Leseprobe

Ein Verein mit falschen Vorbildern

Vor einigen Wochen ist Preußen Münster in die 4. Liga abgestiegen. Die Krise des Vereins begann jedoch nicht erst in der vergangenen Saison, sondern Jahre früher. Vielleicht sogar schon vor 28 Jahren mit dem Abstieg aus der 2. Bundesliga. Was ist seitdem alles schiefgelaufen? Und was ist jetzt zu tun?

von Eva Windhausen

Vor einigen Wochen ist Preußen Münster in die 4. Liga abgestiegen. Die Krise des Vereins begann jedoch nicht erst in der vergangenen Saison, sondern Jahre früher. Vielleicht sogar schon vor 28 Jahren mit dem Abstieg aus der 2. Bundesliga. Was ist seitdem alles schiefgelaufen? Und was ist jetzt zu tun?

Text: DIETRICH SCHULZE-MARMELING
Redaktion: RALF HEIMANN
Titelfoto: HENDRIK WARDENGA

In der Saison 2005/06 stieg der SC Preußen Münster das erste Mal in die 4. Liga ab. Nach der Hinrunde hatte die Mannschaft nur 16 Punkte auf ihrem Konto (wie 2019/20). Der Trainer wurde ausgetauscht, aber auch Alt-Preuße Hans-Werner Moors konnte den Abstieg nicht verhindern. Für die Rückkehr in die dritte Etage benötigte der Klub fünf Spielzeiten.

Daran sollte sich heute erinnern, wer behauptet, ein Desaster wie in der abgelaufenen Saison wäre dem SCP noch nie passiert und ein sofortiger Wiederaufstieg sei selbstverständlich. 2006 fielen die Preußen noch tiefer. Die 3. Liga war damals nur eine Regionalliga und von ihrer Spielstärke her mit der heutigen nicht zu vergleichen. Der SCP landete in der Oberliga Westfalen.

Im Sommer 2011 war der SCP wieder drittklassig. Die 3. Liga war nun eine eingleisige und sehr professionell. Im folgenden Jahr klopfte der Klub ernsthaft an die Tür zur 2. Bundesliga – auch mit Hilfe erheblicher Investitionen. Anschließend zog man sich ins Mittelfeld der Tabelle zurück, bis es nun zum Absturz kam.

Im Herbst 2016 erhielt der SCP einen neuen Vorstand. Walther Seinsch, der den FC Augsburg von der 4. Liga in die Bundesliga gebracht hatte, kündigte ein großes Investment an, das Hoffnungen auf ein neues Stadion und einen Aufstieg in die 2. Bundesliga (mindestens) schürte. Die Kurve feierte Seinsch als Retter.

Vermutlich war es Verzweiflung

Malte Metzelder löste Carsten Gockel als Sportdirektor ab, musste aber bald feststellen, dass er unter falschen Voraussetzungen angeheuert hatte. Die Kasse war leer. Mit Seinschs Hilfe wurde die drohende Insolvenz abgewendet. Profis, U23, U19 und U17 wurden in eine GmbH & Co. KGaA ausgegliedert. Nicht zuletzt auf Wunsch von Seinsch, der sich aber anschließend verabschiedete. Heute wird man immer wieder gefragt, wie sich die Preußen auf Seinschs Idee einlassen konnten. Leicht gefragt. Auch ich war zutiefst skeptisch. Vermutlich war es pure Verzweiflung über die Stadionpolitik der Stadt. Seinsch versprach, die Preußen vom Stadion-Übel zu erlösen. Immerhin erhielt die Debatte durch Seinsch neuen Drive.

Anstatt ein neues Stadion zu beziehen – Seinsch wollte dieses 2018 mit dem Fahrrad anfahren, und einen Angriff auf die Ligaspitze starten – musste der SCP zweimal in Folge seinen Spieleretat kürzen.

In Ingolstadt hatte der BWLer Metzelder gelernt, was einen echten Profiklub ausmacht. In Münster musste er feststellen, dass sein neuer Arbeitgeber davon ziemlich weit entfernt war. Auch in der 3. Liga waren viele Klubs weiter als die Preußen. In Münster träumte man von der 2. Bundesliga, war aber längst nicht mehr ein natürlicher Drittligist. Beim Stadion rangierten die Preußen in der Saison 2019/20 auf Platz 18 oder 19. Bei den Trainingsbedingungen trugen die Preußen die „rote Laterne“. Zwölf der 20 Drittligisten hatten ein Nachwuchsleistungszentrum (NLZ). Meppen besaß mit den Jugendleistungszentrum Emsland eine ähnliche Einrichtung. In der Regionalliga waren unter anderem Saarbrücken, Elversberg, Rot-Weiß Essen, Rot-Weiß Oberhausen und FSV Frankfurt NLZ-Vereine.

So ein Nachwuchsleistungszentrum ist kein Luxus und auch keine karitative Einrichtung, sondern harte Währung. NLZ-Vereine bekommen deutlich höhere Fördergelder vom DFB. Ohne NLZ kann ein Verein nur sehr eingeschränkt Verträge mit Talenten abschließen. Aktuell ist es so: Der SCP bildet sie aus – und muss sie dann ohne Entschädigung an den BVB, Schalke und andere abgeben. Dabei wird in Münster hervorragende Arbeit geleistet: Anders als die Profis dürfen U19 und U17 mit den großen Jungs spielen. Beide Teams sind Bundesligisten und messen sich hier mit dem Nachwuchs von Borussia Dortmund, Schalke 04, Bayer Leverkusen, Mönchengladbach, Köln etc., bei denen viele Nachwuchsspieler höher entlohnt werden als die Profis des SCP. Aber mit der existierenden Infrastruktur können die Preußen keine Anerkennung als NLZ beantragen.

Last but not least: Viele der Drittligisten besaßen im sportlichen Bereich professionellere Strukturen als der SCP.

Demut und Realismus

Metzelder ging die Probleme konsequent an: „Wir haben keine Zukunftssorgen, sondern ein Gegenwartsproblem. Wir möchten Strukturen schaffen, in denen die Wahrscheinlichkeit steigt, sportlichen Erfolg zu haben. Mit guten Strukturen kann man Erfolg vorbereiten. Es gibt auch Vereine, die in Beine investieren und bei denen es auch klappt. In Münster hat man das in dieser Schiene sehr lange versucht. Aber dieser Weg ist endlich. Wenn ich nichts mehr in der Tasche habe, ist es vorbei.“

Anfang 2020 schilderte Metzelder noch einmal in aller Deutlichkeit die Situation: „Wir spielen teilweise mit drei Teams im Stadion – wir haben wohl aktuell den schlechtesten Platz der 3. Liga.“ Der SCP verfüge für alle Teams über zwei Plätze: Den Trainingsplatz und einen Kunstrasenplatz. „Teilweise müssen gleich vier Teams gleichzeitig auf einem Kunstrasen trainieren.“ Nach wie vor besitze der SCP bisher kein Nachwuchsleistungszentrum. Daran arbeite man weiter. „Wir wollen ja unsere Toptalente im Nachwuchsbereich schützen.“ Schon ab der U15 würden heute die besten Spieler abwandern. „So geht uns beispielsweise die Ausbildungsentschädigung verloren. Der SCP ist ein strukturschwacher Klub in einer großen räumlichen Konkurrenz – BVB, Bielefeld, Bochum, Schalke, Paderborn.“ Diese Klubs seien im gleichen „Teich“ unterwegs. In der 3. Liga herrsche ein Verdrängungswettbewerb. „Viele Klubs haben viel bessere Möglichkeiten, zu investieren.“

Metzelder sprach auch über fehlende Strukturen, die der SCP noch entwickeln müsse. Und forderte mit Blick auf andere Vereine eine neue Demut und einen neuen Realismus. Es sei wichtig, „an der eigenen Entwicklung zu arbeiten und sich nicht in Luftschlössern zu verlieren.“ (Quelle: 100ProzentMeinSCP).

Einige Dinge konnte Metzelder in seiner Amtszeit verbessern. Dem vereinseigenen Unterbau – Nachwuchs und U23 – wurde mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Die U23 spielt heute in der Oberliga (5. Liga) – da werden auch einige Drittligisten neidisch. Ein Scouting-System und -Team wurde aufgebaut. Der SCP bekommt demnächst tatsächlich zwei weitere Trainingsplätze und erreicht damit infrastrukturell Augenhöhe mit den lokalen Amateurvereinen 1. FC Gievenbeck und Wacker Mecklenbeck. Und nicht zuletzt: In der Stadionfrage ist die Vereinsführung um Präsident Christoph Strässer und Aufsichtsratschef Frank Westermann ein großes Stück weiter gekommen.

Den Abstieg konnte Metzelder aber nicht verhindern, wozu auch die Vielzahl der Baustellen beitrug. Es waren zu viele für zu wenig Bauarbeiter.

(Der SCP wird nicht umhin kommen, den Bestand hauptamtlicher Mitarbeiter aufzustocken. Wenn man dafür auf ein, zwei Profiverträge verzichten muss, wird dies den Klub mittelfristig trotzdem weiter bringen als die Nummern 17 oder 18 im Kader. In Deutschland arbeitet der Arbeitnehmer durchschnittlich 207 Tage im Jahr. Eine Stelle bringt also gut 1.600 Arbeitsstunden für den SCP. Da die Preußen-Mitarbeiter mit Herz bei der Sache sind und sich nicht mit einem Achtstundentag begnügen, vermutlich sogar mehr.)

Spätestens im Mai 2020 war klar, dass Metzelder nicht weitermachen würde – nicht unter den existierenden Bedingungen. Metzelder wirkte ausgebrannt und ging. Auch weil er das Gefühl hatte, dass er an unüberwindbare Grenzen gestoßen war.

Falsche Vergleichsgrößen und Vorbilder

Ein Problem der Preußen war jahrelang, dass sich Klub und Fans für die falschen Vergleichsgrößen und Vorbilder entschieden. Besonders deutlich wurde dies in der Stadionfrage, wo in den 1980ern und 1990ern der BVB als Beleg dafür zitiert wurde, dass ein neues Stadion einen Verein nach oben katapultieren kann. Aber auch das modernste und größte Stadion hilft nicht, wenn es auf anderen Feldern nicht stimmt.

In der jüngsten Stadiondebatte hieß es, ein Verbleib an der Hammer Straße sei keine Option, da hier nur für maximal 20.000 gebaut werden darf. Im August 2012 spielte Rot-Weiß Essen erstmals in seinem neuen Stadion. Dessen Fassungsvermögen beträgt 20.000. Essen zählt fast doppelt so viele Einwohner wie Münster, und Rot-Weiß hat etwa doppelt so viele Fans wie die Preußen. Aber in Münster war alles unter 35.000 nicht verhandelbar. Begründung: Investoren seien nur für eine Arena dieser Größenordnung zu erwärmen. Aber wer sollten diese Investoren sein? Bis heute ist nur ein Name bekannt: Walther Seinsch.

Den Preußen würde es heute vielleicht besser gehen, wenn man sich genauer angeschaut hätte, was sich in seit Anfang der 1990er – also seit Preußens Abstieg aus der 2. Bundesliga – in Freiburg, Mainz, Heidenheim, Darmstadt oder Unterhaching tat.

Als der SC Freiburg 1993 in die Bundesliga aufstieg, war seine Spielstätte nicht besser als die der Preußen. Die Trainingsbedingungen auch nicht. Das Stadion wurde zwar Schritt für Schritt entwickelt, blieb aber eine bescheidene Angelegenheit. Erst mit der neuen Saison bezieht der SCF ein modernes Stadion. Das alte Stadion hat ihn nicht daran gehindert, von den letzten 27 Spielzeiten 20 in der Bundesliga zu spielen. Es gibt in Münster keine Kultur des Freiburger, Mainzer, Heidenheimer oder Unterhachinger Wegs. Freiburg? Finden alle toll. Müssen wir in Münster auch machen! Fragt man dann etwas nach, wird man gewahr, dass der Gegenüber den Freiburger Weg nicht wirklich kennt, zumindest nicht im Detail. Das Ergebnis würde man sofort nehmen, aber den Preis dafür möchte man nicht zahlen. Der Freiburger Weg wurde auch von Rückschlägen begleitet, von denen man sich aber nicht irritieren ließ.

In Freiburg diskutierte man in den 1990ern und danach nicht nur über das Stadion, sondern schaute sich im französischen Auxerre um, erwarb die Anlage des einstigen Lokalrivalen FC Freiburg und errichtete dort die Freiburger Fußballschule, gewissermaßen das erste NLZ im deutschen Fußball. Preußen bestand in den 1900ern und auch häufig auch noch anschließend aus dem Zusammenkaufen von jährlich wechselnden Mannschaften und dem Warten auf ein neues Stadion. Trainer? Der SCF beschäftigte im Zeitraum 1993 bis 2020 vier, der SCP 30. Hans-Werner Moors während seines letzten Engagements bei den Preußen im Jubiläumsjahr 2006: „Die sportliche Linie, die für einen längeren Zeitraum gültig sein sollte, war nie da beim SC Preußen. Hat man die Konstante, ist eine Basis da, ein Anlaufpunkt, eine Ausrichtung. Dass diese Größe fehlt, begründet auch die große Fluktuation im Traineramt. Die gewisse Ruhe, die Gelassenheit, das ist bei anderen Vereinen da. Es zahlt sich dann irgendwann aus, eine konstante Arbeit zu verfolgen. Für den SC Preußen gilt nach wie vor, dass er die Abläufe verbessern muss. Alleine eine Geldfrage ist dies nicht.“ Sportliche Identität und Spielphilosophie? Beim SCP viele Jahre Fehlanzeige. Auch hier – in diesem Falle ungewollt – das falsche Vorbild: Hamburger SV.

In Freiburg wurde etwas entwickelt – weshalb Trainingsplätze und Nachwuchsleistungszentrum nicht weniger wichtig waren als das Stadion. Münsters Stadiondebatte ersetzte inhaltliche Debatten über den Preußen-Weg. Konzeptionell und strategisch wurde nur andernorts diskutiert.

Dass mich niemand falsch versteht: Münsters Politik gab auch kein Ruhmesblatt ab. Und heute kann hinsichtlich der Notwendigkeit eines neues Preußenstadions, in welcher Form auch immer, keine zwei Meinungen geben. Es sei denn, man möchte, dass Profifußball in Münster ein für allemal von der Stadtkarte verschwindet.

Auch in der 4. Liga: Kein Hecht im Karpfenteich

Würde die Stadionthese zutreffen, dann hätte Darmstadt 98 in der Saison 2013/14 nicht in die Bundesliga aufsteigen dürfen (in der Saison 2010/11 waren die Lilien noch viertklassig). Der 1.FC Heidenheim stieg 2008/09 in die 3. Liga auf – zwei Jahre vor den Preußen. 2013/14 folgte der Aufstieg in die 2. Bundesliga, und in der vergangenen Saison klopfte das Team des ewigen Heidenheimers Frank Schmidt ans Tor zur Bundesliga. Die Entwicklung der Heidenheimer ist nicht nur der Unterstützung durch die lokale und regionale Wirtschaft geschuldet, die im Falle der Preußen unterentwickelt ist. Sie ist das Ergebnis eines planvollen, konzeptionellen und nachhaltigen Vorgehens und fußballerischer Kompetenz. Vermutlich bedingen sich die Dinge gegenseitig. Der 1.FC Heidenheim erfreut sich großer Unterstützung, weil eine Idee vom Verein und dessen Entwicklung existiert.

Einen sofortigen Wiederaufstieg wird es nicht geben, denn auch in der Regionalliga sind einige Vereine besser aufgestellt als die Preußen. Der SCP ist mitnichten zu groß für diese Liga. Der beim Drittligisten SV Meppen sehr erfolgreiche Trainer Christian Neidhart wechselt zu Rot-Weiß Essen und damit eine Liga tiefer. Er begründet dies unter anderem mit den besseren Bedingungen beim Viertligisten. Wir dürfen davon ausgehen, dass Neidhart dort nicht einen Euro weniger als im Emsland einsteckt. Vermutlich sogar mehr. Allerdings meint Neidhart mit besseren Bedingungen nicht das Geld. Zumindest nicht nur das Geld.

Beim Viertligisten Essen herrschen also bessere Bedingungen als beim Drittligisten Meppen. Und in Meppen herrschen bessere Bedingungen als in Münster. Womit die Distanz zwischen den Preußen und dem Klassenkameraden aus Essen ausgemessen ist. Essen hat mehr Zuschauer, ein deutlich besseres (moderneres) Stadion, ein NLZ, bessere Trainingsbedingungen und auch mehr Geld als der SCP. Auch die Zweitvertretungen der Erstligisten, von denen es in der West-Gruppe gleich vier gibt, verfügen über bessere Bedingungen als die Preußen. Und zumindest vom BVB weiß man, dass er mit seiner Zweiten in die 3. Liga strebt.

Was tun?

Erstens: Der Klub benötigt einen Fünf- bis Zehnjahresplan, der alle Herausforderungen integriert und miteinander verzahnt: Profis, U23, Nachwuchs/NLZ, Stadion, den Aufbau von Strukturen (zum Beispiel im Nachwuchsbereich). Der Sponsoren und Fans eine Vorstellung davon vermittelt, wo der Verein in fünf bis zehn Jahren stehen könnte. Möglicherweise erwartet auch die Politik einen solchen Plan. Auch mit Blick auf das neue Stadion.

Zweitens: Der Klub benötigt ein Leitbild, das auch durch schwierige Zeiten trägt, den Klub mit Inhalt füllt und ihm eine Orientierung gibt. Wie definiert sich der Klub? Wofür steht der SCP in dieser Stadt und in ihrer Region? Eine Frage, die immer weniger Menschen beantworten können. Die Preußen könnten als verbindendes Element zwischen Münsters unterschiedlichen Welten – hier Innenstadt/Prinzipalmarkt, Kreuzviertel, Kinderhaus-West/Coerde/Berg Fidel – wirken. Preußen ist die sozial diverseste Veranstaltung in Münster.

Drittens: Der Klub benötigt sportliche Leitlinien, die nicht beim ersten Gegenwind und Rückschlag verworfen werden. Die mit ihren Leitplanken definieren, welchen sportlichen Leiter und welchen Trainer man sucht, welche Rolle U23 und Nachwuchs spielen, das regionale Element etc. Das sportliche Ziel? Beim SC Freiburg hieß und heißt es, man wolle sich unter den 25 besten Vereinen in Deutschland etablieren – was Abstiege in die 2. Bundesliga einschließt. Beim SCP könnte das Ziel (im ersten Schritt) lauten: „Wir wollen uns unter den besten 80 Vereinen etablieren.“ Dies bedeutet, dass es mindestens Platz fünf in der Regionalliga sein soll. Gelingt der Wiederaufstieg (auf einer stabileren Basis, als sie heute existiert), kann man die Messlatte höher setzen: „Wir wollen uns unter den besten 50 Vereinen in Deutschland etablieren.“

Viertens: Das Preußen-Nachwuchsleistungszentrum sollte ein Preußen-spezifisches sein. Ein NLZ, bei dem ein Jugendspieler sagt, es dient meinen Bedürfnissen mehr als die in Dortmund, Schalke, Bielefeld und Bochum. Es ist anders. Es sollte einen stark regionalen Charakter haben, als Anlaufadresse für die talentiertesten Spieler aus dem Münsterland dienen. Die Junioren-Bundesliga ist kein Muss. Diese Liga ist ohnehin eine Zwei-Klassen-Gesellschaft und dient kaum der Ausbildung, wenn es immer nur darum geht, den Abstieg zu vermeiden.

Fünftens: Stärkung der Strukturen auf Basis entsprechender Organigramme: Welche Aufgabenbereiche gibt es, wo sind diese voneinander zu trennen, an welchen Stellen führen man sie wie zusammen, wer ist für was verantwortlich? Wir hatten in den letzten Jahren eine extrem starke Fokussierung auf den Sportdirektor. Der externe Betrachter gewann den Eindruck, Metzelder sei alles: Sportdirektor, Geschäftsstellenleiter, Pressesprecher, Corona-Beauftragter, verantwortlich fürs neue Stadion und die Trainingsplätze, verantwortlich für den Dialog mit dem DFB etc. So einer ist dann natürlich in der öffentlichen Wahrnehmung auch für alles verantwortlich, was danebengeht.

Sechstens: Ein Preußen-spezifisches Sponsorenkonzept. Ein solches setzt allerdings die Existenz eines Leitbildes, einer sportlichen Konzeption und einer zumindest mittelfristigen Planung voraus (siehe oben). Ansonsten begibt man sich mit leeren Händen auf die Suche nach Geldquellen. Mit dem Fünf- oder Zehnjahresplan und Sponsorenkonzept in der Tasche klappert man dann Münster und das Münsterland ab – Präsentation bei Unternehmen, Rotariern, Parteien etc. Die Preußen kommen zu euch!

In Zukunft sollte der Trikotsponsor wieder aus Münster oder dem Münsterland kommen.

Siebtens: Forschungsreisen zu und Hospitationen bei Klubs wie Heidenheim, Unterhaching etc. Um zu erfahren, wie ein solides mittelständisches Fußballunternehmen heute funktioniert, warum diese Klubs den SCP heftig überholt haben. In der Vergangenheit herrschte beim SCP manchmal eine merkwürdige Selbstbezogenheit. Was an anderen Orten passierte, wie sich das Fußballsystem entwickelte, interessierte häufig nicht wirklich (eine Haltung, die der SCP in Münster nicht exklusiv hat).

Münster ist nicht Fußball-Provinz, weil der SCP nur in der 3. oder 4. Liga spielt. Münster ist Fußball-Provinz, weil man hier in der Vergangenheit wenig über den eigenen Tellerrand hinaus schaute. Und deshalb wiederholt den Anschluss an moderne Zeiten verpasste. Dies gilt vor allem für den völlig überflüssigen Abstieg von 1991, von dem sich der Klub bis heute nicht erholt hat. In Preußens Abstiegssaison endete Mainz in der 2. Bundesliga auf Platz 8, Freiburg auf Platz 9. Zuschauerschnitt der beiden Klubs: 4.800 bzw. 4.700. Zuschauerschnitt des Absteigers Preußen: 8.500.

Achtens: Der Klub sollte einen CSR-Verantwortlichen beschäftigen (CSR = Corporate Social Responsibility – würde ich noch um ein weiteres „C“ für „Culture“ ergänzen). Seine oder ihre Aufgabe: Projekte entwerfen und realisieren, die dem Brückenbau in die Stadtgesellschaft dienen (zum Beispiel Kooperationen mit der Theaterszene etc.) Beispiele: 2017 brachte das Theater der Jungen Welt Leipzig ein Stück über den in Auschwitz ermordeten Nationalspieler Julius Hirsch auf die Bühne. Anschließend tourte man mit „Juller“ durch zehn Bundesligastädte. Eine Aufführung des Stücks wäre vielleicht auch in Münster möglich – in Kooperation mit dem Wolfgang Borchert Theater (WBT). (WBT-Chef Meinhard Zanger sieht man häufiger im Preußenstadion. Die mir bekannte zukünftige Generalintendantin des Theaters Münster ist vielleicht ebenfalls für ein Projekt zu gewinnen – jedenfalls hat sie mit Interesse unser Buch „Preußen & Münster“ gelesen.) Und: Als die Theater in Münster in geschlossenen Räumen nicht aufführen konnten (oder nur mit stark begrenzter Besucherzahl), hätte man über Freilicht-Aufführungen im Preußenstadion nachdenken können. Die nächste Pandemie kommt bestimmt (leider).

Neuntens: Ausbau des Verhältnisses zu den lokalen und regionalen Amateurvereinen, die die Preußen mit Nachwuchsspielern beliefern und auch weiterhin beliefern sollen. Und häufig kommen auch Preußens Nachwuchstrainer aus diesen Vereinen. So existieren beispielsweise enge personelle Verbindungen zum Nachbarn Borussia Münster. Man könnte jedes Jahr die Saison mit einem Testspiel zwischen den beiden Geistviertel-Vereinen starten, ausgetragen auf dem Borussen-Platz. Ein Teil der Einnahmen könnte dem lokalen Amateurfußball zugutekommen (also nicht nur der Borussia). Nicht deren Ersten Mannschaften, sondern Projekten im Nachwuchsbereich – zum Beispiel dem Inklusionsprojekt von Blau-Weiß Aasee oder Präventionsmaßnahmen gegen sexuelle Gewalt und Missbrauch.

Des Weiteren könnte Preußen Fortbildungsveranstaltungen für Nachwuchstrainer aus Münster und Umgebung anbieten.

Zehntens: Eine offensive Kommunikationsstrategie, die den Verein darstellt und erklärt – weit über das eigene Umfeld hinaus.

Elftens: Was war positiv in der letzten Saison? Die Fans! Siehe ihre Sammelaktionen für den Verein, die Saisonspende für karitative Projekte, ihr Engagement gegen Rassismus, das auch bei Leuten Aufmerksamkeit erweckte und Sympathien mobilisierte, die dem SCP normalerweise nicht zugewandt sind, ihn für eine überflüssige und prollige Randgruppen-Veranstaltung halten. (Nach der spontanen antirassistischen Aktion beim Spiel gegen Würzburg, als ein Preußenfan einen Spieler der Kickers rassistisch beleidigte, riefen mich sogar Freunde aus Nordirland und Manchester an. Der SCP war in der internationalen Presse.) Nicht nur deshalb: Eine noch stärkere Einbeziehung der Fans, auch in die Planung für das neue Stadion. Und: Der SCP müsste mit dem Fünf- oder Zehnjahresplan auch die Fanszene abklappern.

Zwölftens: Zumindest mittelfristig sollte der SCP auch über ein Engagement im Frauenfußball nachdenken.

Im Übrigen sind die Voraussetzungen für eine stärker konzeptionelle und nachhaltige Herangehensweise besser als jemals zuvor. Die Fans waren in dieser Saison großartig, zeigten häufig ein gutes Gefühl für die Situation. Auch habe ich den Eindruck, dass immer mehr Menschen kapieren, dass die 3. Liga für den SCP keine Selbstverständlichkeit ist, dass sich die Fußballwelt seit dem Aufstieg von 2011 gewaltig verändert hat. Beim Preußen-Anhang ist mehr Realismus eingekehrt, die Corona-Krise hat hier ein bisschen geholfen.

Wichtig ist jetzt, dass der SCP Funktionsfähigkeit beweist. Und in die Regionalliga mit einem positiven Projekt geht, anstatt Trübsal zu blasen und nur den Status Quo zu verwalten. Der Abstieg in die Regionalliga bietet auch Chancen. Das Projekt muss über die Gestaltung der kommenden Saison hinausgehen, Hoffnung auf eine bessere Zukunft wecken und Lust auf die Regionalliga. Hierzu bedarf es allerdings eines großen öffentlichen Aufschlags. Bislang ist es ja eher so, dass niemand so richtig weiß, in welche Richtung die Reise geht. Die Entscheidung für Peter Niemeyer als Sportdirektor und für eine Fortsetzung der Arbeit mit Trainer Sascha Hildmann scheinen aber gute zu sein.

„Die Preußen brauchen jetzt fleißige Leute“.

(Hans-Werner Moors bei unserem letzten gemeinsamen Kaffeetrinken – eine Woche vor seinem 70. Geburtstag.)

Über den Autor

Dietrich Schulze-Marmeling lebt in Altenberge und ist Autor zahlreicher Bücher über Fußball. Letzte Veröffentlichungen: „Ausgespielt? Die Krise des deutschen Fußballs“ (2019), „Klopps Liverpool“ (September 2020), „Trainer ! Die wichtigsten Männer im Fußball“ (Oktober 2020). Sieben seiner Bücher wurden von den Deutschen Fußballkulturpreis“ (Kategorie „Fußballbuch des Jahres“) nominiert, den er 2011 gewann.

Gemeinsam mit Hubert Dahlkamp veröffentlichte er drei Bücher über die Preußen: „Fußball zwischen Filz und Fans – Preußen Münster“ (1995), „100 Jahre Preußen Münster“ (2006) und „Preußen & Münster – Ein Sportclub und seine Stadt (2019).

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