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Die Preußen machen wieder Spaß
Der SC Preußen hat viel zu bieten, aber Münster weiß das kaum zu schätzen, findet unser Gastautor. Warum ist das so? Und was läuft in Bielefeld und Osnabrück besser? Ein Plädoyer für eine neue Beziehung zwischen Münster und seinem Verein.
Dass der SCP in der Regionalliga West noch am letzten Spieltag um die Meisterschaft und den damit verbundenen Aufstieg in die 3. Liga spielen würde, konnte man nicht unbedingt erwarten. Rot-Weiss Essen war beim 13. Anlauf ein bisschen gesetzt, allein schon wegen des Budgets. Auch der Wuppertaler SV, wo es der 82-jährige Hauptsponsor und Mäzen Friedhelm Runge noch einmal wissen wollte, wurde gehandelt. Des Weiteren wurde Fortuna Köln genannt und Borussia Mönchengladbach unterstellt, man wolle dem Beispiel von Freiburg und Dortmund folgen und mit dem U23-Team, der sogenannten 2. Mannschaft, ebenfalls in die 3. Liga streben.
Unabhängig davon, wie der letzte Spieltag nun ausgeht: Stimmungsmäßig war es die beste Saison seit vielen Jahren. Hierzu trug auch der DFB-Pokal bei, für den sich der SCP als Sieger im Westfalenpokal erstmals seit 2014 wieder qualifizieren konnte. Mit den Bundesligisten VfL Wolfsburg und Hertha BSC kam endlich wieder großer Fußball in die Antik-Arena an der Hammer Straße.
Gut 111.000 Zuschauer:innen besuchten 20 Regionalliga-Heimspiele – macht im Schnitt 5.550 Gäste pro Spiel. Bundesweit mobilisierte nur Essen in dieser Liga noch besser. 5.550 sind nur etwa 1.000 weniger als in der Saison 2019/20, Preußens bislang letzter in der 3. Liga. Ohne die pandemiebedingten Kapazitätsbeschränkungen bei einigen Spielen wäre die Differenz noch geringer ausgefallen. Bei den Pokalspielen gegen Wolfsburg und Hertha BSC waren nur 7.000 beziehungsweise 11.000 Gäste zugelassen. Zuzüglich der Westfalenpokalspiele kommen die Münstersche Zeitung auf 133.485 Fans, die die Heimspiele des SCP in dieser Spielzeit besuchten.
Der SCP und seine Fans: ein Generationenkonflikt?
Nach dem Abstieg aus der 3. Liga im Sommer 2020 war die Stimmung zunächst miserabel. Einige Wochen später fanden viele Menschen den Abstieg gar nicht mehr so schrecklich. In der Regionalliga winkten kürzere Fahrten und namhafte Kontrahenten wie eben Rot-Weiss Essen, Fortuna Köln, Alemannia Aachen, Wuppertaler SV und Rot-Weiß Oberhausen, sogenannte Traditionsklubs, die ebenfalls schon höherklassig gespielt hatten. Man fand Gefallen an einer Preußen-Mannschaft, die jung und stark lokal oder regional geprägt war. Recht bald wurde deutlich, dass die Sorge, die Preußen würden nun bis in die Oberliga durchgereicht, unbegründet war.
Der Überlebenskampf in der 3. Liga, der sich ja nicht auf die Saison 2019/20 beschränkte, hatte heftig an den Nerven gezerrt. Aber Fans möchten ihr Team siegen sehen. Und die Preußen siegten, seit dem Abstieg in 76 Meisterschaftsspielen, 48 Mal. In der aktuellen Saison verließ der SCP in den bislang 37 Spielen nur dreimal als Verlierer den Platz. Dass es „nur“ die Regionalliga war, störte nicht wirklich. Die Preußen machten wieder Spaß.
Vielleicht ist diese positive Haltung aber auch generationenabhängig. Die Meinung, Preußen Münster, Vizemeister 1951 und 1963 Gründungsmitglied der Bundesliga, gehöre in die 2. Liga (mindestens!), ist vor allem unter Menschen verbreitet, die älter als 50 sind und sich noch an „bessere Zeiten“ erinnern können.
Wer 35 und jünger ist, hat den Zweitligisten Preußen Münster nie erlebt. Schon gar nicht Preußens einziges Bundesligajahr 1963/64 und die Beinahe-Aufstiege des Klubs in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre. Er wuchs in einer anderen Fußballlandschaft auf. Einer Fußballlandschaft, in der der SCP nie besser als drittklassig war. Die seit 2008 bestehende eingleisige 3. Liga, zeitweise ein Sammelbecken für gefallene „Traditionsklubs“, fühlte sich dann zumindest ein bisschen wie die Bundesliga an.
Dass der SCP ein BVB wird, erwartet diese Generation nicht. Weshalb man von Menschen unter 35 auch nur selten „Die Preußen müssen doch…“, „Die Preußen sind immer noch ein großer Traditionsverein!“ oder „Zweite Liga und ein Stadion für mindestens 40.000!“ zu hören bekommt.
Die Durchlässigkeit im Fußball hat deutlich nachgelassen, die Verhältnisse wirken zementierter als in der Vergangenheit. Ein BVB wird nie mehr absteigen. Und wenn doch, dann wird er schnell wieder aufsteigen. Vielleicht wird der Verein aber auch in eine europäische Super League verschwinden. Klubs wie der SCP (oder in der Bundesliga der VfL Bochum) führen einen völlig anderen Kampf. Müssen sie auch, wenn sie überleben wollen. Fürs Überleben braucht es ein gewisses Maß an Abgrenzung. Wie diese aussehen kann, wird in der Bundesliga zum Beispiel vom VfL Bochum vorgeführt. „Für uns zeichnet sich der Trend ab, dass ein Teil des Fußballs zur Unterhaltungsindustrie wird. Wir wollen das Gegenprodukt zu dieser Welt aus Glamour, Geld und Entertainment sein. Der VfL soll Volkssport und Kulturgut bleiben“, so formuliert es VfL-Manager Ilja Kaenzig.
In der Saison 2020/21, der ersten Spielzeit nach dem Abstieg, wurde der SCP in der Regionalliga Dritter – 15 Punkte hinter dem Meister und zwölf hinter dem Vizemeister. Angesichts der Probleme bei der Zusammenstellung des Kaders, bedingt durch den Abstieg und die vorübergehende Leerstelle auf der Position des Sportdirektors, war dies zumindest in Ordnung. Nein, eigentlich war es sogar mehr, als man erwartet hatte. Hinzu kam der bereits erwähnte Gewinn des Westfalenpokals, wo der SCP im Finale den klassenhöheren SC Verl besiegte.
In dieser Saison werden die Preußen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit punktgleich mit Rot-Weiss Essen durchs Ziel gehen. Aber möglicherweise trotzdem nicht aufsteigen, da das Torverhältnis für den Konkurrenten spricht. Trotzdem markiert diese Saison einen weiteren Schritt in die richtige Richtung.
Im Breisgau lernen
Ja, es schmerzt. Und eigentlich will man es ja auch nicht mehr hören. Aber um zu verstehen, was beim SCP in der Vergangenheit falsch lief und jetzt besser läuft, muss man sich einem anderen Klub widmen: dem SC Freiburg, dem Bundesligaklub der Saison 2021/22.
Dass die Freiburger in dieser Spielzeit sogar an das Tor zur Champions League klopften, ist das Resultat organischen Wachstums. Als der SCF im Sommer 1993 in die Bundesliga aufstieg – zwei Jahre nachdem der SCP aus deren Unterhaus abgestiegen war – befand sich das Stadion des Neulings in keinem besseren Zustand als die Antik-Arena an der Hammer Straße. Dasselbe galt für die Trainingsbedingungen. Der Zuschauerzuspruch der Breisgauer entsprach im Aufstiegsjahr in etwa dem des SCP im Abstiegsjahr. Freiburg war nicht mehr und nicht weniger Fußballstadt als Münster – eher weniger. Und die lokale Politik? Die war dem SCF auch nicht besser gesonnen als dem SCP.
Der Unterschied zwischen den beiden Klubs bestand darin, dass man beim SCF eine Vorstellung von der weiteren Entwicklung des Fußballstandorts hatte. Eine Vorstellung, die sich nicht auf das Stadion und das Werben um Sponsoren reduzierte, sondern deren Kern ein sportlicher war. Und während in Münster ganz viele Menschen mitreden wollten, waren es in Freiburg vergleichsweise wenige – dafür aber eben Leute von der Qualität eines Volker Finke. Schon damals galt, was Ilja Kaenzig heute so ausdrückt: „Mit Raffinesse, Cleverness und einem hohen Verständnis für Qualität schlägt man im Fußballbusiness 90 Prozent der Konkurrenz.“
In Münster hingegen herrschte ein gewisser Mangel an Wissen darüber, wie sich der Fußball in diesem Land entwickeln würde. Man redete viel von der unwiderstehlichen Marke Preußen Münster, überschätzte die eigene Bedeutung, bekam nicht mit, wie andere vorbeizogen, und beschäftigte sich wenig mit der Entwicklung an anderen Orten und den Wegen, die Vereine ähnlicher Größenordnung einschlugen. Im Umgang mit der Politik hatte der SCF den Vorteil, dass er mit sportlichen Vorleistungen argumentieren konnte – dank seiner Kompetenz auf diesem Gebiet. Er agierte hier auch wesentlich geschickter. Leute wie Volker Finke verstanden, wie die „grüne Stadt“ tickte.
Seither hat der SCF 22 Saisons in der ersten und sieben in der 2. Bundesliga verbracht. Und der SCP? 22 Saisons in der dritten und sieben in der vierten Liga. Der SCP siedelte sich also exakt zwei Etagen tiefer an. Wobei 13 der 22 Drittligajahre in die Zeit fallen, als die dritte Etage des Ligafußballs noch Regional- oder Oberliga hieß, mehrgleisig war und somit nicht so leistungsstark wie heute. Der SCF beschäftigte in diesen 29 Jahren vier Trainer, der SCP 30, was auch dem Fehlen konzeptioneller Leitplanken geschuldet war.
Blockaden
Nach dem Abstieg aus der 2. Bundesliga im Sommer 1991 identifizierte man in Münster das Stadion als größtes Problem für sportlichen Fortschritt und verbiss sich in dieses Thema. Pragmatismus kehrte hier erst wieder unter den Vorständen Marco de Angelis und Georg Krimphove ein. Mit dem Ergebnis, dass sich an der Hammer Straße nach Jahrzehnten endlich etwas bewegte. In ihre Amtszeiten fallen der Bau einer neuen Haupttribüne und eines Trainingsplatzes sowie der Einbau einer Rasenheizung.
In Münster hatte sich alles viel zu lange und viel zu stark um das Stadion gedreht, was die Entwicklung des Klubs in anderen Bereichen blockierte. In Freiburg war das anders. Hier ging es darum, wie man durch Konzepte und Strukturen den Fußball des Klubs entwickeln konnte. Als um die Jahrtausendwende andere Klubs die Kirch-Millionen verfeuerten, baute der SC Freiburg seine Fußballschule. Als Vorbild diente der französische Klub AJ Auxerre. In der aktuellen Saison 2021/22 kamen im Pokal-Halbfinale gegen den Hamburger SV sechs Spieler zum Einsatz, die aus der hauseigenen Nachwuchsschmiede (einschließlich der U23) stammen. In der Saison 2021/22 sind Freiburg, Mainz und Köln in der Bundesliga die Klubs mit den meisten Eigengewächsen im Kader, wobei der SCF bei den Einsatzzeiten Spitze ist.
Es ist noch nicht allzu lange her, dass man belächelt wurde, wenn man beim SCP eine engere Verzahnung von Profis und Nachwuchs anmahnte, eine stärkere Konzentration auf den Unterbau beziehungsweise die Ausbildung. Obwohl Bernd Niewöhners SCP-Jugend schon immer gut war.
Der SC Freiburg ist das beste Beispiel für einen organisch gewachsenen Verein – sportlich, wirtschaftlich und strukturell –, der fast immer die Prioritäten richtig setzte und sich nicht an falschen Vorbildern orientierte. Ein Verein, der verstand, was konzeptionelles Arbeiten bedeutet, und dass dazu auch eine gehörige Portion Geduld gehört.
Bei Abstiegen verfiel die Klubführung nicht in Hektik und schmiss auch nicht alles über den Haufen. Viermal stieg der SCF ab, ohne dass in Freiburg eine Welt zusammenbrach oder ein radikaler Wechsel in Strategie und Philosophie erfolgte. Nicht einmal der Trainer wurde entlassen. Warum auch, wenn man der Auffassung ist, dass der Abstieg nicht in die Verantwortung des Trainers fällt, sondern vorwiegend den Kräfteverhältnissen in einer Saison geschuldet ist. Für viele ist das schwer zu akzeptieren: Auch wenn 18 von 18 Klubs in einer Saison im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles richtig machen: Zwei bis drei steigen ab.
Der Klub bewegt und entwickelt sich seit Jahren innerhalb fester Leitplanken. So konnte er sich Schritt für Schritt nach oben vorarbeiten. Auch nahm man in Freiburg den Mund nie zu voll. Dafür verstanden die Klubverantwortlichen vielleicht zu viel von ihrem Sport.
Auch ein Stadion, das man im Vergleich zu den Spielstätten der Konkurrenten kaum als wettbewerbsfähig bezeichnen konnte, hinderte den Klub nicht daran, die Saison zumindest unter den Top 25 abzuschließen. Das Fassungsvermögen des alten Stadions an der Dreisam: 24.000, davon 10.000 Stehplätze. Hospitality/Business: 1.100 – das waren 100 mehr als beim Dritt-/Viertligisten Preußen Münster, 700 weniger als beim Noch-Drittligisten 1. FC Kaiserslautern und 2.500 weniger als beim Zweitligisten Hamburger SV.
Erst zur Saison 2021/22 bezog der Klub ein neues Stadion, das 10.000 Plätze mehr bietet als die alte Spielstätte und mit 80 Millionen Euro selbst finanziert wurde.
Natürlich war (und ist) Münsters Antik-Arena ein Problem, aber ein neues Stadion ist kein Allheilmittel und schießt auch keine Tore. Ansonsten hätte es die Erfolgsgeschichte des SC Freiburg nicht gegeben. Und auch nicht die Aufstiege von Mainz und Darmstadt.
Der SCF ist der perfekte „Mittelklassenklub“ und „nicht mehr das kleine gallische Dorf“ (Fredi Bobic). Und sein Verständnis von einem „richtigen Profiklub“ geht weit über die Profimannschaft der Männer hinaus. Die 2. Mannschaft/U23 spielt in der 3. Liga. Die Frauen spielen in der Bundesliga, die „Freiburger Fußballschule“ zählt zu den renommiertesten Nachwuchsleistungszentren in Deutschland. Der Jahresumsatz beträgt 110 Millionen Euro, der Jahresüberschuss 9,8 Millionen, das Eigenkapital 93 Millionen, der Personalaufwand 49 Millionen Euro. Gegenüber 315 Millionen Euro Personalkosten beim FC Bayern, was bedeutet: Der FC Bayern gab für jeden Punkt in der Bundesliga 4,2 Millionen Euro aus, der SCF 0,89 Millionen.
Ein bisschen Breisgau in Münster?
Man darf es nicht laut sagen. Vielleicht aber schreiben. Dass der SCP im Sommer 2020 die 3. Liga verlassen musste, öffnete möglicherweise erst so richtig die Tore für eine positive Entwicklung und ein neues Denken. Wobei der Prozess einer nachholenden Entwicklung bereits unter dem Sportgeschäftsführer Malte Metzelder begonnen hatte. Glücklicherweise fand man mit Peter Niemeyer einen Nachfolger, der ähnlich dachte, den eingeschlagenen Kurs fortsetzte und um eigene Vorstellungen bereicherte. Beim SCP ist in den letzten Jahren etwas im Paket gewachsen.
Nachdem der Traum von der Sein’schen 40.000-Mann-Arena alles andere als überraschend geplatzt war, kehrte in der Stadionfrage wieder Realismus ein. Viele Fans wollten ohnehin an der Hammer Straße bleiben. Eigentlich ein wunderbarer Standort, der von der Innenstadt aus zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu erreichen ist. Eine Gruppe älterer bis sehr alter Stadionkämpfer begehrte zwar noch einmal auf und wollte ein größeres Stadion außerhalb der Stadt, aber dies war eher eine Fußnote. So richtig ernst nahm dies wohl niemand mehr.
Derzeit werden zwei weitere Trainingsplätze gebaut, auch um die infrastrukturellen Voraussetzungen für die Anerkennung als Nachwuchsleistungszentrum zu erfüllen. Ein solches ist auch eine Einnahmequelle. Mit Blick auf die Trainingskapazitäten war der SCP bislang schlechter aufgestellt als einige Amateurvereine im Fußballkreis. Auch in der Westkurve des Stadions tut sich etwas. Die Klub-Führung um Präsident Christoph Strässer und den Aufsichtsratsvorsitzenden Frank Westermann hat hier richtig gute Arbeit geleistet.
Werte schaffen
Da nach dem Abstieg im Sommer 2020 zunächst keine fertige Mannschaft zur Verfügung stand, durften sich Talente aus dem eigenen Stall präsentieren. Und solche, die im Vorjahr nicht zum Zuge gekommen waren – wie Marcel Hoffmeier, der zur Saison 2019/20 vom Viertligisten SV Lippstadt zum damaligen Drittligisten SCP gekommen war und nun wohl zum SC Paderborn in die zweite Liga wechselt. In der Abstiegssaison 2019/20 durfte er erst am letzten Spieltag seine Qualitäten zeigen, als der Abstieg des SCP bereits besiegelt war. Hoffmeier war einer der ersten Verpflichtungen, die auf einem gründlichen Scouting basierten. Dies traf auch auf Spieler wie Şeref Özcan und Okan Erdoğan zu, die ebenfalls von Viertligisten kamen und nun in der 2. Liga der Türkei kicken.
Überhaupt: Aus dem Kader, der 2019/20 aus der 3. Liga abstieg, hat sich seither eine erstaunlich große Zahl Spieler sportlich (und finanziell) verbessert: der „Edeltechniker“ („Sächsische Zeitung“) Heinz Mörschel, Lucas Cueto und Maurice Lidtka stehen heute bei deutschen Zweitligisten unter Vertrag, Fridolin Wagner, Jan Löhmannsröben und Noel Grodowski verdienen ihr Salär in der 3. Liga. Aktuell beträgt der addierte Marktwert der aufgelisteten Spieler über zwei Millionen Euro.
Was in der Abstiegssaison 2019/20 nicht gelang: Aus dem (auch finanziell bedingten) großen Umbruch wurde nicht wirklich eine Mannschaft mit klarer Melodie. Dies sah in den letzten beiden Jahren ganz anders aus. Und damit bestätigt sich die These, dass ein erfolgreicher Umbruch häufig zwei, drei Transferperioden benötigt. Jedenfalls dann, wenn man nicht heftig Geld heraushauen und so die Probleme im Hauruckverfahren lösen kann.
Wobei: Viele können das eigentlich nicht, tun es aber trotzdem, gerade in der 3. Liga. Dahinter steckt meist die Hoffnung, dass das damit verfolgte Ziel – Aufstieg oder Klassenerhalt – die Investitionen später refinanziert. Den meisten Klubs gelingt das aber nicht, weil jeder Platz in der Tabelle nur einmal besetzt werden kann. In diesem Umfeld ist es extrem schwer, einen Kader kontinuierlich zu entwickeln. Es besteht die Gefahr, dass seriöses Wirtschaften und eine „ruhige“ Kaderentwicklung sportlich bestraft werden.
Für den SCP muss es in Zukunft auch darum gehen, Werte zu schaffen. So wie im Fall von Marcel Hoffmeier, der den Klub allerdings ablösefrei verlässt, sowie Nicolai Remberg und Deniz Bindemann, die beide aus dem hauseigenen Nachwuchs kommen. Oder Henok Teklab, der in der Regionalliga Südwest entdeckt wurde. Wie schafft man Werte? Durch eine gute Jugendarbeit, deren Schwerpunkt auf individueller Ausbildung liegt und weniger darauf, einen bestimmten Tabellenplatz zu erzielen. Sowie durch ein Scouting, das nicht nur auf fertige Spieler blickt.
„Viel, viel besser als viele Leistungszentren“
Zum Schluss noch ein Blick auf das, was sich unterhalb des Profibereichs tut und in Münster nicht immer die notwendige Anerkennung findet, für den SCP und dessen Zukunft aber von herausragender Bedeutung sein sollte – aus finanziellen wie aus sportlichen Gründen.
Viel Anerkennung findet die Nachwuchsarbeit des SCP vor allem außerhalb Münsters, zum Beispiel bei Oliver Ruhnert, dem Manager von Union Berlin: „Preußen Münster ist ein Paradebeispiel für einen Verein ohne Nachwuchsleistungszentrum, der seit Jahren in allen Altersklassen in der Jugend-Bundesliga spielt und das richtig gut.“ Die Preußen seien „viel, viel besser als viele Leistungszentren“. Das Lob aus der Bundesliga, vorgetragen im „kicker“, blieb in Münster bisher weitgehend unerwähnt und damit auch unbemerkt.
Von den 100 Regionalligisten sind 18 mit ihrer A-Jugend/U19 in der Bundesliga vertreten, die aus drei Staffeln mit insgesamt 47 Teams besteht. Einige von ihnen werden in dieser Saison absteigen. Nicht so der SCP, der in der starken West-Staffel Achter wurde – mit 7 beziehungsweise 16 Punkten mehr als der Nachwuchs der Erstligisten Mönchengladbach und Bielefeld. Bundesweit schnitten nur drei U19-Teams von Regionalligisten noch besser ab: Energie Cottbus, SpVgg Unterhaching und Rot-Weiss Essen (drei Punkte mehr). Von den 20 Drittligisten sind nur acht mit ihrer U19/A-Jugend in der Eliteklasse vertreten. Von diesen waren nur zwei besser platziert als der SCP: Viktoria Berlin und MSV Duisburg (ein Punkt mehr). Auch die U17/B-Junioren des SCP sind Bundesligist und beendeten ihre Staffel mit Platz sechs, zwei Plätze und nur drei Punkte hinter dem BVB.
Die U23 des SCP spielt in der Oberliga, also nur eine Liga unter ihrer „Ersten“, wo man sich unter anderem mit deren ehemaligen Gegnern misst: Wattenscheid 09, FC Gütersloh, Eintracht Rheine, Hammer SpVgg, Sportfreunde Siegen, Westfalia Herne. Eine Etage über den Preußen-Profis, also in der 3. Liga, gibt es aktuell nur einen Verein, dessen U23/2. Mannschaft so hochklassig spielt wie die des SCP: 1860 München. Nur sechs der 100 Regionalligisten erfreuen sich ebenfalls einer „Zweitvertretung“, die so hochklassig vertreten ist wie die der Preußen: Fortuna Köln, SV Elversberg, VfB Lübeck, VfL Oldenburg, FC Astoria Walldorf und Carl Zeiss Jena.
Auch wenn es mit dem Aufstieg in die 3. Liga nicht klappen sollte: Das Paket SC Preußen wird immer stimmiger. Und wenn es mit dem Aufstieg doch klappen sollte? Dann ist der SCP zurück in der Liga der Insolvenzen, der Angst und der personellen Fluktuation. Seriöses Wirtschaften zahlt sich hier nicht unbedingt aus, wie der SCP in der Saison seines Abstiegs erfahren musste. Im Gegenteil. Bei vier Absteigern und bis zu drei Aufsteigern ist der Hang zur „Über-Investition“ extrem ausgeprägt, zumal eine Reihe von Klubs die Liga nur als Durchlauferhitzer begreift. Denn die TV-Gelder, die ihre Investitionen decken könnten, kassiert man erst eine Etage höher. Allerdings würde der SCP diese Liga mit einem Fundament betreten, das stabiler ist als in den letzten Jahren der Drittligazugehörigkeit.
Über den Autor
Dietrich Schulze-Marmeling ist u. a. Autor von „Preußen & Münster. Ein Sportclub und seine Stadt“ (2019, gemeinsam mit Hubert Dahlkamp). Ende Mai erscheint sein neues Buch „Tradition schießt keine Tore. Werder Bremen und die Herausforderungen des modernen Fußballs“, das er gemeinsam mit Marco Bode geschrieben hat, dem ehemaligen Fußball-Europameister und Aufsichtsratschef von Werder Bremen. Laut den Autoren „ein kleiner Kontrapunkt zur übertriebenen – manchmal geradezu hysterischen – Aufregung im und um den Fußball. Und zu der Berichterstattung über ihn, in der ständig Zensuren verteilt werden, in der von ‚Schuld‘, ‚Desastern‘, ‚Katastrophen‘, ‚Nieder- und Untergängen‘ die Rede ist. Und auch ein bisschen der Versuch, den Fußball, ein überdrehtes Gewerbe, vom Kopf auf die Füße zu stellen.“
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