Community-Beitrag
Alina Köller hat mit Thomas Mühlbauer vom Haus der Wohnungslosenhilfe (HdW) gesprochen

RUMS stellt vor: Haus der Wohnungslosenhilfe (#1)

Alina Köller hat in der Reihe „Engagement in Münster“ mit Thomas Mühlbauer vom Haus der Wohnungslosenhilfe (HdW) darüber gesprochen, warum manche Menschen freiwillig obdachlos sind. Und darüber, wie sein Team diejenigen unterstützt, die nicht auf der Straße leben möchten. Das Gespräch wurde im Rahmen unserer Marketingaktion auf dem Weihnachtsmarkt 2021 geführt.

von Alina Köller
Thomas Mühlbauer, Haus der Wohnungslosenhilfe

Interview mit Thomas Mühlbauer

Herr Mühlbauer, wie viele Menschen in Münster sind wohnungs- oder obdachlos?

Insgesamt sind es ungefähr 800 wohnungslose Männer und Frauen, und es gibt auch wohnungslose Familien. Aber ich möchte diese Zahl gerne erklären, weil sie falsch verstanden werden kann. Es sind nicht 800 obdachlose Personen, die auf den Straßen von Münster leben. Darunter sind auch Menschen, die nicht selbst eine Wohnung gemietet haben, sondern denen die Stadt vorübergehend eine zur Verfügung stellt.

Es gibt aber auch Menschen in der Stadt, die wirklich obdachlos sind. Gibt es für sie nicht genügend Notunterkünfte oder andere Angebote?

Doch, eigentlich schon. Unser Anspruch ist, dass niemand, der es nicht möchte, draußen sein muss. Wir gehen davon aus, dass 40 bis 50 Männer freiwillig wohnungs- oder sogar obdachlos sind.

Warum entscheiden sie sich dafür?

Aus ganz unterschiedlichen Gründen. Einige haben leider psychische Erkrankungen. Bei ihnen gehen wir davon aus, dass sie eigentlich gar nicht mehr frei entscheiden können, ob es gut für sie ist, draußen zu leben. Und wir haben durchaus auch systemkritische Klienten, die weder krankenversichert sind noch Arbeitslosengeld II beziehen.

Erreichen Sie diese Menschen überhaupt noch?

Wir haben natürlich auch einen Blick auf diesen Personenkreis. Für sie ist unser mobiler Dienst zuständig, der auch ans Haus der Wohnungslosenhilfe angebunden ist. Die Mitarbeiter:innen fahren immer wieder raus, gehen aktiv auf die Menschen zu und sprechen sie an. Sie versuchen, sie zu motivieren, im HdW vorbeizukommen und sich aufzuwärmen. Und wir bieten an, einen Kontakt zum Sozialarbeiter herzustellen. Diese Arbeit ist sehr anstrengend. Aber auch sehr wichtig, damit wir die Personen, die nicht in unseren Unterkünften leben, nicht vergessen.

Und wie vielen Männern, die nicht auf der Straße leben möchten, können Sie eine Unterkunft anbieten?

Im HdW gibt es normalerweise 80 Plätze, von denen im Sommer aber weniger belegt sind als im Winter. Für die kalten Monate haben wir wieder die sogenannte Winternothilfe mit zusätzlichen Kapazitäten eingerichtet, damit wir alle Männer aufnehmen können, die sich an uns wenden. Dafür werden am Albersloher Weg jedes Jahr Wohncontainer aufgestellt.

Und dazu kommt zurzeit noch das sogenannte Haus kurzfristiger Hilfen, das wie das HdW von der Bischof-Hermann-Stiftung getragen wird und als „Corona-Entzerreinheit“ gedacht ist. Dort bringen wir seit dem Frühjahr 2020 auch regelmäßig Männer unter, damit sie in kleineren Gruppen zusammenwohnen und das Ansteckungsrisiko geringer ist. In allen Häusern zusammen können wir in diesem Winter bis zu 200 alleinstehende, wohnungslose Männer versorgen.

Kleinere Gruppen werden in den nächsten Monaten wegen der verschärften Corona-Situation sicher noch wichtiger. Wie viele Männer schlafen denn zusammen in einem Zimmer?

Vor der Pandemie waren es bis zu vier. Leider, muss man sagen – uns wäre lieber, dass sich weniger Personen ein Zimmer teilen müssen. Seit dem letzten Frühjahr haben wir die Gruppen auf zwei, maximal drei Menschen verkleinert. Und diesen Standard müssen wir aus unserer Sicht unbedingt auch nach der Pandemie halten.

Wie sehen die Zimmer aus?

So ähnlich wie in einer Jugendherberge. Die Schlafräume sind zwischen 16 und 20 Quadratmeter groß, darin stehen bis zu vier Betten – meistens zwei Etagenbetten – und ein Tisch mit Stühlen. Und ganz wichtig: Jeder Bewohner hat einen abschließbaren Spind, in dem er seine persönliche Habe verstauen kann. Aber es ist trotzdem eng, und das kann natürlich für soziale Spannungen sorgen.

Gibt es schon Pläne, die Situation durch ein weiteres Haus dauerhaft zu entzerren?

Die gibt es tatsächlich. Sie sind noch nicht ganz spruchreif, aber wir verfolgen sie mit Nachdruck. Und ich kann schon verraten, dass unsere Bemühungen bei unserem Träger und hoffentlich auch bei der Verwaltung auf fruchtbaren Boden fallen. Deshalb sind wir sehr gespannt auf die Entwicklung in den nächsten Jahren.

Wie lange dürfen Männer in Ihrer Einrichtung bleiben?

Es gibt keine maximale Aufenthaltsdauer. Es kommt ganz darauf an, was sie brauchen und welche Ressourcen sie selbst haben, um eine neue Wohnung oder auch einen neuen Job zu finden. Es kann sein, dass eine Person nur drei Wochen bei uns bleibt, weil sie zum Beispiel einen Arbeitsplatz hat oder ein soziales Netz, das sie auffängt. Jemand anders braucht vielleicht mehr Unterstützung und lebt deshalb drei Jahre bei uns.

Kommt es auch vor, dass jemand für immer bleiben möchte? Und wäre das möglich?

Im Sozialdienst ist das Ziel eigentlich immer, Menschen weiterzuvermitteln, etwa zur Arbeitsagentur, zur Schuldnerberatung oder zu anderen Fachdiensten, die helfen können. Münster hat aus unserer Sicht wirklich ein gut ausdifferenziertes Hilfesystem. Wir versuchen deshalb immer, die Aufenthaltsdauer im HdW so kurz wie möglich zu gestalten. Und zu unterstützen, anstatt eine Person einfach in unserer Einrichtung zu lassen. Aber es gibt auch Menschen, die dauerhaft Hilfe brauchen. Die schicken wir natürlich nicht weg.

Was sind die größten Herausforderungen oder Hürden in Ihrem Arbeitsalltag?

Eine wirklich große Herausforderung sind die sogenannten Systemsprenger. Dieser Begriff polarisiert und ist nicht ganz glücklich, wir haben aber bisher noch keinen besseren gefunden. Damit sind Menschen gemeint, die Hilfe leider meistens ablehnen, verschiedenste Erkrankungen haben und zu Gewalt neigen oder sogar Gewalt anwenden. Ich glaube, dass wir für diese Menschen in den nächsten Jahren spezialisierte Angebote schaffen müssen.

Kommt es durch sie häufiger zu Spannungen in den Unterkünften?

Ja, leider. Es finden natürlich nicht täglich Übergriffe statt. Aber viele dieser Menschen haben eine gewisse Grundaggressivität. Deshalb müssen wir manchmal ein Hausverbot aussprechen, was dann die Frage aufwirft, wo sie stattdessen unterkommen können. Wir müssen dafür zusammen mit der Stadt Münster und anderen Verantwortlichen eine gute Lösung finden, denn auch diesen Menschen möchten wir ja helfen.

Sicher können Sie und Ihre Kolleg:innen dabei auch selbst Unterstützung gebrauchen. Wie können die Menschen in der Stadt am besten helfen?

Was uns hilft, ist ein gutes Feedback zu unserer Arbeit. Und das bekommen wir hier zum Glück oft, die meisten Münsteraner:innen sind sehr wohlwollend und haben für die Belange unserer Einrichtung ein offenes Ohr.

Eine ganz konkrete Hilfe für unsere Klienten ist gebrauchte, gut erhaltene Herrenbekleidung, die man bei uns abgeben kann. Gerade jetzt in der kälteren Jahreszeit tun das auch viele Menschen. Geldspenden helfen uns natürlich auch. Und es ist immer gut, einfach mit offenen Augen durch Münster zu gehen. Im Sommer könnte man im Supermarkt zum Beispiel eine kleine Wasserflasche extra kaufen und jemandem geben, der am Straßenrand oder auf einer Bank sitzt. Und im Winter kann man uns anrufen, wenn man eine Person sieht oder findet, die Hilfe braucht.

Gibt es etwas, das Sie sich von der Stadtverwaltung oder der Politik in Münster wünschen?

Grundsätzlich sind wir sehr zufrieden, weil wir nicht nur von den Bürger:innen, sondern auch von der Lokalpolitik und der Verwaltung viel Unterstützung bekommen. Da sind wir wirklich auf einem guten Weg.

Ein Wunsch für die Zukunft: Wir möchten das Thema Wohnungslosigkeit während des ganzen Jahres sichtbar machen, nicht nur in den Wintermonaten. Dafür wollen wir gute Konzepte entwickeln und zusammen mit allen anderen Einrichtungen und Verantwortlichen überlegen, wie wir wohnungslosen Menschen in Münster noch besser helfen können – zum Beispiel, indem wir ihnen mehr Möglichkeiten bieten, sich treffen oder sich tagsüber aufhalten zu können. Eine andere Idee wäre ein festes Kontingent an Wohnungen, die ausschließlich für arbeitende, wohnungslose Personen angeboten wird.

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