„Wir sind die besten Tierhalter, die es gibt“

Die Uni Müns­ter ist einer Initia­ti­ve für mehr Trans­pa­renz bei Tier­ver­su­chen bei­getre­ten. Ein heik­les Pro­jekt. Denn kaum ein The­ma pola­ri­siert so stark wie Expe­ri­men­te an Lebe­we­sen, um neue Medi­ka­men­te und Heil­me­tho­den aus­zu­pro­bie­ren. Unser Autor ver­such­te mehr­fach, einen Tier­ver­such in einem Uni-Labor zu sehen – wur­de aber über­all abgewiesen.

TEXT: JOSHUA KOCHER
REDAKTION: CONSTANZE BUSCH
TITELFOTO: NIKOLAUS URBAN

Schlu­cken Sie gera­de Anti­bio­ti­ka? Oder hat Ihre Haus­ärz­tin Ihnen kürz­lich einen Impf­stoff gegen Covid-19 gespritzt? Viel­leicht wur­den Sie schon mal für eine Kern­spin­to­mo­gra­phie in die Röh­re gescho­ben, um zu che­cken, ob Ihr Knie bei einem Sturz eine Ver­let­zung davon­ge­tra­gen hat?

Sie haben damit von Tier­ver­su­chen profitiert.

Comirna­ty zum Bei­spiel, der Biontech-Impf­stoff gegen das Coro­na­vi­rus: laut Euro­päi­scher Arz­nei­mit­tel-Agen­tur (EMA) getes­tet an 21 Rhe­sus­af­fen, an 96 Mäu­sen und 204 Ratten.

So gut wie alle Medi­ka­men­te und Behand­lungs­me­tho­den, die heu­te auf dem Markt sind, wur­den an Tie­ren getes­tet. Nur: Wir ver­drän­gen das. Wir wis­sen kaum etwas über Tier­ver­su­che, außer, dass es sie gibt. Ab und zu sehen wir Anhänger:innen von Tier­schutz­or­ga­ni­sa­tio­nen durch die Stra­ßen zie­hen, so wie im August in Müns­ter, wobei Aktivist:innen eines Bünd­nis­ses gegen Tier­ver­su­che rie­fen: „Tier­ver­su­che gehö­ren abge­schafft.“ Wie so oft sind die Gegner:innen am lau­tes­ten. Tier­ver­su­che pola­ri­sie­ren wie sonst viel­leicht nur Coro­na oder die Kernkraft.

„Das Problem sind Forscher, die zu Hause nicht über ihre Arbeit sprechen“

Die Uni Müns­ter will das ändern. Sie ist im Juli der Initia­ti­ve Trans­pa­ren­te Tier­ver­su­che bei­getre­ten, zusam­men mit mehr als 60 ande­ren Ein­rich­tun­gen, dar­un­ter die Ber­li­ner Cha­ri­té, der Phar­ma­gi­gant Bay­er und die Max-Planck-Gesell­schaft. Die Uni möch­te laut Pres­se­mit­tei­lung den öffent­li­chen Dia­log über Tier­ver­su­che „aktiv mit­ge­stal­ten“. Sie will Erfah­run­gen mit den ande­ren Insti­tu­tio­nen aus­tau­schen und Akti­vi­tä­ten bekannt machen. Heißt: Die Forscher:innen wol­len trans­pa­ren­ter arbei­ten – und so die Dis­kus­si­on über Tier­ver­su­che versachlichen.

Ste­fan Schlatt ist der Mann, der die Trans­pa­renz-Initia­ti­ve der Uni Müns­ter vor­an­ge­trie­ben hat. Er sitzt vor einem Regal vol­ler Bücher, hin­ter ihm, in sei­nem Büro an der Domagk­stra­ße, hängt ein Kalen­der mit Affen­fo­tos. „Das Pro­blem sind nicht die Tier­schutz­geg­ner“, sagt er, „das Pro­blem sind die For­scher, die zu Hau­se nichts von ihrer Arbeit mit Ver­suchs­tie­ren erzäh­len.“ Das Schwei­gen der Forscher:innen, so Schlatt, könn­te den Anschein erwe­cken, dass sie etwas Ver­bo­te­nes tun.

Bio­lo­ge Schlatt, 57, will mit dem The­ma anders umge­hen. Er habe zu Hau­se immer erzählt, was er bei sei­ner Arbeit mache. „Mei­ne Jungs wuss­ten immer Bescheid.“ Er ist einer der weni­gen Forscher:innen, die offen und trans­pa­rent über Tier­ver­su­che sprechen.

Ste­fan Schlatt forscht seit Jah­ren dar­an, unfrucht­ba­ren Män­nern wie­der zur Frucht­bar­keit zu ver­hel­fen. Unter ande­rem kas­triert er dafür Affen­männ­chen und trans­plan­tiert ihr Hoden­ge­we­be in Mäu­se. Er tötet auch Affen, um an ihren Orga­nen zu for­schen. In sei­nem Gehe­ge leben zur­zeit 115 Weiß­bü­schel­af­fen und gut 30 Makaken.

Leitbild für Forschung und Tierhaltung

Nie­mand füh­re Tier­ver­su­che aus Spaß durch, sagt Ste­fan Schlatt. Man mache es aber mit der Über­zeu­gung, in der Grund­la­gen­for­schung neue Erkennt­nis­se zu gewin­nen und in der ange­wand­ten For­schung Medi­ka­men­te zu tes­ten, die dann zum Bei­spiel Men­schen­le­ben ret­ten könn­ten. Er selbst geht durch­aus kri­tisch mit Tier­ver­su­chen um. In sei­ner Anfangs­zeit an der Uni Müns­ter ver­lor er sei­nen Job, weil er kri­ti­siert hat­te, dass Meer­schwein­chen immer wie­der die glei­che Sub­stanz gespritzt wur­de, obwohl die­se Ver­su­che kei­ne neu­en Erkennt­nis­se her­vor­ge­bracht haben sollen.

Heu­te lei­tet Schlatt an der Uni Müns­ter die Koor­di­nie­rungs­kom­mis­si­on für tier­ex­pe­ri­men­tel­le For­schung, ein Gre­mi­um, in dem unter ande­rem Theolog:innen, Ethiker:innen, Biolog:innen, der Asta und die Tier­schutz­be­auf­trag­te sit­zen. Gemein­sam haben die Mit­glie­der ein Leit­bild für den ethi­schen Umgang mit Tie­ren in der wis­sen­schaft­li­chen For­schung und Leh­re erstellt, das bei der Ver­öf­fent­li­chung 2017 ziem­li­che Wel­len schlug. Denn dar­in beto­nen die Autor:innen, dass jede Per­son, die an einem Tier­ver­such betei­ligt ist, eine Ver­ant­wor­tung trägt. Der Tier­pfle­ger, die For­sche­rin, der Doktorand.

Eine ers­te Fol­ge der Trans­pa­renz-Initia­ti­ve kann man im Inter­net beob­ach­ten. Auf der Web­site der Uni steht seit drei Mona­ten, wie vie­le Tier­ver­su­che und Tier­tö­tun­gen zu wis­sen­schaft­li­chen Zwe­cken jähr­lich durch­ge­führt wer­den. 29.757 Tie­re waren laut Sta­tis­tik im ver­gan­ge­nen Jahr Teil eines Tier­ver­suchs. 11.963 wur­den zu wis­sen­schaft­li­chen Zwe­cken getö­tet. Drei Vier­tel der Ver­suchs- und der getö­te­ten Tie­re waren Mäu­se, ein gutes Vier­tel Fische, vor allem Zebra­bärblin­ge. Die rest­li­chen Pro­zen­te tei­len sich Rat­ten, Meer­schwein­chen, Scha­fe, Schwei­ne, Kanin­chen und Affen.

In ganz Nord­rhein-West­fa­len wur­den 2019 laut der Initia­ti­ve Ärz­te gegen Tier­ver­su­che fast eine hal­be Mil­li­on Tier­ver­su­che durch­ge­führt, gemein­sam mit den Expe­ri­men­ten in Bay­ern und Baden-Würt­tem­berg sind das rund die Hälf­te aller Tier­ver­su­che in Deutsch­land (hier geht es zu der Sta­tis­tik, die der Ver­ein als „Nega­tiv-Rang­lis­te“ ver­öf­fent­licht hat).

Demos gegen Tierversuche in Münster

Auch in Müns­ter hat der Ver­ein Ärz­te gegen Tier­ver­su­che eine Arbeits­grup­pe. Die Mit­glie­der rufen zu Demos auf, pla­ka­tie­ren Bus­hal­te­stel­len und ver­öf­fent­li­chen Vide­os. Oft rich­tet sich ihre Kri­tik gegen die Affen­ver­su­che des For­schungs­in­sti­tuts Lab­corp Drug Deve­lo­p­ment (frü­her Covan­ce Labo­ra­to­ries). Das US-Unter­­neh­­men betreibt in Müns­ter eines der größ­ten Tier­ver­suchs­la­bo­re Deutsch­lands. Der Ver­ein Ärz­te gegen Tier­ver­su­che kri­ti­siert, dass Lab­corp unter ande­rem Medi­ka­men­te an schwan­ge­ren Affen tes­tet und die Föten auf Miss­bil­dun­gen unter­sucht. Jähr­lich sol­len bis zu 2.000 Affen dort getö­tet werden.

Expe­ri­men­te mit Mäu­sen und ande­ren Tie­ren sind in Deutsch­land nur dann erlaubt, wenn sie für wis­sen­schaft­li­che Zwe­cke uner­läss­lich sind. Das ist im Tier­schutz­ge­setz gere­gelt. Als Bei­spie­le sind dort unter ande­rem Grund­la­gen­for­schung, Behand­lung von Krank­hei­ten, Erken­nung von phy­sio­lo­gi­schen Funk­tio­nen bei Mensch und Tier, der Schutz der Umwelt oder die Ent­wick­lung und Prü­fung von Medi­ka­men­ten genannt. In der Kos­me­tik­ent­wick­lung sind sie hin­ge­gen ver­bo­ten, wobei das Ver­bot nach Anga­ben der Tier­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on PETA euro­pa­weit immer wie­der umgan­gen werde.

Betreten verboten

In mei­ner Inter­view­an­fra­ge an die Uni Müns­ter habe ich dar­um gebe­ten, selbst einen Tier­ver­such anschau­en zu dür­fen. Ste­fan Schlatt ist damit ein­ver­stan­den, dass ich zumin­dest ein paar Tie­re sehen darf. Doch ganz so ein­fach ist das dann doch nicht. Denn in den Labors herr­schen stren­ge Hygienevorschriften.

Der Ort in Müns­ter, an dem mehr als die Hälf­te der Ver­suchs­tie­re gehal­ten wird, heißt Zen­tra­le Tier­ex­pe­ri­men­tel­le Ein­rich­tung, kurz ZTE. In den Käfi­gen in dem Gebäu­de auf dem medi­zi­ni­schen Cam­pus im Wes­ten der Stadt sind 15.000 Mäu­se unter­ge­bracht, ein paar Hun­dert Rat­ten, ein Dut­zend Kanin­chen, 15.000 Zebra­fi­sche, eini­ge Sala­man­der und Schweine.

Jens Ehm­cke lei­tet die ZTE seit 2014. Er ist dafür ver­ant­wort­lich, dass kei­ne frem­den Kei­me in die Käfi­ge gelan­gen. Und er stellt in einem Bespre­chungs­raum auch gleich klar, dass ich die ZTE zur­zeit nicht besu­chen darf. Er ver­weist auf den Tier­be­stands­schutz und das Covid-19-Infek­ti­ons­ri­si­ko. Jeder Mensch sei ein poten­zi­el­ler Viren­trä­ger, nicht nur wäh­rend der Pan­de­mie. Wer sich die ZTE anschau­en möch­te, muss drei Tage lang in einem Tage­buch auf­schrei­ben, mit wel­chen Tie­ren er Kon­takt hat­te. Kame­ras und Blö­cke müss­ten in Qua­ran­tä­ne und der Besuch habe frisch geduscht vor­bei­zu­kom­men. Ich erfah­re davon aller­dings erst vor Ort.

Hin­weis der Redak­ti­on: Unser Foto­graf hat­te sich nach dem Inter­view­ter­min unse­res Autors bereit erklärt, sei­ne Kame­ra in Qua­ran­tä­ne zu geben und vor einem Foto­ter­min auch die übri­gen Vor­ga­ben zu erfül­len. Aber auch er durf­te nicht ins Labor. Die Uni hat das mit dem Risi­ko einer Coro­na-Infek­ti­on begrün­det. Des­halb erscheint die­ser Bei­trag ohne Bil­der. Auf dem Titel­fo­to ist das Gebäu­de an der Domagk­stra­ße zu sehen, in dem Ste­fan Schlatt sein Büro hat.

So bleibt mir nichts ande­res übrig, als den Schil­de­run­gen von Jens Ehm­cke zuzu­hö­ren. „Wir sind die bes­ten Tier­hal­ter, die es gibt“, sagt er. Tierärzt:innen schau­en täg­lich nach den Tie­ren, es gibt Fachtierpfleger:innen, Kli­ma­ti­sie­rung, Lüf­tung und die pas­sen­de Beleuch­tung für die ver­schie­de­nen Spezies.

Trotz­dem, sagt er, wür­den sei­ne Kol­le­gin­nen und er als die Bösen gel­ten: „Wenn jemand hier zu arbei­ten beginnt, heißt es, er wechs­le auf die dunk­le Sei­te der Macht.“ Dabei hät­ten sie einen guten Grund, die Tie­re zu hal­ten: die Wis­sen­schaft. „Wir hal­ten die Tie­re ja nicht zur Belus­ti­gung – im Gegen­satz zu Pri­vat­men­schen“, sagt er. Die Tie­re wur­den spe­zi­ell gezüch­tet, getö­tet wer­den sie am Ende fast alle.

Antrag, Nachweis, noch ein Antrag

Der Weg bis zum Tier­ver­such ist mit Büro­kra­tie gepflas­tert: Zual­ler­erst muss man beim ört­li­chen Vete­ri­när­amt eine soge­nann­te Para­graph-11-Tier­hal­tung bean­tra­gen. In die­sem Para­gra­phen des Tier­schutz­ge­set­zes heißt es unter ande­rem, dass die Antragsteller:innen für ange­mes­se­ne Räum­lich­kei­ten sor­gen müs­sen: Lüf­tung, Tem­pe­ra­tur, Licht. Sie müs­sen nach­wei­sen, dass sie über Fach­kennt­nis­se ver­fü­gen. Die kön­nen sie in Kur­sen erlangt haben, in der Aus­bil­dung oder im Stu­di­um. Sie müs­sen Tierärzt:innen ein­stel­len, die täg­lich nach den Tie­ren schau­en, und eine:n Tierschutzbeauftragte:n bestim­men. Eine gan­ze Palet­te an Richtlinien.

Erst im nächs­ten Schritt folgt der kon­kre­te Antrag für einen Tier­ver­such, beim Lan­des­amt für Natur, Umwelt und Ver­brau­cher­schutz in Reck­ling­hau­sen. Etwa 40 bis 50 Sei­ten Antrag sind dafür nötig, auf denen man begrün­det, war­um die­ser Ver­such uner­läss­lich ist, wel­che Erkennt­nis man sich erhofft und wie man den Ver­such durch­füh­ren möch­te. Eine Kom­mis­si­on ent­schei­det letzt­lich, ob der Tier­ver­such not­wen­dig ist. Laut Ste­fan Schlatt dau­ert das Geneh­mi­gungs­ver­fah­ren je nach Tier­art zwi­schen sechs Mona­ten (etwa bei Mäu­sen) und drei Jah­ren (zum Bei­spiel bei Affen). „Da kön­nen Sie die Ergeb­nis­se oft schon bei Ihren Kol­le­gen aus den USA nach­le­sen“, sagt Schlatt.

„Früher hatte hier jeder Forscher seine Ratten in der Besenkammer“

Vor knapp 100 Jah­ren war das noch ganz anders. Auf his­to­ri­schen Fotos ist zu sehen, wie der bis­lang ein­zi­ge Nobel­preis­trä­ger der Uni Müns­ter, Ger­hard Domagk, in den 30er-Jah­ren sei­ne Ver­suchs­rat­ten in Gur­ken­glä­sern hielt. Tier­wohl war damals ein Fremd­wort. „Frü­her hat­te hier jeder For­scher sei­ne Rat­ten in der Besen­kam­mer“, sagt Ste­fan Schlatt. Heu­te baut die Uni Müns­ter Tier­stäl­le für Mil­lio­nen­sum­men, wie zuletzt an der Hautklinik.

Auch Ste­fan Schlatt kann mir sei­ne Affen­kä­fi­ge an die­sem Mor­gen nicht zei­gen. Ihn plagt ein Her­pes, und damit darf er nicht in die Gehe­ge – vira­le Infek­ti­ons­ge­fahr. Er emp­fiehlt mir aber einen Besuch am Euro­pean Insti­tu­te for Mole­cu­lar Ima­ging (EIMI). Dort ent­wi­ckeln sie neue Ver­fah­ren für die mole­ku­la­re Bil­der­ken­nung, zum Bei­spiel soge­nann­te Tra­cer, die man Patient:innen spritzt, um bei einer Kern­spin­to­mo­gra­phie (MRT) oder einer Com­pu­ter­to­mo­gra­phie (CT) Krank­hei­ten sicht­bar zu machen.

Mäuse mit menschlichen Krankheiten

In einem Hoch­haus an der Wal­dey­er­stra­ße tref­fe ich Micha­el Kuhl­mann. Er ist am EIMI der Exper­te für soge­nann­te Tier­mo­del­le. Das sind in die­sem Fall Mäu­se, in denen Kuhl­mann eine mensch­li­che Krank­heit künst­lich aus­löst, um neue Ver­fah­ren zu über­prü­fen, bevor sie beim Men­schen ein­ge­setzt wer­den. Beim Herz­in­farkt­mo­dell zum Bei­spiel bin­det er ein Herz­kranz­ge­fäß ab, damit die Maus einen Infarkt bekommt. Auf ähn­li­che Wei­se kann er auch einen Schlag­an­fall aus­lö­sen. Für ande­re Ver­su­che spritzt er Mäu­sen Tumor­zel­len unter die Haut, um das Wachs­tum eines loka­len Tumors zu initiieren.

Mensch­li­che Erkran­kun­gen kön­nen im Tier aber auch durch eine gene­ti­sche Mani­pu­la­ti­on pro­vo­ziert wer­den. Ein sol­ches soge­nann­tes trans­ge­nes Tier­mo­dell, mit dem Kuhl­mann arbei­tet, ist bei­spiels­wei­se die ApoE-Knock­out-Maus. In die­ser ist das Gen für ein wich­ti­ges Trans­port­pro­te­in aus­ge­schal­tet, dadurch steigt der Cho­le­ste­rin­spie­gel in ihrem Blut. Sol­che gene­tisch ver­än­der­ten Mäu­se kau­fen sie bei einem Züch­ter und füt­tern sie dann mit fett­rei­cher Kost, damit sie Athero­skle­ro­se ent­wi­ckeln – also durch Fett ver­stopf­te Arte­ri­en, wie sie vor allem bei älte­ren und über­ge­wich­ti­gen Men­schen oder bei Raucher:innen vor­kom­men. Die Abla­ge­run­gen in den Blut­ge­fä­ßen füh­ren bei Men­schen oft zu einem Schlag­an­fall oder einem Herzinfarkt.

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Die ApoE-Knock­out-Maus ist ein wich­ti­ges Tier­mo­dell in einem Lang­zeit­pro­jekt des Insti­tuts. Seit gut zehn Jah­ren ver­su­chen Micha­el Kuhl­mann und sei­ne Kolleg:innen, einen Mar­kie­rungs­stoff zu ent­wi­ckeln, der die ent­zünd­li­chen Ein­la­ge­run­gen anzeigt, die bei Athero­skle­ro­se in der Gefäß­wand ent­ste­hen. Am bes­ten soll der Mar­kie­rungs­stoff (der soge­nann­te Tra­cer) anschla­gen, bevor das Gefäß ver­stopft ist und solan­ge die Patient:innen noch weit­ge­hend beschwer­de­frei sind. So lie­ße sich das Risi­ko eines Infarkts oder Schlag­an­falls schon früh vor­her­sa­gen. Bis­lang ist das erst mög­lich, wenn das Gefäß schon stark ver­engt ist. Mit einem sol­chen Mar­kie­rungs­stoff könn­ten also Men­schen­le­ben geret­tet wer­den. Ein Tra­cer aus die­ser Stu­die galt bereits als so hoff­nungs­voll, dass sie ihn einem Pati­en­ten sprit­zen konn­ten. Im kli­ni­schen All­tag lässt er sich aber noch nicht einsetzen.

Gibt es Alternativen zu Tierversuchen?

Ich fra­ge Micha­el Kuhl­mann, ob ich bei einem sei­ner Ver­su­che dabei sein kann. Auch hier bekom­me ich eine Absa­ge. Kuhl­mann sagt, er wür­de mir das ger­ne zei­gen, doch die Tra­cer ent­hiel­ten radio­ak­ti­ve Stof­fe. Des­halb dürf­ten nur spe­zi­ell unter­wie­se­ne Men­schen in das Labor.

Micha­el Kuhl­mann erzählt, er ver­su­che auch in der Fami­lie und im Bekann­ten­kreis offen mit sei­ner Arbeit umzu­ge­hen. Sei­ne Schwä­ge­rin, eine Vege­ta­rie­rin, rümp­fe oft die Nase. Er sagt dann, er ver­zich­te auf Tier­ver­su­che, wo es mög­lich sei. „Ich will Tie­re gar nicht töten“, sagt er. Für ihn ist das ein not­wen­di­ges Übel, um wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nis­se zu gewinnen.

Der Ver­ein Ärz­te gegen Tier­ver­su­che lis­tet auf sei­ner Web­site Alter­na­ti­ven zu Tier­ver­su­chen auf: künst­li­che Mini-Orga­ne, Mul­ti-Organ-Chips, 3D-Bio-Dru­cke oder Com­pu­ter­si­mu­la­tio­nen. Der klas­si­sche Tier­ver­such sei wis­sen­schaft­lich ein „ver­al­te­tes Sys­tem“, schreibt der Verein. 

Micha­el Kuhl­mann bestrei­tet das. „Ganz ohne Tier­ver­su­che wird es nicht gehen“, sagt er. Als Grund­la­gen­for­scher kön­ne er nie sicher vor­aus­sa­gen, wie sei­ne Ver­su­che aus­ge­hen, zum Bei­spiel wie sich der Tra­cer im Kör­per der Maus ver­teilt. „Ein Orga­nis­mus ist immer wie­der eine Blackbox.“

Moralische Prüfkriterien

Es bleibt also ein Abwä­gen. Die Kern­fra­ge lau­tet: Ist das Leben von Men­schen und Tie­ren gleich viel wert? Oder ist es ethisch ver­tret­bar, zum Wohl des Men­schen an Tie­ren zu for­schen? Johann S. Ach ist Phi­lo­soph am Cen­trum für Bio­ethik der Uni Müns­ter und sei­ne The­se lau­tet: Es gibt kein Argu­ment dafür, dass Tie­re weni­ger wert sind als Men­schen. Tier­ver­su­che fin­det er zwar nicht grund­sätz­lich mora­lisch ver­werf­lich. Aber in ihrer Mehr­heit eben doch – auch an der Uni Müns­ter. Er emp­fiehlt ein wei­te­res Prüf­kri­te­ri­um: Wür­de man einen Ver­such, den man an einem Tier für gerecht­fer­tigt hält, auch am Men­schen durchführen?

Natür­lich stößt Ach damit auf Wider­stand an sei­ner Uni­ver­si­tät. Doch er ist auch Mit­glied der Tier­ver­suchs­kom­mis­si­on, die der Affen­for­scher Ste­fan Schlatt lei­tet. Mit dem strei­tet er sich manch­mal auf Büh­nen und Podi­en. Sie schät­zen sich trotz­dem gegen­sei­tig und sie wis­sen, dass der jeweils ande­re auch ein Stück recht hat. Sie machen genau das, was beim The­ma Tier­ver­su­che oft fehlt: Sie spre­chen miteinander.


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