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Die Regenbogenschule

Unter dem Radar

Die Förderschulen haben keine große Lobby. In der Corona-Zeit hört man von ihnen nur wenig. Dabei stellt die Pandemie sie vor besonders große Probleme. Wir haben uns angesehen, wie die Förderschulen in Münster durch die Krise kommen.

von Edina Hojas • Redaktion: Ralf Heimann • Fotos: Nikolaus Urban

Seit einem Jahr sprechen alle darüber, was Corona mit der Bildung macht. Die Schulen waren kaum auf den Unterricht aus Distanz vorbereitet, teilweise sind sie es noch immer nicht. Die Kinder und die Lehrer:innen sind die Leidtragenden. Vergessen werden in der öffentlichen Diskussion aber, wie sonst auch so oft, die Kinder mit Behinderung. Sie besuchen entweder Förderschulen oder sind im Regelunterricht dabei, stundenweise begleitet von Lehrkräften der Förderschulen.

Für einige von ihnen gilt dasselbe wie für ihre Altersgenoss:innen ohne Behinderung: Sie sind nur dem ganz normalen Wahnsinn des Unterrichts in Corona-Zeiten ausgesetzt. Viele aber haben wegen ihrer Behinderung noch ganz andere Schwierigkeiten, sei es im Präsenzunterricht mit Masken und in kleinen Gruppen oder im Distanzunterricht. Auch die Angst spielt eine Rolle. Viele Menschen mit Behinderung gehören zur Risikogruppe, vor allem diejenigen mit schwersten Mehrfachbehinderungen oder auch dem Down-Syndrom.

Welche Probleme diese Menschen in der Corona-Zeit haben, hat Edina Hojas für RUMS recherchiert.

Martin-Luther-King-Schule

Eines haben die Förderschulen mit vielen Regelschulen gemeinsam: Fast alle nutzen im Distanzunterricht die Plattform IServ, um Aufgaben und Unterrichtsmaterialien an die Schüler:innen zu verteilen. Die Martin-Luther-King-Schuleetwa hat sich seit dem Sommer auf den zweiten Lockdown und die Schulschließungen vorbereitet. Hier lernen Kinder mit oft mehreren sprachlichen Beeinträchtigungen.

Die Lehrkräfte haben mit den Schüler:innen geübt, alle Funktionen von IServ zu benutzen, erzählt uns Schulleiterin Magdalene Beermann. Trotzdem lief das Distanzlernen nicht immer reibungslos. Die Kinder und Jugendlichen, die die Förderschule des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe besuchen, brauchen eigentlich den direkten Kontakt zu ihren Lehrer:innen. Viele von ihnen können sich sprachlich nicht gut ausdrücken. Es fällt ihnen schwer, ihre Gedanken, Wünsche und Gefühle zu formulieren. Auf Distanz ist das noch schwieriger. Die Lehrer:innen unterstützen sie im Unterricht. Sie helfen ihnen, Lesen und Schreiben, die Grammatik und neue Wörter zu lernen. Sie formulieren Aufgaben oft kleinschrittig und in Leichter Sprache, außerdem erklären sie mithilfe von Mimik und Gestik. Im Videochat ist das kaum möglich, und wenn die Videokonferenz zusammenbricht oder die Internetverbindung schlecht ist, können Lehrkräfte und Klassen sich nur noch schriftlich verständigen. „Diese Mehrarbeit kann man eigentlich auf Dauer nicht leisten, und sie ersetzt niemals die direkte mündliche Kommunikation“, sagt Magdalene Beermann.

Diesen direkten Kontakt haben die meisten Schüler:innen inzwischen immerhin wieder an jedem zweiten Tag, sie kommen abwechselnd zum Präsenzunterricht. Die Jugendlichen, die die Abschlussklassen besuchen, werden wieder an jedem Tag in der Schule unterrichtet.*

LWL-Münsterlandschule

Auch an der LWL-Münsterlandschulekommen einige Klassen seit Mitte März wieder jeden Tag in die Schule, einige wechseln zwischen Präsenz- und Distanzunterricht. Beides stellt Schüler:innen und Lehrer:innen vor große Herausforderungen, denn an der Münsterlandschule lernen Kinder und Jugendliche mit einer Hörbehinderung. Diese Schüler:innen sind darauf angewiesen, die Gebärden, die Mimik und die Mundbewegungen der Lehrer:innen gut sehen zu können. Einige Schüler:innen verständigen sich ausschließlich mit der Deutschen Gebärdensprache, andere lernen die Lautsprache. Sie setzen Gebärden zur Unterstützung ein. Im normalen Unterricht sitzen sie deswegen oft im Halbkreis angeordnet, damit sich alle gegenseitig sehen können. Mit Masken und auf 1,5 Meter Abstand geht das kaum noch. So sieht im Präsenzunterricht aber der Alltag aus. Und mit der Distanz tauchen ganz andere Probleme auf: In der Videokonferenz sind die Bildschirme manchmal zu klein, der Ton ist zu schlecht, die Interaktion geht verloren.

Darüber hinaus unterrichten und betreuen die Lehrer:innen der Münsterlandschule 240 Kinder mit Hörbehinderung an Regelschulen. Dafür fahren sie normalerweise zu diesen Schulen und üben mit den Kindern, die Lautsprache zu verstehen und zu sprechen. Die Pandemie bedeutet für diese Kinder eine Doppelbelastung. Vormittags nehmen sie am Distanzunterricht ihrer jeweiligen Regelschule teil. Nachmittags lernen und sprechen sie zusätzlich per Videokonferenz mit den Lehrkräften der Münsterlandschule. Der Distanzunterricht klappt zwar grundsätzlich gut, auch der Einsatz von Whiteboards, Mindmaps und digitalen Räumen zur Gruppenarbeit. Aber die langen Arbeitszeiten vor dem Computer und die erschwerte Verständigung, „das ist vielen zu viel“, sagt Schulleiterin Martina Wolff. Und alles steht und fällt mit der Internetverbindung.

LWL-Irisschule

Die blinden und sehbehinderten Schüler:innen der LWL-Irisschulehaben inzwischen wieder Präsenzunterricht; sie sitzen ohnehin in sehr kleinen Klassen mit fünf bis zehn Kindern und Jugendlichen zusammen. Der neue Schulalltag während des Lockdowns war für sie sehr anstrengend. Normalerweise helfen ihnen in der Schule Screenreader, Vergrößerungsgeräte, Braille-Tastaturen und andere technische Hilfsmittel. Das macht es leichter, sie ihren Bedürfnissen entsprechend zu unterrichten. Und das ist ein Grundsatz bei der Arbeit mit Kindern, die eine Behinderung haben.

Im Distanzunterricht war das nur bedingt möglich. Die Plattform IServ ist zwar so programmiert, dass man sie mithilfe einer sogenannten Screenreader-Software bedienen kann. Das Programm liest Texte vor und hilft, sich auf Internetseiten zurechtzufinden. Um das Aufgabenmodul von IServ zu bedienen, müssen die Schüler:innen aber zusätzlich Tastaturbefehle auswendig lernen. Auf diese Weise zu lernen und zu arbeiten, erfordert viel Konzentration und Kraft. „Nach einem Schultag zu Hause am Rechner klagten unsere Schüler:innen manchmal über Kopfschmerzen“, sagt Schulleiter Marko Hildmann.

Die Irisschule
So verlassen sehen die Irisschule und die Regenbogenschule (Titelbild) zurzeit nur am Wochenende aus: Die Kinder und Jugendlichen lernen in kleinen Gruppen wieder in den Klassenräumen.

LWL-Regenbogenschule

Kinder und Jugendliche mit einer körperlichen Behinderung brauchen Unterstützung beim Lernen von Bewegungsabläufen. Die LWL-Regenbogenschule ist darauf spezialisiert. Während des Lockdowns haben die Lehrkräfte den Distanzunterricht mit großem Aufwand gestaltet, wie Schulleiter Arno Grothus berichtet. Die Schüler:innen lernten auf allen Kanälen: per Padlet, in Videokonferenzen oder im Einzelvideounterricht, mit Schulbüchern, Arbeitsblättern, am Telefon, per Brief.

Aber das Engagement ersetzt den Präsenzunterricht nicht. Das hat sich an vielen Stellen gezeigt. Zum Beispiel, wenn es darum geht, den Kindern beizubringen, wie man einen Stift hält, oder wie man einen neuen Buchstaben schreibt. „Das motorische Lernen braucht die körperliche Nähe“, sagt Arno Grothus. Die haben die Schüler:innen jetzt wieder, wenn auch noch nicht jeden Tag. Seit ein paar Wochen findet zumindest wieder Präsenzunterricht im Wechselmodell statt.

Albert-Schweitzer-Schule

Ursula Krawinkel würde sich eine barrierefreie Lernplattform wünschen. Sie ist die Schulleiterin der städtischen Albert-Schweitzer-Schule. Dort lernen Kinder und Jugendliche, denen das Lernen sehr schwer fällt – die eine Lernbehinderung haben. Eigentlich bräuchten diese Schüler:innen ein Bedienmenü in Leichter Sprache, aber das gibt es bei IServ nicht. Die Lehrkräfte mussten das ausgleichen, sie haben intensiv mit den Schüler:innen geübt, mit der Plattform zu arbeiten. Inzwischen klappt es gut, auch die jüngsten Kinder kommen mit dem System zurecht.

Trotzdem lässt sich im Distanzunterricht nicht der ganze Stundenplan ins Digitale übertragen. Weil die Schule nach dem Montessori-Konzept arbeitet, steht normalerweise viel praktischer Unterricht auf dem Programm. Die Schüler:innen nähen und kochen, sie arbeiten im Garten, in Metall- oder Holzwerkstätten. All das fiel während des Distanzunterrichts natürlich weg. Inzwischen sind alle Jahrgänge im Wechselunterricht an jedem zweiten Tag wieder in der Schule, wo sie auch wieder praktisch lernen können.

Doch der Lockdown hat Spuren hinterlassen. Obwohl die Lehrer:innen sich sehr engagiert haben, zeigen sich die ersten Folgen des Distanzunterrichts, sagt Ursula Krawinkel: Die Kinder und Jugendlichen haben Konzentrationsschwierigkeiten. Beim Lesen und Schreiben haben sie eher Rückschritte gemacht. Die Lehrkräfte und Schüler:innen versuchen jetzt, gemeinsam wieder aufzuholen. —

Haben Sie selbst ein Kind, das auf eine Förderschule geht? Kennen Sie Menschen, die in der Corona-Zeit Erfahrungen mit dieser Schulform gemacht haben? Oder arbeiten Sie dort? Dann schreiben Sie uns. Schildern Sie uns Ihre Erfahrungen, Ihre Sorgen oder auch Vorschläge, um Probleme zu lösen, die Ihnen aufgefallen sind. Wenn Sie Ihren Namen nicht nennen mögen, gern auch anonym. Wenn Sie einverstanden sind, veröffentlichen wir Ihre Beiträge im RUMS-Brief.

* Hinweis: Diesen Absatz haben wir nachträglich eingefügt, weil die Information uns erst nach Veröffentlichtung erreicht hat.

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