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Drei Erwachsene mit zwei kleinen Kindern

Geld oder Land!

David Büchler und Sarah Hoffmanns haben sich mit einem Bauernhof einen Traum erfüllt. Ein Erbstreit bringt alles in Gefahr und wirft eine grundsätzliche Frage auf: Was ist wichtiger – Bioland oder Bauland?

von Jonas Mayer • Fotos: Kim Oppermann

Ein Sonntag Mitte September auf einem Acker in Münster, kurz vor Roxel, im Eck zwischen der Roxeler Straße und dem Dingbänger Weg. 5,5 Hektar Land, davon ein halber Hektar Kartoffeln. Die Sorte „Agria“ wächst hier im Boden, sie ist voluminös und oval, goldgelb und stark – die perfekte Kartoffel für Pommes. Die eigentliche Erntezeit hat noch nicht begonnen, und doch sind neben etwas „Agria“ schon mehrere Reihen der Standardsorte „Laura“ ausgegraben. Die Landwirte hier, David Büchler und Sarah Hoffmanns, veranstalten das „Kartoffelbuddeln“, heute findet es zum dritten Mal statt. Den Tag über kommen rund hundert Familien vorbei, nehmen Grabegabeln, machen erst einen und dann doch zwei Säcke voll, weil es den Kindern so viel Freude bereitet und ein Kilo halt nur zwei Euro kostet. Dann geht’s zum Pommesstand, der am Rand des Ackers aufgebaut ist.

Der Acker mit Menschen und im Hintergrund Bäume
Kartoffelbuddeln auf dem Acker, das Kilo für zwei Euro. An einem Tag kommen über hundert Familien.

David Büchler und Sarah Hoffmanns wechseln sich damit ab, die Kunden auf den Acker zu führen und etwas zum Anbau zu sagen, die Kartoffeln zu wiegen, Pommes zu frittieren und zu verkaufen – und mit ihrer kleinen Tochter zu spielen, die heute mit auf dem Feld ist und von den Großeltern bespaßt wird. Seit einem Jahr bearbeitet das Paar den Acker, diese Ernte ist ihre erste. Sie verdienen Geld damit, endlich, den Kunden schmeckt es und der Sommer strengt sich noch einmal richtig an. Die Szene ist entspannt, naturnah, ein Idyll am Rande der Großstadt.

Ein Idyll, das den beiden jungen Landwirten schon in wenigen Wochen wieder aus den Händen gleiten könnte. 5,5 Hektar, sieben Fußballfelder, so viel Boden wandelt die Stadt Münster alle paar Wochen zu Wohnbau- oder Gewerbeflächen, zu Verkehrsflächen oder Wald um. Das Land Nordrhein-Westfalen jeden Tag. Deutschland alle zweieinhalb Stunden. Unbebauter Boden ist wertvoll. Gerade in Münster.

David Büchler und Sarah Hoffmanns lassen sich ihre Sorgen beim Kartoffelbuddeln nicht anmerken. Doch sie und ihr Bauernhof „Biolee“ sind mitten hineingeraten in das Ringen um Böden und das viele Geld, das sich damit einnehmen lässt. Nun kämpfen sie darum, auf ihrem Acker weitermachen zu dürfen. Sie haben Chancen, sie haben Verbündete, aber sehr wenig Zeit. Sie sagen, es ginge jetzt um alles.

„Wollt ihr etwas aus dem Acker machen?”

Bis hierhin war ihr Weg eine Erfolgsgeschichte. Beide standen schon als Kinder auf dem Acker, Sarah Hoffmanns wuchs sogar auf einem Bio-Bauernhof auf. Dann das gemeinsame Studium, erst Agrarwissenschaft in Bonn, dann ökologische Landwirtschaft in Witzenhausen. Dort gründen sie ihre Pommesbude „Pommbuur“. Mit dem Ziel, die Kartoffeln für die Fritten eines Tages selbst anzubauen – ökologisch und als selbstständige Landwirte. Das klingt machbar, bleibt aber ein schöner Traum. „In den traditionell familiären Strukturen in der Landwirtschaft ist es nahezu unmöglich, einen Hof zu übernehmen“, sagt Sarah Hoffmanns.

David mit einer großen Schaufel auf einem Acker
„Das war ein Riesenglücksmoment, als wir den Pachtvertrag unterschrieben haben“: David Büchler auf seinem Acker beim Kartoffelernten.

Vier Jahre später, da leben sie schon in Münster und arbeiten beide bei der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, wird aus dem Traum doch noch Realität. Es ist Frühjahr 2022, sie leben mit ihrer einjährigen Tochter in einer der Wohnungen auf dem Hof, zu dem die 5,5 Hektar Acker gehören. Neben ihnen leben 23 weitere Menschen, darunter auch einige der Verpächter von Hof und Ackerflächen. Genauer: Einige der sieben Erben der Verpächterin, die 2018 gestorben ist. Sie streiten seitdem darum, was mit dem Land passieren soll. Die Details sollen hier Familiensache bleiben. Der Pachtvertrag mit dem bisherigen Landwirt lief jedenfalls im Jahr 2022 aus. Die Erbengemeinschaft klopfte bei David Büchler und Sarah Hoffmanns an – und fragte: Wollt ihr etwas aus dem Acker machen?

Und wie sie wollten. „Das war ein Riesenglücksmoment, als wir den Pachtvertrag unterschrieben haben“, sagt Büchler. Das erste Mal mit dem eigenen Traktor über den Acker fahren: „Der Wahnsinn.“

Der Landwirt vor ihnen hat konventionell angebaut. Raps, Erdbeeren, Mais, Getreide – hochgezogen mit Hilfe von industriellem Stickstoffdünger, Gülle und Pestiziden.

Büchler und Hoffmanns versuchen es nach allen Regeln des Ökolandbaus. Sie spritzen keine Pestizide. Sie pflanzen Kleegras, Wicke und Luzerne an, die Stickstoff auf natürlichem Wege aus der Luft in den Boden ziehen oder diesen mit ihren Wurzeln lockern. Sie pflügen nicht, weil dies das Mikrobiom des Bodens durcheinander wirbeln würde. Sie haben eine Blühwiese mit rund 20 heimischen Arten gepflanzt, um das ganze Jahr die Insektenvielfalt zu erhöhen.

Im Mai 2022 haben sie mit alledem angefangen. Alles, was sie ab dem Frühsommer 2024 aussäen, können sie als Bioware verkaufen. Zwei Jahre, so viel Zeit braucht ein Acker, um sich von konventioneller Bewirtschaftung zu erholen. Die Kartoffeln, Kürbisse und das Getreide, das Büchler und Hoffmanns gerade geerntet haben, ist sogenannte „Umstellungsware“. Arbeitskosten wie bei Bio, Einnahmen wie bei konventioneller Ware.

600.000 Euro, bis Ende Oktober

Die beiden Landwirte schätzen, dass sich der Betrieb ab 2026 lohnen wird. Bis dahin arbeiten sie in Teilzeit weiter als Berater und Praxisforscherin bei der Landwirtschaftskammer. Und machen Schulden, im ersten Jahr rund 70.000 Euro. Obwohl sie alle Geräte aus zweiter Hand gekauft oder ausgeliehen haben. Für Existenzgründer wie sie gibt es in der Landwirtschaft fast keine Förderungen. Ende des Jahres werden sie 4.000 Euro Flächenprämie von der EU bekommen. Das reicht nicht mal für die Pacht.

Und dennoch: David Büchler und Sarah Hoffmanns schlagen sich durch. Sie haben Freude daran.

Bis sie im Juli 2023 gesagt bekommen, dass sie in sehr kurzer Zeit sehr viel Geld hinlegen sollen. Ein Mitglied der Erbengemeinschaft drängt darauf, den Erbteil ausgezahlt zu bekommen. Also muss die Gemeinschaft das Land verkaufen. Ein Gutachter hat es mit bis zu 25 Euro pro Quadratmeter bewertet. Die 5,5 Hektar wären als Bauland also fast 1,4 Millionen Euro wert. Die beiden Landwirte könnten die Fläche – weil sie Acker bleiben soll – für weniger als die Hälfte haben: 600.000 Euro, die sie bis Ende Oktober aufbringen müssten. Entweder sie zahlen und bleiben. Oder sie verlieren ihre Äcker an ein Immobilienunternehmen.

Sarah hält eine große Schale und schleuert die Fritten in die Luft
„In den traditionell familiären Strukturen in der Landwirtschaft ist es nahezu unmöglich, einen Hof zu übernehmen“: Sarah Hoffmanns an ihrem Pommesstand.

Es geht um alles oder nichts. Zwei junge Landwirte, die ökologisch Lebensmittel anbauen, nur vier Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Oder ein weiteres Wohn- oder Gewerbegebiet. Beides bräuchte Münster dringend.

Die Stadt wächst schneller als jede andere in Nordrhein-Westfalen. In den letzten zehn Jahren um mehr als 20.000 neue Einwohner. Mindestens bis 2030 rechnet die Stadt mit weiteren 2.000 neuen Einwohnern pro Jahr. Also muss mehr Wohnraum her.

Die Stadt macht dieses Jahr rund 60 Millionen Euro neue Schulden. Damit wird voraussichtlich die Milliardenmarke geknackt. Also muss mehr Gewerbesteuer her.

Aktuell debattiert der Rat der Stadt den neuen Regionalplan. Der legt fest, welche Flächen für welchen Zweck genutzt werden dürfen oder müssen – für Wohngebäude und Fabriken, Windräder und Solaranlagen, Naturschutz und Klimaanpassung, Forst- und Landwirtschaft.

Mit den Plänen sollen im Stadtgebiet 249 Hektar für Gewerbegebiete und 391 Hektar für Wohngebiete bis 2045 reserviert werden. Zusammen ist das so viel Fläche wie der Innenstadtring. Plus sogenannter „Potenzialbereiche“, falls noch mehr Fläche gebraucht wird. Immerhin geht es um mehr als 20 Jahre Stadtentwicklung und immerhin besteht Münster zu 67 Prozent aus „Freiflächen“.

Krisentreffen in der Scheune

Wobei diese, wie Umweltschützer sagen, eben nicht frei sind, sondern als Frischluftschneisen dienen, für die Biodiversität oder Naherholung. Oder dort befinden sich Äcker wie die der „Biolee“ von David Büchler und Sarah Hoffmanns – im Entwurf für den neuen Regionalplan ebenfalls eine Freifläche.

„Biolee“, den Namen haben die zwei Landwirte zusammengesetzt aus dem, was sie machen, Biolandwirtschaft, und dem Ort dafür: Einer Allee aus Eichen, Birken und Ahorn, die in einem leichten Bogen zwischen den Äckern hindurch führt. An ihrem Ende liegen Hof und Wohnungen. Und die kleine Fachwerk-Scheune, in der drei Tage nach dem Kartoffelbuddeln eine Art Krisentreffen stattfindet. Thema: Die „Biolee“ retten.

Anwesend: 15 Menschen von Organisationen, die bei der Rettung helfen könnten – von BUND, Ernährungsrat und Bioland, vom Wohnprojekt Grüner Weiler, einige Grünen-Politiker, drei Privatleute. Sie sitzen auf Bierbänken, im Hintergrund zwei Paletten Kürbis und eine Sortiermaschine für Kartoffeln. Öko-Power vor Öko-Kulisse.

David Büchler und Sarah Hoffmanns wirken weit weniger entspannt als vor drei Tagen auf dem Acker. In wenigen Minuten erklären sie ihren Lebensweg, ihre Philosophie als Bio-Landwirte und das Problem, bis Ende Oktober an 600.000 Euro zu kommen. Sie nennen es „eine sehr hohe Hürde“.

Ein älterer Mann gestikuliert, andere Menschen sitzen um ihn herum und hören zu
Titus Bahner hat schon viele Biohöfe gerettet. Bei der Krisensitzung erklärt er, wie das in diesem Fall gelingen soll.

Dann spricht der Mann, mit dem sie es zusammen über die hohe Hürde schaffen wollen. Titus Bahner ist Vorstand der Kulturland Genossenschaft. Die Organisation hat bundesweit schon Dutzende ökologisch und regional wirtschaftende Höfe vor dem Sterben bewahrt. Die „Biolee“ soll der nächste sein.

Und das geht so: Die Kulturland eG organisiert Menschen, die bereit wären, für das Fortbestehen eines Hofes Genossenschaftsanteile zu kaufen, zum Beispiel 500 Euro für einen Anteil. Wenn ausreichend Absichtserklärungen zusammengekommen sind, kauft die Kulturland eG die Flächen, sammelt die Genossenschaftsanteile ein und verpachtet die Flächen für 30 Jahre an die Landwirte. Das ist ein Vielfaches der üblichen Pachtlaufzeiten und soll den Landwirten Sicherheit geben. Mit der Pacht deckt die Kulturland eG ihre eigenen Kosten.

Aus Äckern im Privatbesitz werden Äcker als Gemeingut vieler. „Wir nennen das Modell eine ,neue Allmende‘“, sagt Titus Bahner. Er ist aufgestanden, steht zwischen Büchler und Hoffmanns, als er der kleinen Runde erklärt, dass bis zum 31. Oktober Absichtserklärungen für 150.000 Euro Anteile zusammenkommen müssen. Ein Viertel des Kaufpreises und ausreichend, um die Erbengemeinschaft zu überzeugen, dass der Kauf klappen wird. Den Rest könnten sie in den ein bis zwei Jahren danach einsammeln. Jetzt geht es um 300 Absichtserklärungen zu je 500 Euro.

Sechs Wochen für 150.000 Euro

Die Zuhörer finden den Plan gut. Doch manche zweifeln, ob er innerhalb so kurzer Zeit aufgehen wird.

„Die sind zu zweit, wie wollen die das schaffen?“, raunt eine Frau auf der hintersten Bierbank ihrer Nachbarin zu.

„Die Summe schockt mich nicht, der Zeitraum schon“, sagt ein Mann laut. „Wir reden von weniger als sechs Wochen.“

Allgemeines Kopfnicken in der Scheune.

Keine sechs Wochen für 150.000 Euro. Sonst ginge das Land wahrscheinlich an einen Immobilienkonzern. David Büchler und Sarah Hoffmanns würden Münster wohl verlassen, sagen sie, um woanders als Landwirte weiterzumachen.

Es sind in Deutschland vor allem Agrarflächen, die in Wohn- und Gewerbegebiete, Solarfelder und Verkehrswege umgewandelt werden, sagt das Umweltbundesamt. Für Nordrhein-Westfalen und die Stadt Münster ist es genauso, zeigen die Berichte des Landesumweltamtes und der Landwirtschaftskammer.

Zuletzt wurden in Münster pro Jahr 58 Hektar Agrarfläche umgewandelt, so viel wie 80 Fußballfelder. Die Landwirtschaftskammer warnt davor: „Jede landwirtschaftliche Fläche ist wertvoll und einmalig; der Boden ist eine unvermehrbare Ressource.“ Das müssten Kommunen „konsequent berücksichtigen“.

Seit 2022 ist Münster Mitglied im Netzwerk sogenannter „Biostädte“ und Teil der Öko-Modellregion Münsterland. In beiden Initiativen geht es darum, mehr ökologische und regionale Lebensmittel in heimischer Außer-Haus-Gastronomie und Einzelhandel zu verwenden – und dafür die ökologische Landwirtschaft in der Stadt zu fördern. Denn bisher werden gerade mal zwei Prozent der Äcker in der Stadt ökologisch bewirtschaftet. Dafür sind nur neun Betriebe verantwortlich. Es ist viel Luft nach oben.

„Macht Werbung beim Apfelfest“

Eigentlich eine gute Ausgangslage für David Büchler, Sarah Hoffmanns und ihre „Biolee“. Beim Krisentreffen in ihrer Scheune dreht sich die Stimmung. Die Gruppe diskutiert, wie und wo sie Werbung für die Rettung machen.

„Gebt doch ein Interview bei Antenne Münster“, schlägt eine Frau vor.

„Ein Video wäre gut“, sagt eine andere.

„Macht Werbung beim Apfelfest“, sagt ein Mann. „Und beim Markt am Dom.“

Fast alle wollen den digitalen Flyer und die Vorlage für die Absichtserklärung über ihre Verteiler verschicken. Ein Klemmbrett mit einer Liste für E-Mail-Adressen geht rum, die Anwesenden tragen sich ein. Am Ende des Treffens klatschen sie und drücken ihre Bewunderung für die zwei jungen Landwirte und ihren Plan aus. „Toll, dass ihr das macht.“

Später stehen Büchler und Hoffmanns zusammen mit Titus Bahner vor der Kulturland eG zu dritt vor der Scheune. „Ich habe ein gutes Gefühl, dass das klappt“, sagt Bahner. „Ihr hattet die richtigen Leute da. Leute mit guten Netzwerken.“

Sarah Hoffmanns erzählt, dass die Münsteraner erst skeptisch waren, als sie mit ihrer Pommesbude neu auf dem Weihnachtsmarkt waren – und dann hätten sie ihnen doch noch die Bude eingerannt. „Vielleicht läuft es jetzt ja genauso.“

Hinter ihnen in der Scheune liegen zwei Absichtserklärungen schon unterschrieben auf einer der leeren Bierbänke.

Mit Stand vom 10. Oktober scheint die Strategie der beiden Landwirte aufzugehen. Über die Organisationen, die mit ihnen in der Scheune saßen, haben viele ökologisch bewusste Menschen von der Rettungsaktion der Biolee erfahren. Der WDR hat den Acker besucht und auch beim vierten und letzten “Kartoffelbuddeln” kamen wieder Dutzende Familien. 100.000 Euro Absichtserklärungen sind drin, fehlen noch 50.000.

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