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Die Hafencenter-Baustelle am Hansaring.

Streit um den Hafen: Wer bestimmt, wie die Stadt wächst?

Es sollte ein Einkaufszentrum werden. Ein großer Supermarkt am Hafen. Mit viel Gegenwind hatten die Investoren nicht gerechnet. Doch sie irrten. Die Bewohner:innen wehrten sich. Es formierte sich Widerstand. Sie zogen vor Gericht und stoppten den Bau. Aus dem Bauprojekt ist längst ein Politikum geworden. In Wirklichkeit geht es dabei nicht um ein Einkaufszentrum, sondern eine viel größere Frage: Wie viel Macht haben die Bürger:innen?

von Nils Dietrich • Redaktion: Ralf Heimann • Fotos: Hendrik Wardenga

In der Dramaturgie von Filmen gibt es sogenannte Plot-Points. An diesen Stellen nimmt die Handlung eine unerwartete Wendung; die Plot-Points geben der Erzählung eine Dynamik. Sie kommen überraschend und lassen alles in einem anderen Licht erscheinen. In der Geschichte des Hafencenters ergibt sich am 16. Dezember 2015 so ein Punkt. An diesem Tag soll im Rathaus der Stadt Münster der Bebauungsplan für das neue Einkaufszentrum beschlossen werden, das auf dem Gelände der Alten Post und der Tankstelle am Hansaring geplant ist. Der Plan ist die Voraussetzung dafür, dass dort später einmal gebaut werden kann.

Um den Bebauungsplan aufstellen zu können, hat die Stadt vorher untersucht, ob die Straßen den zusätzlichen Verkehr durch das Hafencenter aushalten werden. Dabei hat es keine Probleme gegeben. Die Stadt ist mit dem Ergebnis zufrieden. Doch an diesem Tag verkündet der Eigentümer der privaten Theodor-Scheiwe-Straße auf der anderen Seite des Kanals, dass er diesen Weg für die Öffentlichkeit sperren wird. In der Sitzung im Rathaus sagt der damalige Stadtdirektor Hartwig Schultheiß laut Protokoll auf eine Nachfrage, es bestehe „kein Zusammenhang zwischen Hafencenter und Theodor-Scheiwe-Straße”. Eine Mehrheit aus CDU, FDP und der bis zuletzt zweifelnden SPD stimmt dem Projekt daraufhin zu. Zweieinhalb Jahre später wird sich herausstellen: Die Einschätzung des Stadtdirektors war ein Fehler. Und dieser Fehler hatte Folgen.

Diese Folgen sind heute am Hansaring zu besichtigen. Man muss nur in Höhe der Kurve über den Bauzaun schauen. Dort steht ein nackter Rohbau, seit dem 1. Februar 2019 weitgehend unberührt – außer von Graffiti-Sprayer:innen, den Einzigen, die sich seitdem um die Ruine gekümmert haben. Der Beton rottet langsam vor sich hin, seit das Oberverwaltungsgericht die Baugenehmigung zurückgenommen hat. Und wenn man anfängt, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie das passieren konnte, stellt man sehr schnell fest, dass es hier nicht nur darum geht, ob auf diesem Grundstück ein Einkaufszentrum gebaut werden soll. Es geht um etwas Größeres – um Fragen, die nicht nur diesen Ort betreffen und auch nicht nur Münster. Es geht darum, ob man ein Projekt von dieser Größenordnung einfach über die Köpfe der Menschen hinweg beschließen kann.

I. Der Plan

Die Demokratie erinnert manchmal an ein kompliziertes Gesellschaftsspiel. Es gibt verschiedene Spieler:innen, die an einem Tisch sitzen und gewinnen wollen. Es gibt Spielregeln, die für alle gelten, aber an die sich nicht immer alle halten. Das Regelwerk ist sehr umfangreich und auch nicht immer eindeutig. Nur anders als bei einem Gesellschaftsspiel gibt es in der Demokratie Schiedsrichter, die am Ende entscheiden. Das sind die Gerichte. Und weil Gerichtsentscheidungen viel Zeit in Anspruch nehmen, kann so ein Spiel viele Jahre dauern, manchmal Jahrzehnte.

Wenn der Spielbeginn der Punkt ist, an dem die Brüder Lutz und Max Stroetmann einen Teil des Geländes am Hafen gekauft haben, läuft das Spiel nun schon seit fast 20 Jahren. Am 8. Oktober 2002 steht auf der ersten Lokalseite der Westfälischen Nachrichten ein kurzer Artikel, in dem eher beiläufig erwähnt wird, dass das Gelände seit Anfang des Jahres nicht mehr der Post gehört, sondern der Stroetmann-Immobilien GmbH, einem von vielen Unternehmen in Münster, hinter dem die Brüder Max und Lutz Stroetmann stehen. Sie führen in der sechsten Generation ein Handelsunternehmen, das in der Stadt tief verwurzelt ist. Gegründet hat es der Kaufmann Christopher Holtmann im Jahr 1791 als Kolonialwarengeschäft. Die erste Adresse war die Aegidiistraße 18, an der Ecke zur Breiten Gasse, so steht es auf der Firmenwebsite. Das Unternehmen ist heute weit verzweigt, es hat nach eigenen Angaben 19 Standorte, 1.500 Mitarbeiter und, auch das steht da, „110.250 zufriedene Kunden“.

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