Community-Beitrag
Johanne Burkhardt hat mit Felix Altmann vom Verein Nightline gesprochen

RUMS stellt vor: Nightline e. V. (#10)

Johanne Burkhardt hat mit Felix Altmann vom Verein Nightline darüber gesprochen, wie sich die Arbeit des Zuhörtelefons in der Pandemie verändert hat. Und darüber, warum auch die ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen auf ihre eigene psychische Gesundheit achten müssen. Das Gespräch wurde im Rahmen unserer Marketingaktion auf dem Weihnachtsmarkt 2021 geführt.

von Johanne Burkhardt
Felix Altmann, Nightline Münster e. V.

Interview mit Felix Altmann

Die Nightline ist ein Zuhörtelefon für Studierende, keine Telefonseelsorge. Worin genau liegt der Unterschied?

Die Studierenden können uns im Grunde genommen mit allen möglichen Themen anrufen, nicht nur mit denen, die sie belasten. Stress im Studium und Themen wie Beziehungsprobleme sind die Klassiker. Wir leihen ihnen aber auch unser Ohr, und tun das übrigens auch sehr gerne, wenn es um positive Themen wie beispielsweise Erfolge in Prüfungen geht.

Wie ist dieses Angebot entstanden?

Die Nightline gibt es etwa seit den Siebzigern. Gegründet hat sie ein britischer Hochschulprofessor, nachdem sich zwei Studierende das Leben genommen haben. Er hat sich mit Kommiliton:innen und einem Universitätsgeistlichen zusammengesetzt und sie haben festgestellt, dass es an einem Seelsorgeangebot, an einer Betreuung der Studierenden mit ihren Sorgen und Nöten fehlte. Und so ist die Nightline entstanden. Dieses Konzept hat sich in England recht schnell durchgesetzt und hat sich dann auch nach Deutschland hin ausgebreitet.

Seit wann gibt es die Nightline in Münster?

Seit 2006, wir waren zu dieser Zeit die dritte Nightline in Deutschland, soweit ich weiß. Heute gibt es hierzulande insgesamt rund 20 Nightlines. Gestartet sind wir hier in Münster mit etwa zehn Mitgliedern. Heute sitzen um die 50 Studierende an sechs Abenden die Woche an den Telefonen bereit.

Nun waren die letzten anderthalb Jahre Studium wegen der Pandemie für viele Studierende alles andere als normal: Die meisten Veranstaltungen an der Uni Münster und der FH Münster fanden digital statt, die Mensen und Bibliotheken waren teilweise geschlossen und an Hochschulsport oder Partys war lange Zeit gar nicht erst zu denken. Wie haben Sie das bei Ihrer Arbeit gespürt?

Das Thema Einsamkeit ist ganz stark in den Fokus gerückt. Es spielt bei fast jedem Anruf, der uns erreicht, eine Rolle. Auch dann, wenn es zunächst um so etwas wie Lernprobleme geht. Wie sich in den Gesprächen dann oftmals herausstellt, sind diese Schwierigkeiten häufig darauf zurückzuführen, dass das Studium online abläuft und die Studierenden mit der fehlenden Alltagsstruktur nicht zurecht kommen. Gerade für die Menschen, die sich im ersten oder mittlerweile im dritten Semester befinden und für das Studium nach Münster gezogen sind, ist es schwer, andere Studierende kennenzulernen und Anschluss zu finden.

Was raten Sie den Anrufer:innen in solchen Fällen?

Wir halten uns mit Ratschlägen erstmal zurück. Als Zuhörtelefon verstehen wir uns als „non-directive“. Mit dem Begriff aus der Psychologie ist gemeint, dass man Gesprächspartner:innen dabei hilft, selbst Lösungen zu finden und ihnen den Freiraum lässt, den Inhalt des Gesprächs selbst wählen und steuern zu können. Das bedeutet, dass wir ein ergebnisoffenes Gespräch mit unseren Anrufer:innen führen. Anders als es eventuell bei Therapien der Fall ist, geben wir keine Handlungsempfehlungen mit auf den Weg, sondern es ist grundsätzlich ein Gespräch auf Augenhöhe. Wir verstehen uns als Sparringspartner:innen, die den Anrufenden helfen, ihre Gedanken zu sortieren.

Wurden die Studierenden in der Pandemie bisher übersehen?

Ich persönlich glaube, dass die Studierenden mit ihren Bedürfnissen nicht so häufig in der öffentlichen Debatte vorkommen, wie das der Fall sein sollte. Ich habe aber den Eindruck, dass die Uni Münster sich recht viel Mühe in der Betreuung ihrer Studierenden gibt. Das merkt man zum Beispiel daran, dass es eine gut organisierte hybride Lehre gab.

Haben Sie sich mit anderen Nightlines darüber ausgetauscht, wie es in anderen Städten aussah? Ist der Gesprächsbedarf der Studierenden seit Pandemiebeginn gestiegen?

Das ist schwer zu sagen, denn anhand der Anrufer:innenzahlen allein kann man das nicht wirklich vergleichen. Während wir an sechs Abenden in der Woche für die Studierenden erreichbar sind, stehen andere Nightlines – im krassesten Gegensatz – vielleicht nur einen Abend pro Woche zur Verfügung und haben gegebenenfalls auch eine ganz andere Position in ihrer Stadt. In Münster sind wir mit Blick auf das Angebot, das wir den Studierenden bieten können, und unseren Bekanntheitsgrad relativ privilegiert.

Kommen wir zu den Studierenden auf der anderen Hörerseite: Sie müssen zuhören, während Sie möglicherweise zugleich selbst mit ähnlichen Sorgen konfrontiert sind. Wie schützen Ihre Kolleg:innen sich selbst bei Ihrer Arbeit?

Einerseits schulen wir unsere Mitarbeiter:innen natürlich. Andererseits gibt es sogenannte Supervisionen. Das heißt, dass sich unsere Mitarbeiter:innen an mindestens drei Terminen im Semester an psychologisches Fachpersonal wenden können. In einem kleinen, vertrauensvollen Rahmen können sie dann über das Erlebte am Telefon, aber auch über private Sorgen sprechen. Das entlastet uns wirklich sehr.

Welche Aspekte mussten Sie wegen der Pandemie noch bei Ihrer Arbeit beachten?

Uns ist die räumliche Trennung zwischen Arbeit und Privatem extrem wichtig, damit wir die Gespräche nicht in unser privates Umfeld mit hineinnehmen. Eigentlich gibt es für die Gesprächszeiten mit den Studierenden auch einen Nightline-Raum, der uns von der Uni gestellt wird. Wegen der Pandemie mussten wir die Nightliner:innen aber ins Homeoffice schicken. Dort klappt die Trennung von Gespräch und Zuhause natürlich nur schwer. Deswegen haben wir mit entsprechenden Fortbildungen versucht, gegenzusteuern. Es gibt Strategien, die dabei helfen können, eine klarere Trennung zwischen den Gesprächen und dem Privaten zu ziehen. Eine Möglichkeit besteht beispielsweise darin, sich für die Nightline-Gespräche ausschließlich an den Schreibtisch oder in eine ganz bestimmte Ecke eines Raumes zu setzen. Aber trotzdem war das eine besondere Herausforderung für uns.

Gibt es etwas, das Sie sich von der Stadtverwaltung oder der Politik in Münster wünschen?

Ich würde mir wünschen, dass wir noch mehr Möglichkeiten bekommen, für unsere Arbeit Werbung zu machen. Denn je präsenter wir im Bewusstsein der Studierenden sind, desto mehr greifen auf unser Angebot zurück. Die Stadt unterstützt uns schon recht vielfältig mit kostenfreien Werbeplätzen, zum Beispiel in öffentlichen Gebäuden. Aber da ließen sich sicherlich noch kreativere und weitreichendere Möglichkeiten finden.

Was wünschen Sie sich für Ihre zukünftige Arbeit?

Wir möchten unser Angebot gerne erweitern und noch niedrigschwelliger machen. Dazu gehört zum Beispiel eine Chat-Funktion, aber auch die verstärkte Kooperation mit den Fachschaften. Das besprechen wir aktuell im Team.

Wie erreichen die Studierenden die Nightline?

Sonntags bis freitags zwischen 21 und 1 Uhr unter der Telefonnummer 0251 8345400.

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