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Einen Verkehrsversuch wert?
Verkehrswende: Ja! Aber wo anfangen? Das hat Münster jahrzehntelang diskutiert – und jetzt an vier Orten in der Stadt gleichzeitig ausprobiert. Die erste Bilanz: Manche Versuche sind sinnvoller als andere.
21. September 2021, 12:45 Uhr. Ausruhen kann man sich hier nicht mehr. Wer auf der Holzbank an der Promenade am Neubrückentor sitzt, braucht seit Wochen starke Nerven. Fahrradfahrer:innen fliegen vorbei, ohne abzubremsen – zumindest die mutigen. Dann plötzlich Vollbremsung, Fahrradreifen rutschen schleifend über rot markierten Asphalt. „Lesen hilft!“, ruft die Frau auf dem E-Bike dem jungen Mann noch hinterher, der von rechts von der Kanalstraße kommt, bevor sie kopfschüttelnd weiterradelt. Der schaut verwirrt auf den Boden, auf dem ein „Vorfahrt achten“-Piktogramm aufgebracht ist. Schuldbewusst zieht er den Kopf ein und strampelt weiter.
„Verkehrsverhalten ist nicht rational.“ Bastian Spliethoff, Sneaker und Jeans, Mappe unter den Arm geklemmt, steht kurze Zeit später an der Promenade. Immer wieder schweift sein Blick zu der Kreuzung. In dieser letzten Woche der Verkehrsversuche denkt der Mitarbeiter des Amts für Mobilität und Tiefbau nur noch in Evaluationsberichten. „Wir können noch und nöcher Simulationen am Computer machen“, sagt er. „Aber am Ende müssen wir es einfach ausprobieren.“
Spliethoff hat zwei der drei Verkehrsversuche koordiniert, die in Münster von Anfang August bis Ende September ein Umdenken von den Verkehrsteilnehmer:innen verlangten: die Promenadenquerung am Neubrückentor und die autofreie Zone an der Hörsterstraße. Ein dritter Verkehrsversuch räumte den Bussen auf der Bahnhofstraße für acht Wochen eine eigene Spur ein. Der vierte und letzte Versuch war auf nur eine Woche begrenzt: Auf der Wolbecker Straße wurde die Straßenführung durch gelbe Linien verändert, das Tempo wurde auf 20 km/h gedrosselt und Fahrradfahrer:innen mussten mit den Autos auf der Straße fahren. Auf dem Rewe-Parkplatz konnten Anwohner:innen und Passant:innen mit Mitarbeiter:innen der Stadt Münster über diese Maßnahmen diskutieren und ihre Meinung auf Zetteln und auf großen Straßenplänen hinterlassen – Reallabor nannte die Stadt das.
Wie die Verkehrswende in Münster angeschoben werden kann, diskutieren Rat und Bürger:innen schon seit Jahrzehnten. Auch die Orte, an denen die Stadt den Verkehr ändern will, stehen lange fest – Spliethoff konnte für die Promenadenquerung auf Pläne zurückgreifen, die die Verwaltung bereits vor drei Jahren entwickelt hat. Das „ob“ ist also nicht die Frage, das „wie“ hingegen hat der Umsetzung stets den Riegel vorgeschoben. Immer wieder hätten die Politiker:innen im Rat die gleichen Argumente ausgetauscht, sagt Spliethoff: Unfallgefahr und Stau auf der einen Seite, zuverlässiger Nahverkehr und attraktivere Radwege auf der anderen. Nur auf die zeitlich begrenzte Versuchsreihe konnte sich der Rat schließlich verständigen.
Ein erstes Fazit nach zwei Monaten: Prinzipiell sind Verkehrsversuche eine gute Sache. Darauf kann sich die Mehrheit einigen. Denn nur mit Versuchen lassen sich Eingriffe in den Straßenverkehr ausprobieren. Gleichzeitig beinhalten sie aber auch ein mögliches Scheitern. Und genau das ist in Münster jetzt auch passiert. Die Testläufe an der Wolbecker Straße und der Hörsterstraße hatten ohnehin ein festes Ablaufdatum und sind bereits beendet. Die Promenadenquerung und die Busspur sollten eigentlich bis Ende des Jahres verlängert werden. Geblieben ist nun aber nur noch die Busspur. Den Versuch am Neubrückentor hat die Stadt inzwischen für gescheitert erklärt, er wird in den Herbstferien zurückgebaut. Was war da los? Wir haben alle Testläufe besucht und genau unter die Lupe genommen. Ein Rückblick.
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