus der Szene müssen also nicht mehr nur reagieren, sondern handeln auch selbst. Was das bedeutet und inwiefern das die Verdrängung beeinflussen kann, zeigt das Beispiel Toilette ganz gut. Die Nutzung öffentlicher Toiletten kostet in Münster Geld. Für Menschen, die keines haben und größtenteils auf der Straße leben, bleiben nur die in sozialen Einrichtungen – oder Orte in der Öffentlichkeit. Ende Januar wurde die alte Toilette am Bremer Platz abgebaut, woraufhin die Szene noch verstärkt in die Nebenstraßen gegangen ist.

Das Immobilienunternehmen Areo und seine Mieter:innen am Berliner Platz zum Beispiel wollen wiederum verständlicherweise verhindern, dass Menschen an die Hauswände urinieren. Dort hängen nun Kameras. Areo-Mitarbeiter Hendrik Reichmann sagt: Vandalismus, Diebstahl und „die Anzahl der Personen, die unangemessenes Verhalten zeigen“, seien seit der Installation zurückgegangen. Die Anzahl der Personen, die ihre Notdurft verrichten müssen, ist es allerdings nicht. Es ist wohl nur angenehmer, das irgendwo zu tun, wo niemand eine:n beobachtet. Zum Beispiel in Hinterhöfen, wie eine Anwohnerin berichtet.

Aber zurück auf die Interimsfläche: Dort gibt es mittlerweile eine Toilette – die auf Wunsch der Szene noch einmal umplatziert wurde. Denn was man erfährt, wenn man nicht nur die Pläne macht, sondern ihre Umsetzung vor Ort begleitet: Eine Toilette steht besser nicht in der windgeschütztesten Ecke. Dann sammelt sich nämlich eine Menschentraube um sie herum an, sodass wieder niemand mehr kurz mal wohin verschwinden kann.

Ein Beispiel, das zeigt: Die beziehungsgestützte Arbeit kann Probleme niedrigschwellig lösen. Es muss nicht immer gleich die Polizei involviert sein, was die übrigens auch so sieht und die Sozialarbeiter:innen öfter bittet, zuerst das Gespräch zu suchen, bevor sie etwa wegen herumstehender Möbel auf dem Bremer Platz ausrückt.

Eine Gratwanderung für die Polizei

Wer über Polizeiarbeit am Bremer Platz spricht, sagt ziemlich früh das Wort „Augenmaß“. Denn: Die Beamt:innen sind auf der einen Seite verpflichtet, Straftaten zu verfolgen. Von der Polizei wurde der Bremer Platz als Kriminalitätsschwerpunkt eingestuft, daraus resultiert laut Sprecher Jan Schabacker, dass er als „gefährlicher Ort“ gilt. Das heißt nicht, dass Sie den Platz meiden sollen. Es heißt: Dort geschehen vermehrt Straftaten. Das legen auch die Kriminalstatistiken der vergangenen Jahre nahe, und erst am Montagabend wurde dort ein Mann lebensgefährlich verletzt. Was in Bezug auf Drogendelikte jedoch auch in der Statistik steht, die 2022 deutlich angestiegen sind: Das liegt daran, dass die Polizei stärker kontrolliert. Das eine bedingt also das andere gewissermaßen. Unsere sehr kurzfristige Anfrage, inwiefern das bei der Einstufung als „gefährlicher Ort“ eine Rolle spielt, konnte die Polizei bis zur Veröffentlichung unseres Briefes nicht beantworten. Warum es allerdings wichtig ist, kommunizierte Zahlen zu Straftaten einzuordnen, können Sie hier bei Übermedien nachlesen.

Jedenfalls: Der Polizei gibt diese offizielle Einstufung das Recht, bestimmte Maßnahmen durchzuführen, die an von ihr als unauffällig eingestuften Orten nicht erlaubt sind. Als erfolgreich bezeichnet Polizeisprecher Jan Schabacker etwa die strategische Fahndung. Die soll Straftaten vorbeugen und gibt Beamt:innen das Recht, die Identität von Personen zu kontrollieren, mitgeführte Sachen zu begutachten und sie in bestimmten Fällen zu durchsuchen.

Auf der anderen Seite möchte auch die Polizei die Szene am Bremer Platz behalten. So sei es einfacher, sie im Blick zu haben. „Das Ziel kann nicht sein, dass es irgendwann keine Kriminalität mehr gibt“, ordnet Jan Schabacker ein. Theoretisch könnten zum Beispiel alle, die das Drogenhilfezentrum Indro betreten, eine Straftat begehen, da der Besitz von Heroin strafbar ist. Das wäre jedoch eine Strafverfolgung „ad absurdum“.

Ralf Gerlach nimmt die Menschen, die durch die Tür der Drogenhilfe Indro kommen, in Empfang. Er leitet die Einrichtung und hält die Zusammenarbeit mit der Polizei und ihre Arbeit am Bremer Platz momentan für angemessen. Er nimmt allerdings auch wahr: Die Szene reagiert immer noch sehr sensibel auf Polizeipräsenz. 2019 hat eine Szenebefragung ergeben, Polizeikontrollen sind der häufigste Grund dafür, sich vom Bremer Platz zu entfernen.

Noch im Jahresbericht 2022 kritisiert Ralf Gerlach Razzien und Einkesselungsaktionen als Kontrollmethoden. Die sorgten gerade für Verdrängung der Szene und würden zwar ordentlich Medienaufmerksamkeit generieren, den Drogenhandel jedoch nicht schmälern. Auch Jan Schabacker bestätigt: Am Bremer Platz sind nicht die großen Fische des Drogengeschäfts unterwegs. Wenn ein:e Dealer:in auffliegt, steht schnell ein:e neue:r da. Pressemitteilungen der Polizei schlagen hingegen auch mal einen anderen Ton an. Gerade ist insbesondere Crack im Umlauf, was Gerlach als einen Grund nennt, warum die Szene in der letzten Zeit deutlich gewaltbereiter und aggressiver ist.

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Was Ralf Gerlach ebenfalls kritisch sieht: die Idee, eine Videoüberwachung auf dem Bremer Platz zu installieren. Ob das möglich ist, prüft die Polizei gerade. Sie erhofft sich dadurch mehr Erkenntnisse über Straftaten und die Möglichkeit, schneller zu agieren. Außerdem will sie das persönliche Sicherheitsgefühl der Passant:innen stärken. Gerlach schätzt, dass öffentlich bekannte Kameras allerdings zur Verlagerung von Dealenden und Konsumierenden führen würde. „Das wäre kontraproduktiv, jetzt wieder Maßnahmen zu etablieren, die Verdrängung nach sich ziehen“, sagt er mit Blick auf den Umbau des Bremer Platzes.

Denn mit dem Umzug der Szene auf die Übergangsfläche ist es ja nicht getan. Ab Sommer soll sie sich wieder auf dem nördlichen Drittel aufhalten, wo sie dann quasi ihren angestammten Platz zurückerhält. Allgemeiner Tenor: gut möglich, dass das gut läuft. Bis dahin darf es aber niemand verhauen.

Was sind also die nächsten Schritte?

Zunächst einmal gute Nachrichten aus dem Indro: Die Beratungsstelle, die seit Jahren personelle und räumliche Engpässe hat, hat neue Räume. Direkt nebenan, erst einmal bis Ende Januar 2024. Neue Beratungsplätze sollen dort entstehen, sagt Ralf Gerlach, in ein paar Tagen findet eine Begehung statt. Er hofft, dass Indro das Gebäude auch langfristig nutzen kann. Dann sollen dort zusätzliche Konsumplätze entstehen, um den Bedarf zu decken.

Vorm Indro und im Parkhaus am Bremer Platz ist es wieder deutlich ruhiger geworden. Uwe Laurenz, der für das Marketing der Westfälischen Bauindustrie Münster zuständig ist, sagt, dass dort ein Einfahrtstor repariert werden soll. Außerdem würden einige Metallgitter im Erdgeschoss ergänzt, damit man nicht mehr so leicht hineinlaufen kann. Das habe aber nicht höchste Priorität, da sich die Situation entspannt habe.

Stefan Scholz ist überzeugt, dass ein Nebeneinander der verschiedenen Gruppen dort funktionieren kann. Zum einen ist weiterhin schnelle Reaktion gefragt, wenn etwas auffällig ist, sich Leute etwa in Hauseingängen aufhalten. Zum anderen sagt er, Bürger:innen müssten eine „urbane Kompetenz“ entwickeln. Das heißt: Sie lernen, dass man auch Menschen mit Süchten begegnen kann.

Eine Anwohnerin ist von dem Nebeneinander allerdings noch nicht überzeugt. „Ich kenne den Bremer Platz seit 30 Jahren. Man macht da einfach nichts“, sagt sie. Das sitze tief drin. Was nicht heißt, dass sie sich nicht eine Veränderung wünscht. Sie geht jedoch davon aus, dass es Zeit braucht, bis sich unterschiedliche Gruppen den Platz zu eigen machen.

Der Platz soll auch nicht über die Stadtgrenzen hinaus in Drogenszenen bekannt werden. Jetzt im Frühling wird es im Quartier immer mal wieder einen Lastenrad-Stand geben, um mit Bewohner:innen ins Gespräch zu kommen. Das Quartiersmanagement will den Prozess auch weiterhin begleiten. Und es wird Verstärkung geben: Stefan Scholz bekommt wieder eine Kollegin. Die Zukunft des Bremer Platzes selbst ist also noch ungewiss: Wird er als Park für alle genutzt? Oder doch eher als Durchgangsplatz? (sst)

Klima-Update

+++ Morgen schließt sich ein Kapitel Energiegeschichte in Deutschland: Die letzten drei Atomkraftwerke in Lingen, Neckarwestheim und Essenbach werden abgeschaltet. Durch den Hauptbahnhof Münster sind immer wieder Züge mit Atommüll von der Urananreicherungsanlage in Gronau gerollt. Die Transporte wurden schließlich von den Niederlanden nach Russland verschifft. Die Gruppe Sofa aus Münster hatte gegen die Atommülltransporte regelmäßig protestiert. Auch morgen wird Sofa in Lingen vor Ort sein, um gegen den Ausbau einer Fabrik zu demonstrieren, in der der russische Staatskonzern Rosatom Brennelemente herstellen will. (sfo)

+++ Nachdem wir Ihnen vergangene Woche das Schildkrötenzentrum in einer Fotoreportage vorgestellt haben, kommen jetzt noch mehr tierische Neuigkeiten aus dem Allwetterzoo, genauer gesagt aus dem Artenschutzzentrum des Zoos in Kambodscha: Dort ist ein Weißschulteribis geschlüpft. Der Vogel ist vom Aussterben bedroht, weltweit gibt es schätzungsweise nur noch 700 erwachsene Exemplare. Das Küken macht jetzt aber Hoffnung, die gesamte Art nachzuzüchten, zumal auch noch zwei weitere Weißschulteribisse brüten. (sfo)

Ein-Satz-Zentrale

+++ An der Thierstraße in Hiltrup ist etwas im Boden gefunden worden, das ein Blindgänger sein könnte. (Stadt Münster)

+++ Eine neue Auflage des Fahrradstadtplans für Münster ist erschienen. (Stadt Münster)

+++ Das Hallenbad in Hiltrup beendet vorzeitig die Schwimmbadsaison, weil Personal fehlt. (Stadt Münster)

+++ In Münster haben sich mehr Menschen für das Schöffenehrenamt beworben, als es freie Plätze gibt. (Westfälische Nachrichten)

+++ Die FDP will keine weiteren Videokameras mehr an Schulhöfen in Münster installieren lassen. (FDP Münster)

+++ An der Ludgerikirche am Marienplatz sollen bald 15 Stühle, ein Sandkasten und ein paar Bäume aufgestellt werden. (Antenne Münster)

+++ Die Trennung von Amt und Mandat wird bei Münsters Grünen aufgehoben. (Grüne Münster)

Unbezahlte Werbung

Der Nachtisch ist das Beste am Essen, meinen Sie nicht auch? Wenn Sie sich dem anschließen, dann besuchen Sie mal das Nachtisch Dessertcafé im Kreuzviertel. Die beiden Inhaber:innen Beate und Alexander bereiten in einem hübschen Altbau verschiedene Kleinigkeiten und Desserts zu, außerdem kann man bis 12:30 Uhr frühstücken. Bei passendem Wetter auch im Hinterhof. Für die, die auch lernen wollen, wie gute Desserts gemacht werden, gibt es zudem regelmäßig Kochkurse.

Hier finden Sie alle unsere Empfehlungen. Sollte Ihnen ein Tipp besonders gut gefallen, teilen Sie ihn gerne einfach über den Link.

Drinnen und Draußen

Heute haben Antonia Strotmann und Fabian Cohrs in den Terminkalender geschaut und diese Veranstaltungen für Sie gefunden:

+++ Die Stiftung der Uni Münster lädt am 3. Mai zur Veranstaltung „Mitdenken – Mitmachen – Mitforschen“ ein. Der Abend startet um 17 Uhr mit dem „Markt der Möglichkeiten“, der über gemeinsame Projekte von Bürger:innen und Wissenschaftler:innen informiert. Interessierte können beispielsweise Plastik abbauende Mikroorganismen erforschen, mit Instrumenten die Artenvielfalt im eigenen Garten überwachen oder mit einem Forschungslastenrad die Gewässer und Böden in der Nachbarschaft untersuchen. Mehr dazu im Programmheft. Anmelden können Sie sich bis zum 26. April hier.

+++ Am 20. April startet das neunte Brotzeitkolloquium des Zentrums für Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung der Uni Münster mit einem Vortrag zum Thema „Technologie vs. Insektensterben“. Der Vortrag beginnt um 12:15 Uhr, dauert anderthalb Stunden und findet hybrid statt: in der Johannisstraße 4 und online. Welche Themen aus dem Bereich „Konflikte um Nachhaltigkeit“ die restlichen vier Vorträge behandeln, lesen Sie hier.

+++ Seit einiger Zeit wird im Wolfgang-Borchert-Theater am Hafen die Komödie „Eingeschlossene Gesellschaft“ aufgeführt. An einem Freitagnachmittag klopft es am leerer werdenden Lehrerzimmer und der Vater eines Schülers steht vor der Tür und verlangt eine Erklärung dafür, dass sein Sohn wegen eines einzelnen Punktes nicht zum Abitur zugelassen werden könnte. Als der Vater keine Antwort bekommt, nimmt er die Lehrer:innen unter vorgehaltener Waffe als Geiseln. Es gibt noch Karten für Aufführungen Anfang Mai.

+++ Am Sonntagabend findet ab 18 Uhr wieder die „Faltenrockparty“ im Gleis 22 statt, ein Partyformat für Menschen über 60. Diesmal auch mit Livemusik. Wer noch unter 60 ist, aber gerne mitmöchte, benötigt eine Begleitung im passenden Alter. Mehr Informationen bekommen Sie hier.

+++ Am Montagabend tritt Samba Touré mit einem Blues-Konzert im LWL-Museum für Kunst und Kultur auf. Der malische Sänger und Gitarrist gilt als einer der größten Vertreter des afrikanischen Blues, hören Sie doch mal rein. Für das Konzert bekommen Sie hier Karten für 20 Euro, um 20 Uhr geht es los. Für Kurzentschlossene wird es auch noch eine Abendkasse geben.

+++ Im Schlossgarten gibt die Band Da Capo am Samstag ab 15 Uhr ein kostenfreies Konzert in der Konzertmuschel. Die Band besteht aus einem kompletten Blasorchester, gespielt werden Stücke unterschiedlicher Genres. Alle Infos und mehr über die Band (allerdings auf Niederländisch) gibt es hier.

+++ Am kommenden Dienstag findet ein Online-Vortrag von der Volkshochschule mit dem Titel „Können wir der Klimakrise noch etwas entgegensetzen?“ statt. Der Klimawissenschaftler Mojib Latif berichtet über die aktuellen Prognosen zur Erreichung der Klimaziele und die wahrscheinlichen Folgen für die unterschiedlichen Szenarien. Auch geht es darum, inwiefern Deutschland selbst direkt vom steigenden Meeresspiegel bedroht wird. Anmelden können Sie sich hier, los geht es um 19:30 Uhr.

Am Dienstag schreibt Ihnen Ralf Heimann. Genießen Sie das Wochenende.

Herzliche Grüße
Svenja Stühmeier

Mitarbeit: Fabian Cohrs (fco), Sebastian Fobbe (sfo), Jan Große Nobis (jgn), Antonia Strotmann (ast)
Lektorat: Antonia Strotmann

PS

Und jetzt noch schnell zum Fußball: Falls Sie vorhatten, Preußen Münster morgen nach Düren zu begleiten – Sie haben frei. Das Spiel fällt nach einigem Hin und Her aus. Was war los? Der Westdeutsche Fußballverband hatte es ins Ausweichstadion verlegt, weil der Zuschauerbereich im Stadion des 1. FC Düren noch umgebaut wird. Der Verein hatte sich dann in der einen Lokalzeitung echauffiert, dass die andere Lokalzeitung geschrieben hat, dass es Schwierigkeiten mit Materiallieferungen gäbe. Alles Quatsch, man würde das mit dem Umbau locker wuppen bis morgen. Und dann war es ein bisschen wie „Lass mich, ich kann das …! Oh, kaputt.“ Preußen-Münster-Fans dürfen sich nach der Spielabsage aber auch etwas freuen: Die Partie wird als Sieg für Münster gewertet. Wenn Düren jetzt allerdings noch mehr Lust auf Hickhack hat, legt der Verein Einspruch ein. Wer weiter auf dem Laufenden bleiben will: hier der Live-Ticker der Westfälischen Nachrichten.

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