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Christel Salmen sitzt vor ihrem Fernsehen in einem Sessel und schaut fern

Über die Runden

Jede fünfte Frau ist im Alter armutsgefährdet, für sie geht es in diesem Winter um die Existenz. Vielen fällt es dennoch schwer, Unterstützung anzunehmen. Christel Salmen aus Münster schämt sich nicht mehr, nach Hilfe zu fragen.

von Kim Lucia Ruoff • Lektorat: Constanze Busch • Fotos: Merle Trautwein

Auf der kleinen Küchenzeile liegen drei Salatköpfe in angelaufener Plastikhülle, zwei Hände voll kleiner Äpfel, Karotten, Stangensellerie, eine Packung Joghurt. Jeden Mittwoch bekommt Christel Salmen gegen zwei Euro Lebensmittel von der Tafel in Münster geliefert. Das reicht meist für die ganze Woche. Manchmal verschenkt sie etwas davon an Christoph von nebenan. Oder sie klebt einen Zettel an die Tür des jungen Pärchens, das einen Stock über ihr wohnt.

Sie würde gerne mal auf den Markt gehen. Unter den bunten Schirmen der Stände flanieren, mal rauskommen, wie sie sagt. Aber dann denke sie wieder: „Das Gemüse kann ich da eh nicht kaufen, das ist viel zu teuer.“

Christel Salmen ist 76 Jahre alt. Bis ihr Mann vor zwei Jahren starb, bekam sie eine Rente, die so klein war, dass der Staat sie aufstockte. Grundsicherung im Alter. Inzwischen ist es mit der Witwenrente etwas mehr. Viel bleibt am Ende trotzdem nicht. Leben, das muss mit 200 Euro im Monat möglich sein. Wenn jetzt die ersten kalten Tage unausweichlich auf den Winter deuten, macht sie das ganz verrückt, sagt sie. Für eine saftige Nachzahlung habe sie kaum Rücklagen. Die Miete der Wohnung, in der sie knapp 20 Jahre lang mit ihrem zweiten Mann lebte, kann sie sich seit dessen Tod eigentlich nicht mehr leisten. Damit ist sie nicht allein. Frauen erhalten in Deutschland durchschnittlich 46 Prozent weniger Rente als Männer.

Christel Salmen sitzt in einem Sessel und schaut an der Kamera vorbei
„Das Gemüse kann ich da eh nicht kaufen, das ist viel zu teuer”: Christel Salmen in ihrem Wohnzimmersessel. Foto: Merle Trautwein

Als Finanzminister Lindner im Sommer von Gratis-Mentalität sprach, freute sich Christel Salmen über das 9€-Ticket. Sie besuchte ihren Bruder in Bayern. Dort habe sie sich wieder gefangen sagt sie, vom Tod ihres Mannes, dem vielen Alleinsein seitdem. Spontane Besuche waren durch die hohen Fahrtkosten oft nicht drin, dafür sparte sie, obwohl sie für die Nächte bei ihrem Bruder nichts bezahlen muss.

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