Community-Beitrag
Ann-Marlen Hoolt hat mit Firas Hallak von der Seebrücke gesprochen

RUMS stellt vor: Die Seebrücke (#6)

Firas Hallak engagiert sich bei der Seebrücke Münster. Die Bewegung richtet sich gegen die europäische Einwanderungspolitik und gegen die Kriminalisierung von Seenotrettung im Mittelmeer. Ann-Marlen Hoolt hat in der Reihe „Engagement in Münster“ mit Firas Hallak darüber gesprochen, warum dieser Einsatz für geflüchtete Menschen so wichtig ist. Das Gespräch wurde im Rahmen unserer Marketingaktion auf dem Weihnachtsmarkt 2021 geführt.

von Ann-Marlen Hoolt
Firas Hallak, Seebrücke Münster

Interview mit Firas Hallak

Firas, wofür engagiert sich die Organisation Seebrücke?

Im Sommer 2018 haben sich deutschlandweit Gruppen gebildet, um gegen die Kriminalisierung der privaten Seenotrettung im Mittelmeer zu protestieren. So bin auch ich zur Organisation gekommen. Diese Bewegung ist entstanden, weil es ursprünglich keine staatlichen oder europäischen Seenotrettungsmissionen gab. Nur Schiffe von privaten Organisationen haben Menschen gerettet. Gleichzeitig hielten viele Regierungen deren Arbeit für illegal und haben den Retter:innen viele rechtliche Steine in den Weg gelegt. „Menschenleben zu retten, ist kein Verbrechen“, mit dieser Kampagne hat es angefangen. Weiter ging es mit verschiedenen politischen Kampagnen, unter anderem zu den ‚Sicheren Häfen‘. Hier ging es darum, dass die jeweiligen Städte und Kommunen sich für sichere und legale Fluchtwege einsetzen und freiwillig mehr Geflüchtete aufnehmen sollten, als es der Verteilungsschlüssel vorschreibt.

Inzwischen hat sich Münster ja auch zum ‚Sicheren Hafen‘ erklärt. 

Ja, drei Versuche hat es gebraucht. Dann hat der Stadtrat 2019 endlich für die Erklärung gestimmt. Das war nicht einfach. Es hat mehr als ein Jahr gedauert, was wir gar nicht erwartet hatten.

Und was hat das gebracht? Hat sich seitdem etwas verändert in Münster?

Münster gehört jetzt dem Bündnis „Städte Sicherer Häfen“ an. Damit engagiert sich die Stadt in diesem Bereich, sie signalisiert aktiv die Bereitschaft, mehr Geflüchtete aufzunehmen. Das allein ist schon positiv. Aber in der Realität stehen leider immer noch viele strukturelle Hindernisse im Weg. Dass die Stadt hier Engagement zeigt, heißt nicht, dass sie tatsächlich auch mehr Geflüchtete aufnimmt.

Es gibt für euch also noch einiges zu tun?

Ja, in jedem Fall. Wir werden im Blick behalten, ob die Stadt tut, was sie versprochen hat. Und wir versuchen, auch auf Landes- und Bundesebene weiter dranzubleiben.

In Münster planen wir zum Beispiel auch Solidaritätsaktionen mit anderen Initiativen, die sich für Geflüchtete engagieren. Und wir demonstrieren gegen die Zentrale Unterbringungseinrichtung (ZUE). Aus unserer Sicht sollten Geflüchtete nicht zentral untergebracht werden, sondern in Wohngebieten in den Stadtteilen, damit sie wirklich in der Stadt ankommen und Kontakt zu den Menschen hier haben. Nur so kann ja der Integrationsprozess beginnen.

Wie seid ihr mit Gruppen in anderen Städten und mit anderen Organisationen vernetzt?

Wir arbeiten mit Engagierten in anderen Kommunen zusammen, und es gibt bei uns auch überregionale Gruppen, zum Beispiel auf Landes- und Bundesebene. In Berlin hat die Seebrücke einen Koordinierungskreis als bundesweite Vertretung, der von den Lokalgruppen gewählt wird. Einen klassischen Vorstand haben wir aber nicht. Das Engagement ist sehr niedrigschwellig und es bestehen nur flache Hierarchien.

Warum engagierst du dich gerade für Geflüchtete?

Das Engagement bei der Seebrücke ist für mich eine Herzensangelegenheit. Es macht das Leben von anderen Menschen besser. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Bedeutung von Arbeit immer daran gemessen wird, wie viel jemand verdient. Aber mit diesem Ehrenamt habe ich wirklich die Möglichkeit, etwas zu verändern, auch wenn ich kein Geld dafür bekomme. Ich möchte dazu beitragen, die demokratischen Strukturen zu fördern, damit ich mich irgendwann noch wohler fühle in dieser Gesellschaft. Werte wie Solidarität und Menschenrechte in der Gesellschaft zu verankern, gibt mir viel Kraft. Auch wenn es natürlich manchmal schwierig ist, zu erreichen, dass sich die Dinge in die gewünschte Richtung bewegen.

Das erfordert Hartnäckigkeit.

Genau. Und das ist nicht einfach, weil wir natürlich auch alle in die Lohnarbeit oder den Uni-Alltag eingebunden sind. Es ist ein Privileg, sich überhaupt engagieren zu können. Nicht alle Menschen können das, zum Beispiel weil ihre Lebenssituation schwierig ist.

Ich bin in Syrien geboren und aufgewachsen. Ich bin selbst geflohen und dann hier in Deutschland gelandet. Dabei habe ich gemerkt: Als Mensch muss ich für meine Rechte kämpfen. Eigentlich sollte die Politik, sollte der Staat meine Rechte schützen. Aber für mich haben die damaligen politischen Entscheidungen das nicht widergespiegelt. Deshalb wollte ich dafür kämpfen, dass das Recht auf Asyl und andere Menschenrechte für mich und auch für andere zugänglich sind. Ich habe damit schnell positive Erfahrungen gemacht und deshalb bin ich weiter dabei geblieben. Das ist ein gutes Gefühl. Ein Kick quasi. Und das Gemeinschaftsgefühl, das ich erfahre, ist auch enorm.

Wo wäre denn Münster heute, wenn es die Seebrücke nicht geben würde? Wenn sich niemand in der Asylpolitik engagiert hätte?

Ich kann mir vorstellen, dass es sich unsolidarischer entwickelt hätte. Oder zumindest hätte sich die Solidarität langsamer entwickelt als in anderen Städten. Wahrscheinlich wären einige ungerechte Dinge passiert, die so jetzt nicht passieren werden, weil sich Menschen zusammengeschlossen haben und laut ihre Meinung sagen. Weil es Leute gibt, die andere aufklären und zeigen, wo etwas falsch läuft.

Welches Thema liegt dir gerade besonders am Herzen?

Die jüngsten Entwicklungen an der polnisch-belarussischen Grenze. Das Leid der Menschen, gerade jetzt im Winter. Die Menschen sprechen immer von Nächstenliebe, auf dem Weihnachtsmarkt gab es Glühwein und Bio-Pommes – aber da sitzen Menschen einfach allein in der Kälte, Familien, Kinder. Das ist hart. Und die Menschen werden so davon abgehalten, einen Asylantrag zu stellen. Das Leid der Menschen darf nicht noch verlängert werden.

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