„Grundeinkommen finde ich cool, aber nicht bedingungslos“

Samira Korves nimmt an einer wissenschaftlichen Studie teil und bekommt drei Jahre lang 1.200 Euro monatlich. Im RUMS-Interview erzählt sie, wie das Grundeinkommen ihr Leben verändert hat.
INTERVIEW: SEBASTIAN FOBBE
LEKTORAT: LAURA BADURA
FOTOS: NIKOLAUS URBAN
Jeden Monat einen Batzen Geld überwiesen bekommen, einfach so, ohne Gegenleistung. Was sich nach einem Traum anhört, ist für Samira Korves aus Münster Realität. Im Juni 2021 hat die selbstständige Schwimmlehrerin und Tagesmutter zum ersten Mal 1.200 Euro Grundeinkommen bekommen. Die 30-Jährige nimmt teil am Pilotprojekt Grundeinkommen, einer Studie, die der Verein „Mein Grundeinkommen“ zusammen mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung durchführt. Sie gehört damit zu der bisher größten Grundeinkommensstudie in Deutschland mit 122 Teilnehmenden und bekommt drei Jahre lang ein monatliches Grundeinkommen ausgezahlt. Sie muss dafür nichts nachweisen und sich auch nicht für ihre Ausgaben rechtfertigen.
In anderen Ländern, zum Beispiel Finnland, den Niederlanden und Kanada, hat es schon ähnliche Experimente gegeben. Das zeigt: Die Resonanz ist groß. Fast alle Parteien, die im Bundestag vertreten sind, haben Konzepte erarbeitet und zum Teil auch in abgewandelter Form in ihr Wahlprogramm übernommen.
Aber wie verändert ein Grundeinkommen konkret das Leben eines Menschen? Im RUMS-Interview erzählt Samira Korves von dem Geldsegen, dem Grundeinkommensgefühl und davon, wie es mit ihrer Schwimmschule jetzt weitergehen soll.
Samira, du hast am 21. April 2021 die Zusage für das Grundeinkommen bekommen. Erinnerst du dich daran, wie du es erfahren hast?
Ich werde diesen Moment nie vergessen. Ich war gerade Babysitten, als ich auf meinem Handy etwas nachschauen wollte, weil die Kinder mir eine Frage gestellt hatten. Da habe ich zufällig die E-Mail vom Pilotprojekt Grundeinkommen gesehen, in der stand: „Du bist dabei, du bekommst Grundeinkommen!“ Und dann stand da noch: „Das ist kein Scherz.“ Trotzdem musste ich den Text dreimal lesen.
Und was ist dann passiert?
Ich sollte die Teilnahme bestätigen, aber als ich das machen wollte, erschien eine Fehlermeldung. Da dachte ich: „Okay, es ist doch ein Fake.“ Ich habe sofort beim Verein „Mein Grundeinkommen“ angerufen, um nachzufragen. Die Frau am Telefon hat sich total für mich gefreut und mich erstmal beruhigt. Sie hat mir bestätigt, dass ich dabei bin. Als die Mama von den Kindern nach Hause kam, musste sie mich erstmal in den Arm nehmen. Ich war einfach nur fertig.
Du hast die Zusage mitten im Coronalockdown bekommen. Der Wochenzeitung „Die Zeit“ hast du gesagt, du hättest damals eine depressive Phase durchgemacht. Hat dir das Grundeinkommen da herausgeholfen?
Auf jeden Fall. Ich konnte meinen Eltern und meinem Freund nur unter Tränen von dem Grundeinkommen berichten. Wegen Corona durfte ich erst wieder im Juli unterrichten. Die Zusage kam also drei Monate vor dem Start meiner normalen Arbeit. Das Grundeinkommen hat mir sehr viel Sicherheit gegeben, selbst wenn wir zwei Wochen später die Kurse noch kleiner oder die Schwimmschule ganz hätten dichtmachen müssen. Mit dem Geld war klar: Ich muss keinen Job annehmen, auf den ich keine Lust habe.
Und wie war das, als im Juni die erste Überweisung kam?
Es war cool, dass vor dem Zahlungseingang zur Abwechslung mal nicht „Gehalt“ oder „Babyschwimmen“ stand.

Du nimmst an einem wissenschaftlichen Experiment teil. Wie läuft das ab?
Ich muss in den drei Jahren, in denen ich das Grundeinkommen bekomme, sechs Fragebögen ausfüllen. Das heißt, alle sechs Monate bekomme ich einen Fragebogen zugeschickt. Das Ausfüllen dauert ungefähr 20 Minuten, und die meisten der rund 50 Fragen wiederholen sich jedes Mal.
Worum geht es?
Viel um die Arbeit: „Haben Sie noch denselben Arbeitgeber?“, „Verdienen Sie noch dasselbe?“ Es geht aber auch um Privates. Zum Beispiel: „Hat sich der Freundeskreis geändert?“ Oder: „Sind Sie umgezogen?“
Und das ist alles?
Daneben finden auch noch drei Tiefeninterviews statt. Eines am Anfang der Studie, eines zur Halbzeit und eines zum Schluss. Zwei davon habe ich hinter mir. Bei den Interviews kann ich etwas mehr Informationen preisgeben als im Fragebogen, denn da kann ich nur Antworten ankreuzen.
Du gibst auch freiwillig drei Haarproben ab: wieder zu Beginn der Studie, in der Halbzeit und am Ende. Wozu?
Nach der Zusage fürs Grundeinkommen habe ich mir eine Haarsträhne direkt an der Kopfhaut abgeschnitten und an ein Forschungslabor geschickt. Dort wird mein Cortisolspiegel gecheckt, um zu schauen, wie sich der Stress während des Experiments entwickelt. Dafür gibt es ein bisschen Geld als Entschädigung. Sonst hätte ich mir keine drei Zentimeter breite Strähne abgeschnitten.
Stress, gutes Stichwort. Eine häufig geäußerte Kritik am Grundeinkommen ist, dass sich alle einen lauen Lenz machen, wenn sie einfach so Geld bekommen. Wie ist das bei dir?
Ich arbeite mehr als in der Zeit vor dem Grundeinkommen. Wäre ich nicht selbstständig, hätte ich bestimmt meine Arbeitszeit reduziert. Ich habe aber jemanden in der Schwimmschule angestellt, damit wir mehr Kurse anbieten und mehr Kunden betreuen können. Ich bin jetzt weiter weg vom Wasser, kümmere mich mehr um die Organisation.
Und was machst du mit dem Geld?
Ich habe zum Beispiel Geld ins Marketing gesteckt. Demnächst soll ein Linienbus der Stadtwerke mit einem Werbebild von mir mit einem Baby durch Münster fahren. Und ich habe zum ersten Mal seit drei Jahren Flyer drucken lassen.

Bist du durch das Grundeinkommen bei der Arbeit flexibler geworden?
Das vergangene Jahr war sehr belastend und ich war zeitweise überfordert, weil ich nicht so recht wusste, was ich an meiner Arbeit ändern kann. Das weiß ich jetzt aber und habe deshalb im Januar zwei Leute eingestellt. Seitdem habe ich wieder mehr Freizeit.
Was könnte denn noch besser werden?
Im Moment ist alles perfekt: Ich arbeite die meiste Zeit im Büro, was mir mehr Spaß macht als gedacht. Sollten Schwimmkurse ausfallen, vertrete ich meine Kollegen. Früher wäre das nicht gegangen, da wären die Kurse einfach ausgefallen, weil ich Babysitten war und sonst niemand Zeit hatte. Inzwischen kann ich mir die Zeit frei einteilen. Fast jeden Vormittag mache ich frei – das kann aber auch ein Nachteil sein, wenn ich später die Arbeit nachholen muss.
Gibst du auch mehr Geld für dich selbst aus?
Andere würden von dem Grundeinkommen vielleicht in den Urlaub fahren – was natürlich in Ordnung ist. Aber ich ticke nicht so. Ich will das Geld sinnvoller nutzen und vernünftig investieren. Ich gebe das Geld fast ausschließlich für die Kinder aus, denen ich Schwimmen beibringe. Ich habe zum Beispiel neue Matten, Schwimmscheiben und Tauchspiele gekauft. Perspektivisch könnte ich mir vorstellen, eine Schwimmhalle zu bauen. Dazu habe ich mir auch schon Grundstücke angeschaut. Ich möchte das Grundeinkommen vor allem als Unternehmenssubvention nutzen.
Aber hat sich dein Konsumverhalten gar nicht geändert? Hast du dir nichts gegönnt?
Naja, ich habe mir ein Auto gekauft. Aber das ist eigentlich auch fürs Unternehmen, denn vorher musste ich mir immer eins leihen. Es war nie sicher, ob ich auch einen Leihwagen bekomme, wenn ich ihn brauche.
Was hat sich bei dir zu Hause verändert?
Ich bin mit meinem Freund in eine größere Mietwohnung gezogen. Wir haben uns ein hochwertiges Boxspringbett gekauft, und ich konnte mein neues Fahrrad schneller abbezahlen.
Kaufst du heute andere Dinge als früher?
Wenn ich mir etwas Neues kaufe, denke ich inzwischen mehr über die Qualität nach als über den Preis. Das liegt aber nicht unbedingt am Grundeinkommen, sondern eher daran, dass sich mein Umsatz erhöht hat. Ich miete inzwischen zwei Schwimmbecken in Mecklenbeck und Osnabrück an. Inklusive Personal und Reinigung liegen die Ausgaben bei über 10.000 Euro pro Monat. Der Umsatz hat sich dennoch erhöht und der Gewinn ist gut.
Fühlen sich die 1.200 Euro immer noch an wie „viel Geld“?
Anfangs waren die 1.200 Euro für mich viel Geld, weil sie knapp die Hälfte meines Gesamteinkommens ausgemacht haben. Der Anteil ist aber Monat für Monat geringer geworden. Meine Einstellung zum Geld hat sich geändert. Ich habe jetzt erst wirklich verstanden, was Work-Life-Balance bedeutet. Ich kann mit meinem Freund einen schönen Urlaub auf Zypern in einem tollen Hotel verbringen oder mit ihm am Wochenende auf dem Markt frühstücken gehen. Das geht aber nur, weil ich genug Geld habe. Ich finde, man sollte sich genau fragen, wie viel Geld man für ein gutes Leben braucht.
Du bekommst das Grundeinkommen drei Jahre lang. Diese Befristung ist auch ein Kritikpunkt an den Studien, denn der Zeitdruck könnte Entscheidungen verzerren. Würdest du sagen, du hättest einige Dinge anders gemacht, wenn du das Grundeinkommen für immer bekommen würdest?
Nicht grundlegend. Ich hätte mir vielleicht ein bisschen mehr Zeit gelassen. Durch das Grundeinkommen konnte ich aber mit freiem Kopf entscheiden, was ich als Nächstes tun möchte.
Zum Beispiel spenden. Der Allwetterzoo hat von dir über eintausend Euro bekommen. Warum?
Nachdem ich schon einen Teil des Grundeinkommens in die Kinder investiert hatte, kam mir die Idee, ich möchte mit dem Geld noch etwas Gutes tun. Ich wollte etwas hier in Münster unterstützen, etwas, was ich sehen kann. Irgendwann habe ich den Zoo besucht und gesehen, dass die Meranti-Halle neu eröffnet wird. Davor war ein großes Puzzle aufgestellt. Gegen eine Spende von 1.000 Euro konnte man ein Logo auf einen Teil drucken lassen. Auf dem Puzzle ist ein Wasserfall zu sehen – und auf einem Stück steht jetzt „Lamolia“, der Name meiner Schwimmschule.
Noch einmal zurück zur Studie. Mich hat überrascht, dass du dich in der „Zeit“ kritisch zu einem allgemeinen Grundeinkommen für alle positioniert hast. Warum hast du dich dann überhaupt als Probandin gemeldet?
Eine Freundin hatte mich auf die Idee gebracht, mich zu bewerben. Sie wusste, dass es mir damals nicht so gut ging. Wie gesagt, es war mitten im Coronalockdown. Zur Anmeldung musste ich auch nur meinen Namen, mein Geburtsdatum und meine E-Mail-Adresse angeben. Das dauert ja keine Minute. Zwischendurch hatte ich fast vergessen, dass ich mich beworben hatte.

Aber warum bist du skeptisch? Würdest du anderen Menschen keine Grundeinkommenserfahrung gönnen?
Doch. Ich stehe komplett hinter dem Projekt und finde, alle sollten die Chance auf ein Grundeinkommen haben. Aber ich bekomme das Geld nur drei Jahre lang. Wer bei „Mein Grundeinkommen“ ausgelost wird, gewinnt ein einjähriges Grundeinkommen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass alle das Geld sinnvoll nutzen. Ich finde es unfair, dass manche alles geben, um Geld zu verdienen, aber andere nicht.
Kann man es Menschen vorwerfen, dass sie ihr Geld so ausgeben, wie sie es ausgeben?
Alle können mit ihrem Geld tun und lassen, was sie wollen. Mir geht es darum, wie sie es verdienen. Ich finde, man muss schon etwas tun, bevor man Geld bekommt. Wer nimmt, muss auch geben. Und wer gibt, darf auch nehmen.
Klingt misstrauisch.
Bin ich auch. Beispiel Kitas: Wenn ich sehe, wie wenig Geld die Erzieher dort verdienen und die Eltern ihre Kinder nicht in die Kitas bringen können, weil Betreuungsplätze oder Personal fehlen, dann kann ich verstehen, dass die Erzieher sagen: Ich kann nicht mehr und für das bisschen Geld habe ich keinen Bock mehr zu arbeiten. Da finde ich es ungerecht, wenn andere nichts leisten, aber Geld bekommen.
Würde ein Grundeinkommen für alle den Erzieherberuf aber nicht auch aufwerten?
Nicht unbedingt. Wenn ich in Vollzeit als Erzieherin arbeite, aber nur sehr wenig verdienen würde, würde ich meine Arbeitszeit mit einem Grundeinkommen deutlich reduzieren. Es gibt viel zu viel Arbeit, die psychisch und körperlich zu hart ist. Durch das Grundeinkommen würden die Menschen weniger arbeiten – was auch richtig wäre. Aber wie bekommen wir dann die Fachkräfte, die jetzt schon fehlen? Das sehe ich sehr kritisch. Grundeinkommen finde ich cool, aber nicht bedingungslos.
In Berlin gab es mal einen Testlauf mit dem Namen „Solidarisches Grundeinkommen“. Der Begriff ist eigentlich irreführend, denn dabei ging es um eine Jobgarantie für Langzeitarbeitslose. Ein solches Experiment wird jetzt auch in Österreich durchgeführt. Fändest du das besser?
Ja. Ich finde Ehrenamt großartig – aber nicht fair. Warum arbeitet jemand jede Woche so viele Stunden, ohne dafür bezahlt zu werden? Wer etwas für die Gesellschaft tut, sollte dafür auch entlohnt werden. Das wäre eine Bedingung, an die man das Grundeinkommen knüpfen könnte. Dann würden vielleicht mehr Menschen Obdachlosen helfen oder sich im Sportverein engagieren.
Ein anderes Beispiel: Wer Schwimmkurse für Kinder mit Behinderung gibt, leistet unglaublich viel, aber bekommt fast keinen Cent dafür. Ich finde es nicht gerecht, dass diejenigen, die mit Menschen arbeiten, deutlich schlechter entlohnt werden als die Leute an der Börse.
Du machst auf mich einen sehr fleißigen Eindruck. Gleichzeitig erwartest du aber auch von allen, dass sie genauso fleißig sind.
Zumindest bei Arbeit, die ihnen Spaß macht. Es gibt so viele Menschen, die ihren gut bezahlten Job nicht mögen. Die werden irgendwann unglücklich. Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Andersherum arbeiten viele Menschen in wichtigen Jobs, die aber schlecht bezahlt werden. Zum Beispiel in der Altenpflege. Diesen Leuten geht irgendwann auch die Freude aus, aber trotzdem müssen sie weiterarbeiten, weil sie auf das Geld angewiesen sind. Ihnen würde ich auch mehr als 1.200 Euro Grundeinkommen gönnen.
Findest du, es braucht Sanktionen, um Menschen zur Arbeit zu motivieren?
Nein, ich bin für das Gegenteil: ein Belohnungssystem. Warum sollte man den Leuten nicht sagen: Wenn ihr euch auf einen Job bewerbt, bekommt ihr einen Gutschein, damit ihr nächste Woche im Restaurant essen gehen könnt? Das wäre doch super.
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