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Fintelify Finanzapp

Warum lernen wir Finanzen nicht in der Schule?

Der 17-jährige Mattia Freund aus Münster bringt mit seiner App „Fintelify“ Finanzwissen aufs Handy. Er will übernehmen, was Schulen bisher versäumen: jungen Menschen Geld und Finanzen erklären.

von Anna Niere • Redaktion: Sebastian Fobbe • Lektorat: Maria Schubarth

„Wie oft werden Dividenden ausgezahlt? Täglich, jährlich, monatlich oder vierteljährlich?“ Mattia Freund klickt in der App auf die Antwort „Vierteljährlich“. Richtig. Weiter geht’s zur nächsten Frage und danach zur nächsten. Mattia beantwortet sie alle richtig und schließt damit sein Kapitel für den Tag ab.

Für ihn ist das kein Problem, er hat die App schließlich selbst entwickelt. „Fintelify“ soll dabei helfen, Finanzwissen zu lernen. Was sind Zinsen, Schulden oder wie genau funktionieren ETFs eigentlich? Mattia will damit zum „Duolingo für Finanzwissen“ werden. „Fintelify“ ist ähnlich aufgebaut wie die beliebte Sprachlern-App: Jeden Tag gibt es ein Quiz, das gelöst werden muss, um ein Level aufzusteigen. Mit jedem Level werden die Fragen komplexer. Mehrere Tausend Menschen nutzen die App laut Mattia aktuell.

So weit, so gut. Eigentlich ist Mattia kein Software-Entwickler. Er ist Schüler und seit neuestem auch Student. Der 17-Jährige hat diesen Monat angefangen, neben der Schule BWL zu studieren. Die Idee zu „Fintelify“ hatte er schon mit 12: „Wenn andere Fußballspielen waren, habe ich mich für Aktienmärkte interessiert und Praktika in Banken gemacht“.

Mit 16 wollte er dann selbst gründen. Ein familiengerichtliches Verfahren und einige Monate später gehörte „Fintelify“ dem Minderjährigen. Damit konnte er sein Herzensthema umsetzen: Finanzbildung für alle verständlich machen. Doch Mattias Projekt wirft eine größere Frage auf: Sollte Finanzbildung nicht längst Teil des Unterrichts sein – statt Hobby Einzelner?

Junge Menschen verschulden sich öfter

Bisher basiert Finanzbildung in Schulen auf Initiativen einzelner Schulen, Lehrkräften oder den Schüler:innen selbst. Schulen mit wirtschaftlichem Schwerpunkt, Planspiele, Börsensimulationen oder Arbeitsgemeinschaften – darüber hinaus kommen Minderjährige in der Schule nicht mit Finanzen in Berührung.

Finanzielle Bildung hilft, selbstbestimmt zu leben – so fasst es die Bundeszentrale für politische Bildung zusammen. Alle treffen täglich Entscheidungen über Geld – beim Online-Shopping, beim Handyvertrag, bei der Versicherung. Finanzielle Bildung bedeutet erstmal nicht, reich zu werden, sondern zu verstehen, wie Geld funktioniert.

Dass das für Jugendliche immer wichtiger wird, zeigt der Schuldner Atlas: Die Überschuldung junger Menschen steigt – auch in Münster. Hier vergleichsweise sogar stärker als zum Beispiel in Köln. Seit der Pandemie ist die Kauflaune groß, trotz Inflation. Die Verbraucherzentrale warnt deshalb davor, dass mehr junge Menschen in Schuldenfallen geraten. In den Schuldnerberatungen der Caritas und der Diakonie habe sich diese Entwicklung aber in den Zahlen noch nicht bemerkbar gemacht. Trotzdem: Die Hauptzielgruppe der Beratungen seien junge Menschen, die das erste Mal alleine wohnen.

Auch wenn die Gründe sehr individuell sein können, erkennen Schuldnerberatungen bestimmte Muster. „Häufig werden Einnahmen und Ausgaben nicht nachgehalten, so verliert man schnell den Überblick“, sagt Schuldnerberater Benjamin Morise von der Caritas Münster. Auch Fälle von Spiel- oder Kaufsucht kommen gelegentlich vor, seien aber die Ausnahme.

Hinzu komme der Druck, mitzuhalten – mit Lifestyle, Technik, Social Media. „Früher waren es neue CDs, eine angesagte Kleidungsmarke oder ein getunter Roller. Heute hat sich das verschoben und wichtiger sind eher das neue Handy, ein großer Flatscreen oder Abos für Netflix, Spotify und Co.“, beobachtet Morise.

Ohne grundlegende Finanzbildung sei diese Mischung aus Konsum, Kreditangebot und Unwissen kaum zu bewältigen. Morise sieht die Schulen in der Verantwortung. „Die Zusammenarbeit von Schulen und Schuldnerberatungsstellen sowohl bei der Fortbildung von Lehrkräften als auch bei Präventionsangeboten vor Ort sollte politisch gewollt sein und umgesetzt werden“, sagt er.

Schaut man in die Lehrpläne von NRW, steht da tatsächlich einiges zu Finanzen – aber nur in Teilen. Eine Studie der Uni Tübingen zeigt: NRW deckt nur rund ein Viertel der internationalen Kategorien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (kurz OECD) zur sogenannten finanziellen Allgemeinbildung ab.

Es gibt demnach bereits Unterricht zu Haushaltsplanung oder Verbraucherschutz, aber Themen wie Risiko, Steuern oder Anlageformen tauchen kaum auf. Haupt- und Realschulen sind praxisnäher, Gymnasien oft abstrakter. Warum also nicht in einen festen, gemeinsamen Lehrplan aufnehmen?

Ein neues Schulfach?

Bildungsforscher:innen warnen gleichzeitig vor einem eigenen Fach für Finanzbildung. Es fehlt an qualifizierten Lehrkräften, an didaktischen Konzepten – und an einer Idee, wie man das Thema altersgerecht vermittelt. Denn Finanzbildung ist mehr als Budgetplanung. Sie berührt Teile der Ethik, Politik, Soziales.

Eine der Gegner:innen ist Wirtschaftspädagogin Carmela Aprea. Im Tagesspiegel-Interview erklärt sie, warum. Ein Fach „Alltagskunde“ mit ein paar Spartipps oder Versicherungsbeispielen würde das Thema viel zu sehr verkürzen. Finanzbildung bedeutet für die Expertin eben mehr als Haushaltsführung: Sie verlangt ein Verständnis für komplexe Zusammenhänge – etwa, wie Kapitalmärkte funktionieren oder welche gesellschaftliche Rolle Geld spielt.

Kindern komplizierte Themen wie Kreditverträge oder Aktienfonds zu erklären, bringe wenig, sagt Aprea. Denn vieles von dem, was sie in der Schule lernen, würden sie auch genauso schnell wieder vergessen – ganz einfach, weil Schulkinder noch keine Verträge abschließen oder mit Aktien handeln dürfen. Sie hält einen schrittweisen Zugang für sinnvoller. In der Grundschule spielerisch starten und dann mit jeder Klassenstufe weiter einordnen. Dafür brauche es laut Aprea kein eigenes Schulfach, sondern Finanzbildung im Politik- oder Wirtschaftsunterricht.

Zurück zu „Fintelify“. Mattias Ansatz ist spielerisch, steigert sich, je mehr Wissen angesammelt wird. Trotzdem bringt die App einige Barrieren mit sich. Die offensichtlichste: Alles ist auf Englisch. Viele Jugendliche könnten über das fremde Vokabular stolpern. Denn gerade in der Finanzbildung gibt es viele Fachbegriffe, die der deutschen Übersetzung nicht unbedingt ähnlich klingen. Ein Beispiel: Aktie heißt auf Englisch share oder stock. Eine deutsche Version von Mattias Finanz-App gibt es noch nicht, sei aber in Arbeit. Genauso wie die Android-Version, denn bisher können nur Apple-Nutzer:innen die App downloaden.

Auch inhaltlich richtet sich die App eher an Jugendliche, die ohnehin ein Grundinteresse an Finanzbildung mitbringen. An seiner Schule, dem Immanuel-Kant-Gymnasium in Hiltrup, testet Mattia die App in einer Börsen-AG mit rund 20 Mitschüler:innen. Seine Traumvorstellung: Jede:r Schüler:in kann auf dem eigenen iPad „Fintelify“ spielen und sich so selbst Finanzwissen aneignen.

Dafür müssten die Schulen allerdings die App vorinstallieren oder noch basaler: erstmal von der App wissen und sie testen. Bisher machen nur weiterführende Schulen in Hiltrup mit. Am liebsten würde Mattia anstoßen, dass alle Gymnasien in Deutschland die App ihren Schüler:innen zur Verfügung stellen – doch das ist erstmal Zukunftsmusik.

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